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Warum man Dichtern nicht alles glauben sollte von Andrea Tillmanns
Andrä Martyna © http://www.andrae-martyna.de/ Einst gab es zu Anoret einen bekannten Dichter, der die Geschehnisse in seiner Heimatstadt stets durch treffliche Parabeln zu beschreiben wusste, ebenso wie die Menschen, die in Anoret lebten oder auf ihren geschäftlichen Fahrten die kleine Stadt besuchten. Nun waren seine Geschichten nicht lange unbemerkt geblieben, da er sie besonders gerne mit den Abbildern von Personen aus den höchsten und einflussreichsten Kreisen zu schmücken pflegte, was das einfache Volk so amüsierte, dass seine Parabeln bald in aller Munde waren. Selbstverständlich betrachtete man zu Hofe sein Treiben mit Sorge und bald darauf auch mit verhaltenem Zorn, doch war nie einer imstande, dem Dichter sein schändliches Verhalten nachzuweisen, da dieser sorgsam darauf achtete, keinen einzigen Namen zu nennen, und immer wieder bestritt, bestimmte Menschen beleidigend dargestellt zu haben. Alles, so sagte er, sei einzig und allein seinem eigenen Geiste entsprungen; keinerlei Ähnlichkeit bestehe sicherlich zwischen den Eseln, die durch seine Gedanken spukten, und den hochwohlgeborenen Herrschaften zu Hofe. Freilich mochte diese Aussage niemand bestreiten, der soeben voller Scham oder Zorn sein genaues Ebenbild in einer Anekdote zu entdecken geglaubt, weshalb der Dichter für lange Jahre weiterhin ungestört seine Geschichten zum Besten geben konnte.
Doch begab es sich eines Tages, dass eine Welle der Neugierde durch die Stadt lief, da besagter Dichter eine ganz unglaubliche Geschichte ersonnen, in der keiner der Höflinge und Oberen wiederzufinden war, so sehr sich die Menschen auch bemühten, einen entsprechenden Sinn zu erkennen. Stattdessen sprach das Werk des Dichters von höchst merkwürdigen Dingen, die keiner je gesehen hatte und die die kühnsten Phantasien der Leute bei weitem überstiegen.
So erzählte er beispielsweise von fliegenden Schiffen aus unedlen Metallen, wozu sich die Zuhörenden nach einem kurzen Moment der Verwirrung durchweg beifällig äußerten, wenn sie auch den Nutzen einer derartigen Geschichte nicht zu verstehen vermochten. Als sie ihn danach fragten, erklärte der Dichter mit stolzgeschwellter Brust, lange Nächte habe er wachgelegen und über das Kommende nachgedacht und sei nun überzeugt, dieses Land, das er gerade den Leuten begreiflich zu machen versuche, könne seiner bescheidenen Meinung nach dereinst, wenn auch sicherlich in sehr fernen Zeiten, durchaus existieren.
Und weiter las er seine Geschichte vor: Da gebe es andere Schiffe aus ähnlichen Metallen, die sich wie Fische unter Wasser bewegen könnten, und gar Rüstungen für Menschen, auf dass sie zu Fuß den Grund des Meeres erforschen könnten. An dieser Stelle seiner Ausführungen lachte die Menge begeistert auf. Der Dichter jedoch ließ sich davon nicht im Mindesten irritieren oder gar von einer weiteren Verlesung seiner Gedanken abhalten. Fast schien er noch mehr angestachelt, denn mit wachsender Begeisterung fuhr er fort zu erzählen: Noch weitere Schiffe werde es geben, mit denen man viel höher als mit den erstgenannten werde fliegen können, höher als jeder Vogel, und in manchen bestimmten Rüstungen könne man gar die Sterne betreten, die in Wahrheit viel größer seien als von dieser Welt aus zu sehen.
Nun kannte das Gelächter der Zuhörenden kein Halten mehr. Der Dichter ersuchte sie um Ruhe, was jedoch nicht viel nutzte, da selbst die wenigen anwesenden Stadtsoldaten sowie die aus sicherer Entfernung herüberlauschenden Höflinge in Lachen ausgebrochen waren. So wartete er notgedrungen, bis sich die Menge wieder beruhigte, ehe er erneut zu sprechen anhob: In besagter ferner Zeit, fuhr er, dennoch unverdrossen, fort, würden auch Scharmützel und Landstreitigkeiten anders aussehen, große Kriege werde es geben, in denen man nicht nur gegen die nächsten Nachbarn zu kämpfen hätte, und die Könige der einzelnen Länder würden Waffen besitzen, die zu benutzen sie nur einen Schalter betätigen müssten, ja, ein anderes Königreich oder gar ein Dutzend derselben zu vernichten werde weniger Arbeit bereiten, als eine Laterne anzuzünden.
Nach diesen Worten lachte niemand, zu ungeheuerlich war diese Vorstellung, um vom einfachen Volke sofort zur Gänze begriffen zu werden. Einer der Höflinge jedoch begab sich eiligst zu den wenigen Soldaten, die alsbald die Menge auseinanderzutreiben begannen, um sich danach ohne überflüssige Worte des Dichters anzunehmen und ihm auf das Deutlichste klarzumachen, wie viel besser es für ihn sei, auf der Stelle und ohne jegliche Gegenwehr mitzukommen. Notgedrungen ließ sich dieser also zum Palaste des Königs schleifen, wo er sogleich dem Herrscher vorgeführt wurde. Nachdem der König über alles Notwendige unterrichtet worden war, begann er den Gefangenen zu befragen: Woher dieser denn die angeführten neuen Waffen kenne, und bis wann er als getreuer Einwohner von Anoret der Stadt einige der erwähnten Schiffe bauen könne? Seine Beteuerungen, dies sei völlig unmöglich, nützten ihm nichts. Der Herrscher befahl ihm fortwährend, seine Geheimnisse preiszugeben, schließlich sei gemeinhin bekannt, dass die Erzählungen des Dichters stets einen wahren Kern zu bergen pflegten. Nach einigen unwiderstehlichen Ermunterungen durch wohlgezielte Schläge seitens der Schlosswache seufzte der Dichter tief, bevor er mit zerknirschtem Gesichtsausdrucke kundtat, von all diesen Wundern, die er berichtet habe, habe er auf einer Reise durch die Zeit erfahren, die mittels eines Mechanismus vonstatten gegangen sei, den zu erklären er sich nicht bemächtigt fühle.
Der König, der inzwischen erregt aufgesprungen war, befahl seinem Gefangenen, ihm auf der Stelle sein Wissen mitzuteilen. Da auch diese Aufforderung von den Schlosswachen nachdrücklich bekräftigt wurde, seufzte der Dichter erneut, ehe er in verschwörerischem Tone berichtete, das Tor in eine andere Zeit befinde sich auf dem Grunde des Meeres, direkt unterhalb der Großen Wand, die nördlich des Schlosses steil zum Wasser hin abfiel. Zwar könne man es tauchend nicht erreichen, doch sei dies ihm, dem Dichter, mittels eines gewagten Sprunges in die Tiefe hinab gelungen, den man jedoch solch hochwohlgeborenen Herrschaften wie den Anwesenden nicht zumuten könne.
Mit einer verächtlichen Handbewegung tat der König diesen Einwand ab und befahl seinen Wachen, sich zu rüsten und an der bezeichneten Stelle ins Meer hinab zu springen, um einige der Wunder mit heimzubringen. Ohne jeden Widerspruch führten die Untergebenen diesen Befehl aus. Dem Herrscher, der vom oberen Rand des Steilhanges interessiert zusah, schienen nach einiger Zeit Zweifel an dem Gelingen des Vorhabens zu kommen, was der Dichter jedoch zur rechten Zeit sah. Sicherlich, erklärte er, seien die Soldaten so begeistert von der unbekannten Zeit, dass sie gerne noch eine Weile verblieben, was natürlich hier in Anoret durch die bloße Anwesenheit des Königs habe vermieden werden können. Der Herrscher zögerte nicht lange, bevor er den Höflingen befahl, den Soldaten auf gleichem Wege zu folgen und auf der Stelle mit wundervollem Wissen zurückzukehren.
Diese zögerten schon länger als die Soldaten, ehe sie in die ungewisse, wenn auch verheißungsvolle Tiefe sprangen. Doch die Minuten verstrichen, und auch die Höflinge kehrten nicht zurück. Als die Miene des Königs sich erneut zu umwölken begann, beeilte sich der Dichter zu mutmaßen, dass wohl auch diese Männer den unbekannten Dingen in der fernen Zeit nicht gewachsen seien, schließlich seien sie bekanntlich nicht so reich an Geiste wie der Herrscher. Dieser zauderte sehr lange, ehe er den wohlwollenden Vorschlag des Dichters befolgte und seinen Männern nachfolgte.
Es dauerte einige Tage, ehe man in der nördlichen Bucht die auf dem Wasser treibenden Männer des Königs sowie ihn selber, deutlich erkennbar an seinem purpurnen Umhang, entdeckte. Ein Arzt stellte, während er vorsichtig über den Rand der Steilwand hinausblickte, eindeutig eine allgemeine geistige Umnachtung, vermutlich hervorgerufen durch zu fettes Essen, als Ursache des Todes fest.
Der Dichter lebte noch lange unbehelligt in Anoret und beglückte die Menschen durch kleine Parabeln, die in seinen letzten Lebensjahren immer öfter von Lemmingen handelten.
04. Apr. 2010 - Andrea Tillmanns
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