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Seelendiebin
von Olga A. Krouk

Crossvalley Smith Crossvalley Smith
© http://www.crossvalley-design.de
Sie lag neben ihm. So atemberaubend schön, so still, so greifbar nah, dass er kaum wagte, daran zu glauben. Endlich gehörte sie ihm, endlich waren sie vereint. Er brauchte nur die Hand auszustrecken, um ihre samtweiche Haut unter seinen Fingern zu spüren. Erst vor wenigen Minuten hatten sie einander geliebt. Nun war sie eingeschlafen, zu erschöpft, um sich ihm wieder hinzugeben.
Er beugte sich über sie und küsste ihre Lippen, die bereits abzukühlen begannen. „Ruh dich aus, meine Süße.“
Der Anblick der Male um ihren Hals stimmte ihn traurig. Er hatte ihr nicht wehtun wollen. Aber sie war so aufgebracht gewesen, als sie ihn in ihrer Wohnung entdeckt hatte, sie hatte ihm so viele schreckliche Worte an den Kopf geworfen. Er hatte versucht, ihr alles zu erklären, doch sie hatte einfach nicht einsehen wollen, dass sie füreinander bestimmt waren. Er hatte sie beruhigen müssen. Und sie hatte sich beruhigt, sich seiner Liebe geöffnet und ihn empfangen.
Seufzend kam er auf die Beine und knöpfte seine Hose zu. „Ich muss jetzt gehen, meine Süße. Du wirst doch auf mich warten, oder?“
Bevor er sie verließ, warf er ihr einen Handkuss zu, dann tauchte er in das Dunkel des Treppenhauses. Die Glühlampe hatte er zerbrochen, bevor er in die Wohnung eingedrungen war, um seine Liebste zu überraschen. Sein Nacken begann zu kribbeln, ganz so, als würde ihn jemand beobachten. Vor der Nachbarstür glaubte er eine Silhouette zu erahnen – halb Tier, halb Mensch. Fantasierte er nur oder kauerte da wirklich jemand auf der Fußmatte? Aufhören, das sollte aufhören! Er wimmerte, presste die Fingerknöchel an die Schläfen und stolperte die Stufen hinunter, floh vor seinen eigenen Gespenstern. Als er die Haustür erreichte, ging diese auf und er stieß mit einem Kerl zusammen. Der Typ entschuldigte sich, trat zur Seite und zupfte sich ein paar Strähnen seines blonden Haares über das linke Ohr. Die braunen Augen wirkten müde, darunter hatten sich tiefe Schatten gelegt.
Verflucht, ausgerechnet der!
Ruhig, flüsterte er, ruhig, ruhig. Deine Liebste gehört dir, nur dir allein. Alles davor ist und bleibt Vergangenheit. Nichts kann sie von dir trennen.
Doch die Eifersucht brannte in seinem Herzen. Nur zufällig hatte er damals mitbekommen, wie seine Süße ihren Nachbarn – diesen Kerl, Finn hieß der – gebeten hatte, ihr den Lüster aufzuhängen. Natürlich war es ihm nicht entgangen, auf welche Weise der sie dabei angeglotzt hatte. Er konnte praktisch spüren, wie der Bursche nur danach lechzte, die Kleine flachzulegen, sie zu besudeln.
Natürlich musste er etwas dagegen unternehmen. So hatte er die Leiter angesägt. Seine Hände begannen zu zittern, genauso wie damals. Er kicherte bei dem Gedanken daran, spürte die Wonne, die sich in ihm ausgebreitet hatte, als er den Typen dort tatsächlich liegen gesehen hatte. Wie der sich nicht mehr regte, auch nachdem der Krankenwagen eingetroffen war. Der Triumph hatte ihn erfasst, als er mitbekam, dass er seinen Widersacher ins Koma befördert hatte. Aber zu früh gefreut. Bald war der Kerl wieder da, nur irgendwie … verändert. Dazu noch dieser Vogel, der den Burschen seitdem überall verfolgte. Ein Vogel mit einem beinahe menschlichen Blick …
An dem Typen vorbei huschte er auf die Straße und sog die kühle, feuchte Luft tief in seine Lungen ein. Seine Hände bebten, allerdings auf keine angenehme Art und Weise. Er brauchte einen Drink.
Mit dem Wagen, den er unweit geparkt hatte, fuhr er davon. Der Innenraum stank nach kaltem Zigarettenrauch. Die Euphorie, die ihn während der lang ersehnten Vereinigung mit seiner Süßen gepackt hatte, verflüchtigte sich. Dabei hoffte er, diesen Höhenflug einige Tage in sich konservieren zu können. Schwermut legte sich über ihn. Er dachte an seine erste große Liebe, an die Ekstase, die ihn damals ergriffen hatte, als er mit seiner Auserwählten endlich zusammen sein durfte. So eine Ekstase hatte er nie wieder gespürt und der Glücksrausch wurde mit jedem weiteren Mal flüchtiger. Die Liebe schien ihn zu verspotten.
Er wusste nicht, wie lange er herumgefahren war, bis er an einer Bar hielt. Nach kurzem Zögern ging er hinein.
Eigentlich war das nicht die Sorte Laden, die er sonst aufsuchte. Zu hell, zu menschenleer, zu teuer. Gerade wollte er dem Tresen den Rücken kehren, als sein Blick durch den Raum schweifte und … sie entdeckte.
Ihr Antlitz schnürte ihm die Kehle zu und er spürte ein Ziehen in seinem Unterleib. Konnte es wirklich wahr sein? Dasselbe Verlagen wie damals, bei seiner ersten, unvergesslichen Liebe. Ein perfektes, überirdisch schönes Wesen saß auf einem Barhocker und wartete. Wartete auf ihn, ganz bestimmt. So allein, so verloren in dieser kalten Welt, verkrochen in eine Ecke vor all den Enttäuschungen und Demütigungen.
Er hatte sie gefunden, kein Zweifel.
Seine Liebe. Seine wahre Liebe.
Vorsichtig stahl er sich heran. Noch wahrte er den Abstand, um sie nicht aufzuschrecken.
Sie trug ein weißes Kleid, das darunter ihren blanken Busen erahnen ließ. Die schwarze, etwas zerzauste Mähne fiel ihr über den Rücken. Ihre Hände spielten an einer violetten Strähne, die üblicherweise an den Haaransatz angeklebt wird und nun lose zwischen ihren Fingern hing. Ihr ungeschminktes Gesicht sah blass aus, die Augen – gerötet.
Der Barkeeper schob einen Cocktail zu ihr herüber. Sie lächelte verbittert, prostete ihm mit dem Glas zu, setzte es an die Lippen und stellte es gleich wieder ab, ohne daran zu nippen.
„Ein harter Tag?“, fragte der Mann und begann, den Tresen zu polieren.
„Hab schon härtere erlebt“, murmelte die Schöne, den Blick in ihrem Cocktail ertränkend. Sie krümmte den Rücken und stützte den Kopf mit beiden Händen ab. „Aber keiner hat so weh getan.“
Diese Stimme … melodisch wie der Klang eines Windspiels. Er vermochte seine Erregung kaum noch zu verbergen. In seinem Schritt pochte und schmerzte es, schwoll an und drückte gegen die engen Jeans.
Der Barkeeper nickte der Frau zu. „Hat dich dein Freund verlassen?“
„Verlassen? Abserviert hat er mich, eiskalt. Dabei war ich immer für ihn da. Ich habe ihm zugehört, ihn unterstützt, ihn … begehrt. Und er? Schmeißt alles hin wegen dieser kleinen Schlampe.“ Stürmisch griff sie nach dem Glas und ein kleiner Schwall der Flüssigkeit schwappte auf den Boden. „Ich war so blind! Hab ihr noch geholfen, unter die Arme gegriffen. Die beiden kennen sich nicht einmal lange. Pah! Ich sag’s dir: Kein magisches Band garantiert die wahre, ewige Liebe. Das wird noch böse enden, glaub mir, doch er hört nicht auf mich. Nein, falsch: Er hört mich überhaupt nicht. Auf einmal bin ich Luft für ihn.“
Fast ohne zu atmen beobachtete er jede Regung ihres Körpers, um sie für immer in sein Gehirn einzuprägen. Er inhalierte ihre Stimme und malte sich aus, wie ihre Haare riechen mochten.
Ihre Hand verkrampfte sich um das Glas, bis die Knöchel sich weiß färbten und die Sehnen unter der Haut spannten. So viel Schmerz, den er ihr gerne von der Haut geleckt hätte. So viele Tränen, die er ihr gerne von ihrem Gesicht geschält hätte.
Du wirst noch begreifen, dass dein Ex nicht von Bedeutung ist, redete er stumm auf sie ein. Dass dein Glück zum Greifen nah vor dir steht.
„Ich habe es satt. Ich will mich nicht mehr verstecken müssen, ich will frei sein.“ Sie knallte das Glas auf den Tresen, fegte die Strähne von sich und sah zu, wie diese zu Boden glitt. „Ab heute beginnt ein neuer Abschnitt meines Daseins.“
Sein Herz machte einen Sprung. Oh ja! Sein ganzer Leib bebte, während er beobachtete, wie sie vom Barhocker rutschte, bezahlte und in seine Richtung ging.
Meine Schöne, meine Liebste! Heute beginnt ein neuer Abschnitt … für dich und mich … ab heute gehörst du mir. Wir werden uns lieben … immer lieben …
Erwartungsvoll öffnete er die Arme.
Doch sie ging an ihm vorbei, nahm den Mantel vom Garderobenhaken und verließ die Bar, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Die Gedanken in seinem Kopf verschmolzen miteinander. Wenn er blinzelte, sah er weiße Punkte pulsieren, die sich ausweiteten und ihm die Sicht raubten.
Wie konnte das sein?
Wieso tat sie das? Wieso spielte sie auf eine so grausame Weise mit ihm?
Nach einer kleinen Ewigkeit gab er sich einen Ruck und lief auf die Straße. Zum Glück bemerkte er noch, wie sie abbog. Er rannte ihr hinterher, huschte in eine enge Gasse, beschleunigte seine Schritte. Ihre zierliche Gestalt löste sich in der Dunkelheit beinahe auf. Noch ein wenig, und er würde sie packen, ihr erklären, dass sie einen Fehler beging.
Vermutlich hatte sie seine Schritte gehört, sein Keuchen oder das Pochen seines Herzens, denn sie drehte sich um. Ihre Haltung wirkte erhaben, das Alabastergesicht lieblich und so unendlich traurig. Er konnte nicht mehr bremsen, lief ihr direkt in die Arme, die sich sofort um ihn schlossen. In einer innigen Umarmung. So innig, dass es ihm den Atem abschnürte und die Rippen brach.
Sein Kopf wurde an den Haaren nach hinten gezogen, ihr Mund schlürfte an seinen Lippen. Endlich hatte er ihn bekommen, den Kuss der ewigen, wahren Liebe. Den Kuss, der ihm die Seele aus dem Leib saugte.
Er spürte, wie die Energie ihn verließ, wie der Boden unter den Füßen nachgab und alles ringsherum tanzte und freute sich mit ihm. Nur ein Mal gelang es ihm, seinen Kopf zur Seite zu drehen und ein atemloses „Bist du ein Engel?“ zu hauchen.Sie lächelte, während sie ihn noch fester an sich drückte und mit Schmerzen liebkoste. „Der Typ, der mich abserviert hat, nannte mich Gran Princesa. Aber für dich … für dich bin ich einfach Maria. Eine gottverdammte Nachzehrerin.“Wieder küsste sie ihn. Glückselig schmeckte er seinen Tod, strebte ihm entgegen, gab ihr alles hin. Dann fühlte er nichts mehr, außer der Dunkelheit.


Mehr über Schattenseelen auch hier

10. Apr. 2010 - Olga A. Krouk

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