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Der Papagei
von Ruth M. Fuchs

Crossvalley Smith Crossvalley Smith
© http://www.crossvalley-design.de
Kommen Sie näher. Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die man nicht laut hinausbrüllen darf – man muss sie sich ins Ohr sagen.

In meiner Jugend besaß ich einen Papagei – ein überaus gelehriges Tier, wie es schien. Er beherrschte nicht nur unzählige Worte und Redewendungen, sondern verstand sie obendrein auch richtig anzuwenden, so dass er sich mit Jedermann geradezu auf das Artigste unterhielt. Mit Jedermann, nur nicht mit mir. Denn egal welche Schmeicheleien ich ihm sagte und welche Leckereien ich ihm auch in Aussicht stellte, stets hatte er für mich nur ein Wort: „Mumpitz!“

Ich erinnere mich noch genau: es war bei einer Geburtstagsfeier meiner älteren Schwester. Viele Leute waren geladen, u.a. auch ein junger Philosophiestudent, den ich, ein Backfisch noch, heimlich anschwärmte. Er stand bei meinem Papagei und unterhielt sich mit ihm, als wäre er ein verständiges Wesen. Als ich näher kam, hörte ich, wie er mit dem Papagei ernsthaft über Kants Kategorien disputierte.
Das hatten wir erst kürzlich in der Schule durchgenommen. Vielleicht konnte ich damit ja die Aufmerksamkeit des Studenten erregen – ich kam also vorsichtig näher.
„...und da sind dann noch die Ideen“, sagte er gerade.
„Freiheit“, krächzte der Papagei.
„Gott“, sagte ich.
In dem Moment herrschte im ganzen Raum Stille, der Student sah mich an, als würde er sich gar nicht wohl in seiner Haut fühlen, der Papagei legte den Kopf schief und fixierte mich mit seinem linken Auge. Dann sagte er laut vernehmlich: „Mumpitz.“
Die Unterhaltung um mich ging weiter. Der Student aber lachte schallend. Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Tief beschämt stürzte ich aus dem Zimmer.

Danach stand es für mich fest: Der Papagei musste sterben! In der Nacht nach dem Fest, Mitternacht war bereits vorüber, stahl ich mich mit einem großen Küchenmesser bewaffnet in das Zimmer, in dem der Papagei auf seiner Stange saß und schlief. Möglichst leise schlich ich mich von hinten an ihn heran und hob das Messer. Gerade als ich ausholte, um ihm mit aller Kraft die Klinge in den Leib zu stoßen, hob das Tier den Kopf und krächzte: „Mumpitz.“
Ich erstarrte erschrocken. Das Messer entglitt mir. Der Vogel blieb still sitzen, wandte nur den Kopf, um mich mit seinem linken Auge zu fixieren und wiederholte: „Mumpitz.“
Da stürzte ich mich mit bloßen Händen auf ihn, um ihm den Hals umzudrehen.
Der Vogel schlug mit den Flügeln, wich an das Ende seiner Stange zurück, trat schließlich ins Leere, taumelte und flatterte schließlich weg. Da er, abgesehen von seiner Abneigung gegen mich, ein wohlerzogener Vogel war, war er nicht angekettet.
Er flog also auf – und knallte mit voller Wucht gegen das Fenster. Wie ein Stein stürzte er dann zu Boden, wo er reglos liegen blieb.

Allem Anschein nach war er tot. Ich hätte darüber froh sein sollen, fühlte aber nur eine große Bestürzung. Den Tränen nah sank ich neben ihm zu Boden und schluchzte: „Das hab ich nicht gewollt!“
„Mumpitz“, krächzte der Vogel.
Ich stutzte. Der Papagei rührte sich nicht. Er war tot. Wie konnte er da reden?
„Wie bitte?“, flüsterte ich.
„Mumpitz. Oder von mir aus auch Unsinn, Blödsinn, Geschwätz, Torheit.“
„Also...“
„Nonsens, wenn du es lieber ausländisch magst.“
„Also hör mal!“
„Ja?“
„Wie kannst du überhaupt mit mir in so einem Ton reden, wenn du tot bist?“
„Wäre ich tot, könnte ich in gar keinem Ton mit dir reden.“
Diese unbestreitbare Logik verwirrte mich.
„Äh, na gut, schön. Aber – und wieso kannst du dann mit mir reden? Du bist ganz offensichtlich ein toter Papagei.“
„Ach wo. Dem Papagei geht es gut. Er hat sich nur den Kopf gestoßen und ist ein bisschen ohnmächtig.“
„Das freut mich“, ich atmete auf. Ich hatte den Papagei nicht umgebracht. Welch ein Glück. Das löste aber noch lange nicht das Rätsel der Stimme.
„Und wer bist dann du?“, fragte ich misstrauisch und zog mich sicherheitshalber ein paar Zentimeter zurück.
„Ich bin ein kleiner Mann im Ohr.“
„Was?“
„Du musst nicht so ungläubig reagieren! Wir sind eine weitverbreitete und hochgeachtete Rasse! Wir leben in Ohrmuscheln“
„Ich wusste nicht, dass Papageien Ohren, ich meine Ohrmuscheln oder so haben.“
„Haben sie auch nicht.“
„Aber trotzdem leben kleine Männer in Papageienohren?“
„Sei nicht albern. Kleine Männer leben in Menschenohren.“
„Aber du...“
„Na ja, ich bin deinem Onkel, als er dir den Papagei schenkte, aus dem Ohr gefallen.“
„Du bist rausgefallen?“
„Eigentlich bin ich mehr gesprungen.“
„Gesprungen?“
„Es war eine Kurzschlusshandlung und außer dem Papagei war nichts da...“
„Aha.“
„Hör mal, man hat es nicht leicht als kleiner Mann im Ohr. Weißt du, dass sich dein Onkel praktisch nur mit Blondinen mit wenig Kleidung und noch weniger Verstand unterhält? Das haut auf die Dauer den stärksten kleinen Mann um! Ich wollte endlich wieder zivilisierte Gespräche führen.“
„Aha.“
„Tja. Und das hab ich dann vom Papagei aus getan. Aber es kam nie ein Mensch so nahe an den Vogel heran, dass ich hätte wechseln können.“
„Und wieso hast du zu mir immer ‚Mumpitz’ gesagt?“
„Das war ich nicht. Da war der Papagei immer schneller.“
„Wieso denn das?“
„Er mag dich besonders gern.“
Der Papagei mochte mich. Und ich hatte immer das Gegenteil geglaubt.
Aber der kleine Mann war noch nicht fertig. Er hatte noch einen Wunsch: „Könntest du nicht mit deinem Ohr näher kommen? Ich könnte dir dann auch helfen, den Studenten zu beeindrucken, du weißt schon...“

Die Idee war verlockend. Und so legte ich mein Ohr an den Papagei, der übrigens bald darauf wieder munter wurde, und zurück auf seine Stange flog. Aber seither sagt er nur noch ein und denselben Satz: „Mumpitz, Mumpitz - Polly will nen Keks!“
Seiner Popularität tat das komischerweise keinen Abbruch, schon gar nicht bei mir.

Seitdem habe ich einen kleinen Mann im Ohr. Im Nachhinein erwies sich die Idee als nicht so gut. Der Student ging trotzdem lieber mit meiner älteren Schwester aus und nannte mich ‚altklug’. Und wenn mein kleiner Mann schlecht drauf ist, flüstert er mir mitunter scheußliche Gemeinheiten ein. Er benutzt dabei die direkte Verbindung vom Ohr über den Nasenkanal zum Mund, so dass mein Gehirn erst hinterher bemerkt, welche Katastrophe schon wieder geschehen ist.

Sagen Sie also bitte nette Dinge zu mir. Komplimente mag mein kleiner Mann sehr gern. Sie dürfen ruhig an mich adressiert sein, er fühlt sich dann schon auch angesprochen.

Aber warum weichen Sie denn zurück? Kommen Sie, verdammtnochmal, wieder her!

11. Mai. 2010 - Ruth M. Fuchs

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