|
Beute der Nacht von Rena Larf
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
|
RENA LARF
A. Bionda
35 Beiträge / 7 Kurzgeschichten / 1 Artikel vorhanden |
|
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Ich verlange, dass Sie mich anschauen. Ihr gesenkter Blick würde mir niemals das Gefühl von wahrer Dominanz vermitteln, Madame.
So hart seine Worte waren, so sehr erregte sie dieser Befehl zugleich.
Eleonora war dem Aufruf von Vincent de Mercury gefolgt. Sie kannte ihn nicht, aber er war in ihren Kreisen bekannt geworden für außergewöhnliche Spiele an außergewöhnlichen Orten.
Es wurde gemunkelt, sein Trieb sei animalisch und lüstern, und er würde sich einfach nehmen, was anderen gehörte. Insbesondere schöne, anmutige Frauen, die seiner dunklen Macht dann völlig verfielen.
Das hatte sie gereizt.
Es rannen ihr Schauer der Wollust den Rücken hinunter bei dem Gedanken, dass ein Mann sie völlig beherrschen könnte. Sie, die stolze, kluge Schönheit, die jedem Mann Hochachtung abverlangte.
Jetzt - kurz vor Mitternacht - ging sie nackt, bis auf ihre Strümpfe und ihre Schuhe, und mit auf den Rücken gebundenen Händen hinter diesem Fremden her.
Was auch immer er mit den simple pleasures genau betitelte, würde sich in Kürze für sie erklären.
Der Gedanke, den er ihr geschenkt hatte, erregte sie. Wie würde es wohl sein, den Himmel und die Hölle gleichzeitig zu berühren?
Wie würde es sich anfühlen, das schwache und unterlegene Geschöpf zu sein und einfach von ihm genommen zu werden? Vincent ging mit ihr durch einen geheimen Gang in ein Kellergewölbe, das in ein tiefes, schreiendes Rot getaucht war.
Schwaches Fackellicht schien von den Wänden. Gelegentlich fiel er für einige, wenige Sätze in seine Muttersprache zurück, um diese dann gleich zu übersetzen.
Weiter hinten soll es Fluchttunnel bis zum Hafen gegeben haben, erklärte er ihr mit leichtem französischem Akzent. Auch Schleichtunnel waren vorhanden laut seinen Aussagen, wo hindurch früher die Chinesen ihre Waren geschmuggelt hatten.
Ein süßlich dumpfer Geruch reizte Eleonoras Nasenflügel, die vor Erwartung leicht bebten. Sie musste an einen Duft von Erde und Jasmin denken, der Besitz von ihren Sinnen ergriff.
Eleonora fühlte sich wie ein Ankömmling in einer seltsam flimmernden Welt, in welcher die Luft trocken und staubig war und sich schwer atmen ließ. Und doch tobte zu dieser Zeit über ihren Köpfen das wilde und ungestüme Hamburger Nachtleben im Neonlicht der Begierde.
Eleonora zitterte. Ein leichter Windhauch zog durch die Tunnel und brachte von irgendwoher Sprachfetzen und einen menschlichen Schrei an ihr Ohr. Ihre langen Schatten an den Wänden begleiteten den Wind wie Wächter.
Vincent führte Eleonora vor sich her und redete jetzt kaum mit ihr. Wenn er jedoch mit heiserer Stimme seine Worte an sie richtete, hallten diese von der Decke des Gewölbes herab.
Er war sehr groß, mehr als Einmeterneunzig und musste gelegentlich seinen Kopf senken und ihn zwischen seine Schultern ducken. Dies tat er mit einer ungeheuren Eleganz und Dynamik, die seinen weiten dunklen Umhang um seinen kraftvollen Körper flattern ließ.
Als sie in einem der hinteren Räume ankamen, befahl ihr Vincent sich hinzuknien.
Eleonora sank mit einem leichten Stöhnen in die Kniekehlen. Ihre auf dem Rücken mit Seidenbändern verzurrten Hände machten es ihr schwer, die Balance zu halten, und ihr Kopf kippte für den Bruchteil einer Sekunde nach vorne. Schon war Vincent über ihr und packte ihre Kehle: Ihr Blick, Madame!
Drei Worte, nicht mehr, gesprochen mit heiserem Flüsterton.
Sein durchdringender Blick verursachte ihr eine Gänsehaut.
Waren das die Augen eines Lebenden?
Eleonora röchelte leicht, ihr Brustkorb hob und senkte sich. Jeder Atemzug brannte. Vincent lächelte und seine stahlblauen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und zeigten seine Zufriedenheit.
In einer der offenen Nischen im Tunnel war ein anderes Paar. Vincent befahl Eleonora in ihrer knienden Haltung zu verharren und zu ihnen herüber zu sehen. Der Mann saß auf einer dunklen, harten Bank, und seine Gespielin lag auf einem kreuzförmigen Tisch in der Mitte der Nische. Über ihr leuchtete kühles, ultraviolettes Licht.
Der Mann streichelte die Frau mit einem Pinsel aus kostbarem Feinhaar.
Mit sanften und doch kräftigen Strichen des Pinsels verwöhnte er ihre Haut und schlug sie abwechselnd mit der flachen Hand. Nachdem er sie geschlagen hatte, zog er sie an sich, blickte ihr tief in die Augen und küsste sie. Er streichelte sie und schlug sie. Er wies sie an, im hellsten Licht inmitten von fremden Menschen ihre Beine zu spreizen und streichelte ihre Scham.
Man sah die silbernen Ringe, welche sie trug.
Eleonora genoss es, den beiden zuzuschauen und sie zu beobachten.
Aber insgeheim sehnte sie sich danach, von Vincent genommen und unterworfen zu werden in ihrer tiefen Lust, die sie gerade jetzt bei diesem Anblick für ihn empfand.
Sie schloss für einen sehnsuchtsvollen Moment die Augen.
Und da - ja, ein durchdringender Schrei ließ sich aus der Nische vernehmen!
Eleonora erschrak. Der Kerl hatte seine Gespielin gebissen!
Sie sah noch, während sich die Frau einer wohltuenden Entspannung hingab, wie der Mann ihren Hals mit dem Mund festhielt und wie etwas Warmes, sehr Warmes unablässig aus ihrem Hals rann.
Blut... ja Blut!
Er genoss ihr heißes, süßes Blut bis zum letzten Tropfen, bis ihr die Sinne schwanden.
Als der Mann von ihr abließ, bemerkte Eleonora die zwei spitzen langen Eckzähne, die aus seinem Oberkiefer herausragten.
Die Leidenschaft, das Flüchtige, der Tod hatten Einzug im Tunnel gehalten!
Ohne Vorwarnung spürte Eleonora Vincents harte Hand in ihren langen Haaren und er drückte ihren Kopf brutal nach hinten.
Der Übergang war fließend, so selbstverständlich und geschmeidig vollzog er sich.
Das gefällt Madame, flüsterte er leise, nahe bei ihrem Ohr, und er leckte mit seiner heißen Zungenspitze über ihren Hals.
In Vincent war das Wissen von Jahrhunderten.
Er konnte mit der Haut sehen, mit den Ohren fühlen, mit der Stimme streicheln und mit den Händen sprechen. Er war einer der letzten Vampire von Hamburg und er kostete seine Erhabenheit über die vor ihm bebende Menschenfrau in vollen Zügen aus.
Lechzend nahm er Eleonoras erknospende Lust wahr, nicht ohne mit all seinen Sinnen im gleichen Augenblick deren Sterben zu erleben.
Die schimmernden Momente wurden immer kürzer.
Das Ablassen und geführt werden, die lüsterne Qual nächtlicher Streifzüge wiederholte sich in unzähligen Variationen. Im rituellen Tausch von Lust gegen Blut. Bis die Vision in der Distanz verblasste, bis wieder völlige Dunkelheit herrschte und er sich in die Tunnelgewölbe unter dem Kiez zurückzog.
Vincent sah sie an. Eleonora zitterte am ganzen Körper vor Kälte, Angst und sehnsuchtsvoller Erregung. Zwischen ihren Beinen war ihre Flüssigkeit geflossen. Vincent legte mit geöffneten Lippen ihren Kopf in den Nacken. In Eleonoras Augen stand ein Blick aus stiller, heimlicher Begierde, wie ein stummes Flehen um Erlösung.
Unendlich langsam blickte Vincent zu ihr hinunter.
Die Sekunden kräuselten sich langsam aufwärts in die Luft um dann wieder in den Tunneln zu zerrinnen.
Das war der Moment, in dem Eleonora endgültig erkannte, dass Vincent Tod und Verführung zugleich umgab. Durch die grauen Nebel von unstillbarer Lust und Leidenschaft drangen die ersten Lichtschimmer der Ewigkeit zu ihr. Und auch wenn sie einen Augenblick lang das Grauen erfasste, entfaltete sich doch jetzt all ihre Schönheit, wühlte ihm ihre unbändige Lust entgegen, wurde sie zu einem Kelch der Hingabe, in den diese Kreatur über ihr eindringen konnte.
Vincent hatte Eleonora gerochen, ihren süßlichen, lebendigen Duft, diese einzigartige Komposition aus Fleisch und Gier. Er wollte sie haben. Wollte sie beißen, wollte seine spitzen Eckzähne in ihrem zarten Fleisch versenken und sie zu dem machen, was auch er war.
Noch ein Mal konnte er sich zwischen Realität und Möglichkeit bewegen.
Mit ihr!
Mit seiner Beute der Nacht.
27. Apr. 2010 - Rena Larf
Bereits veröffentlicht in:
[Zurück zur Übersicht]
|
|