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Totem
von Tanya Carpenter

Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:

SIEBEN VERLAG
A. Bionda
4 Beiträge / 26 Kurzgeschichten vorhanden
Andrä Martyna Andrä Martyna
© http://www.andrae-martyna.de/

Prolog-Story zu der Vampirserie RUF DES BLUTES



„Oosiiraa! Osira, aufwachen!“ Die Stimme klang sanft, hell wie eine Glocke. Sie streichelte Osiras noch schlafenden Geist. Das Wolfsmädchen knurrte unwillig. Es wollte jetzt noch nicht aufstehen. So herrlich kuschelig war sein Liegeplatz. Die Sonne wärmte ihm das Fell und duftiges Moos bildete ein dichtes, weiches Polster, auf dem es sich gut schlafen ließ. Etwas kitzelte der Wölfin die Nase. Sie zuckte mit den Lefzen. Die Stimme lachte. Wieder strich dieses weiche Ding über ihre Schnauze und brachte sie zum Niesen.
„So, du Schlafmütze. Jetzt ist aber wirklich genug geträumt. Ich habe eine Aufgabe für dich.“
Der Welpe gähnte herzhaft und öffnete verschlafen seine Augen, blinzelte, schaute die silbrig-schimmernde Frau an, die noch immer mit einer Feder spielte. Damit hatte sie Osira also zum Niesen gebracht.
„Ich hab grad so schön geträumt. Davon, dass ich schon groß bin und einen eigenen Menschen habe, für den ich verantwortlich bin“, sagte die kleine Wölfin und richtete sich mit den Vorderbeinen auf. Die Hinterbeine waren so kurz nach dem Aufwachen noch zu schwer. Sie blieben leicht zur Seite weggestreckt, was ihrer sitzenden Position ein recht lustiges Aussehen verlieh.
Die Silberfrau schmunzelte. „Das kann eher geschehen, als du denkst, meine liebe Osira. Ich sagte ja, ich habe eine Aufgabe für dich.“
„Aber...“, begann die Wölfin, „...bin ich denn nicht noch zu klein dafür?“
Die Frau streichelte ihr über den Kopf und kraulte Osira hinter dem Ohr, was ihr sehr gefiel. Seufzend schloss sie ihre Augen und genoss die Zärtlichkeit.
„Ja, du bist noch sehr klein. Doch der Mensch, für den du sorgen sollst, der ist noch viel kleiner. Ich werde dich zu dem Totem der Mutter in die Lehre geben, damit du bereit für deine Aufgabe bist, wenn es soweit ist. Und ich habe gesehen, dass es eine sehr schwere Aufgabe wird, denn das Mädchen schwebt in großer Gefahr. Viele Abenteuer hat sie zu bestehen und viele Gefahren zu meistern. Sie wird einen starken Beschützer brauchen. Und einen weisen Ratgeber, denn manche Entscheidung, die sie fällen muss, wird sie ins Wanken bringen.“
Die Silberfrau sprach in Rätseln. Aber das war Osira bereits gewohnt. Die Frau mit den langen silbrigen Haaren und der schimmernden Haut war die Göttin. Sie kannte die Zukunft, doch musste jeder – ob Mensch oder Krafttier – seinen Weg selbst finden. Deshalb gab die Göttin nur Hinweise, gerade soviel wie benötigt wurden.
Neugierig stand Osira auf. Das klang spannend. Ein Mensch, der viele Aufgaben für sie bereithielt. Und sie durfte bei einem anderen Totem in die Lehre gehen. Was es wohl für ein Tier war? Eine Krähe? Eine Schlange? Oder ein Bär?
Die Göttin drehte sich lächelnd um und ging. Osira folgte ihr mit den tapsigen Schritten eines kleinen Hundes.

Szenentrenner


Schmetterlinge kreuzten ihren Weg und sie schnappte spielerisch danach, bis ihre Herrin tadelnd den Zeigefinger hob und die Lippen schürzte.
„Wie weit müssen wir noch gehen?“, wollte Osira wissen.
„Nicht mehr weit, kleiner Wolf. Hab Geduld.“
Vor ihnen lag in einiger Entfernung ein Steinkreis. Große Findlinge ragten nebeneinander aus dem Boden empor. In der Mitte war mit kleineren Steinen eine Mondsichel auf den Boden gelegt.
Die Göttin betrat den Kreis und winkte Osira, ihr zu folgen. Staunend schaute der kleine Wolf an den mächtigen Steinen empor. Sie fürchtete sich ein wenig vor den stummen Riesen.
„Keine Angst, Osira. Hier im Kreis bist du sicher. Aus diesem Zentrum kannst du überall hingelangen. Wie alle Krafttiere.“
„Wo sind die anderen Krafttiere?“ Osira schaute sich um, drehte sich um die eigene Achse und ging schließlich rückwärts bis zur Göttin.
„Sie sind sowohl hier, als auch bei ihren Menschen. Wenn du deine Seele weit öffnest, kannst du sie spüren. Aber das wäre noch zu anstrengend für dich, kleine Wölfin. Es ist besser, wenn du dich am Anfang nur auf deinen Lehrmeister konzentrierst, damit er dich mit auf die Reise nimmt.“
„Wie mache ich das?“, wollte Osira wissen.
Die Göttin beugte sich herunter und stupste ihr mit dem Finger an die Schnauze. „Nicht immer so vorschnell. Du wirst schon sehen.“
Sie hob Osira hoch, setzte sie auf einen größeren Stein im Zentrum der Mondsichel und wies sie an, genau zuzuhören. Gehorsam spitzte der Welpe die Ohren.
„Runak!“, erklang eine glockenhelle Stimme, obwohl sich die Lippen der Göttin nicht bewegt hatten. „Runak, mein Freund, komm schnell wie der Wind. Breite deine Schwingen aus und eile. Hier wartete jemand auf dich.“
Es dauerte einen Moment, dann durchschnitt der scharfe Ruf eines Falken die Luft. Der Vogel wirbelte den Staub im Zentrum des Steinkreises auf, als er landete. Osira trippelte einige Schritte zurück und winselte. So einen großen Falken hatte sie noch nie gesehen. Seine Augen musterten sie durchdringend, sein Schnabel sah gefährlich aus, ebenso wie seine Krallen.
„Hallo, Runak!“ Die Göttin fürchtete sich natürlich nicht. Sie kraulte dem Falken das Gefieder und nahm ihn dann auf den Arm. Er schien kleiner zu werden, seine Ausstrahlung schwand im direkten Vergleich mit ihr. „Schau mal, wen ich mitgebracht habe“, sagte sie zu ihm. „Das ist Osira. Sie wird Joannas Tochter begleiten. Aber sie ist noch ein Welpe und unerfahren. Ich möchte, dass du sie mitnimmst und ihr den Weg weist. Wirst du das tun, mein Guter?“
Der Falke antwortete mit einem zustimmenden Tschilpen. Er schlug kräftig mit den Flügeln und landete vor Osira auf dem Stein. Der Greif überragte den kleinen Wolf, was aber auch darin liegen konnte, dass sich Osira flach auf den Boden presste.
„Ich tu dir nichts“, beruhigte der Falke den Welpen. „Aber wenn ich dich mitnehmen soll, muss ich meine Krallen in dein Fell schlagen, damit ich dich tragen kann. Halt schön still, dann werde ich dir nicht weh tun.“
Osira zitterte, aber sie rührte sich kein Stück, als Runak auf ihren Rücken sprang, behutsam die Krallen in ihr Fell grub und dann heftig mit den Flügeln schlug, um sich und seine Fracht in die Lüfte zu erheben.
Der Boden entfernte sich immer weiter. Unten im Steinkreis stand die Göttin und winkte den beiden mit einem Lächeln auf den Lippen nach. Osira schloss die Augen. Ihr wurde schlecht, als sie höher und höher stiegen, bis über die Wolken hinauf. Ihr kleiner Körper schlotterte, sie hoffte, dass Runak sie nicht fallen ließ. Doch der Falke glitt mühelos dahin, näherte sich zuversichtlich ihrem Ziel.

Szenentrenner


Sie landeten schließlich vor einer kleinen verlassenen Hütte. Runak setzte den Wolfswelpen ab und flog dann auf das Fensterbrett. Er blickte durch die Scheiben nach drinnen, sein Kopf zuckte von einer Seite zur anderen, dabei stieß er einen spitzen Laut aus.
„Wir können hinein“, erklärte er.
„Aber wie denn? Die Türen sind zu.“
Runak lachte, was bei einem Falken sehr merkwürdig klang. „Osira. Wir sind doch nicht aus Fleisch und Blut. Wir sind Totems. Wir brauchen uns nur auf einen Ort zu konzentrieren und schon können wir ihn durch pure Willenskraft erreichen. Schau.“
Der Vogel schloss seine Augen und war im nächsten Moment verschwunden. Verdutzt schaute sich Osira um. „Runak? Runak, wo bist du?“
„Im Inneren der Hütte“, erklang seine Stimme gedämpft. „Konzentriere dich und komm herein.“
Osira setzte sich auf ihre Hinterläufe und konzentrierte sich so fest, dass sich Falten auf ihrer kleinen Stirn bildeten. Sie fühlte sich mit einem Mal ganz leicht, aber nicht so schwindelig wie bei Runak in der Luft.
„Hierher“, rief der Falke und erleichterte ihr damit ihre erste geistige Reise, auch wenn sie nur fünf Meter weit war.
Drinnen saß eine Frau mit nachtschwarzen Haaren und sprach leise mit dem Vogel.
„Wer ist das?“, fragte Osira. „Warum kann sie dich sehen?“
„Das ist Joanna. Ich bin ihr Totem, ihr Krafttier.“
„Und mich sieht sie nicht?“
Der Falke lachte. „Du bist doch nicht ihr Krafttier. Du bist für ihre Tochter bestimmt. Darum hat die Göttin dich mit mir hierher geschickt.“
Osira sah sich neugierig in der Hütte um. Aber außer ihr, Runak und Joanna war niemand zu sehen.
„Wo ist denn ihre Tochter?“
„In ihrem Bauch.“
Neugierig kam sie näher und schaute auf Joannas leicht gewölbten Bauch. Vorwitzig stupste sie ihn mit ihrer Schnauze an. Ein helles Lachen erklang. Joanna legte die Hände auf ihren Unterleib und fragte lächelnd: „Na, mein kleiner Schatz. Wer hat dich denn grad geküsst?“
Osira machte große Augen.
„Sie redet mit ihrem Baby“, erklärte der Falke. „Und du kannst auch schon mit dem Mädchen reden, dann wird es dich erkennen, wenn es soweit ist.“

Szenentrenner


Runak und Osira blieben nun fast immer bei Joanna, die sich nachts oft mit einer anderen Frau traf, die auf den Welpen einen eher fremdartigen Eindruck machte. So, als wäre sie kein richtiger Mensch, obwohl sie genau so aussah. Der Falke erklärte, dass diese zweite Frau Lilly hieß und Joannas Freundin war. Aber Lilly bemerkte beide Krafttiere nicht. Sie hatte dafür keine Gabe.
„Muss man eine Gabe dafür haben?“, wollte Osira wissen.
„Nun, manche haben sie von Geburt an. So wie Joanna oder auch ihre Tochter. Aber manche müssen sich die Gabe auch erst erwerben, Kontakt zu ihrem Krafttier aufzunehmen. Nicht jeder glaubt daran, manche begegnen ihrem Krafttier darum nie.“
Das fand Osira sehr traurig.

Szenentrenner


Die Wochen und Monate vergingen. Runak ermutigte die kleine Wölfin immer wieder, Kontakt zu dem Ungeborenen aufzunehmen und brachte ihr auch viele andere Dinge bei. Wie sie durch ihren Willen von einem Ort zum anderen reisen konnte. Andere Krafttiere fand, um mit ihnen zu kommunizieren. Ein inneres Band zu ihrem künftigen Menschen aufbauten, damit es unzerstörbar wurde.
Eines Tages dann, Osira hatte einen langen Ausflug auf eigenen Pfoten unternommen, passierte etwas Außergewöhnliches. Seit kurzem geschahen beunruhigende Dinge, die Osira nicht recht verstand. Es lag Gefahr in der Luft, Joanna und Lilly waren nicht mehr so fröhlich wie sonst, sondern eher besorgt. Lilly sprach von bösen Frauen, die selbst vor Mord nicht zurückschrecken würden. Joanna hatte große Angst um sich und das Kind. Sie sagte, dass Melissa – so sollte ihre Tochter heißen – einen sehr starken Beschützer brauchen würde. Und dass es ihr bestimmt sein würde, ein großes Schicksal zu erfüllen, denn schließlich sei sie eine Hexe von der Göttin Gnade. Darum trachteten diese bösen Frauen ihr auch nach dem Leben. Ob aufgrund dieser emotional angespannten Situation, oder weil die Göttin es so wünschte, auf jeden Fall nahm Joanna an diesem Tag Kontakt zum Krafttier ihrer ungeborenen Tochter auf. Als die Wölfin die Hütte betrat, drehte sich Joanna um und sah sie direkt an. Dann kniete sie sich hin und streichelte Osira vertrauensvoll über den Kopf. Das war etwas Außergewöhnliches. Auch Runak überraschte dies sehr und Osira wurde klar, dass es mit Joannas Kind ebenso wie mit ihr als dessen Krafttier, tatsächlich etwas ganz Besonderes auf sich hatte und auf sie beide große Aufgaben warteten.
„Du wirst auf meine kleine Melissa aufpassen, nicht wahr?“, fragte Joanna. In ihren Augen konnte die Wölfin ihr Spiegelbild sehen und stellte überrascht fest, dass sie längst kein Welpe mehr war. Sie war jetzt ein erwachsener Wolf. Bereit, ihre Aufgabe anzutreten und ohne Runaks Hilfe ein Krafttier zu sein. Sie legte ihr Pfote auf den inzwischen drallen Leib, in dem ihr künftiger Mensch sicher geborgen lag und auf seine Geburt wartete. Der Zeitpunkt rückte näher.
„Ich schwöre es, Joanna. Ich werde deine Tochter nie im Stich lassen, sondern sie immer beschützen.“
Ihre Worte schienen Joanna zu beruhigen. Dankbar küsste sie Osira die Stirn.

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Einen Mond später kam Melissa Rowena Ravenwood zur Welt. Osira wachte Tag und Nacht an ihrer Wiege und begleitete gemeinsam mit Runak Mutter und Tochter auf all ihren Wegen. Nichts würde die Kleine und ihr Totem trennen können. Gemeinsam würden sie die Aufgabe meistern, die ihnen zugedacht war, daran zweifelte Osira keine Sekunde. Und auch, wenn das kleine Mädchen mit dem flammendroten Haar noch nicht reden konnte, so sprach es gedanklich doch vom ersten Tag an zwei Worte: Osira und Wolf.

13. Mai. 2010 - Tanya Carpenter

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