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Kosmischer Kick von Margret Schwekendiek
Lothar Bauer © http://www.sternenportal.org/grafik/ Das System hat immer Recht
Answer to die! Antworte um zu sterben!
Die grell leuchtende Schrift blinkte in einem beruhigenden Rhythmus, fast wie ein Herzschlag, nur nichts Aufregendes, das schienen die Macher zur Maxime erhoben zu haben.
Aber ich wollte mich aufregen, schließlich ging es um mein Leben. Jeder, der sich hier befand, und das waren pro Stunde immerhin sechs Leute, spielte darum. Oder nein, eher spielten wir um den Tod. Das klingt für Sie verwirrend? Ach, das kommt nur daher, dass Sie nicht mit unserem System vertraut sind. Dabei ist das alles recht einfach und doch auch wieder kompliziert.
Jeder Mensch wird vom Augenblick seiner Geburt an in das System eingegliedert. Permanent verbunden über einen Körperchip, der automatisch mehrmals täglich die Blutwerte, den Nerven- und Psychostatus, wie auch den Hormonhaushalt an das Zentrale Rechengehirn übermittelt. So kann schon beim kleinsten Anzeichen von Unregelmäßigkeiten eingegriffen werden. Die Fortschritte in der Medizin haben es möglich gemacht, dass praktisch jede Krankheit bereits vor dem Ausbruch eingedämmt wird. Durch ein weiteres Implantat können im Körper die Heilungskräfte aktiviert werden, oder der Betreffende erhält über das nächstgelegene Health-Terminal eine Dosis von was auch immer.
Alles perfekt organisiert.
Und auch das Sterben ist kein Thema, der Tod wurde einfach abgeschafft. Da natürlich auch eine gesteuerte Geburtenkontrolle stattfindet, muss das entsprechende Gleichgewicht gewahrt werden. Es dürfen nur so viele sterben wie auch geboren werden, oder andersherum.
Da kommt Answer to die ins Spiel.
Wer sterben möchte, darf das, sofern er die Bedingungen erfüllt. Zum einen muss der Körper auf absehbare Zeit ein enormer Kostenfaktor sein, was nichts anderes bedeutet, als eine Veranlagung zu früher chronischen Krankheiten, die durch ständige Medikation dauerhafte Kosten verursachen.
Nun, diese Voraussetzung ist bei mir in der Tat gegeben. Aber das größte Hindernis lag noch vor mir. Ich musste in dieser Show die richtigen Antworten geben, um endlich Erlösung zu finden. Es reichte nicht aus, über genügend finanzielle Mittel zu verfügen, um den Tod zu erkaufen. Das System saugte die meisten Menschen bereits aus, sie verrichteten tagtäglich ihre Arbeit und zahlten den größten Teil des Einkommens an das System, das dafür die Grundversorgung garantierte. Wer mehr investieren wollte, hatte die Möglichkeit Zusatzangebote zu erwerben. Neue Körperglieder, faltenlose Schönheit, multifunktionale zusätzliche Organe was auch immer jemand bezahlen konnte, das System machte es möglich. Wer bedürftig wurde, bekam das Angebot Organe oder Glieder zu vermieten, für eine bestimmte Zeit, oder sie sogar ganz zu verkaufen. Damit stellte man die eigene Versorgung sicher, denn einfach sterben durfte niemand an Toten konnte das System nichts mehr verdienen. Also musste die Auslese streng sein.
Zwei Fragen hatte ich bis jetzt richtig beantwortet, nur eine fehlte noch, und ich wusste, sie würde schwierig sein. Es gab keine Hilfen, kein Multiple Choice, und vor allem keine Bedenkzeit.
Mein Herz machte den schwachen Versuch aufgeregt zu schlagen, wurde aber gleich durch die Verringerung des Adrenalins in meinem Blut daran gehindert.
Answer to die. Ja, ich wollte sterben.
Die hübsche blonde Spielleiterin schenkte mir ein verführerisches Lächeln und überflog die wenigen Zeilen auf ihrer Karte.
Mr Connor, wir kommen zu Ihrer letzten und entscheidenden Frage. Sie haben ein letztes Mal die Gelegenheit Ihren Einsatz zurückzuziehen.
Nein danke, ich möchte weitermachen, hörte ich mich sagen.
Selbstverständlich, Sir. Hier Ihre Frage. Im Jahre 1972 geschah während der Olympischen Spiele in München in Deutschland ein schreckliches Attentat, bei dem viele Menschen ihr Leben verloren. Wer war der Stadionsprecher bei der Eröffnungsfeier? Sie haben zehn Sekunden für Ihre Antwort.
Ich hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht mit einer derart banalen Frage. Warum wurde ich nicht nach berühmten Persönlichkeiten gefragt? Warum nicht nach Eckdaten aus der Geschichte? Wie sollte jemand, der hier in Sydney aufgewachsen war, eine solche Nebensächlichkeit wissen? Allein schon der Anfang der Frage war eine Unverschämtheit, er implizierte einen anderen Zusammenhang. Aber natürlich nutzte mein innerlicher Protest nichts. Und ich wusste die Antwort nicht, konnte nur raten. Deutschland, siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, vermutlich handelte es sich um jemanden aus der Showbranche. Aber wer kannte diese Leute heute noch? Der Leuchtbalken der Anzeige schob sich unerbittlich dem Ende entgegen.
Curd Jürgens, sagte ich aufs Geratewohl und wusste im gleichen Moment, dass diese Antwort falsch war. Das Lächeln der Spielleiterin wirkte triumphierend.
Herzlichen Glückwunsch, Mr Connor, Sie bleiben am Leben und genießen weiterhin die Vorzüge des Systems. Aber nicht nur das, wir haben noch einen Trostpreis für Sie, einen Duplikator. Dieses formschöne und gleichzeitig äußerst nützliche Gerät nimmt Ihnen in Zukunft eine Menge Arbeit ab. Egal, was Sie dem Gerät als Muster in den Scanner stellen, es wird dupliziert, soviel Sie davon haben wollen. Sie haben Besuch? Nur ein Muster der köstlichen Schinkenröllchen, und Sie bekommen für jeden Gast ausreichen davon. Und dabei wird Ihr Konto nur mit den Energiekosten belastet. Ist das nicht wunderbar? Ich gratuliere Ihnen, Mr Connor.
Gratulation? Dafür, dass ich dieses ungewollte Leben weiterführen muss?
Die Frau reichte mir die Hand, und ich konnte in ihrem Gesicht die feinen Falten sehen, die auch durch noch so teure Kosmetikbehandlungen nicht verschwanden. Ich war maßlos enttäuscht, aber Widerspruch war natürlich zwecklos. Das System hat immer Recht.
An der obligatorischen Abschlussfeier, die jeden Tag von den glücklichen Gewinnern begangen wurde, beteiligte ich mich nicht.
Schon früh am nächsten Morgen wurde der Duplikator geliefert und installiert. Der Mechaniker wirkte ein wenig neidisch.
Es gibt nicht viele von den Dingern, sagte er. Das ist fast noch besser als sterben zu können. Denken Sie daran, Sir, der Duplikator kann keine lebenden Muster scannen. Also keine Haustiere, aber auch keine lebenden Hühnchen oder Hummer. Ich wünsche Ihnen viel Spaß damit.
Spaß? Nein, ich hatte keinen Spaß. Auch nicht, als am Nachmittag völlig überraschend einige Freunde und Bekannte auftauchten, um mein Weiterleben mit mir zu feiern. Doch das war dennoch eine gute Gelegenheit den Duplikator einzuweihen. Machen wir uns doch nichts vor, all diesen Leuten lag nichts an meinem Weiterleben, sie waren nur aus reiner Neugier aufgetaucht.
Als ich mir zwischendurch die Höhe meiner Energiekosten anschaute, wurde mir klar, warum nur wenige so ein Ding hatten. Nun, ich besaß Geld im Überfluss, was scherte mich da ein Anstieg der Energiekosten um mehr als 1000%? Ich wollte sterben, nichts weiter.
Nach und nach kroch ein Gedanke in meinen Kopf. Warum durften keine Lebewesen gescannt werden? Was geschah dann?
Drei Tage später war meine Neugier groß genug, um einen Versuch zu wagen. Ich benutzte eine Maus, die ich in einem Laden gekauft hatte. Das Tier blieb kaum lang genug still sitzen, um den Scan durchzuführen, und es kam so, wie es kommen musste, das Ergebnis war eine ziemliche Schweinerei im Ausgabefach. Also holte ich mir einfach draußen einen dicken Hirschkäfer, der tatsächlich ruhig an seinem Platz blieb. Die Duplikate waren ernüchternd. Alle Käfer waren tot.
Tot!
Das Wort elektrisierte mich. Der Duplikator konnte kein neues Leben erschaffen, und er vernichtete sogar die Lebewesen im Scanner, wie ich nach einer Weile feststellte. Denn der Käfer überlebte den fünften Durchgang nicht.
Ein letzter Versuch, ein etwas größeres Tier. Ich investierte etwas Geld und erstand einen kleinen Hund, den ich in den Scanner setzte. Ja, auf meinen Wunsch hin kamen fünf von ihnen heraus, tot natürlich. Und auch das Original überlebte nicht. Aufregung erfasste mich, und ich bemerkte kaum, wie meine Körperwerte in die Höhe schnellten. Erst als massive Dosen von Beruhigungsmitteln durch meine Adern kreisten, kam ich wieder zu mir.
Natürlich war das System aufmerksam geworden, wie dumm von mir. Aber eigentlich war das jetzt auch egal. Ich wollte nicht mehr länger warten, sollte das Systemdoch ruhig aufmerksam werden.
Bei allen Neuigkeiten war mir entgangen, wie hoch der Energieverbrauch mittlerweile angestiegen war, doch selbst wenn ich es bemerkt hätte, wäre es mir egal gewesen.
Ich zwängte mich in das kleine Fach des Duplikators, das eindeutig nicht für einen Menschen gemacht war. Doch mein Entschluss stand fest. Ich hatte den Aktivierungsknopf mit einem Zeitschalter gekoppelt und wartete mit klopfendem Herzen. Endlich spürte ich zarte Vibrationen, dann ging ein unangenehmes Kribbeln durch meinen Körper. Das musste der Scanvorgang sein. Ein Glockenton zeigte an, dass der Vorgang beendet war, doch ich blieb sitzen, schließlich sollten vier weitere Duplikationen ablaufen.
Ein durchdringendes Summen klang auf, weiter geschah nichts. Das Summen hörte nicht mehr auf, und ich war gezwungen, das Gerät zu verlassen. Ratlos stand ich vor dem relativ unkomplizierten Schaltpult und wusste nicht, was ich tun sollte. Verzweifelt drückte ich alle möglichen Knöpfe, versuchte dann sogar die Energiezufuhr zu unterbrechen, alles zwecklos. Neben der Erregung in mir spürte ich auch die wiederholte Aktivierung körpereigener Substanzen, die meine Körperwerte auf das normale Level zurückführen sollten.
Und dann geschah es.
Im Ausgabefach des Duplikators erschien von einem Moment auf den anderen mein Gesicht. Aber mehr von meinem Körper tauchte nicht auf. Stattdessen blinkte eine Anzeige auf dem Display der Maschine.
Energieversorgung nicht ausreichend, Duplikation unvollständig.
Gleichzeitig veränderte sich die eingestellte Stückzahl in rasender Geschwindigkeit. Offensichtlich hatte der Computer einen totalen Black-out. Aus dem Ausgabeschacht quollen die Köpfe mit meinem Gesicht, allesamt zu einem hässlichen Grinsen verzerrt. Ich geriet in Panik, nahm einen Kopf nach dem anderen auf und warf ihn beiseite. Doch der Duplikator hörte nicht auf zu produzieren. Mit dem Fuß kickte ich die schrecklichen Köpfe beiseite und hatte jedes Mal das Gefühl mich selbst zu treffen.
Längst waren meine Körperwerte weit jenseits aller Toleranzgrenzen, und das System gab Alarm. Laut schreiend spielte ich mit mir selbst Ball, und als mich irgendwann kräftige Hände packten und in eine Zwangsjacke steckten, war ich kaum noch bei Besinnung.
Stunden später stand ein Beauftragter des Systems an meinem Krankenbett. Er wirkte höflich, korrekt und ziemlich verärgert.
Ich hätte nicht gedacht, dass jemand seine gesamte Existenz aufs Spiel setzt, um zu sterben, stellte er kopfschüttelnd fest. Das System versorgt Sie rundum, und Sie haben bisher ein wunderbares Leben geführt. Oder gab es irgendwo eine Beschwerde? Dann hätten Sie sich melden müssen, und wir hätten uns sofort darum gekümmert. Ihr Verhalten deutet jedoch an, dass Sie ausgesprochen undankbar sind. Das hat das System nicht verdient, Mr Connor. Wir sind da, um den Menschen zu dienen, doch Sie haben uns diese Aufgabe fast unmöglich gemacht.
Ich wollte etwas darauf erwidern, aber jede Rechtfertigung hätte gleichzeitig wie eine Anklage geklungen. Und die hatte das System doch nun wirklich nicht verdient, oder?
Nun, ich fürchte, mit dem luxuriösen Leben ist es für Sie von jetzt an ohnehin vorbei, fuhr der Mann fort.
Wie soll ich das verstehen?, fragte ich mit spröder Stimme.
Ein erstaunter Blick traf mich. Ist Ihnen das denn nicht klar? Sie haben durch die Zweckentfremdung des Duplikators das Energieversorgungssystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Die Kosten für Verbrauch und Reset sind immens und übersteigen bei weitem Ihre finanziellen Verhältnisse. Ihr Vermögen wurde bereits eingezogen, und für die restlichen Kosten kommt augenblicklich das System auf. Aber Sie können natürlich nicht erwarten, dass die Solidargemeinschaft für die Überheblichkeit und Dummheit eines Einzelnen gerade steht. Das System ist großzügig, sehr großzügig sogar, und so bekommen Sie selbstverständlich auch weiterhin die notwendige Grundversorgung als lebenserhaltende Maßnahme. Allerdings wird von Ihnen eine Art Rückerstattung erwartet.
Ich versuchte noch immer diese Aussagen zu verdauen. Schlagartig sollte ich arm sein? Aber das war doch völlig unmöglich! Soviel Geld konnte ich gar nicht für Energie verpulvert haben. Oder doch?
Der Mann sprach schon weiter, mit salbungsvoller Stimme, die er wohl selbst als beruhigend empfand. Seine Augen blickten mich aber eiskalt an und warnten mich davor, Protest laut werden zu lassen.
Wie soll dieses großzügige Angebot aussehen?, fragte ich ironisch.
Nun, in Anbetracht der tatsächlichen Kosten dürfen Sie sich glücklich schätzen für das Entgegenkommen, Sir. Das System erhält Sie auch weiterhin am Leben, im Gegenzug stellen Sie Ihre Gliedmaßen und Organe zur Verfügung, die von weniger glücklichen Mitgliedern des Systems gemietet werden können.
Die Worte prasselten auf mich ein, und ich begriff rein gar nichts.
Meine Organe? Meine Gliedmaßen?, stammelte ich.
Der Mann nickte zufrieden. Richtig, deswegen befinden Sie sich auch bereits in der Klinik, die erste Transplantation findet schon in zwei Stunden statt.
Jetzt schlug die Wahrheit über mir zusammen, ich schrie auf und wollte aus dem Bett fliehen, doch ich war schon mit breiten Riemen gefesselt.
Sie wollen bitte keine Szene machen, Sir. Hätten Sie sich an die Bedienungsanleitung für den Duplikator gehalten, könnten Sie auch weiterhin Ihr gewohntes Leben genießen. Wer jedoch versucht das System zu betrügen, muss die Konsequenzen auf sich nehmen. Hier brauche ich noch Ihre Unterschrift, dass Sie mit den geplanten Maßnahmen einverstanden sind. Sie haben selbstverständlich das Recht Ihre Zustimmung zu verweigern, aber dann würde innerhalb einer Stunde ein offizielles Verfahren Ihre Geschäftsfähigkeit aufheben.
Ja, damit hatte er Recht, ich hatte sogar schon selbst zu derart drastischen Maßnahmen gegriffen, um geschäftliche Vorteile zu erlangen.
Gequält sah ich den Mann an. Welche andere Möglichkeit habe ich noch?
Er runzelte die Stirn. Keine. Die Zeit drängt, Mr Connor, sicher wollen Sie doch auch, dass bald alles vorüber ist.
Innerlich starb ich mit jeder Sekunde ein Stückchen mehr, leider betraf das nicht meinen Körper. Ich unterschrieb zehn Minuten später wurde die Narkose eingeleitet, und als ich wieder erwachte fand ich mich hier, zusammen mit einigen anderen hundert, die mein Schicksal teilten. Wir besaßen nur noch unsere Köpfe, waren auf Gedeih und Verderb dem System ausgeliefert und mussten weiterleben. Aber hier erfuhr ich auch, dass wir der Zentrale Rechner für das System sind, unser Wissen, unsere Kapazitäten sind das Herzstück des Ganzen, und ich verstand, warum wir nicht sterben durften. Denn nur Lebende bringen dem System Geld ein. Hier ist der Tod nur ein Wort, und das System hat immer Recht. Ewiges Leben? Sie glauben gar nicht, wie erstrebenswert das ist.
29. Mai. 2010 - Margret Schwekendiek
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