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Wandlungen eines Vampirs von Angelika Jodl
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Jeden Abend dasselbe: Mit einem leeren Gefühl im Magen (Elvira nannte es leicht) und der peinlichen Aussicht auf den absehbaren letzten Akt des Tages begab sich Bruno mit der Samstagsausgabe von Vampirs Science vor den Kamin, um wenigstens noch für eine halbe Stunde auf andere Gedanken zu kommen.
Vor seiner Pensionierung hatte er selbst geforscht und bahnbrechende Artikel zur Aufklärung der Zeitgenossen verfasst. Es gab ja so viel Dummheit, Aberglauben, Unwissenheit, die Bruno ärgerten. Zum Beispiel dies unausrottbare Gerücht, dass er und seinesgleichen aus Transsylvanien stammten. Es war aber nachweislich Serbien. Oder der Mythos über die Tollwutepidemie, die angeblich zur Sagenbildung vom Vampir geführt hatte lächerlich! Gab es ihn etwa nicht leibhaftig? Und Elvira und Waldemar?
Gleich der erste Artikel erregte seine Aufmerksamkeit:
Neueste Erkenntnisse: dosierte Zufuhr von menschlichem Blut (sanguis humanae) unerlässlich für stabile Gesundheit besonders bei heranwachsenden und älteren Vampiren... Knochenbildung... allgemeine Vitalität...Potenz- und Beißstörungen...
Bruno ließ das Blatt sinken. Er hatte es ja gewusst: Er brauchte Blut! Und was hatte er heute wieder auf seinem Teller vorgefunden? Diesen seltsam riechenden, schwärzlich verfärbten Salat aus Roter Beete mit ein paar Spritzern Tomatensaft. Das Auge isst mit!, hatte Elvira dazu gescherzt. Doch was würde es helfen, wenn er ihr diesen Artikel präsentierte? Mit rationalen Argumenten kämpfte er auf verlorenem Posten, seitdem Elvira die Bataillone der VPO, der Vampirs Political Correctnes hinter sich hatte.
Aber er liebte sie. Als er Elvira beim Walpurgisball der Fledermäuse zum ersten Mal gesehen hatte, hatte es sofort gefunkt. Trunken vor Lust und Leidenschaft (und jeder Menge arteriellem Blut) waren sie weitergeflogen in den ersten Mai, immer hinter diesen wunderschönen, blutroten Fahnen her, und zwischen all den feurigen Reden und weiteren Literchen des roten Saftes hatten sie entdeckt, dass sie beide zur Minderheit der Aufgeklärten Vampire gehörten. Da war es dann endgültig um ihn geschehen, er machte ihr einen Antrag.
Leidenschaft vergeht, eine gemeinsame Weltanschauung trägt über die Jahre, und so hatten sie sich bis heute etwas zu sagen und waren sich treu bis aufs Blut. Letzteres galt im wörtlichen Sinne, denn seitdem seine Frau auf dieser ideologischen Welle schwamm (die wie vieles, dem Bruno misstraute, aus der Neuen Welt stammte), waren andere Sitten heraufgezogen. Anfangs war es nur darum gegangen, bei jeder Gelegenheit von VampirINNEN zu sprechen oder menschliche Albinos in Weißlinge umzubenennen (denn jede Assoziation zu den so genannten Ausgesaugten galt als herabwürdigend). Doch dann hieß es, auch das Anbeißen und Aussaugen menschlicher Lebewesen sei politisch völlig unkorrekt und damit war es schlagartig aus mit dem täglichen Humpen Frischblut. Eine Weile wurden sie noch durch einen von Brunos Vettern, der beim Malteser Hilfsdienst angestellt war, mit Blutkonserven versorgt, aber auch das sah Elvira mit Skepsis. Als die Meldungen über mit Aidsviren verseuchte Konserven kamen, war das Wasser auf ihren Mühlen: Es wäre eben nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich das alles rächen würde, ein bewussterer Umgang mit der Natur stünde an, schließlich lebten sie nicht mehr im Mittelalter...
Was konnte Bruno dagegen sagen? Er war Aufgeklärter Vampir aus Überzeugung, hatte Kant gelesen, sein Wahlspruch lautete sapere aude wage zu denken. Außerdem wollte er seiner schönen, feurigen Frau im Grunde nichts abschlagen.
Soeben flog sie in ihrem spinnwebenfeinen Nachthemd und leise rauschend ins Kaminzimmer. Wie immer, wenn sie sich aufregte, zitterte ihre Oberlippe leicht und zeigte die Ansätze der einst prachtvollen Reißzähne, die jetzt natürlich sittsam kurz gefeilt waren.
Bruno, es ist wegen Waldemar. Er sagt aber bitte schrei nicht gleich! dass er endlich weiß, was er werden will: Priester. Katholischer Priester.
Waas?!
Ich hab gesagt, nicht schreien. Er scheint fest entschlossen zu sein, hat sich sogar schon so ein Seminar nennen sie das ausgesucht.
Du weißt, was die Kirche mit unsereinem angestellt hat über die Jahrhunderte hin? Verfolgungsjagden mit riesigen Kruzifixen, nächtliche Pfählungen! Und jetzt will ausgerechnet mein Sohn...!
Ich verstehs ja auch nicht! Besonders, weil na ja, da ist noch was: Die haben nämlich so einen komischen Ritus: Irgendwie soll sich da Wein in Blut verwandeln, so genau hab ich das auch nicht verstanden. Was meinst du, könnte das unbewusst irgendeinen Reiz auf unseren Waldi ausüben? Bruno, mir wäre wohler, wenn du dir diese Leute mal ansähest. Vorurteilsfrei natürlich! Ach, was ist nur los mit unserem Sohn? So überangepasst kommt er mir vor! Keinerlei Widerspruchsgeist! Wenn ich da an uns denke und unsere wilden Tagen...! Kokett schüttelte Elvira ihr rotes Haar und versuchte sich in dem versilberten Kaminschirm zu spiegeln, was leider immer noch daran hatte auch das viele Rote-Beete-Essen nichts ändern können misslang.
Ich soll mich also mit so einem alten Inquisitor treffen?, grollte Bruno. Aber in Wahrheit wollte er ablenken von dem, was jetzt kam: Sie würden in ihre Eichensärge steigen (ein letztes Zugeständnis an die alten Sitten), und da mochte Elvira noch so reizvoll bleich und rothaarig neben ihm liegen und mit der Oberlippe beben seit sie ihn zu Vegetarismus und Abstinenz verurteilt hatte, lag er nur noch da wie ein Toter. Wie hätte er denn auch Appetit entwickeln sollen, wenn ihm so lang schon kein frisches Blut mehr durch die Gurgel geflossen war? Wenigstens besaß er seit heute die wissenschaftliche Bestätigung dafür, woran das lag.
Hier die Cafeteria links gehts zur Bibliothek aber vielleicht möchten Sie zuerst unsere Kapelle sehen? Der dickliche Herr, der sich Bruno als Spiritual des örtlichen Priesterseminars vorgestellt hatte, steuerte eine schwere Holztür an.
Nein, nein, lassen Sie mal...! Sicher hing gleich dahinter ein lebensgroßer Gekreuzigter, und ausgerechnet heute hatte Bruno die Lesebrille mit eingeschliffenem Kruzifixusfilter zu Hause vergessen.
Erklären Sie mir doch lieber mal, was Sie den Seminaristen hier so äh zu essen geben!
Der Spiritual zwinkerte fröhlich. Wenn Sie die geistige Nahrung meinen denn dafür bin ich ja da das ist heute nicht mehr so furchtbar streng, wie viele meinen. Ich persönlich bin gegen alle aufgezwungenen Gespräche. Wer zu mir kommt, der tut das im Geiste gegenseitigen Vertrauens, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Ja, sagte Bruno. So was Ähnliches kenne ich von meiner Frau.
Sehen Sie. Und da sind wir schon beim Thema: Die Frauen das Zölibat. Wissen Sie, ich sage immer aber vielleicht gehen wir erstmal hinüber in die Klosterküche, da hat man uns nämlich eine kleine Jause hergerichtet. Schnaufend drehte der Spiritual einen eisernen Schlüssel im Schloss, die Tür zu einem Gewölbekeller öffnete sich. Es roch schwach nach Käse und Essig. Greifen Sie zu Brot, Butter, Schinken alles hausgemacht. Und hier unser Messwein! Ein himmlisches Tröpfchen, Sie gestatten? Wo war ich? Ach so, ja Zölibat, also, da muss jeder eben seinen Weg finden, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und ich würde sagen, der Spiritual wies auf den gedeckten Tisch und die in der Tiefe des Kellers lagernden, grün funkelnden Flaschen, ich hab meinen gefunden. Prosit!
Ja, ja, die Vorurteile, die man der Kirche entgegenbringt! Darf ich? Mit einer graziösen Geste goss der Spiritual sich und dem Gast nach. Beruhen ja meist auf Unwissenheit, hab ich Recht?
Durchaus, durchaus.
Da sollte man Licht ins Dunkel bringen! Aufklärung statt Abschottung!
Sapere aude, murmelte Bruno.
Wie meinen?
Kant. Wage zu denken!
Völlig richtig, mein Lieber!
Sicher - manches liegt noch im Argen, jammerte der Spiritual, die zweite Flasche in der Hand. Aber es ist ja auch nicht so, als steckten wir noch im Mittelalter!
Versteh ich gut, tröstete ihn Bruno. Das geht uns nicht anders.
Und dann die Presse: Als bestünde die Kirche nur aus einem fehl geleiteten Weihbischof. Ist doch alles üble Nachrede, oder?
Wem sagen Sie das!
Der Spiritual steckte sich zwei Finger in den Kragen und ruckte daran. Seine Augen schimmerten leicht glasig. Dasm Zölibat dassehen mir viele ssu vabissen! Nochn Fläschchen?
Gerne. Sagen Sie, wie war das nochmal? Bei der äh Heiligen Messe verwandelt sich der Wein in so eine Art Blut, hab ich Sie da richtig verstanden?
Der Spiritual konzentrierte sich auf die vierte Flasche. Ja-hach upss! Der Korken sprang ihm entgegen, gleichzeitig griff ein Schluckauf an. Dassischi Trans-sub-hupp-stanssion. Ein Schluck Wein landete auf dem Tisch. Vier-tes La-la-laterankonssil hupp.
Sie wollen sagen, richtiges Blut? Mit Plasma und allem? Das schmeckt dann aber doch anders als das hier, oder? Bruno konnte es nicht verhindern, leise schnalzte seine Zunge.
Der Spiritual richtete sich auf, seine Haare waren zerrauft. Angestrengt starrte er auf die Flasche. Neinein, genauso... himmlisch Tröpf-hupp... Wissen Sie, wegn Zölibat, weil da manchaja schwwitzt Blu- und hupp, Wassa
Ach was? Das lässt sich auch ausschwitzen? Bruno betrachtete sein Gegenüber und schürzte leicht die Oberlippe. Tatsächlich prangten Schweißtropfen auf dem Gesicht des Spirituals, das halslos und rot aus dem gestärkten hohen Stehkragen quoll. Wo hatte der denn seine Aorta? Und wie stand es mit seinem eigenen Reißzahn? Er hatte ihn schon länger nicht mehr gefeilt, aber durch einen solchen Kragen würde er es kaum schaffen.
Mordere aude!
Was? Morden un Auweh?
Wage zu beißen!
Issas Kant? Der Spiritual kicherte. Alls nichso eng sehn, hupp. Wassa Bischoff nich weiß, machnnich heiß, oda?
Eine Sekunde stand Elvira mahnend vor Brunos Augen, dann entspannte er sich. Ganz meine Meinung. A propos ist Ihnen nicht recht heiß mit diesem Ding da um den Hals?
Mein Kollar! Der Spiritual glotzte an sich herab. Stimm, hamse Recht!
Elvira lag schon im Sarg. Und? Wie wars?
Interessant. Die sind heute gar nicht mehr so verbissen, weißt du.
Sanft schürzte er seine Oberlippe. Dann beugte er sich über sie. Heute Abend, das spürte er, wären sie beide so untot wie schon lange nicht mehr.
12. Jun. 2010 - Angelika Jodl
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