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Feenherz von Eva Markert
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Das Volk der Gargantuaner liebte Edelsteine. Es gab granatapfelfarbene Rubine, meerwassergrüne Smaragde, Saphire, die sich blau wölbten wie der weite Himmel über dem Land, und in den Diamantenminen wurden Rohdiamanten so rein wie Quellwasser geschürft.
Mistral war der Leidenschaft für Diamanten verfallen. Oft stieg der Edelsteinhändler selbst in die Minen hinab und fand dort die herrlichsten Exemplare. Dann saß er stundenlang an seinem Arbeitstisch, betrachtete die rohen Edelsteine von allen Seiten und erträumte deren zukünftige Schönheit. Erst wenn er die Seele der Steine entschlüsselt hatte, ging er ans Werk. Und Mistral war ein Künstler! Mit seinem Schliff entfachte er das verborgene Feuer in jedem Diamanten und seine Stücke waren im ganzen Land begehrt.
Eines Tages bot man ihm einen Rohdiamanten an, der ihn sogleich faszinierte. Noch stumpf und unscheinbar lag er in seiner Hand, doch Mistral schien es, als ginge eine eigenartige Wärme von ihm aus. Er betrachtete ihn unter der Lupe, die er immer bei sich trug. Ein wenig enttäuscht stellte er fest, dass der Stein einen Einschluss hatte. Trotzdem erwarb er ihn. Er besaß weitaus wertvollere Stücke, dennoch wollte er auch aus diesem ein Kunstwerk machen.
In seiner Werkstatt legte er den Edelstein vor sich hin und wartete auf eine Eingebung, wie er ihn gestalten sollte. Ein eigenartiges Leuchten ging von dem Rohdiamanten aus. Mistrals Blick versenkte sich in seine Tiefen und wurde immer mehr in seinen Bann gezogen. Er nahm die stärkste Lupe, die er besaß, und neigte sich darüber. Er blinzelte täuschte er sich? , schaute noch einmal hin. Nein, jetzt sah er es ganz deutlich: Eingeschlossen in den Stein war eine zierliche Frauengestalt. Mistral zögerte keinen Augenblick er musste sie befreien.
Seine Hände bebten, als er den Stein einkerbte und das Messer ansetzte. Er legte es noch einmal beiseite zu groß war die Gefahr, sie zu verletzen. Er schloss die Augen, zwang sich, langsam und ruhig durchzuatmen, entspannte sich. Dann griff er erneut nach dem Werkzeug. Er arbeitete in höchster Konzentration, ohne Blick auf das Ziel, seine Aufmerksamkeit nur auf den nächsten Schritt, die nächste Bewegung gerichtet. Behutsam brach er den Stein auf, hob die kleine Frau mit zwei Fingern hoch und legte sie auf seine Handfläche. Sie war nackt, dunkles Haar umspielte das Gesicht mit den feinen Zügen. Bewegungslos, mit geschlossenen Augen, lag sie da. Mistral konnte sich nicht sattsehen an ihrem Liebreiz. Mit der Fingerspitze strich er sacht über ihren Leib.
Da spürte er plötzlich eine schwache, zitternde Bewegung wie von Schmetterlingsflügeln ihre Brust hob und senkte sich. Dann öffnete sie die Lider.
Du lebst!, rief er aus.
Sie krallte sich an seinen Fingern fest, sein Atem hätte sie beinahe hinweggeweht.
Du lebst, hauchte er, und mit einem Mal durchströmte ihn ein Glücksgefühl, das ihm beinahe die Luft nahm.
Er sah, dass sich ihre Lippen bewegten, und neigte sein Ohr zu ihr herab. Er hörte ein wisperndes Säuseln, sie sprach mit ihm, jedoch zu leise und in einer Sprache, die er nicht verstand.
Gleichwohl ahnte er, was sie brauchte. Er tauchte seine Finger in frisches, kühles Wasser und ließ Tropfen auf sie herniederfallen, die sie auffing und durstig trank. Brot brach er in winzige Bröckchen, und sie nahm eins zwischen beide Hände und verzehrte es. Er sah ihr dabei zu und grenzenloses Entzücken erfüllte ihn.
Als sie ihren Hunger und Durst gestillt hatte, blickte sie zu ihm auf. Mit den Armen versuchte sie ihre Blöße zu bedecken.
Mistral begriff. Er machte ihr ein Gewand aus alabasterfarbener Seide, und als sie es überstreifte, lächelte sie.
Sie war so bezaubernd, so anmutig, dass ihn tiefe Zärtlichkeit durchdrang. Du musst einen Namen haben, sagte er zu ihr, wobei er Acht gab, dass sein Atem sie nicht streifte. Ich nenne dich Fee, denn du bist meine Glücksfee.
Sie schmiegte sich in seine Hand.
***
Von da an begleitete sie ihn überallhin. Wenn er in Diamantenminen hinabstieg, steckte sie in seiner Brusttasche. Sie sah ihm bei der Arbeit in der Werkstatt zu, sie saß neben seinem Teller, wenn er aß. Er sprach mit ihr, sie lauschte aufmerksam, und wenn er sich schlafen legte, wanderte sie über sein Gesicht und seinen Körper und streichelte ihn, bis er unter ihren sanften Berührungen einschlief.
Mistral war glücklich.
Eines Tages jedoch wurde ihm bewusst, dass sich etwas verändert hatte. Erst konnte er nicht genau ausmachen, was es war. Ihr Gesichtsausdruck? Ihre Körperhaltung? Er nahm seine Lupe und beobachtete sie. Sie schaute zu ihm auf traurig, wie ihm schien. Und in dem Augenblick entdeckte er etwas, was ihn zutiefst erschreckte: Haarfeine Risse durchzogen ihre Stirn und die Haut um Augen und Mund.
Fee war gealtert!
Jetzt schon, dachte er, das kann nicht sein! Sie ist doch erst fünfzig Jahre bei mir!
Und doch war es so.
Schnell wurden Fees Bewegungen steif und müde. Teilnahmslos saß sie tagsüber auf seinem Arbeitstisch und nachts wanderte sie nicht mehr über seinen Körper. Er bettete sie auf ein Lager aus Watte und deckte sie mit Samt zu.
Sie verfiel immer mehr. Schließlich verweigerte sie die Nahrungskrümel, die er ihr anbot, und nahm nur noch ein wenig Wasser zu sich. Es gab keinen Zweifel: Fee war dem Tode nah.
Der Schmerz, der Mistral erfüllte, blähte sich in ihm, bis kein Raum für andere Gefühle blieb. Er grübelte und grübelte, doch er konnte ihr nicht helfen. Gegen das Alter war kein Kraut gewachsen. Wie alle Lebewesen musste sie vergehen so wie auch er vergehen würde, in ein paar hundert Jahren.
Wie soll ich nur leben ohne dich?, fragte er sie verzweifelt.
Sie blickte ihn aus dunklen Augen an. Er wusste immer noch nicht, inwieweit sie ihn verstand. Aber dass sie todunglücklich war, fühlte er.
Eines Morgens fand er sie kalt und starr auf ihrem Lager. Er kniete sich hin und ließ seinen Tränen freien Lauf, sie überströmten Fee und badeten sie in seinem Schmerz.
Lange verharrte er so.
Ich werde mich nie von dir trennen, flüsterte er. Vorsichtig, als wäre sie eine zerbrechliche Porzellanpuppe, nahm er sie hoch und trug sie in seine Werkstatt. Dort entzündete er ein Feuer und machte sich an die Arbeit.
Es dauerte eine Weile, bis der Rohdiamant fertig war, den er aus ihrer Asche gepresst hatte. Das Innere des Steins schimmerte hell wie Alabaster und manchmal bläulich und geheimnisvoll wie Mondlicht. Wenn Mistral ihn mit seiner Hand umschloss, schien er zu pulsieren.
Er schliff daraus ein Herz, in dem das Feuer des Lebens mit der Kühle des Todes verschmolz. Es war das schönste und edelste Stück, das er je erschaffen hatte. Er trug es Tag und Nacht bei sich, an einer schmalen Kette, dicht über seinem Herzen.
Mistral schwor, diesen Schmuck niemals abzulegen. Er würde das diamantene Herz mit in sein Grab nehmen. Und Fee in seine Ewigkeit.
27. Jun. 2010 - Eva Markert
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