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Kein Zurück
von Andrea Hoch

Michael Sagenhorn Michael Sagenhorn
© http://www.phantasaria.de
Er starrte dem Zug nach, dessen rote Schlusslichter rasch kleiner wurden. Eine Windböe ließ Papierfetzen in der Luft tanzen. Ein sonderbarer Anblick, wie sie sich in einem unhörbaren Rhythmus bewegten.
Um diese Zeit, die Stunde, in der sich die Nacht verabschiedete, war es nie windig. Ein schlechtes Omen? Oder einfach nur der Fahrtwind der entschwindenden Waggons?
Heftig zog er an der Zigarette, so lange, bis er sich die Finger an dem heruntergebrannten Glimmstängel verbrannte. Fluchend trat er den Stummel aus, hob ihn auf und steckte ihn in seine Manteltasche. Seine schweißnassen Finger befühlten den Briefumschlag und das Foto, das er noch nicht einmal angesehen hatte. Von dem Mann, der mit dem Zug abgefahren war, hatte er genaue Anweisungen erhalten.
Es gab keine Gerechtigkeit, jedenfalls nicht für die Kleinen. Man musste sich das, was man wollte, nehmen. Er sah das Gesicht seiner Tochter, die, obwohl sterbenskrank, immer ein Lächeln für ihn hatte. Nur sie war ihm geblieben, nachdem seine Frau dieser Krankheit erlegen war, die nun auch seine Kleine befallen hatte – wie eine hungrige Katze eine Maus.
Mit dem Geld konnte er dem einzigen Menschen, der ihm etwas bedeutete, die lebensrettende Operation ermöglichen. Das rechtfertigte sein Handeln doch, oder? Wütend presste er die Lippen aufeinander, sodass seine Zähne knirschten und sich seine Muskeln verkrampften. Tat es das wirklich? Konnte er so etwas überhaupt tun? Stöhnend gestand er sich ein, dass ihm keine Wahl blieb. Wenn er es nicht tat, würde sein Kind sterben – und er auch. Es gab kein Zurück. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte ihm zu, dass es immer eine Wahl gab, immer eine Alternative, einen Ausweg. Aber er wischte die Mahnung wie ein lästiges Insekt beiseite, denn er sah einen solchen Ausweg schon längst nicht mehr.
Warum hatte er nur großspurig in der Kneipe geprahlt, alles zu tun, um das Leben seiner Tochter zu retten? Warum nur? Obwohl er es in dem Moment so gemeint hatte. Aber man sagte es so leicht dahin – ALLES. War sich gar nicht bewusst, was es vielleicht bedeutete. Ein Leben für ein Leben. Klang doch gerecht, oder nicht?
Wenn er ehrlich war, hatte er eine Scheißangst. Zum hundertsten Mal wünschte er sich, nicht in dieser Kneipe gewesen zu sein. Oder wenigstens einfach die Klappe gehalten zu haben. Aber der Alkohol veränderte einen Menschen manchmal. Er war nicht der Typ, der solche Spelunken aufsuchte. Mit den Männern, die dort verkehrten, war nicht zu spaßen. Jetzt war es nicht mehr zu ändern, nichts war mehr zu ändern. Sie würden ihn nicht unbehelligt aus der Sache raus lassen, einen Teil des Blutgeldes hatte er schon kassiert. Er fluchte leise vor sich hin, brach die Spitze der Ampulle ab und zog die Flüssigkeit in die Spritze auf. Das Zittern seiner Hände konnte er nicht verhindern, ein Teil des tödlichen Elixiers landete auf dem Boden. Aber es würde noch reichen. Schnell und wirksam sollte es sein. Er musste sich endlich das Foto ansehen, denn so lange konnte es nicht mehr dauern. Er zog das Bild hervor und schnappte nach Luft, aber seine Kehle wollte keinen Sauerstoff hindurchlassen. Sein Magen krampfte sich zusammen, ein eisiger Knoten bildete sich in seiner Brust. Verdammt, er hatte nicht mit dem gerechnet, was er da sah.
Tränen des Zorns, der Verbitterung und des Selbstmitleids traten in seine Augen. Warum musste das Leben gerade ihn so hart bestrafen? Selbst Schuld, sagte wieder diese Stimme. Wütend wischte er sich über das Gesicht, schloss die Augen, doch das Bild blieb dasselbe. Blondes Haar umrahmte ein schmales Gesicht aus dem helle Augen bis in sein Innerstes blickten, sinnliche Lippen lockten verführerisch.
Wieder dachte er an seine verstorbene Frau. Nein, er musste aufhören mit diesen Gedanken, sie würden ihn nur davon abhalten, die Sache durchzuziehen, und das konnte er sich nicht erlauben. Wieder diese Stimme, die ihm zuflüsterte, dieser Frau nichts zu tun. Sie hatte ihm nichts getan, er kannte sie nicht. Und sie sah seiner Frau so ähnlich, dass es sich fast anfühlte, als würde er sie töten.
Er schüttelte den Kopf. Verdammt, auf was hatte er sich eingelassen? Schweißtropfen rannen sein Rückgrat entlang, wurden von seinem grauen Leinenhemd aufgesogen, bis es völlig durchnässt war und er im eisigen Herbstwind fror.

Szenentrenner


Das Geräusch von Schritten ließ ihn zusammenzucken. Er hatte Angst, sich umzudrehen, Angst, in die Augen seines Opfers zu blicken. Fast wie in Trance reagierten seine Füße. Was hatte die Frau um diese Zeit hier zu suchen? Noch einmal blickte er auf das Foto. Kein Zweifel, es war die Person, die er töten sollte. Vielleicht hatte sie es nicht anders verdient, ja, so musste es wohl sein. Eine anständige Frau wäre zu Hause im Bett, neben ihrem Ehemann, würde um diese Zeit nur aufstehen, um für ihn das Frühstück zu richten. Mit dem Gedanken war es auf einmal viel leichter. Er stellte sich vor, was sie alles getan hatte, um sterben zu müssen. Jemanden betrogen? Jemanden erpresst? Mit verbotenen Waren gehandelt? Man sollte sich nie von schönen, unschuldigen Äußerlichkeiten blenden lassen. Ihr Herz war sicher so schwarz und verdorben, wie das eines jeden Mannes in der Kneipe, wo sein Alptraum begonnen hatte. Sonst hätte sie doch auch nichts mit diesem Kerl zu schaffen, der ihm den Umschlag, die Ampulle und die Spritze gegeben hatte.

Er wurde ruhiger, zuversichtlicher, dass er das Richtige tat. Die Schritte der Stöckelschuhe waren laut und energisch.
Er setzte sich in Bewegung, zuerst langsam, dann entschlossen. Außer ihnen beiden war keine Menschenseele auf dem Bahnsteig. Der Versuch, sie nicht anzustarren, scheiterte. Auf den ersten Blick erkannte er in ihr eine Frau, die es gewohnt war, zu delegieren und Männerblicke auf sich zu ziehen. Sie trug ihren Mantel offen, der Stoff schwang um ihre schlanken Beine, die ein knielanger Rock bedeckte.
Sie blickte sich suchend um, als erwarte sie jemanden, abschätzend streifte ihn ihr hochmütiger Blick.
Der Abstand verkürzte sich.
Verdammt, er wollte sie doch nicht ansehen. Wieder dachte er an seine Frau. Noch konnte er umdrehen, weit weglaufen. Er musste sich entscheiden, sofort. Seine rechte Hand, merkwürdigerweise zitterte sie nicht mehr, umklammerte die Spritze.
Nur eine schnelle Handbewegung.
Es war leichter, als er gedacht hatte. Hastig ging er weiter, als ob nichts geschehen wäre, sah sich nicht um. Er wollte sie nicht sehen, die Gestalt, die auf dem Boden lag. Es war vorbei, sein Auftrag erfüllt. Es gab kein Zurück. Sein Kind würde leben, doch der Gedanke brachte ihm seltsamerweise keine Freude, er hatte einen bitteren Beigeschmack.

08. Aug. 2010 - Andrea Hoch

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