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Ein ungeschliffener Diamant von Ruth M. Fuchs
Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Samiri seufzte. Nun lief sie schon seit Stunden in der Dunkelheit herum. Warum musste es ausgerechnet eine Blume sein, die nur des Nachts blühte? Energisch rief sich die junge Frau zur Ordnung. Sie musste die Blume einfach finden. Sie sah sich auf dem öden Feld um. War sie an dieser Stelle nicht schon einmal gewesen? Der Felsen, der da aus der Erde ragte, kam ihr bekannt vor. Sie wollte sich gerade umwenden, als sie aus dem Augenwinkel einen Schimmer bemerkte. Da stand eine Pflanze, eigentlich nur einige ineinander verschlungene Ranken, die kahl und leblos aussahen. Kein einziges Blatt war an ihnen. Und doch trugen die nackten Ranken zwei Blüten und eine Knospe, zartrosa und aus sich selbst leuchtend. Samiri konnte ihr Glück kaum fassen. Das musste der Mondstern sein, den sie so lange gesucht hatte! Ehrfürchtig ließ sie sich vor dem Gewächs auf die Knie nieder. Als sie ihre Laterne abstellte, bemerkte sie, dass neben der Pflanze etwas auf dem Boden lag. Sie hob es auf. Es war ein kleines Tier, nicht größer als ihr Handteller, mit Flügeln wie eine Fledermaus. Es sah aus, wie ein Drache, nur viel kleiner, jedenfalls nach den Beschreibungen in den alten Legenden, denn Samiri hatte noch nie einen Drachen gesehen. Während die junge Frau noch darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass das Tierchen kalt war. Vermutlich war es schon tot. Gerade wollte sie es wegwerfen, da hob das Geschöpf ein wenig den Kopf und öffnete halb die Augen. Es lebte!
Ohne lange zu überlegen, streifte Samiri ihre warme Schaffellweste ab und bettete das Tierchen darauf. Dann griff sie nach ihrer Feldflasche.
Keine Ahnung, ob du Schafmilch magst, aber was anderes hab ich nicht, erklärte sie, während sie ein wenig von der Milch in ihre hohle Hand schüttete und ihm anbot. Aber versuch es doch mal.
Das Tierchen hob mit Mühe den Kopf und legte die Schnauze in Samiris Hand. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber dann schleckte es die Milch bis zum letzten Tropfen auf und schien danach auch schon viel lebendiger. Die junge Frau freute sich sehr darüber und goss wieder und wieder Milch in ihre Hand, bis die Flasche leer war.
Na, geht es dir besser? Samiri streichelte dem Geschöpf vorsichtig den Kopf. Keine Ahnung, was du bist. Aber du scheinst nett zu sein. Weißt du was? Ich werde dich Kyle nennen. Ruh dich noch ein bisschen aus, Kyle. Ich hab noch was zu erledigen. Und dann überlegen wir, wie es mit dir weitergehen soll.
Sie deckte das Tier mit einem Zipfel ihrer Weste zu und wandte sich dann wieder der Pflanze zu. Andächtig strich sie über die kahlen Ranken. Jetzt war sie ihrem Ziel schon ein Stück näher.
Vorsichtig begann sie, die Pflanze auszugraben. Sie hatte extra einen Sack mit Trageriemen dabei, um den Mondstern darin transportieren zu können. Es dauerte lange, bis sie alles ausgegraben hatte. Aber schließlich war es geschafft. Samiri wandte sich stolz ihrem neuen, kleinen Freund zu: Na, was sagst du?
Kyle antwortete nicht, sah aber skeptisch aus. Er legte den Kopf schief und gab schließlich etwas von sich, was wie ein missbilligendes Trompeten klang.
Schimpf nicht, Kyle. Ich brauche die Pflanze. Ich muss damit Heralf befreien. Samiri hing sich die leere Feldflasche an den Gürtel und blickte dann ratlos auf den kleinen Drachen, der noch immer auf ihrer Weste saß.
Was mach ich jetzt mit dir?, fragte sie ihn. Oder besser, was willst du machen? Bist du kräftig genug, um wieder wegzufliegen oder willst du mit mir kommen?
Als Kyle nicht antwortete, setzte sie ihn auf den Boden und zog ihre Weste über, bevor sie den Sack auf den Rücken nahm.
Kyle besah sich das Ganze eine Weile, dann flatterte er hoch und kletterte geschickt in eine der beiden Taschen an Samiris Weste. Dort kuschelte er sich gemütlich hinein. Samiri musste lachen. Der Kleine wusste anscheinend genau, was er wollte. Gut, sollte er mit ihr mitkommen.
Als Samiri den Wald am Rande des Ödfelds erreichte, bemerkte sie ein Lagerfeuer. Ein Mann saß daneben und rührte eifrig in einem kleinen Kessel, der über den Flammen hing. Als er Samiri hörte, erhob er sich und begrüßte sie freundlich.
Komm, setz dich zu mir!, lud er sie fröhlich ein. Die Suppe ist gleich fertig und in Gesellschaft isst es sich gleich viel besser.
Nach kurzem Zögern setzte sich die junge Frau zu dem Fremden. Er hatte dunkles, lockiges Haar und liebenswürdige, braune Augen.
Ich bin übrigens Zatlo, stellte er sich vor.
Samiri nannte ebenfalls ihren Namen. Der Fremde gefiel ihr. Sein Lachen war ansteckend und er hatte ein offenes, ehrliches Wesen. Samiri fasste schnell Zutrauen zu ihm.
Er reichte ihr eine Schale mit einer dampfenden Suppe, die hervorragend schmeckte und schöpfte sich dann selber eine.
Was führt ein junges, hübsches Mädchen so allein in diese wilde Gegend?, fragte Zatlo, nachdem sie eine Weile schweigend ihre Suppe gelöffelt hatten.
Die junge Frau zögerte kurz. Doch dann sprudelte ihre Geschichte gerade so aus ihr heraus: Ich habe einen Mondstern gesucht. Ich brauche ihn, um meinen Verlobten zu befreien.
Wird er gefangen gehalten?, wollte Zatlo erschrocken wissen.
So ähnlich. Es war sonderbar. Vorgestern Nacht träumte ich, Heralf, so heißt mein Verlobter, wäre in die Höhle am Berg gegangen, in der wir beide schon öfters waren und plötzlich schloss sie sich hinter ihm und er konnte nicht mehr heraus ...
Und dann?
Dann wachte ich auf, denn mein Lieblingsschaf ich bin Schäferin, weißt du hat mich angestubst und aufgeweckt ... Na, jedenfalls bin ich zu der Höhle gelaufen.
Und?
Die Höhle war nicht mehr da. Stattdessen war da eine Wand. Eine feste Wand, ohne jede Fuge oder Ritze, aber mit einem Schlüsselloch mittendrin. Ich guckte hindurch, es war hell drinnen, nur Heralf konnte ich nicht sehen. Als ich aber das Ohr an das Schlüsselloch legte, hörte ich seine Stimme, die nach mir rief.
Erstaunlich! Zatlo sah die junge Frau mit großen Augen an. Er wirkte bestürzt, schien ihr aber zu glauben. Da muss Zauberei am Werk sein!
Ja, genau! Samiri nickte eifrig. Und jetzt will ich Heralf natürlich befreien!
Mit einer Pflanze? Ist sie magisch?, wollte Zatlo wissen.
Aber nein!, trotz ihrer Probleme lachte Samiri auf. Die brauche ich, um an den Schlüssel zu kommen, den Camo, der Trödler anbietet. Es heißt, das sei ein Zauberschlüssel, der jedes Schloß öffnen kann.
Camo will die Blume für den Schlüssel?
Ja, Camo meinte, wenn ich ihm einen Mondstern beschaffe, den seine Frau unbedingt am Haus hochranken lassen möchte, dann ...
Sagtest du Mondstern? Zatlo schien plötzlich merkwürdig erregt. Dann ist das ein Mondstern? Er blickte an Samiri vorbei auf die Pflanze, die sie neben sich gestellt hatte.
Ja, Camo hat sie genau beschrieben. Warum?, fragte die junge Frau unsicher.
Oh, es ist so, ..., Zatlo lächelte entwaffnend, dass ich einmal von dieser Pflanze gelesen habe. Und wenn es stimmt, was ich las, dann ist sie magisch und du brauchst keinen Schlüssel, um das Schloss zu öffnen, ein Zweig vom Mondstern tut es auch.
Samiris Gedanken überschlugen sich. Wenn das stimmte! Nun, sie könnte es ja zumindest versuchen. Und wer konnte schon sagen, ob die Geschichte mit Camos Schlüssel wirklich stimmte. Auf dem Weg zum Dorf käme sie ohnehin an dem Berg mit der versiegelten Höhle vorbei. Und wenn es nicht klappte, könnte sie gleich weiter zu Camo gehen.
Hastig bedankte sich Samiri für die Suppe, raffte ihre Sachen zusammen und erhob sich. Vergeblich nötigte Zatlo sie, doch noch zu bleiben, bis es hell würde. Schließlich zuckte er die Achseln und wünschte ihr noch alles Gute.
Samiri hatte im Handumdrehen die Höhle erreicht. Doch als sie vom Mondstern ein Zweiglein abbrechen wollte, kam Kyle aus ihrer Tasche geschossen und trompetete zornig.
Aber Kyle, versuchte sie ihn zu beruhigen. Ich brauche doch nur einen kleinen Zweig für das Schloss da!
Samiri zeigte auf das Schlüsselloch und bemerkte im selben Moment, dass eine Ranke des Mondsterns von allein emporwuchs und sich in das Schlüsselloch schlängelte. Man hörte ein lautes Knall und dann sprang die Wand auf und gab den Weg in die Höhle frei.
Mit einem freudigen Aufschrei stürzte Samiri hinein. Da stand eine hell leuchtende Laterne und dahinter lag Heralf und schlief. Aber es war ein unruhiger Schlaf und immer wieder rief er nach Samiri. Sie eilte zu ihm, schüttelte ihn, rief ihn beim Namen. Aber er wachte nicht auf. Schließlich gab sie ihm in ihrer Verzweiflung eine Ohrfeige.
Was ist denn ... Er schlug die Augen auf und sah sich erstaunt um. Wo bin ich hier?
Na, in der Höhle, du Schafskopf!
Samiri und Heralf fuhren herum zu der Stimme, die diesen Satz gesprochen hatte. Im Eingang stand Zatlo und grinste hochmütig. Er wirkte nun keineswegs mehr freundlich und seine vormals ehrlichen Augen blickten jetzt verächtlich und böse.
Selbstgefällig schlenderte er zu den beiden jungen Leuten.
Wieder traut vereint, wie schön, meinte er sarkastisch. Hat mich auch wirklich genug Arbeit gekostet, das zu erreichen.
Wieso? Was willst du von uns?, wollte Samiri wissen und klammerte sich an Heralf, der schützend den Arm um sie gelegt hatte.
Von euch? Gar nichts. Von dir, Samiri, nur von dir! Zatlo lachte dröhnend. Ich hab lange nach dir gesucht, Mädchen. Du weißt es nicht, aber du bist ein ungeschliffener Diamant. Ein Wesen reinen Herzens. Du hast keine Ahnung, wie selten so was ist. Doch nur jemand wie du kann den Mondstern ausgraben, ohne dass er stirbt! Und wie viel Arbeit es mir machte, dich dahin zu bringen! Deinen Liebsten hab ich entführt und dir einen Traum gesandt aber du musstest ja vorzeitig aufwachen. Als ich dann herausgefunden habe, dass du einen Schlüssel einhandeln wolltest, musste ich einen zweiten Traum zu Camos Frau schicken, damit sie ihrem Mann mit dem Mondstern in den Ohren liegt. Und dann musste ich dich noch abfangen und mit der Pflanze hierher schicken ...
Und wozu der Aufwand? Samiri war ratlos.
Meine magischen Fähigkeiten beschränken sich auf das Beeinflussen von Träumen. Für diesen Höhlen- und den Schlafzauber musste ich meine ganzen Ersparnisse einem alten, versoffenen Zauberer geben. Und ich kann beides nur fünf Tage anwenden. Aber was solls, Zatlo grinste zufrieden. Du wirst mir den Mondstern jetzt schenken, Samiri, als Dankeschön dafür, dass ich euch wieder freilasse. Dann gehören alle Schätze mir. Niemand kann mich aufhalten, wenn ich mir alles nehme, was ich will!
Warum nimmst du dir den Stern dann nicht einfach?, fragte Samiri bitter.
Du verstehst es immer noch nicht! Der Mondstern ist empfindlich. Würde ich ihn rauben, würde er eingehen. Also los, schenk ihn mir!, gebieterisch streckte Zatlo die Hand aus.
Ich hab ihn draußen stehen lassen. Samiri erhob sich zusammen mit Heralf und zeigte zum Eingang.
Du dummes Ding!, grollte Zatlo. Doch dann wies er die beiden mit einer Handbeqegung an, vor ihm hinauszugehen. Und denkt daran, ich kann den Schlafzauber schnell neu wirken und euch beide hier einsperren!
Sie hatten den Ausgang kaum überschritten, als etwas an ihnen vorbei auf Zatlo zuschoss. Kyle flog direkt auf das Gesicht des Mannes zu und pustete ihm einen Feuerstrahl in die Augen.
Mit einem Schmerzensschrei taumelte Zatlo in die Höhle zurück. Im selben Moment zog sich die Ranke des Mondsterns aus dem Schlüsselloch zurück und mit einem lauten Knall schloss sich die Tür wieder. Von drinnen hörten sie noch ein verzweifeltes Nein! dann war alles still.
Kyle! Dich hatte ich ja völlig vergessen! Samiri streckte die Hand nach dem kleinen Drachen aus und er landete elegant darauf. Das hast du gut gemacht, mein kleiner Freund!
Zärtlich streichelte die junge Frau Kopf und Brust des Tierchens, das es sichtlich genoss.
Äh, Samiri ..., Heralf blickte unsicher mal zu der Felswand, wo früher eine Höhle gewesen war, zu der leuchtenden Blume, dem kleinen Drachen und seiner Braut. Könntest du mir bitte erklären ...
Natürlich! Samiri lachte. Ich erzähl dir alles auf dem Heimweg. Aber es ist eine lange Geschichte ...
28. Sep. 2010 - Ruth M. Fuchs
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