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Schnickschnack, es zieht! von Fred Cross
Andrä Martyna © http://www.andrae-martyna.de/ Als ich mit Schnickschnack am Hellas eintreffe, reckt sich die halb skelettierte Kralle immer noch anklagend aus der Wiese vor dem hübschen Restaurant. Mein Assistent ist klein, gemein und redet gern in Filmzitaten. Im Moment aber schüttelt er dem Unterirdischen kräftig die Hand, als wolle er ihm zu seinem Coming out gratulieren und erwarte ein beherztes Ich bin cool, und das ist gut so. Als das Wunder der Wiederauferstehung ausbleibt, winkt er die Spurensicherer heran: Jetzt wirds Zeit zum abkratzen!
Hot Shots 2, sage ich und stecke den Schein ein, den er mir mit einer Grimasse überreicht. Für jeden erratenen Kinospruch bekomme ich zehn Euro von ihm. Liege ich falsch, läufts andersrum. Doch ich liege selten falsch.
Die griechische Witwe zittert immer noch, als mein Kleiner ihr im Vernehmungsraum einen Kaffee auf den Tisch knallt. Vor Monaten meldete sie ihren Mann als vermisst, heute Morgen sah sie ihn aus dem Rasen grüßen und schließlich, es ist keine Stunde her, identifizierte sie ihn in der Pathologie. Umgebracht haben ihn weder der Schmutz unter seinen Fingernägeln noch die Gänge, die ein Maulwurf fleißig durch seinen feisten Körper buddelte. Auch die Zähne des Hundes, der sein Morgenfresschen ausgraben wollte, schmerzten den alten Griechen nicht mehr. Mal wieder hatte jemand mit einem stumpfen Gegenstand zugeschlagen und sich dabei nicht den eigenen Kopf zerbrochen. Bevor ich die trauernde Witwe nach der hübschen Lebensversicherung des Verblichenen fragen kann, wird die Tür aufgerissen, ein lebender Grieche gockelt herein und fuchtelt mit einem Papier vor meiner Nase herum.
Mein Name ist Krassos, sagt er.
Wie passend, sage ich.
Ich bin der Anwalt dieser Frau und das ist ein ärztliches Attest: Sie steht unter Schock und ist nicht vernehmungsfähig!
Seiner schwarzen Robe nach zu urteilen kommt er geradewegs aus dem Gerichtssaal. Der Talar passt so gut zu ihm wie die Metallic-Lackierung zu einer Mülltonne.
Bedienen Sie sich, sage ich und sehe zu, wie er seine Mandantin rüde zum Ausgang bugsiert.
Verschieben wir's auf morgen, sagt Schnickschnack sanft und dreht den Ventilator auf, so dass des Anwalts Gewand im Luftstrom flattert. Darunter trägt er eine Komposition aus Tennisschuhen und weißen Socken an haarigen Waden.
Zweifellos Scarlett OHara in Vom Winde verweht, sage ich. Mein Assistent verdreht die Augen und lässt einen Roten im Ventilator-Sturm knattern.
Sie sind ja pervers, entrüstet sich der Witwenretter, Sie sind ja beide pervers, und rauscht mit seiner Beute davon.
Kommt der Bergmann nicht zum Propheten, geht der Prophet ins Bergwerk. Wo trifft man einen hellenischen Anwalt mit weißen Socken? Als ich mit Schnickschnack im Tennisclub Lycobettos auflaufe, steht Krassos gerade mit drei griechischen Gorillas an der Kaffeebar und hat Mühe mit seiner Rückhand. Als die Turteltauben uns sehen, hübschen sie ihre Mienen auf und machen auf Small talk.
Hallo Herr Kommissar, begrüßt mich Krassos mit bebender Stimme. Schön, dass auch ihr kleiner Windmacher mal an die frische Luft darf!
Kommen wir ungelegen?, frage ich mit einem Blick auf seine rotwangigen Mitgriechen.
Ich bin ein Freund der Polizei, lächelt er schief.
Es tut gut, dass sich mal jemand über unser Erscheinen freut, sage ich.
Wir verlassen den Tisch an der Bar und die drei Miesepeter, die sich in einem Geländewagen vom Acker machen.
Verraten Sie uns etwas über den Toten im Vorgarten, und wir lassen Ihre Mandantin vielleicht in Ruhe, sage ich.
Krassos macht eine theatralische Geste zum Himmel.
Zeus und Athene wissen, was in die alte Dame gefahren ist! Sicher ist Ihnen bekannt, dass sie aus der Lebensversicherung ihres Mannes eine halbe Million bekommen hätte. Er sieht mich traurig an: Ich gebe zu, das ist ein Motiv. Ein starkes Motiv sogar. Trotzdem werde ich alles tun, um zu beweisen, dass sie unschuldig ist.
Natürlich werden Sie das, sage ich. Schnickschnack, wie wärs mit einem türkischen Mokka?
Die Kaffeebar ist jetzt verwaist, nur ein Kellner im schwarz-weißen Ornat hält die Stellung. Es spricht für die Weltoffenheit der griechischen Tennisgemeinde, dass sie sich von einem Anatolier bedienen lässt. Mein Assistent lächelt ihn an, zeigt seine Marke und bestellt einen Blick in die Arbeitserlaubnis. Bei seinem Fluchtversuch stolpert der arme Mann unglücklich über mein gestrecktes Bein und landet in Schnickschnacks flinken Fangarmen.
Der tut nichts, beruhige ich den panischen Pinguin, erzähl uns bloß, was die vier Knaben hier eben so abgelassen haben.
Na gut, flüstert er, Krassos hat für die Männer eine Menge Moos angelegt
Lass mich raten, sage ich, als Vermögenstreuhänder praktiziert er die Art von Seriosität, die einen schon mal in den Knast bringt.
Oder ins Krankenhaus. Gerade wollten sich die drei seinen gelben Porsche krallen, als Sie hier aufkreuzten. Nehmen Sie mich jetzt mit?, barmt der Ober.
Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sage ich.
Während der Türke etwas von Allah ist groß murmelt, ist mein kleiner Cineast ausnahmsweise sprachlos.
Kein Film, Schnickschnack, sage ich, Johannes-Evangelium.
Die alte Griechin zittert nur noch leicht, als wir in ihr Wohnzimmer treten. An den Wänden hängen Bilder, die sie und ihren Mann auf der Akropolis und im Hafen von Piräus zeigen. Auf einem anderen Foto sieht man sie gemeinsam mit Krassos unter azurblauem Himmel auf einer blendend weißen Yacht.
Ihr Kutter?, frage ich die Witwe.
Wo denken Sie hin. Das Restaurant wirft kaum was ab. Wenn wir unseren Anwalt nicht hätten, könnten wir, sie seufzt, könnte ich nicht einmal an Ruhestand denken.
Wie das? Mein Assistent inspiziert den Sitz seiner Frisur im reflektierenden Glas des Yacht-Bildes.
Wir haben nur wenig auf die hohe Kante gelegt, das reicht hinten und vorne nicht. Krassos hat das Geld aber so für uns investiert, dass wir im Alter von den Zinsen leben können. Fragen Sie mich nicht nach Details, um die hat sich mein Mann gekümmert.
Da wäre Ihnen das Geld aus der Lebensversicherung ja gerade recht gekommen, denkt Schnickschnack laut, befeuchtet einen Zeigefinger und streicht sich eine Locke aus der Stirn.
Glauben Sie etwa, ich hätte das Geld ohne meinen Mann genießen können? Ich hätte es aber weiß Gott nicht abgelehnt, sondern Krassos gegeben, damit er es für unsere Enkel anlegt.
Ihr Anwalt ist ein wahrer Schatz, sage ich.
Er ist mehr als das, haucht sie, er ist ein Engel.
Als wir wieder im Auto sitzen, ist die blaue Stunde bereits vorüber und die Zentrale meldet ein illegales Autorennen. Ein gelber Porsche liefert sich am Bahnhof ein Duell mit einem Geländewagen. Da wir nichts besseres zu tun haben, beschließen wir, uns die Show einmal anzusehen. Am Bahnübergang hat es den gelben aus der Kurve und auf die Gleise getragen, wo zwei Lichtmasten an ihm herum fummeln. Verzweifelt versucht der Fahrer, sich aus dem verkeilten Vehikel zu befreien.
Hallo Krassos, sage ich, da parkt Ihre Frau ja besser ein.
Helfen Sie mir lieber raus, bellt es aus dem Wagen.
Wann kommt eigentlich der Güterzug hier durch?, frage ich Schnickschnack.
In genau zwei Minuten, Chef. Er beugt sich zum Fahrerfenster hinunter und leuchtet mit der Taschenlampe ins Wageninnere: Wenn man über dünnes Eis läuft, muss man sich beeilen.
Die Wutrobe plustert sich auf. Diese Weisheit stammt wohl von dir, du kleiner Windmacher?
Nein, von Klaus-Maria Brandauer in Das Russland Haus, sagt mein Assistent liebenswürdig. Und wenn Sie mich noch einmal duzen, dann erleben Sie, was ein Durchzug ist.
Sorry, Ihr Anwälte seid aber auch sowas von unbeliebt, sage ich. Wie ist Ihnen der alte Mann eigentlich auf die Schliche gekommen?
Wie bitte?
Er hielt sie doch für einen Engel, sage ich, und jetzt ist er selber einer.
Er lacht heiser. Ein Engel zu sein, hat mein Schicksal nicht erfüllt.
Warum ein Engel sein, wenn man Gott spielen kann, sekundiert Schnickschnack und zaubert mit der Lampe einen Heiligenschein an den Wagenhimmel.
Spielen wir etwa Drei Engel für Charly?, zetert Krassos. Holen Sie mich raus, bevor
Dieses Quengeln, sagt der Kleine, ist gar kein schöner Zug von Ihnen.
Herr Kommissar, Sie wollen mich hier doch nicht meinem Schicksal überlassen? Der anwaltliche Blick flackert.
Das können Sie mich in einer Minute fragen, sage ich und klopfe mitfühlend auf das Autodach. Wenn wir nicht zum Zuge kommen, kommt der Zug zu Ihnen.
Sie sind ja noch perverser als ich dachte! Im Schein der Lampe ist sein Gesicht tennissockenweiß.
Sterben Sie wohl, sage ich, mir wird es hier zu zugig. Als ich mich umdrehe, knirscht der Schotter unter meinen Schuhen mit Krassos Zähnen um die Wette.
Halt, warten Sie, kreischt er.
Also?, sage ich über die Schulter.
Ja, verdammt, der Alte wollte plötzlich sein Geld zurück, um seine Frau mit einem Häuschen in der Heimat zu beglücken. Der Blödmann konnte nicht verstehen, dass das Geld langfristig angelegt ist. Es kam zum Streit, eine Ouzo-Flasche flog ein bedauerlicher Unfall.
Schnickschnack, du kannst jetzt die Sau rauslassen, sage ich.
Der Kleine holt in einem zahrtfühlend weichen Bogen aus und versenkt den Griff seiner Taschenlampe mit einer Detonation, die klingt wie der Einschlag einer Cruise Missile, in der krachend zerberstenden Windschutzscheibe. Mit einem Ruck zieht er den zappelnden Krassos ins Freie und verhilft ihm zu einem Satz formschöner Armreife. Kaum gerettet, fängt der Engel wieder an, mit den Flügeln zu schlagen.
Ihr Güterzug hat wohl Verspätung, ätzt er, oder hören Sie schon was?
Nein, gebe ich zu, aber ist sie nicht himmlich, diese Ruhe auf einem still gelegten Gleis?
08. Sep. 2010 - Fred Cross
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