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»Schach«, sagte Gustav von Wolfgang G. Fienhold
Patrick Hachfeld © http://www.dunkelkunst.de Es war an einem jener sonnigen Sommermorgen, meine Frau und ich saßen beim Frühstück und besprachen das Mittagessen. Wir reden bei jeder Mahlzeit über die nächste, so kommen wir noch ohne weiteres über den deutschen Gesprächsdurchschnitt von vier Minuten pro Tag für ein acht Jahre lang verheiratetes Paar.
Fast hätten wir das Klopfen an der Verandatür überhört und erst, als wir uns über das Dessert einig waren, ging ich, um zu öffnen.
Es war Windy. Wir sahen sie an diesem Tag zum ersten Mal, doch sie hatte keine Hemmungen, sich an unseren Tisch zu setzen und mitzuessen.
Windy war nicht sehr gesprächig, uns wars egal.
In den darauffolgenden Wochen kam sie zu den für andere Menschen wohl ungewöhnlichsten Zeiten, doch durch unsere zahlreichen Künstler- und Journalistenfreunde waren wir gewohnt, zu jeder Tages- und Nachtzeit Besuch zu bekommen.
Sie fiel nicht weiter auf. Höchstens angenehm, da sie nicht, wie fast alle anderen, betrunken herumpolterte. Sie war ein richtiges Softie.
Einige Wochen nach unserer ersten Begegnung, es mag vier Uhr nachts gewesen sein, eine Zeit, in der oft die besoffenen Kollegen der schnellen Schreibe nach dem Umbruch hereinschauten, als sie wieder mal an die Scheibe klopfte.
Sie machte ein klägliches Gesicht.
Erst jetzt bemerkten wir, dass sie schwanger war. Sie legte sich zu meiner Frau ins Bett und wimmerte leise vor sich hin. Ich stand ziemlich hilflos und überflüssig herum, als ihre Wehen begannen, aber Elke machte das bisschen schon.
Ich staunte nicht schlecht, als Elke und Windy plötzlich mit drei kerngesunden Knaben (so weit ich das beurteilen kann) im Bett lagen und mich anlächelten.
Windy und ihre Söhne blieben jetzt ganz und allesamt bei uns. Wir konnten sie ja auch schlecht an die Luft setzen in diesem Stadium.
Einige Wochen später wurde es mir aber doch langsam zuviel. Unsere Wohnverhältnisse waren für sechs Köpfe einfach nicht ausreichend und die quirlige Art der Kleinen, ihr andauerndes Geschrei ließen mich nicht zum Arbeiten kommen. Ich führte ein ernstes Gespräch mit Elke und wir einigten uns schließlich darauf, eines der Kinder zu adoptieren.
Unsere Wahl fiel auf Gustav, den kräftigsten und lebhaftesten von allen. Es war nicht ganz einfach, den Rest der Familie zu eliminieren, wir gaben sie in ein hoffentlich gutes Heim.
Der Kater Gustav erfüllte unsere Erwartungen, er überwand die Trennung von Mutter und Brüdern schnell und konnte sich bereits nach acht Wochen in 36 Tönen verständlich machen. Simple Dinge wie: Toilette gehen, Katzenfuttersorte, Türen öffnen et cetera hatte er selbstredend schon früher heraus. Schmusen sowieso.
Später gelang es ihm, mittels Geräuschkulisse anders kann man die Vielfalt seiner Artikulationen nicht nennen das für ihn angenehmste Fernsehprogramm zu wählen, das heißt, er ließ natürlich einen von uns auf die Tasten drücken, weil er mit der Fernbedienung nicht zurechtkam. So bekamen wir mit der Zeit heraus, dass er eigentlich nur Zeichentrickfilme und Abenteuer aus der Tierwelt goutierte.
Den Vögeln (den) widmete er seine ganze Aufmerksamkeit. Er analysierte ihre Start- und Landegewohnheiten, versuchte aber nie, wie andere, dümmere Katzen, nach ihnen zu haschen.
Dieses Studium machte sich bezahlt, nahezu täglich brachte er uns einen frischen Vogel und ließ keine in der Stadt vorhandene Spezies aus. Manchmal schleppte er auch Mäuse oder Hasen an. Hasen allerdings nur selten. Wir wollten schon an den Intendanten des Hessischen Fernsehens schreiben, mit der Bitte, doch mehr Hasenfilme zu senden, doch dieses Unterfangen scheiterte mangels Begründung. Wir konnten ja schlecht schreiben: Senden Sie mehr Hasenfilme, damit unser Kater die Kochtöpfe effektiver füllen kann. Also unterließen wir es.
Die Comic-Filme imponierten Gustav durch ihre schnelle Szenenfolge, die meist reichlich blödsinnige Handlung und die Farbenfreude.
Das sollte sich aber erst später herausstellen.
Vorerst kam Gustav noch jeden Abend, nach Programmschluss, in unser Ehebett, schleckte und leckte sich und bekam seine Streicheleinheiten für die nächtliche Jagd. Für eine Katze schlief er unwahrscheinlich wenig.
Fast immer waren seine Jagden erfolgreich. Waren sie es nicht, hörten wir schon am nächsten Morgen gegen sechs Uhr sein Geschimpfe mir kam es stets wie Fluchen vor an der Verandatür. Todesverachtend stürzte er sich dann auf seinen Napf mit Kittekat oder Whiskas, nur die Geschmacksrichtungen Fisch, Huhn oder Fleisch waren akzeptabel. Innereien verabscheute er.
Nach dem Frühstück ging er zu Bett.
Inzwischen hatte seine Artikulationsfähigkeit so weit zugenommen, dass er meiner Frau die ihm genehme Schleuderstufe der Waschmaschine zuraunzen konnte. Die Waschmaschine war einer seiner unzähligen Lieblingsplätze.
Elke arbeitete tagsüber als Redakteuse in einem obskuren Verlag zur Herstellung von Krankheitsblättern und ähnlichem Schmonzes. Ich wusste es nicht so genau. Wenn sie abends mehr oder minder müde nach Hause kam, war mit ihr natürlich nicht mehr allzu viel los. Gustav merkte das und ließ sie nach einer kurzen, aber heftigen Begrüßung in Ruhe.
Ich auch, doch ohne allzu heftige Begrüßung. Seitdem Elke diesen anstrengenden und wenig einträglichen Job angenommen hatte, war das Verhältnis zwischen Gustav und mir noch enger geworden.
Eines Morgens, Elke war gerade gegangen, kam er auf die Bettkante gesprungen und setzte zu seiner üblichen Beschwerde an.
Außer seinem sattsam bekannten Wääähbäääh kam diesmal noch ein Ooohweeeh hinzu. Dazu schüttelte er seinen getigerten Kopf.
Ich antwortete ihm das gleiche, schüttelte den Kopf und fügte noch ein »alles Scheiße« hinzu. Er nickte verständnisvoll.
Dann sagte er »waus« und zerrte an der Bettdecke. Ich folgte ihm und er öffnete den Kühlschrank. Das konnte er schon lange, nur das Gefrierfach lag zu hoch. Also nahm ich zwei Forellen heraus und briet sie uns.
Gustav schien zufrieden.
Nach dem zweiten Frühstück, wir hatten den Eindruck es würde uns besser gehen, schliefen wir noch eine Runde.
Eines Morgens, es war die Schachweltmeisterschaft, sah ich Gustav auf einer Schachzeitschrift sitzen und sinnieren er war nicht ins Bett gekommen.
Bayern 3 Bayern ist das einzige Bundesland, das für Schachspieler interessant ist übertrug das Semifinale der Großmeister ab neun Uhr live. Ich machte die Kiste an und Gustav warf mir einen merkwürdigen Blick zu. Ergo baute ich mein Schachbrett auf und begann die Züge nachzuspielen.
Bei einer Schachsendung (Live! Welches Land außer Bayern würde das wagen?) hat man wahnsinnig viel Zeit. Ich begann Gustav die Schachregeln zu erklären.
Unwirsch hob er die Pfote und winkte ab
»Du bist wohl über dieses Stadium hinaus«, witzelte ich müde.
Ein mitleidiger Blick tangierte mein Gesichtfeld.
Am nächsten Morgen überredete mich Gustav zum Öffnen der letzten Kaviardose. Das Schachspiel war noch immer aufgebaut. Entweder war ich zu müde gewesen es abzuräumen, oder meine Frau hatte eine Partie gegen sich selbst gespielt, nein, ich hatte ... oder hatte ich nicht?
Gustav fuhr eine Kralle aus und deutete auf eine Figur.
»Warst wohl zu faul, es abzubauen?«, ich meinte das jetzt ganz ernst.
Er knurrte ungehalten.
Was soll ich lange drum herum reden: Wir spielten eine Partie.
Anfangs hielt ich seine Züge für Zufall, für kätzliche Spielerei. Er hatte immerhin schon früher des öfteren nach Karten, Gläsern und Schachfiguren geangelt, ohne dass wir darin etwas anderes als seinen natürlichen Spieltrieb sahen.
Doch nun nach der dritten Partie brachte er mich in Bedrängnis. Sein Spiel bekam von Mal zu Mal mehr Sinn. Wenige Tage nach seinem Debüt spielte er auf dem Level von Dr. Hübner, Unzicker und Co. Denen wäre es seinerzeit auch fast gelungen, wichtige Partien zu gewinnen.
Ich musste mich anstrengen.
Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass er, Gustav meine ich, vom originären Abstinenzler zum begeisterten Rotweintrinker konvertiert war. An solchen Abenden, er ging immer seltener jagen, zählten wir die geleerten Gläser Bordeaux erst gar nicht mehr.
Am Tag, an dem er das erste Spiel gewann, flüchtete ich mich in eine hausgemachte Depression. Mistvieh, verdammtes Mistvieh, dachte ich nur.
Wir haben dann tagelang nicht mehr gespielt und an manchen Abenden habe ich ihn überhaupt nicht zur Tür reingelassen.
Ich sah mir stattdessen mein Aufnahmezertifikat in die Deutsche Mensa an, in dem mir ein IQ von über 150 bescheinigt wurde (höher geht es bei denen nicht) und das amerikanische Pendant, das stolze 285 aufwies. Ich sollte mich wirklich zusammenreißen. Gut, irgendwann ließ ich ihn wieder herein und wir setzten unsere Beziehung fort als sei nicht geschehen ... Schachspielen, Rotweintrinken, Artikel für die Lokalzeitung schreiben, Fernsehen.
Es beschämt mich überhaupt nicht zuzugeben, dass Gustav inzwischen redigierte und korrigierte. Auch die Fahnen meiner Bücher waren bei ihm in besten Händen, sorry Krallen.
Ach ja, von meiner Frau, Elke heißt sie wohl oder hieß, hatte ich mich vor geraumer Zeit getrennt, aber das war längst vor den Schachabenden abzusehen gewesen.
Sie hatte mich ohnehin gelangweilt:
Alkohol vertrug sie nicht, Schach mochte sie nicht, und ob man mit einen Kater bumsen kann, weiß ich nicht, was sollte es auch? Mit meiner Frau war in dieser Hinsicht nie viel losgewesen und ich vermisste sie, vielleicht dank meines fortgeschrittenen Alters nicht. Gustav war der ideale Partner.
Eines Tages, zu völlig ungewohnter Uhrzeit, zwang er mich zu einem denkwürdigen Match. Er hatte die Figuren bereits aufgestellt, als ich in die Bibliothek kam.
Wir spielten sonst nie in der Bibliothek
Gustav zwinkerte einlandend. Ich war zwar nie bei den Pfadfindern, trotzendem bilde ich mir ein, wenigstens in dieser Hinsicht »allzeit bereit« zu sein. Nach der Wahl, er zog Schwarz, begann ich:
Be2-e4 die Schachuhr bediene ich übrigens für beide, Gustav hat sich nie damit anfreunden können, der Teufel weiß, warum , und er antwortete mit Bc7-c5.
Sg1-f3 (ich) d7-d6 (er)
d2-d4 Bc5xd4
Sf3xd4 Sg8-f6
Sb1-c3 a7-a6
Lc1-g5 e7-e6
f2-f4 Lf8-e7
Dd1-f3 Sb8-d7
0-0-0 Dd8-c7
g2-g4 b7-b5
Lf1-g2 Lc8-b7
Th1-e1 b5-b4
Bereits nach wenigen Zügen war mir die Partie bekannt vorgekommen.
Ich wusste nur nicht, wohin damit. Fast gegen meinen Willen war ich einem Schema gefolgt. Doch erst nach dem letzten Zug wurde mir klar, dass wir eine Partie von vor rund 40 Jahren nachgespielt hatten. Eine Partie, in der Schachgenie Fischer seinen Lehrmeister, ich glaube es war Bernstein, schlug.
Vielleicht hätte ich darin ein Zeichen sehen sollen. Doch ich vergaß, und die folgenden Tage verliefen wie eh und je.
Bei unserem abendlichen Schach gestern wirkte Gus so nannte ich ihn inzwischen ungewöhnlich nervös, verlor jedes Spiel nach wenigen Zügen und schielte andauernd nach draußen.
Seine Unruhe steckte mich an. Ich stellte ihn zur Rede und nach vielem Hin und Her gestand er mir, dass er jetzt eine Freundin habe, eine neu zugezogene von Block 23.
Ich war baff.
Dann fragte ich ihn, ob sich dadurch etwas zwischen uns ändern würde. Er nickte traurig. Das sollte wohl heißen: kein Schach, keinen Rotwein mehr nur noch Bumsen.
Als er ging, dachte ich nur: Mistvieh, verdammtes Mistvieh!
10. Nov. 2010 - Wolfgang G. Fienhold
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