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Lost in Space von Regina Schleheck
Peter Wall © http://www.picturewall.eu Nach zehn Jahren haben sie Erdmute gefunden. Die »Phobos 4« hat sie irgendwo im Orbit aufgesammelt. Mumifiziert in ihrem Raumanzug. Der Sauerstoff muss ihr nach zwei Tagen ausgegangen sein. Das Verrückteste war: Sie hielt die Schere noch umklammert, die ich ihr damals gegeben hatte. Vielleicht war es der letzte Halt, den sie hatte, die letzte Bindung an die Menschen, an ihren Liebhaber. Ich bin ja nicht irgendwer für sie gewesen. Schließlich habe ich ihr geholfen, ihren Lebenstraum zu verwirklichen.
Ich bin extra raus gefahren zum Kennedy Space Center, um sie zu identifizieren, und ich muss zugeben: Sie war immer noch attraktiv.
Sie hatte was. Natürlich war sie verrückt. Aber sind wir das nicht alle? Wer es zu etwas bringen will, muss verrückt sein. Oder aus dem richtigen Stall kommen. Sie kam definitiv aus dem falschen Elternhaus. Ich meine, ich kenne diese Leute nicht. Die Mutter war sowieso tot, für den Vater hat sie sich geschämt. Kein Kontakt. Sie war überhaupt eigentlich eher eine Einzelgängerin. Dabei hatte sie überall Beziehungen. Ein Maulwurf. Eher im Verborgenen. Aber immer da, wo es drauf ankam.
Sie sah scheißgut aus. Himmel, selbst als ich sie wiedergesehen hab! Ist das nicht verrückt? Am KSC hatte ich sie zum ersten Mal getroffen! Trotzdem wäre sie mir wahrscheinlich nie aufgefallen, wenn ich ihr nicht auf die Füße getreten wäre. Vor allen Kameras. Man kann die Augen nicht überall haben. Grüßen, Winken, Gucken, Small Talk, Shake Hands. Beim Defilee damals am Obama-Parade-Boulevard. Er hieß da noch nicht lange so.
Sie haben ihn nach Michelle benannt, meiner Vorgängerin. Eigentlich vor allem, um den Deutschen eins auszuwischen. Auch so ein Verrückter! Von dieser Boy Group wie hieß sie noch? Irgendwas Japanisches. Tokyo Bar? Anscheinend waren die amerikanischen Namen damals ziemlich uncool in Deutschland. Außerdem kam er aus dem Osten. Die hatten ja schon immer was gegen uns. Ein paar Jahre lang ein Shooting Star und von heute auf morgen ein No Name. So sind die Deutschen! Im Vergessen sind sie groß. Und dann werden sie schwermütig. Bei uns werden Stars hochgehalten. Gucken Sie mich an! Man findet immer sein Auskommen in der Politik oder in der Wirtschaft.
Verrückt sind wir doch alle. Klar. Aber muss man sich deshalb so ernst nehmen? Jedenfalls hat er sich das Leben genommen und unsere Präsidentin gleich mit. Vom Dach des Adlon in Berlin patschdich auf den roten Teppich, wo Michelle gerade stand. Gut, für mich natürlich eine prima Gelegenheit, aus dieser Piratenscheiße rauszukommen. Ich meine, ich hatte damals noch gar nicht darüber nachgedacht. Wann war das noch? 22? Als Hilary damals auf mich zukam, hab ich erst gedacht, sie hat sie nicht mehr alle. Aber Hilary war ja selbst so eine. Sie wusste ganz genau, dass der Zug für sie selbst abgefahren war, nachdem sie gegen Barack verloren hatte. Aber sie hatte die Finger überall drin. Ich sag ja, kein starker Mann ohne eine starke Frau dahinter. Erdmute war so was für mich. Auf jeden Fall.
Hilary rief mich jedenfalls an und sagte: Johnny, sagte sie, das ist deine Chance! Michelle hat den Löffel abgegeben, wir brauchen einen neuen Hoffnungsträger! Eigentlich tragisch. Barack bei dem Helikopterunglück und sie kaum zwei Jahre später wegen dieses bekloppten Teeniestars, der in die Jahre gekommen war. Wie gesagt, ich war platt: ich ein Hoffnungsträger! Barack konnte das verkaufen, der war schwarz und Michelle hatte den Witwenbonus und war schwarz und die erste Frau! Ich hab gesagt, das ist nicht zu toppen! Eine Lesbe oder ein Rollstuhlfahrer müssen her! Aber Hilary hat geschworen, es muss jemand her, der Sex-Appeal hat. Sex-Appeal hat man Barack auch nachgesagt, hab ich gesagt. Sie: weil er schwarz war! Das war doch schon Erotik pur! Ansonsten war er doch eher ein Schwiegermüttertraum. Du bist weiß. Und trotzdem verrucht. Die alten Haudegen à la Bush oder Terminatoren wie Schwarzenegger haben doch ausgedient! Du verkörperst die modernen Kämpfernaturen! Wer stellt denn heute noch eine ernste Bedrohung für die Globalisierung dar? Piraten! Du bist einer, aber einer auf der richtigen Seite! Und trotzdem immer ein Stück unberechenbar! Und das Allerwichtigste: Die Leute wollen auch was zu lachen haben! Also, das saß! An der Stelle hätte ich ja am liebsten aufgelegt. Da war ich ja fast beleidigt. Ich meine, ich verstehe ja schon Spaß!
Ich hab dann aber nur gesagt: Ich lass es mir durch den Kopf gehen.
Und dann hab ich in aller Ruhe in den Spiegel geguckt und hab mir gesagt: endlich keine Troddeln mehr am Kopf und keine schwarze Augenschminke mehr! Ja, ich will!
Trotzdem das mit dem Lachen saß. Vielleicht ist das auch der Grund, dass das mit Erdmute am Ende so schief gegangen ist. Ich hatte einfach immer im Kopf: Hey, Leute, ich bin nicht euer Clown! Eines Tages kommt der Moment, wo ihr Ehrfurcht habt, wenn ihr den Namen Depp lest!
Letzten Endes war das wohl auch so ähnlich mit Erdmute. Ich meine, sie war ganz anders drauf. Eben so typisch deutsch. Aber sie hatte irgendwie auch immer das Gefühl, sie müsste ein Zeichen setzen. Darin haben wir uns wohl gefunden.
Sie gehörte zur deutschen Delegation in der ESA damals. Wow, das war ein hartes Brot gewesen, bis wir da endlich angekommen waren! Ich meine, eigentlich wollten wir ja in den Zwanzigern schon da stehen. Die USA, meine ich. Wenn es nach Bush gegangen wär. Barack hatte sich auch was gefressen an der Marsidee. Aber erst der Mond! Und dann ging einfach gar nix mehr. Nicht mit Obama 1, nicht mit Obama 2, weil dann ja sowieso erst mal die Finanzkrise dran war. Und kaum war die halbwegs ausgestanden, hatte der Deutsche Obama 2 platt gemacht. Und dann wurde erst mal geschmollt. Ich meine, das muss man sich ja nicht bieten lassen! Schon gar nicht von so einer Nation, die einem immer schon am liebsten auf die Füße getreten ist! Schließlich sind wir nicht irgendwer! Wer sollte denn die Welt retten, nachdem die Russen endgültig abgeschmiert waren? Erdmute gehörte zu denen, die immer an unsere gemeinsame Sache geglaubt haben. Sie hat für die ESA gebaggert und Strippen gezogen das konnte sie gut!
Wie gesagt, ich hab sie ja erst bei dem Kennedy-Space-Center-Zirkus kennen gelernt, als wir die Jungs zu unserer Marsmission verabschiedet haben. Ich meine, erst mal zum Mond. Das war ja der Plan. Die Mondstation. Und von da aus zum Mars. 2010 hatten sie auf dem Mond schon Wasser gefunden. Wassereis vielmehr. Oder Eiswasser, wie man`s nimmt. An einem der Pole. Eigentlich ein Witz! Pole am Mond! Wenn sie mich fragen: Der sieht doch überall gleich beschissen aus! Wo soll denn da ein Pol sein? Also irgendeine dieser Kraterwüsten haben sie Pol genannt, und da war dann auch das Wasser verbuddelt. Gefroren allerdings. Aber ist ja egal. Jedenfalls war klar: Da können wir siedeln. Und dann von da zum Mars starten. Von der Erde ging das ja nicht so leicht wegen der Atmosphäre. Ich hab keine Ahnung von dem Zeug, aber die Idee fand ich schon gut.
Hey, zehn beschissene Jahre hat es gedauert, bis es endlich fluppte! Und dann standen sie da alle aufgereiht, die ganzen NASA- und ESA-Bonzen und Staatsoberhäupter und Wichtig-Wichtigs.
Und dann hat es einfach geknallt! Zack, die Jungs ab zum Mars! Und am gleichen Tag hat es zwischen Erdmute und mir geknallt, und wie! Und dann die Sache mit dem Tower! Klar, es war ihre Idee! Sie war ja so was von stur! Aber die Idee war auch einfach geil! Die ganze Frau war einfach geil! Ich hatte sie auf dem Empfang wiedergesehen, und klar, es war mir total peinlich, dass ich ihr auf die Füße getreten war, also hab ich sie auf einen Drink eingeladen. Aber ich schwöre, ich hätts nicht getan, wenn ich nicht gleich gespürt hätte: wow, die Frau hat was! Und wie die was hatte! Oh la la! Sie kam in meine Suite, Champagner, Cheers, ein Blick in die Augen, die Hände wie zufällig berührt, und schon hat es mich dermaßen in den Fingerspritzen gekribbelt! Ich glaube, sie war gleich mit der Zungenspitze dabei, oder hat sie geknabbert? Egal, ich hatte jedenfalls gleich einen stehen, und dann hat sie es mir besorgt, frag nicht nach Sonnenschein! Die nächsten anderthalb Jahre hab ich keine andere Frau mehr angefasst, und das will schon was heißen! Ich meine, ein Jahr später war sie ja schon weg, lost in space! Aber ich habs irgendwie immer noch nicht glauben wollen. Bestimmt ein halbes Jahr lang!
Hey, ich hab das nicht gewollt! Ich meine, ich wollte ihr doch nicht wehtun! Ich meine, was denkt sie denn, wer sie ist? Das ging doch einfach nicht! Die Idee war ja einfach völlig verrückt! Einen Tower auf dem Mond! Sie nannte ihn »Erdmute-Tower«, es war ihre Idee, klar! Aber ich hab ihn gebaut! Ich, der Präsident der Vereinigten Staaten! Ich hab mir ein Denkmal gesetzt da oben auf dem Mond! Und nicht nur mir! Der ganzen amerikanischen Nation! Gut, die Mondstation war ein gemeinsames Projekt gewesen mit den Europäern, klar, da ging es um Wissenschaft und Diplomatie und so. Aber der Tower, das war ein Zeichen! Ein Prestigeobjekt! Ich meine, es war einfach fällig! Das war doch schon immer so! Seit dem Turm von Babylon, den sieben Weltwundern! Die Pyramiden! Das Tadj Mahal! Was hat denn die Moderne noch in der Richtung hervorgebracht? Den Eiffelturm, okay! Dann gings im Osten los, die Scheichs mit ihren Towern, einer höher als der andere! Alles Nachmacher! Wir waren die Erfinder der Wolkenkratzer! Einen auf den Mond zu setzen, das war einfach der Knaller! Gleich neben die Station! Klar, war ja auch ganz nützlich, da konnte man forschen und Touristen unterbringen, und den Jungs was bieten, als sie vom Mars zurückkamen!
Klar war es ihre Idee gewesen! Vielleicht hätte ich es ihr vor der Einweihung mal flüstern sollen, dass das Ding natürlich nicht »Erdmute-Tower« heißen konnte! Who is Erdmute! Das war doch klar, dass das Baby »Depp-Tower« heißen würde, oder? Ich meine, wir haben einfach nicht mehr darüber gesprochen vorher. Es ist exakt nach ihren Plänen gebaut worden, klar bis auf den Schriftzug mit dem Namen halt.
Himmel, ich hab sie wirklich geliebt, und sie hat auch alles gegeben! Ich meine, es ging ja nicht nur um diesen blöden Tower! Es lief einfach alles rund mit ihr! Im Bett war sie wirklich Oberklasse. Aber sie war auch meine beste Beraterin, einwandfrei! Sie hatte einfach einen Blick für alles. Sie wusste, worauf es ankam und wie man es verkauft!
Die letzten Wochen vor dem Mondflug, vor der Eröffnung des Towers waren die größte Zeit meines Lebens. Wir haben dieses Astronautentraining gemacht. Hey, da waren die Stunts bei den Piratendrehs in der Karibik der reinste Kindergarten dagegen! Aber es hat Sauspaß gemacht! Und sie immer voll dabei! Sie war so unglaublich zäh sie wusste einfach, was sie wollte, und dafür hat sie immer das Letzte gegeben.
Ja, und dann der Flug zum Mond! So geil! Die Ankunft! Okay, an dem Ding gibt`s nix zu beschönigen! Krater sind Krater, und der Rest ist Dreck. Aber der Tower! Schon im Anflug, als wir ihn gesehen haben ich hatte glatt einen stehen! Einen Kilometer hoch, nur Stahl und Aluminium! Der Turm meine ich! Aber mein bestes Stück fühlte sich ähnlich an!
Und dann die Nacht, meine letzte Nacht mit Erdmute! Nie wieder, ich schwörs, hab ich so eine Nacht mit einer Frau erlebt! Das war schon was ganz Besonderes. Ich glaub, auch für sie. Ich hab wirklich gedacht, hey, wir könnten jetzt auf Bonnie und Clyde oder so machen ich hätte alles gegeben für sie. Nur na ja, die Sache mit dem Namen von dem Tower, das hab ich ihr irgendwie nicht sagen können. Der Knall kam dann am nächsten Tag. Bis dahin war der Schriftzug ja noch verdeckt, der sollte erst bei der feierlichen Einweihung enthüllt werden.
Ja, und das haben wir dann mit allem Schrumms am nächsten Morgen gemacht, alles rechtzeitig vor der Rückkehr der »Phobos« mit den Jungs vom Mars. Die waren ja ein gutes Jahr weg gewesen und wir wollten sie würdig empfangen! Deshalb sollte der Tower unbedingt vorher fertig sein und eingeweiht. Da standen wir dann mit unseren Raumanzügen vor dem Tower, rote Schleife, Schere, schnipp, ich hab ihr noch die Schere zum Halten gegeben, dann wurde der Name enthüllt: »Depp-Tower«. Ja, und da muss bei ihr wohl irgendeine Sicherung durchgeknallt sein. Keine Ahnung! Sie hat keinen Ton rausgebracht, aber da war die »Phobos« auch schon da und setzte zur Landung an. Wir also alle zur Landestelle geguckt, und da muss sie wohl verschwunden sein. Einer der Mechaniker sagte nachher, sie wäre in den Tower gelaufen. Jedenfalls war der Aufzug oben auf dem Dach nachher. Da muss sie wohl hoch gefahren sein. Na, und alles Weitere ist ja pure Spekulation! Sie war einfach weg!
Die Physiker haben nachher erklärt, die Verwirbelungen bei der Landung müssten sie wohl vom Dach gerissen haben und ins All geschleudert. Oder sie ist einfach gesprungen. Keine Ahnung! Sie war einfach weg, auf Nimmerwiedersehen! Und die Schere auch.
Natürlich war sie verrückt!
Aber sie hatte was!
Peter Wall © http://www.picturewall.eu
25. Aug. 2010 - Regina Schleheck
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