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Das BEM
von Achim Stößer

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Der Planetoid war erst wenige Sonnenumläufe zuvor von den Erdmenschen entdeckt worden, doch Rruuptuurr kümmerte das nicht. Der kleine Felsbrocken, der knapp drei Längen von einem Ende zum anderen und eine Dreiviertellänge im Querschnitt maß, war für ihn nichts als ein bequemes Versteck, von dem aus er einen Ausfall machen, seine Beute greifen und in das er sich wieder zurückziehen konnte wie ein Sandschnapper, denn Eros war nur etwa vier Millionen Längen vom dritten Planeten entfernt.
Das Landesegment war wieder dem Hauptschiff aufgepfropft, sodass es aussah wie ein Stapel frischgebackener Flunderschnecken auf dem Frühstückstisch. Für ein Ein-Mol-Schiff war es recht groß. Trotz seiner Winzigkeit vermittelte 433 Eros immerhin einen Hauch von Schwerkraft, ohne kostbare Antriebsenergie verschleudern zu müssen, wenn Rruuptuurr sich an die Gebetsstange hängen wollte, obwohl dies eher von metaphysischer als physikalischer Bedeutung war.
Ursula schlief auf einem großen Liegetisch. Eine Atemmaske bedeckte ihr Gesicht, denn die Schiffsluft war für sie ebenso unverträglich wie die Erdluft für Rruuptuurr. Zugleich wurde sie über die Maske mit einem Betäubungsmittel beatmet, um sie ruhig zu halten.
Nichts ließ erkennen, daß es sich um ein Raumschiff handelte. Üppige Pflanzen mit fleischigen Blättern rankten an Wänden, Boden und Decke. Sie gediehen gut in der schwülen Atmosphäre, bedeckten fast die Fenster, die die karge Planetoidenlandschaft zeigten. Die Schiffsbeleuchtung war ausgeschaltet, nur die aufgehende gelbe Sonne, in deren Schein zerklüftete Felsen lange Schatten warfen, spendete etwas Licht.
Rruuptuurr hatte den Raumanzug abgelegt. Seine schneeweiße Haut glänzte. Vor Erregung begannen seine Kehllappen zu pulsieren, die Gelenkbeugen seiner Armglieder waren angemessen geschminkt. Mit sorgfältig abgewogenen Bewegungen nahm er ein Skalpell in die Hand. Langsam führte er die Klinge in Ursulas Ärmel ein. Sie fuhr durch den Stoff wie durch Schlupfkäferweben. Die Spitze berührte Ursulas Hals.
Entsetzt über das, was er getan hatte, fuhr Rruuptuurr zurück. »Nein!« gurrte er. Das Skalpell fiel klirrend zu Boden. »Was tue ich da? Ich darf es nicht, nicht ohne Präabsolution!«
Eilig sprang er hinaus, flog fast in der geringen Schwerkraft, Segment um Segment höher. Türen glitten vor ihm auf und hinter ihm wieder zu, bis er das Segment erreichte, in dem er die kleine Kapelle eingerichtet hatte. Ehrfürchtig warf er die Arme in die Luft. Acht Wände umschlossen den Raum, sieben von ihnen verziert mit dem Symbol einer der acht Immanationen des einzig wahren Gottes: Der Kreis stellte den Schöpfer dar, der aufrechte Balken den Bewahrer, der den Lauf der Welt vorantrieb; Ypsilon und Kreuz repräsentierten das zuerst erschaffene, unvollkommene, böse Weibliche und das abgeleitete, vollkommene, gute Männliche – einige Häretiker verwendeten irrigerweise ein auf der Spitze stehendes Dreieck und eine Raute; Drudenfuß und Davidsstern standen für die ausführende und die gesetzgebende Immanation; das achtspei-chige Rad symbolisierte Richter, Tod und Zerstörer. Die siebte Wand, die der okkulten Immanation, war leer.
Rruuptuurr richtete die Gebetsstange in der Mitte der Kapelle auf die achte Immanation aus, die für Vorvergebung zuständig war. Dann entzündete er das Rauchkraut in der darunterstehenden Schale, schlang seine Beine um die Stange und begann mit hängendem Kopf und wellenförmig schwingendem Armkranz zu singen: »In dieser Kerze, unser aller Nestherr, erbittet Dein Knecht die Lossprechung, auf dass er in den Garten gelange. Geheiligt sei Dein Auswurf, oh Herr. Du bist ewig, hast nicht Anfang noch Ende. Herr, der Du acht bist und doch eins, sprich mich los. Aus Sternsplittern hast Du uns erschaffen gleich Deinem Angesicht, sprich mich los. Herr, der Du meine Krallen und meine Gedanken führst, jetzt und immerdar, sprich mich los. Du leitest meine Wege, wie Du dem Staubkorn befiehlst und dem fallenden Regen Einhalt gebietest, sprich mich los. Acht Weisungen gabst Du uns, auf dass wir nicht fehlen, sprich mich los. Aus dem Nichts bist Du geboren, Nestherr unserer Nestherren, Nestherr unserer Nestlinge, sprich mich los. Du gibst, wie Du genommen, und Du nimmst, wie Du gegeben, sprich mich los. Was war, was ist und was wird: Du weißt es, denn es ist Dein Wille. Was war, was ist und was wird: Ich bin zu gering, es zu wissen, denn es ist Dein Wille. Und so bitte ich Dich, Herr, sprich mich los …«
Zwei Kerzen später war das Rauchkraut ausgebrannt. Rruuptuurr beendete das Bittgebet. Er ließ sich wieder zu Boden gleiten, nahm einen Kelch aus dem Hängeschrein über der Gebetsstange, nippte daran und besprengte die acht Immanationen mit vergorener Wipptiermilch. Ein letztes Mal warf er demütig die Arme hoch, dann verließ er die Kapelle. Nun war er gewappnet, die Sünde zu begehen, ohne eine seiner vier unsterblichen Seelen zu gefährden, das wußte er.
Wieder hielt er das Skalpell in der Hand. Rasch, mit gestärktem Selbstvertrauen, trennte er den zweiten Ärmel auf und entfernte die Bluse. Verblüfft bemerkte er, daß darunter eine weitere Stoffschicht zum Vorschein kam. Energisch löste er auch diese, dann entfernte er die restlichen Kleidungsstücke.
Nach wenigen Achtelkerzen war die Arbeit getan, Ursula trug nur noch die Atemmaske. Ihre Haut war in der warmen, feuchten Luft von einem Schweißfilm überzogen.
Rruuptuurrs dunkelblaue Kehllappen begannen, sich aufzublähen, wurden dabei blasser. Gierig fuhr er seinen armlangen Zungenbusch aus, um den Schweiß aufzulecken. Die Näpfe an seinen Handgelenken saugten sich wieder und wieder an Ursulas leblos wirkenden Körper fest. Sie hinterließen rote Spuren auf ihrer milchigen Haut.

Rruuptuurrs Kehlsäcke hatten inzwischen fast ihre volle Ausdehnung erreicht. Sie wirkten beinahe weiß, so sehr war die Haut gespannt. Die Luft, die von einem Kehlsack in den anderen gepreßt wurde, erzeugte ein knarrend-pfeifendes Geräusch. Sein Rumpf und seine zwölf Gliedmaßen bedeckten Ursulas Körper fast völlig.
Schmatzend löste sich einer seiner Saugnäpfe von Ursula. Er aktivierte mit einem Tastendruck ein Gerät, das am Kopfende des Tischs stand. Augenblicklich schoben sich Sonden in Ursulas Ohren. Schuldbewußt wandte er den Blick ab – ihr Gehör wurde zerstört, aber sie würde es ohnehin nicht mehr brauchen.
Ursulas Arme und Beine waren mit Magnetschellen an den Tisch gefesselt. Die Sonden drangen in ihr Gehirn ein und stimulierten ihr Zentralnervensystem. Unmengen von Hormonen wurden ausgeschüttet. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schneller, die beiden Papillen an ihrem Oberkörper schwollen an.
Schleim quoll aus Rruuptuurrs Achselhöhlen, er fühlte, daß die Schleimbeutel bis zum Platzen gefüllt waren. Das Kehlsackpfeifen wuchs zu einem Sturmgeheul.
Kaum mehr zu kontrollierten Bewegungen fähig, änderte er das Luftgemisch, mit dem Ursula beatmet wurde. Vierundsechzigstelkerzen später schlug sie die Lider auf. Starr sah sie Rruuptuurrs vier rote Glotzaugen über sich. Dann schrie sie erstickt unter der Maske, versuchte, sich aufzubäumen, doch sein schwerer Leib und die Schellen machten es ihr unmöglich, ihre Glieder zu rühren. Rruuptuurr strich sorgfältig den glitzernden Schleim auf ihre Haut, verteilte ihn über den ganzen Körper.
Die Tür glitt zischend zur Seite, acht Mols stürmten herein. »Auffhören!« gurrte einer der Eindringlinge mit attischem Akzent.
Rruuptuurr sprang mit knallenden Saugnäpfen auf, seine Kehlsäcke fielen zu dunkelblauen Lappen zusammen. Aus seinen Achselhöhlen löste sich Schleim, tropfte in der geringen Schwerkraft jedoch nicht zu Boden, sondern schwebte Fäden ziehend in klebrigen Klümpchen umher. Er stammelte unzusammenhängend vor sich hin. Wie hatten sie ihn gefunden?
Der Atter trug das Abzeichen des Psychologischen Dienstes zwischen den Stirnzapfen. Seine Augen färbten sich violett vor Abscheu. Natürlich wußte er, daß Rruuptuurr unter einem psychischen Defekt litt. Intellektuell konnte er es nachvollziehen, doch emotionell fehlte ihm jedes Verständnis für das, was dieser Zoophile beim Anblick jener widerwärtigen, verstümmelt wirkenden Kreatur, die sich wie ein Gabelwurm auf dem Liegetisch krümmte, empfand.

18. Okt. 2010 - Achim Stößer

Bereits veröffentlicht in:

BOA ESPERANÇA
M. Haitel (Hrsg.)
Anthologie - Science-Fiction - p.machinery - Nov. 2009

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