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Ein Weihnachtsengel auf vier Hufen von Aileen P. Roberts
Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de »Das wird nichts mehr mit weißer Weihnacht.« Missmutig blickte Ciaran in den strömenden Regen hinaus, während Deana begeistert Weihnachtsgeschenke für ihre Freunde und Familie einpackte.
»Ach was, das Wetter ändert sich in Schottland schnell, das weißt du doch«, meinte Deana schmunzelnd, während ihr Freund allein mit seinem finsteren Blick den Regen vertreiben wollte. Plötzlich sprang er auf. »Endlich ist die Post da!« Schon rannte er hinaus und kam kurze Zeit später mit entspanntem Gesichtsausdruck zurück. Seine langen schwarzen Haare klebten ihm nass am Kopf und das Päckchen sah ein wenig lädiert aus.
»Was ist denn da drin?«, wollte Deana wissen, aber Ciaran stupste sie nur auf die Nase.
»Sei nicht so neugierig.«
»Ist das mein Weihnachtsgeschenk?«
»Wer weiß.« Ciaran kostete ihre Ungeduld aus und eilte die knarrenden Stufen des kleinen Cottages hinauf.
Deana schob die Unterlippe vor, als er wieder ins Wohnzimmer kam. »Du bist gemein.«
»Es wäre keine Überraschung, wenn du schon wüsstest, was es ist«, meinte er und verwuschelte ihre rotblonden Locken. »Komm, Deana, wir müssen die Pferde noch füttern.«
Wenig begeistert zog sich Deana ihre Regenjacke und die Gummistiefel an, aber als sie ins Freie traten, hatte der Regen etwas nachgelassen, auch wenn die bleigrauen Wolken heute so tief hingen, dass man nicht einmal die nahe Bucht sehen konnte. Der dichte Nebel, der sich über das Land senkte, verlieh der einsamen Highlandszenerie etwas Gespenstisches. Deana musste an die vielen Geschichten aus dem Feenreich denken, während sie an Ciarans Seite den Berg hinauf zur Farm ihres Onkels Cameron wanderte. Dieser lag laut fluchend unter seinem Traktor und kam mit ölverschmiertem Gesicht darunter hervor, als er die beiden hörte.
»Das dumme Ding hat seinen Geist aufgegeben.« Der kräftige Mann mit den kurzen rötlichen Haaren behielt seine düstere Miene nicht lange bei, sondern deutete lächelnd auf die prächtige Kiefer, die am Zaun der Pferdekoppel lehnte. »Zumindest konnte ich den Weihnachtsbaum noch aus dem Wald holen.«
Deana schmunzelte, als sie das Gesicht ihres Onkels sah, das sie jetzt an einen kleinen Jungen erinnerte. Sie wusste, dass er trotz seiner rauen Schale, die Weihnachtszeit sehr liebte.
»Der Baum ist wirklich toll«, lobte sie. »Es wird sicher ein schönes Weihnachtsfest.«
Als Ciaran skeptisch in den wolkenverhangenen Himmel sah, stieß sie ihn in die Seite. »Komm schon, alter Pessimist, lass uns die Ställe ausmisten.«
Ein lautes Wiehern ließ Deana die Weide hinaufblicken, und da kam auch schon ihre Highlandponystute Rhanna in halsbrecherischem Galopp den Berg hinab gestürmt. Das Pferd mit dem dichten, gräulich-braunen Winterfell erinnerte an einen Teddybär.
»Du bekommst später dein Heu«, versprach Deana und verstrubbelte Rhanna den schwarzen Schopf, bevor sie Ciaran zur Scheune folgte, wo die Stuten mit Fohlen untergebracht waren. Nachdem sie unzählige Schubkarren voll Mist auf den nahen Misthaufen gefahren, vorwitzige Highlandponyfohlen gestreichelt und Heu in den Boxen verteilt hatten, setzten sie sich auf einen Strohballen und überlegten, ob sie alle Geschenke beisammen hatten, bis sie ein lauter Schrei aus ihrer Unterhaltung riss. Sie sahen sich kurz an und rannten dann hinaus. Draußen bot sich ein bizarrer Anblick. Wie ein Rohrspatz schimpfend stand Tante Maude am Zaun und rang mit Rhanna um den Weihnachtsbaum. Das Pony hatte sich wie ein Hund in die Spitze verbissen. Deana musste einen Lachreiz unterdrücken, denn Rhanna und Tante Maude erinnerten sie an zwei Kontrahenten beim Tauziehen auf den Highlandgames. »Lass unseren Weihnachtsbaum los, du haariges Ungetüm«, tobte Tante Maude. Ihr rundliches Gesicht mit den kurzen grauen Haaren färbte sich röter und röter.
Deana sprang über den Zaun, fuchtelte hektisch mit den Händen und Rhanna ließ los. Leider etwas zu abrupt, denn Tante Maude landete mitsamt des Baumes auf ihrem Hintern, mitten in einer Pfütze. Rhanna hingegen suchte wild bockend das Weite und Deana konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich ein triumphierender Ausdruck auf ihrem Ponygesicht breit machte.
»Den Baum können wir vergessen«, stellte Ciaran fest. Dem mehr als mannshohen Nadelbaum fehlte die Spitze und an einer Seite war er komplett abgenagt.
»Dieses Pferd ist das Chaos in Person, wir sollten Rhanna statt des Truthahns als Festbraten auftischen!« Tante Maude stapfte davon und Ciaran sah ihr besorgt hinterher.
»Oh je, jetzt ist sie aber wirklich wütend.«
Deana winkte ab. »Ach was, sie regt sich immer furchtbar über Rhanna auf, füttert ihr dann aber heimlich Karotten. Tante Maude ist wie ein schottischer Regenschauer, heftig wenn er niedergeht, aber Minuten später auch schon wieder vorüber.«
Skeptisch betrachtete Ciaran den Baum. »Was machen wir denn jetzt?«
»Onkel Cameron bitten, einen neuen zu holen?« Das war das Einzige, was Deana einfiel.
Wie zu erwarten, war auch Onkel Cameron nicht begeistert von Rhannas Aktion, andererseits gab er zu, dass es unklug gewesen war, den Baum an den Koppelzaun zu lehnen. Darum versprach er, morgen rasch einen neuen zu besorgen.
Am nächsten Tag erinnerten die Highlands an eine Märchenlandschaft, denn über Nacht war der Nebel gefroren, und Raureif hatte Bäume und Büsche in bizarre Gebilde verwandelt, die in der hervorbrechenden Sonne glitzerten.
»Keine weiße Weihnacht aber gar nicht so übel, oder?«, meinte Deana, als sie mit Ciaran am Morgen zur Farm lief. Die Straße war vereist und sie mussten aufpassen, nicht hinzufallen.
»Der Traktor läuft, aber es ist viel zu glatt.« Kopfschüttelnd blickte Onkel Cameron auf das Baumskellet.
»Wir werden sehen, dass wir zumindest ein paar Zweige aus Granny Anabells Garten bekommen«, lenkte Deana ein.
»Weihnachten ohne Baum hatten wir noch nie«, brummte
Onkel Cameron.
Am Abend war das gemütliche Cottage von Granny Anabell festlich mit Zweigen geschmückt, und auch wenn sich Deana einiges wegen des fehlenden Baumes anhören musste, so waren doch alle zufrieden. Der Truthahn brutzelte im Ofen und verbreitete einen verlockenden Duft. Deanas Eltern Alisha und Roderick, ihre Schwester Jeanie, Ciarans Großvater Brandon O'Connell, sowie Tante Maude und Onkel Cameron saßen im Wohnzimmer und ließen sich Granny Anabells Weihnachtsplätzchen schmecken.
Deanas Cousin und Cousine mit ihrer Familie hatten wegen der vereisten Straßen absagen müssen.
»Die Kirche werden wir wohl ausfallen lassen müssen«, stellte Roderick MacLennan fest.
»Macht nichts, dann gibt's eher Geschenke«, meinte Jeanie, Deanas drei Jahre jüngere Schwester, vorwitzig.
»Du warst ohnehin nicht brav«, knurrte ihr Vater, »du bekommst nichts vom Weihnachtsmann.«
»Weihnachtsmann!« Die Sechzehnjährige mit den blonden Engelslocken, die darüber hinwegtäuschten, dass sie es faustdick hinter den Ohren hatte, blies die Backen auf. »Dad, ich befürchte, du hast verpasst, dass ich schon seit ich fünf bin nicht mehr an ihn glaube.«
»Man sollte sich nie zu sicher sein, was Mythen und Legenden betrifft«, rügte Granny Anabell. »Ich kenne da eine Geschichte aus der Zeit, als die Clans in den Highlands noch gemeinsam Weihnachten feierten.«
Sofort beugten sich alle gespannt nach vorne, denn Granny Anabell war eine tolle Geschichtenerzählerin, da klopfte es an der Tür. Mit einem bedauernden Achselzucken öffnete Granny Anabell und kurz darauf stand Ron Murdock, ein Fischer mit buschigem schwarzem Bart, in der Tür.
»Hier haben wir unseren Weihnachtsmann«, kicherte Jeanie und Deana grinste zustimmend. Das Lachen verging ihr allerdings, als Ron erklärte: »Da ist grad 'n Pferd die Straße Richtung Ardmore entlang getrabt. Wollte euch nur bescheid sagen.«
»Verflucht noch mal, können die pelzigen Biester einen nicht einmal an Weihnachten in Ruhe lassen?«, ereiferte sich Tante Maude, griff jedoch als erste nach ihrer Jacke. »Deana, Ciaran, ihr fahrt mit mir. Cameron, du nimmst Roderick und Alisha mit. Brandon bewacht das Telefon.« Sie fuchtelte in Richtung ihrer Schwiegermutter. »Und du achtest auf den Truthahn!«
»Wie gut, dass wir »General Maude« haben«, bemerkte Granny Anabell kopfschüttelnd.
»Wir müssen erst noch ein Halfter holen«, wandte Deana ein. »Nimm das hier«, Ciaran hielt ihr sein Geschenk entgegen, »ich habe dir das Lederzaumzeug für Rhanna geschenkt, das du dir schon so lange wünschst.«
Eilig riss Deana das Papier auf und lächelte Ciaran dankbar an. Insgeheim befürchtete sie ohnehin, dass Rhanna der Ausreißer war, denn ihr Pony verschwand häufig auf bisher unerforschten Wegen aus der Koppel. Schon rannten alle aus der Tür und stiegen in die Autos. Die Straße war wirklich rutschig und Maude musste sehr vorsichtig fahren.
»Wer weiß, ob sie nicht in eine der Weiden abgebogen ist«, jammerte Deana und starrte angestrengt in die Nacht. Zumindest war der Himmel klar, Mond und Sterne spendeten ein wenig Licht, aber von einem Pony keine Spur.
»Steigt ihr aus und ich fahre langsam weiter. Später hole ich euch ab, wenn ihr nichts findet«, bestimmte Tante Maude. »Habt ihr ein Handy?«
Ciaran nickte und schnitt dann eine Grimasse. »Sofern hier ausnahmsweise mal Empfang ist.« In den Highlands war das häufig ein Glücksspiel.
Kalte Luft schlug ihnen entgegen und Ciaran legte Deana tröstend einen Arm um die Schultern. »Wir finden das Pferd schon.«
»Es ist Rhanna, ich bin mir sicher«, schniefte sie. »Wenn sie auf der glatten Straße ausrutscht und sich ein Bein bricht ...«
»Hey, mach dir keine Sorgen.« Ciaran drückte sie an sich. »Deine Granny sagt doch immer, Rhanna sei ein kleiner Kobold. Die wird ganz sicher von den Feen beschützt.«
Sie suchten jeden Feldweg ab, schauten in jede Weide, Deana rief Rhannas Namen, aber sie konnten das Pony nicht finden.
Nach einer Weile rief Onkel Cameron an und bestätigte, dass Rhanna nicht auf ihrer Koppel war.
»Ich habe es gewusst«, schimpfte Deana.
Als sie sich schließlich mit Tante Maude trafen, meinte diese: »Wir brauchen mehr Leute, wir klingeln einfach die Nachbarn raus, die sollen helfen.« Schon walzte sie auf das erste kleine Cottage zu, dessen Fenster einladend erleuchtet waren.
»Die Leute werden sicher nicht erfreut sein, wenn wir ihre Weihnachtsfeier stören«, bemerkte Ciaran kritisch.
»Hier bei uns hilft man sich in Notlagen, das geht schon in Ordnung.« Auch Deana eilte los, den skeptischen Ciaran an ihrer Seite, der sie noch immer davon abhalten wollte, die Dorfbewohner zu stören. Er war in einer Großstadt aufgewachsen und lebte erst seit kurzem hier auf der Isle of Skye, daher kamen ihm viele Eigenarten der Hochlandschotten seltsam vor. Nachdem sie allerdings an drei Häusern geklingelt, und sich sofort mit Taschenlampen bewaffnete Nachbarn ihrer Suche angeschlossen hatten, war er beruhigt. Von überall her hörte man leise Rufe. Taschenlampen und Fackeln leuchteten in der Nacht. Alle machten sich auf die Suche nach dem entflohenen Pony.
»Bei so vielen Helfern sollte es ein Kinderspiel werden«, meinte Ciaran aufmunternd und rieb sich die Hände vor Kälte.
»Jeanie wollte dir Handschuhe schenken.« Deana schnitt eine Grimasse. »Leider ist Rhanna vor der Bescherung ausgebrochen.«
Sie stapften über vereiste Weiden weiter in Richtung Ardmore, ganz am Ende der Inselzunge Waternish, und langsam gab Deana die Hoffnung auf. Vielleicht war Rhanna auf Umwegen schon wieder nach Hause gelaufen und sie suchten vergeblich.
»Sieh mal!«, rief Ciaran plötzlich und deutete auf ein einsames Haus abseits der Straße. In der Ferne konnte man erkennen, dass im Eingang Licht brannte und Deana glaubte, die Silhouette eines Pferdes zu erahnen.
»Ich dreh ihr den Hals um, so weit ist sie noch nie gelaufen«¸ schimpfte sie und rannte los.
Ihr Verdacht bestätigte sich. Mit unschuldiger Miene stand Rhanna am Eingang des kleinen, weißen Hauses und ließ sich von Mrs MacPherson mit Äpfeln füttern. Deanas wütendes Gesicht wandelte sich, als sie sah, wie verzückt die hutzelige Frau war. Mit zärtlicher Stimme redete sie in gälischer Sprache auf Rhanna ein, streichelte ihr liebevoll über die volle schwarze Mähne und lachte, als das Pony mit dem Kopf nickte.
»Guten Abend, Mrs MacPherson, mein Pony ist ausgerissen.«
»Ach, so ein liebes Tier. Allerdings bin ich ganz schön erschrocken, als sie plötzlich ihre Nase an meinem Fenster plattdrückte«, gab die alte Dame lachend zu. Wehmütig streichelte sie über Rhannas Nüstern, die sich ihr in Erwartung eines neuen Leckerbissens entgegenreckten. »Sie ist ein kleiner Weihnachtsengel und heute mein einziger Besuch.« Mrs MacPherson klang traurig.
»Als Engel bezeichnet Rhanna normalerweise niemand«, grummelte Deana, während sie dem Pferd ihr neues Zaumzeug überzog. Dann runzelte sie die Stirn. »Sonst kommen doch immer ihre Kinder über Weihnachten, Mrs MacPherson.«
»Ja, das stimmt, aber sie wollten erst heute gegen Abend losfahren und die Straßen waren zu glatt«, seufzte die alte Frau.
»Oh, das tut mir leid.«
»Möchtet ihr eine Tasse Tee zum Aufwärmen?«, schlug Mrs MacPherson vor und lächelte so freudig, dass Deana es ihr nicht abschlagen konnte.
»Ich sage rasch den anderen Bescheid, wo wir sind«¸ meinte Ciaran und lief auf der Suche nach Empfang im Garten auf und ab.
Nach und nach versammelten sich die fleißigen Helfer im Garten von Mrs MacPherson, sie lachten über Rhanna, die zufrieden und mit aufgeplustertem Fell zwischen ihnen stand und versuchte, ihre Nase in Tassen mit Tee oder heißem Whisky zu stecken. Bald standen an die dreißig Männer, Frauen und Kinder vor dem Haus, unterhielten sich angeregt, und ließen es sich schmecken, während Mrs MacPherson mit strahlenden Augen und geröteten Wangen umher eilte und Getränke und Plätzchen verteilte. Die Fackeln steckten im Boden, die Sterne funkelten vom Himmel, es war trotz der Kälte richtig gemütlich. Ciaran schlang seine Arme um Deana. »Ich glaube, Rhanna ist wirklich ein kleiner Weihnachtsengel. Wäre sie nicht ausgerissen, hätte Mrs MacPherson den Abend ganz allein verbringen müssen, und jetzt ist halb Waternish bei ihr im Garten versammelt.«
Lächelnd lehnte sich Deana an ihn. »Da hast du Recht, es ist wie in der Geschichte, die Granny vorhin begonnen hat. So ähnlich muss es gewesen sein, als die Clans früher zusammen gefeiert haben.«
»Warum frieren wir uns hier eigentlich den Hintern ab?«, durchbrach Tante Maudes Stimme die romantische Atmosphäre. »Roderick, mach den Pub auf, wir sollten dort alle gemeinsam feiern. Anabells Truthahn reicht ohnehin für eine halbe Kompanie.«
Deanas Vater stimmte gerne zu. Viele der Nachbarn meinten, sie würden ihre Kinder noch zu Hause holen und später Essen und Getränke mitbringen. Maude nahm die alte Mrs MacPherson gleich im Auto mit, nur Deana und Ciaran liefen durch die sternenklare Nacht zurück zu Onkel Camerons Farm und sperrten Rhanna vorsichtshalber in eine Box.
»Ich glaube nicht, dass sie noch mal ausreißt«, meinte Ciaran und zwinkerte Deana zu. »Wer weiß, ob ihr nicht wirklich eine kleine Fee ins Ohr geflüstert hat, dass heute jemand sehr einsam ist.«
Weitere Geschichten aus den schottischen Highlands und von Deana, Ciaran und Rhanna gibt es in der Jugendromanreihe "Deana und der Feenprinz" von Aileen P. Roberts
16. Dez. 2010 - Aileen P. Roberts
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