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Hinter der Mondgrenze von Barbara Büchner
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Himmel, Robin, es riecht hier, als wäre etwas gestorben! Bist du etwa die ganze Nacht vor der Kiste gesessen? Hast du noch nie von den Computerfreaks gehört, die nach Tagen tot vor dem Bildschirm aufgefunden wurden, völlig dehydriert, weil sie zu trinken vergessen hatten?
Marco Tanneker, der sich ernstliche Sorgen um seinen Neffen machte, fegte den Müll von Schokoriegeln, Coffeingetränken und diversen Zuckerwässern beiseite, der sich auf dem Computertisch türmte. Steh sofort auf, mach dir ein ordentliches Frühstück und dann leg dich ein paar Stunden aufs Ohr! Ich will nicht schuld sein, wenn du tot vom Stuhl fällst.
Ach, nun komm schon. Der bleiche, übergewichtige Junge zwängte sich aus seinem Müllhaufen hervor. Ich habe genug getrunken, ich falle nicht tot um, und außerdem habe ich drei Häuser gefunden, die genau zu deinen Vorstellungen passen. Du kannst sie dir ja ansehen, während ich mich ausruhe. Ich sags dir übrigens gleich, eines davon ist lustig, da ist ein Osterei drin.
Marco, der nur sehr undeutliche Vorstellungen hatte, was ein im Internet verstecktes Osterei sein mochte, setzte sich an den Platz, den Robin eben noch eingenommen hatte, und rief die angegebenen Dateien auf. Er suchte seit Monaten ein Ferienhaus, und da es ihm zu mühsam geworden war immer wieder zu gänzlich ungeeigneten Objekten zu fahren, hatte er sich darauf verlegt unter den virtuellen Angeboten zu suchen. Es gefiel ihm, von Geisterstimmen geleitet durch fremde Häuser zu wandern hier nun die Veranda, auf der Sie an warmen Sommernächten grillen können, hier der sehr praktische Kohlenkeller im Falle eines Energieproblems, hier das Kinderzimmer, vielleicht denkt ja jemand von unseren Besuchern an Nachwuchs...
Jedenfalls wusste er auf die Art sofort, was er nicht haben wollte. Nummer Eins schied sofort aus, aber Nummer Zwei machte einen gefälligen Eindruck. Etwas unbeholfen er war längst nicht so flott im Umgang mit der Maus und der Tastatur wie Robin, dessen dicke Finger blitzschnell darüberflitzten suchte er sich seinen Weg durch das virtuelle Haus, geführt von den Kurzinformationen, die jedes Mal beim Anklicken eines Items aufleuchteten.
Im Großen und Ganzen war das Anwesen eher unauffällig. Eine einstöckige Anlage gruppierte sich um einen Portico und einen Swimmingpool, an der Rückseite entlang lief ein Vordach, das Sonne und Regen abhielt, und im Inneren lagen ebenerdige Räume nebeneinander. Zum Haus gehörte ein ziemlich großer Garten, um den sich anscheinend nur selten jemand kümmerte. Die Zimmer waren leer bis auf einige alte, schwerfällige Möbel, die sich schlecht verkaufen ließen und die deshalb niemand hinausgeschleppt hatte.
Eine solche Möbelgruppe bestand aus zwei pseudo-klassischen Highboards, Mahagonikram aus dem fin de siécle. Zwischen ihnen hing ein ovaler Spiegel, und hier geschah etwas, das ihn verblüffte.
Als Marco langsam mit dem Mauszeiger darüber fuhr und beobachtete, ob irgendwo eine Kurzinformation aufleuchtete, blitzte es im Spiegel auf, fast als hätte jemand eine Fotokamera auf ihn gerichtet. Statt einer Kurzinformation erschien jedoch ein graugrünes Kästchen, wie man es verwendete, um Eingänge durch Codes aus Ziffern oder Buchstaben zu blockieren. Dieses hier verwendete Frakturbuchstaben, wie sie in Fantasy-Spielen beliebt waren. Nur einen Augenblick lang tauchte es auf, dann war es wieder verschwunden, und obwohl er sich bemühte es wieder hervorzulocken, indem er mit der Maus hin und her kroch, blieb es verschwunden. Er fragte sich, ob es überhaupt hatte sichtbar werden sollen, wenn ein Kaufinteressent das virtuelle Haus durchschritt. Dann fiel ihm ein, was Robin von einem Osterei gesagt hatte. Das musste es sein ein Programmierscherz, vielleicht vom Besitzer des Hauses hinterlassen.
Auf jeden Fall hatte er nicht nur etwas gesehen, sondern auch gehört. Zugleich mit dem Aufblitzen ertönte tief in seinem Innenohr, wie es ihm schien ein scharfes Knacken und dann ein Geräusch, als würden zwei harte Bürsten aneinandergerieben. Es dauerte nur Sekunden, und er war froh darüber, denn das Geräusch hatte etwas Unangenehmes, ja Bedrohliches an sich. Es erweckte in seinem Kopf ein unvermutetes Bild zweier gelber, säbelartiger Dinger, die aneinander vorbeiratschten. Er nahm sich vor, Robin zu fragen, der für alle Computerfragen, selbst die kompliziertesten, zuständig war.
Der erschien dann auch am frühen Nachmittag, ausgeschlafen und voll lebhaften Interesses an der Haussuche. Schließlich besuchte er seinen Onkel oft, und es lag auch in seinem Interesse, dass dessen zukünftiges Haus Vorzüge wie einen Swimmingpool und einen Partykeller besaß.
Er nickte sofort, als Marco ihn von dem geheimnisvollen Innenleben des Kästchens erzählte. Das meinte ich. Ostereier sind komische kleine Programme, die irgendwo in einer Anwendung versteckt werden. Wahrscheinlich ergeben die Buchstaben das Passwort, aber das wird eine mühsame Arbeit, wenn man keinerlei Anhaltspunkt hat. Ich habe schon versucht es aufzumachen, aber es ist ziemlich schlau. Robin, der sich gerne und auch durchaus erfolgreich als Hacker versuchte, war voll freudiger Erregung. Der Junge wusste so ziemlich alles, was es über Computer zu wissen gab. Er war ein richtiger Nerd, schwabbelig, asozial und mit zuckertrübem Red Bull statt Blut in den Adern.
Hat es bei dir auch dieses Geräusch gemacht? Marco ahmte ein trockenes Schnarren nach, dem Geräusch eines missratenen Geigenbogens vergleichbar. Ja? Dann sollen die Geräusche wahrscheinlich ein Hinweis sein, ob man auf dem richtigen Weg ist. Robin machte Anstalten, seine beträchtliche Fülle in die Computerecke zu zwängen. Es dauerte immer lange, bis er sich zwischen Hardware, Zeitschriften und CDs installierte hatte. Wenn er einmal dort saß, stand er nicht so schnell wieder auf.
Marco, der als Onkel keine besondere Autorität besaß, fiel es jedes Mal schwer ihn dort wieder hervorzulocken. Robin reagierte praktisch nie auf die üblichen Aufforderungen, einen Spaziergang zu machen, sich in die Sonne zu legen oder eine kleine Tour mit dem Fahrrad zu machen. Er war am glücklichsten, wenn er hinter irgendeinem Bildschirm verrotten konnte. Aber jetzt war Marco selbst interessiert, was hinter dem so geheimnisvoll aus dem Cyberspace hervorspringenden Letternkästchen steckte. Meinst du, es wird jedes Mal ein anderes Geräusch machen, wenn wir ihm auf die Spur kommen?
Mhm. Robin war bereits dabei, den Spiegel mit dem Mauszeiger zu umkreisen in der Hoffnung, das Kästchen fassen und aufklicken zu können. Es schien jedoch zu ahnen, was ihm bevorstand, denn es hielt sich versteckt.
Robin ging davon ab, der Beute auf offener Flur aufzulauern. Wie ein Jäger, der sich auf die Suche nach der Spur im Unterholz macht, drang er in den Untergrund des Scripts vor. Marco konnte ihm bald nicht mehr folgen, denn er selbst verstand es zwar mit dem Computer umzugehen, aber Robins mysteriöse und (wie er befürchtete) illegale Aktivitäten waren zu hoch für ihn. Stattdessen machte er sich auf die altmodische telefonische Art auf die Suche nach Informationen über das Haus und seine früheren Besitzer.
Viel war von der Maklerfirma nicht zu erfahren. Es hatte einem jungen Ehepaar gehört, einem Designer für Computerspiele und seiner Frau. Beide hatten trotz hoher Einkünfte mit ihrem Geld nicht haushalten können, denn die Bank hatte schließlich die Hypotheken kassiert und beide auf die Straße gesetzt das war das Letzte, was man von ihnen gehört hatte. Wie gewonnen, so zerronnen.
Hey! Ich habs! Robin stieß einen heftigen Schrei aus, der aber nicht notwenig gewesen wäre, denn drei Dinge geschahen zugleich: Sekunden lang wurde es finster im Raum, als sei eine jagende Wolke über die Lampen gezogen, ein höchst absonderlicher und unangenehmer Geruch machte sich breit und ein Rasseln ertönte, als würde ein Büschel dürrer Hölzchen heftig geschüttelt. Vor allem die unvermutetete Finsternis erschreckte Marco so heftig, dass er wie erstarrt dasaß. Robins Bildschirm war dunkel geworden, und mitten in der schwarzen Fläche schwebte das Kästchen, umgeben von einem schwachen Heiligenschein. Eine nach der anderen flammten die Lettern auf, verlockten dazu, sie anzutippen, obwohl klar wurde, dass dieses Antippen einem noch nicht enthüllten System folgen musste um Resultate zu zeigen.
Robin war begeistert. Siehst du?, rief er. Jetzt müssen wir nur noch rausfinden, wie der Code lautet, dann geht das Osterei auf.
Marco spürte ein unbehagliches Ziehen im Magen. Hör zu, lass den Blödsinn. Mich interessiert dieses Osterei nicht, ich will mir noch andere Häuser ansehen. Und außerdem, wieso stinkt es hier?
Ich hab einen fahren lassen, gestand Robin, der in solchen Dingen keine Prüderie kannte. Wollte nicht extra aufstehen deswegen. Aber das Rasseln kam aus dem Lautsprecher, das hat irgendwas mit dem Programm zu tun. Komm schon, du hast doch Zeit genug für das blöde Haus! Ich möchte nur schnell einmal sehen, was da drinnen ist.
Marco seufzte. Er trat ungern als Spielverderber auf, also holte er sich Zigaretten und ein Bier, setzte sich auf die Couch und sah dem Jungen zu, wie er mit tiefem Ernst versuchte den Code zu knacken. Mehrmals war er nah dran: Dann füllte sich ein Teil des Bildschirms mit einer Art lebendigem Puzzleteils und ein Geräusch zumeist ein sehr unangenehmes ertönte, gefolgt von dem Gefühl, dass sich die Atmosphäre im Zimmer verändert hatte. Marco wagte nicht zu fragen, ob ein Programm so etwas zu Stande brachte, vielleicht auf elektromagnetischem Wege oder durch Töne, weil Robin ihn zuweilen deutlich merken ließ, dass er ihn für einen Computertrottel hielt. Es war ja auch keine bedeutende, jedenfalls keine fassbare Veränderung. Eher schien der Bildschirm plötzlich viel größer zu sein als zuvor, sodass er Teile des mit Computerkram vollgestopftens Arbeitszimmer beherrschte, und der halb virtuelle, halb reale Raum wurde von einem dünnen, hohen Sausen durchdrungen. Konnte man sich Wind als Strähnen schwarzer Luft vorstellen, die mit großer Geschwindigkeit durch die Leere geschleppt wurden? Dann war da das Licht: Im Hintergrund des Kästchchens erschien ein wie Schweizer Käse durchlöcherter Vollmond, so groß und gelb, dass er den gesamten Vordergrund erhellte. Marco bildete sich ein, dass der Lichtschein über den Bildschirm hinaus auf den Schreibtisch und an die Wand floss, aber es war ein bleicher, unruhiger Schein, und so konnte er nichts Genaues erkennen.
Es war keine sonderlich einladende Landschaft, auf die er herabschien: Eine öde Ebene, die durch eine quer zum Bild verlaufende zackige, mannshohe Mauer in ein Vorne und Hinten geteilt wurde. Marco fühlte sich an die arabischen Berge erinnerte, die er einmal mit einer Reisegruppe durchwandert hatte, Wüstenberge, auf denen Pilger und Wanderer hinter solchen steinernen Schirmen Schutz vor dem unbarmherzig pfeifenden Wind suchten. Damals hatte Marco verstehen gelernt, wieso die Einheimischen überzeugt waren, dass einsame Berge von bösen Geistern bewohnt waren und nur ein Narr oder ein Heiliger sie betreten würde.
Vorsichtig wagte er die Bemerkung: Robin, es sieht aus, als wäre es ein Videospiel, und eines, das unter deinem Niveau ist.
Keine Rede von ´unter meinem Niveau´, wiedersprach der Junge, ohne den Blick vom Blickschirm zu wenden. Der Code ist echt schwierig. Aber er fängt mit dem Namen des Typen an, der das hier programmiert hat. Schau mal, ob der Spieledesigner Claudio hieß.
Marco stöberte in seinen Unterlagen. Claudio? Nein? Lukas.
Mist. Ich war schon bei Claudio und zwei Buchstaben vom Familiennamen, ET. Na, mal sehen. Jedenfalls habe ich zwei Freistellen ... nein, drei. Was meinst du? Ob der Typ zwei Vornamen hatte oder ob es ein Satz ist?
Da kam Marco, der im Gymnasium noch Latein gelernt hatte, die geniale Idee. Lass den Claudio sausen und versuch es mit claudit. Das heißt ´er hat es verschlossen´ und genau das hat der Programmierer getan. Und die beiden Buchstaben, et, stehen die zwischen Freistellen? Dann bedeuten sie und. Jetzt hatte auch ihn das Jagdfieber gepackt. Er war stolz, etwas zu können, das Robin der nie Latein gelernt hatte nicht konnte. Ein Wort mit vier Buchstaben, das auf O endete? Nemo, das wusste jeder Kreuzworträtsel-Löser.
Robin tippte mit zunehmender Erregung die Buchstaben ein. Er und Marco wussten jetzt, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Die unheimliche Landschaft erwachte immer weiter zum Leben, füllte den Bildschirm bis auf wenige schwarze, wabernde Flecken. Es war jetzt eindeutig eine Hügelkuppe bei Vollmondschein, nackt bis auf die zackige Mauer, aber nicht unbewohnt. Beide Jäger schrien und klatschten vor Vergnügen, als das versteckte Videospiel ein weiteres seiner Geheimnisse frei gab. Bisher war das einzige Geräusch das immer wieder aufheulende und erlöschende Lärmen des Windes gewesen, aber jetzt waren in den Pausen deutlich Gespräche zu hören: Ein scharfes Rattern ertönte, das absetzte und wieder laut wurde, gefolgt oder auch überlagert von einem anderen. Zwar war der Inhalt der Gespräche völlig unverständlich, ja es war nicht einmal zu erkennen, ob es menschliche oder künstlich generierte Stimmen waren eher das Letztere, dachte Marco aber es war eindeutig, dass sich unmittelbar hinter dem Bildrand in eine lebhafte Diskussion vertiefte Wesen befanden. Daneben ertönte immer wieder das Rasseln wie das Schütteln eines Schlüsselbundes.
Das ist verrückt, was?, jubelte Robin. Der Spieledesigner muss ein echt cooler Typ gewesen sein; wetten, das ist eins von seinen Spielen? ´n Teaser dafür oder so.
Wieviele Buchstaben hat das Wort, das dir fehlt?
Sechs. Es muss was sein wie ´appetit´, aber das passt nicht.
Aperit. Er wird öffnen. Beziehungsweise in unserem Zusammenhang: ´und niemand wird es öffnen.´
Robin klickte die Buchstaben an. Das Licht, in dem die Codebox schwebte, wurde immer heller, bis es einen merkwürdigen, zugleich fahlen und grellen Schein erreicht hatte, dann knackte und knallte es wie Feuerwerk, die Buchstaben loderten grün auf und erloschen ebenso wie das Licht rundum. Das Kästchen wurde schwarz und löste sich in seine Bestandteile auf, die über den Bildschirm rieselten so lebensecht, dass Marco schon eine Bewegung machen wollte um sie wegzuwischen.
Robin tippte mit eiligen Fingern das Passwort ein: Claudit et nemo aperit er hat es verschlossen und niemand wird es öffnen.
Marco merkte, wie sich der unangenehme Geruch wieder im Zimmer verbreitete, aber diesmal fragte er Robin nicht. Er machte ihm auch keine Vorwürfe. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass der Junge ihm eine Lüge aufs Aug drücken würde, und dass er das auch schon beim ersten Mal getan hatte. Er musste schon früher, während seiner Recherchen in der Nacht, darauf gestoßen sein und hatte seinen Onkel nicht alarmieren wollen.
Im nächsten Augenblick stieß er einen heiseren Schrei aus. Das Glas des Bildschirms schien sich zu verflüssigen, beulte sich in einer geleeartigen Blase nach außen, und mit der Blase schlüpfte eins dieser Dinge heraus. Einen Augenblick hockte es auf einem Stapel Disketten, so groß wie eine Hand mit zehn oder zwölf Fingern das war die Größe, in der sie es im Bildschirm gesehen hatten. Dann schüttelte es sich und nahm seine wirkliche Größe an.
Marco konnte nicht aufhören zu schreien. Während sich der Bildschirm immer weiter verformte, quoll sein Inneres ins Arbeitszimmer: der gefleckte Mond, der heulende Wind, die atemberaubende Kälte dieser unheiligen Berge. Und mit alledem ein gelbes Ding mit Beinen, die erst wie zerknittertes Stroh aussahen und dann zu Säbeln wurden. Es schnappte mit knöchernen Kiefern zu, ehe Robin, der unbeweglich eingekeilt zwischen Arbeitstisch und Wand saß, auch nur einen Fluchtversuch machen konnte. Der riss den Mund auf, japste nach Luft und fiel wankend in sich zusammen. Das Ungetüm ließ nicht locker. Kaum hielt es ihn fest, wirbelten seinen Vorderbeine hin und her, spannen klebrige Strähnen, die sich um den Kopf des Jungen wickelten. Marco bemühte sich vergebens, ihn zu befreien. Das Ungeheuer zerrte an ihm, wobei es zwischen der Welt innerhalb und der außerhalb des Cyberspace wechselte, und dann, mit einem Ruck, bei dem alle seine Beine rasselten, riss es ihn hinein in die virtuelle Welt. Marco sah gerade noch, wie es den jetzt nur noch fingerlangen Leib seines Opfers durch eine Öffnung in der Mauer zerrte, fort in sein Reich, zu dem der unglückselige Designer von Computerspielen ihm die Tür geöffnet hatte.
Marco, der keine Ahnung hatte, was er tun sollte, fuhr mit der Maus hin und her und tippte auf alle möglichen Tasten, ohne dass sich irgendetwas änderte. Leer gähnte die Hügelkuppe vor ihm, zickzack verlief die mannshohe, aus groben Steinen erbaute Mauer. Wenn er den Computer abschaltete, würde Robin dann auf irgendeine unerklärliche Weise zurückkehren, oder würde er ihn für immer verlieren? Wenn er das Kästchen wiederfand, konnte er das Ungeheuerliche damit ungeschehen machen? Ohne genau zu wissen, was er tat, fuhr er mit gedrückter Maustaste über dem Spiegel hin und her, suchte das im Leeren schwebende Kästchen mit seinem verfluchten Spruch.
Jähling beulte sich der Bildschirm auf. Ein Schatten sprang über die Mauer, brachte ein Rasseln mit sich, Dunkelheit und Gestank. Marco fasste schreiend nach seinem Ellbogen, in den sich die giftigen Zähne geschlagen hatten. Die Welt verschwamm ihm vor Augen.
Onkel und Neffe abgängig
Seit einer Woche sind der Architekt Marco M., 32, und sein 16jähriger Neffe spurlos verschwunden. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Geld, Kleidung und Ausweise der Vermissten befanden sich im Haus. Es gab keinerlei Spuren eines Kampfes. Der Computer war eingeschaltet; offensichtlich hatte M. im Cyberspace nach einem neuen Ferienhaus gesucht. Die einzige mögliche Spur ist ein etwa ein Meter langes, spitz zulaufendes Rohr, einem riesigen Spinnenbein ähnlich, an dessen Spitze sich einige wenige Blutstropfen des Jungen befanden, doch ist es nach Meinung der Forensiker zu schwach um als Hieb- oder Stichwaffe zu dienen. Die Ermittlungen gehen weiter. Sachdienliche Hinweise werden bei jeder Polizeidienststelle entgegengenommen.
07. Sep. 2011 - Barbara Büchner
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