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Aweland – Land des Schreckens
von Eva Markert

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Irgendwo zwischen Pumpkin Country und Aweland lag ein Flecken, an dem das Leben noch in wohlgeordneten Bahnen verlief. Das war die Heimat von Cornelius, einem kräftigen Jüngling mit blonder Mähne, blau blitzenden Augen und schön geformten Händen, mit denen er äußerst geschickt umzugehen wusste, denn Cornelius war ein begnadeter Künstler – ein Bildhauer, so wie sein Ur-Urahn Adran einer gewesen war. Adran hatte sich seinerzeit der Herausforderung der geheimnisumwitterten Bellatrix gestellt und als Einziger seit Menschengedenken ihre Erwartungen erfüllt. Daraufhin verließ er Frau und Kinder und wurde, so erzählte man sich allenthalben, in Pumpkin Country glücklich.
Jedes Jahr, wenn die ersten Kürbisse reif wurden, sprachen die Einwohner des Fleckens erneut von Adran, dem Glücklichen, der Bellatrix‘ wunderschönes Antlitz in einen Kürbis geschnitten und so ihre wilde, rohe Schönheit auf unnachahmliche Weise eingefangen hatte.
Dass es nicht einfach war, diese Schönheit darzustellen, wurde jedem klar, der Bellatrix‘ Konterfeis betrachtete. Überall hatte sie sie verteilt: Sie hingen an Bäumen und Häuserwänden, und man munkelte, dass die Wände in ihrem Palast aus Spiegelglas seien und sich im Schlosspark zahllose Seen und Teiche befänden, damit sie sich unablässig darin spiegeln konnte.
Weil sie nicht genug von ihrer eigenen Schönheit bekam, hatte sie diesen Wettstreit ins Leben gerufen: Jeder junge Mann war aufgefordert, einem Kürbis ihre Züge zu verleihen, und die Besten sollten ihre Arbeiten in der Halloweennacht am Wegweiser zwischen Pumpkin Country und Aweland zur Begutachtung abliefern.
Wessen Werk Gnade vor ihren Augen fand, der durfte mit ihr nach Pumpkin Country ziehen, sich die Taschen mit Gold füllen, eine von Bellatrix‘ schönen Töchtern heiraten und in ewigem Sonnenschein herrlich und in Freuden leben – so wie es den alten Erzählungen nach Adran beschieden gewesen war.
Wessen Werk jedoch verworfen wurde, den verschleppte Bellatrix nach Aweland, in das Land des Schreckens, das weiter östlich in ewigem Feuerschein lag. Niemand wusste, was dort vor sich ging, denn es war den Bewohnern des Fleckens streng verboten, einen Fuß hineinzusetzen.
Nach Adran hatte sich noch so mancher begabte und ehrgeizige Künstler an die schwere Aufgabe gewagt, doch offenbar war es niemandem mehr gelungen, Bellatrix zufriedenzustellen, denn im grauen Licht des Totentages fand man am Wegweiser nur noch die zerquetschten, breiigen Überreste der Kürbisse vor, und die Künstler waren und blieben verschwunden.
Im Laufe der Jahre wurde die Anzahl der Bewerber immer geringer, bis zu jenem Jahr, als sich niemand mehr dieser unlösbar scheinenden Aufgabe stellen mochte.

Szenentrenner


Im Herbst dieses denkwürdigen Jahres wachte Cornelius eines Morgens von einem leisen Klopfen an der Fensterscheibe auf. Er sprang aus dem Bett. Auf dem Fensterbrett hockte ein Rabe, der grüßend mit dem Kopf nickte. Cornelius öffnete einladend das Fenster. „Komm herein“, lud er den Vogel ein, „und sag mir, wer du bist.“
„Ich bin Nevermore, Bellatrix‘ ständiger Begleiter“, antwortete der Rabe. „Sie hat mich zu dir gesandt.“
„Nanu?“, wunderte sich Cornelius. „Woher kennt sie mich?“
„Du bist der Ur-Urenkel des Bildhauers, der die Schönheit meiner Herrin einst in einen Kürbis bannte, und nach allem, was man hört, hast du sein Talent geerbt. Meine Herrin wünscht, dass du ihr deine Arbeit vorlegst. Sie hat dich neulich beim Baden im Waldsee beobachtet und Gefallen an dir gefunden. Ich soll dir ausrichten, dass sie dir mit äußerstem Wohlwollen begegnen wird und du glücklich werden wirst in Pumpkin Country, so wie dein Vorfahr, der dort herrlich und in Freuden lebte und, wenn er nicht gestorben ist, immer noch lebt.“
Cornelius betrachtete den Vogel. „Ehe ich darüber nachsinne“, begann er, „will ich mich um dich kümmern, denn ich sehe, dass es dir nicht gutgeht. Dein Gefieder ist struppig und stumpf, du bist dürr, deine Augen blicken matt und du zitterst am ganzen Leib.“
Der Rabe blinzelte. „Meine Herrin ist niemals zufrieden mit mir“, knarzte er, „dabei arbeite ich unermüdlich für sie, Tag und Nacht. Sie lässt mich Dinge tun ...“ Er brach ab und schüttelte sich. „Und sie verweigert mir Speise und Trank“, setzte er hinzu, „weil ich nur krächzen und ihre Schönheit nicht besingen kann.“
„Armer Nevermore“, erwiderte Cornelius voll Mitleid. „Ich werde mein Frühstück mit dir teilen, und danach ruhst du dich ein wenig aus, ehe du zurückfliegst, um Bellatrix meine Antwort zu überbringen.“
Cornelius gab dem Raben reichlich von seinem süßen Wecken und ließ ihn von seiner Milch trinken, so oft er wollte. Danach nahm er ihn mit in die Werkstatt, wo der Vogel den Kopf unter den Flügel steckte und sofort einschlief.
Erst viele Stunden später erwachte er. Während dieser Zeit war Cornelius nicht untätig geblieben. „Schau her!“, rief er freudig. „Denkst du, deine Herrin wird dieses Bildnis als Gabe annehmen?“
Der Rabe setzte sich auf seine Schulter und betrachtete stumm das Kürbisgesicht.
„Nun, was sagst du?“, fragte Cornelius.
„Es ist ein herrliches Bild“, schnarrte der Vogel. „Hör zu, ich verrate dir ein Geheimnis.“ Er neigte den Kopf und wisperte Cornelius etwas ins Ohr. Er wisperte lange, lange, und Cornelius wurde immer bleicher, bis er schließlich nickte und sagte: „Ich werde tun, wie du mir geraten hast.“

Szenentrenner


Der feurige Widerschein von Aweland färbte den diesigen Himmel, als sich Cornelius in der Halloweennacht zur Wegkreuzung zwischen Pumpkin Country und Aweland aufmachte. Auf seiner Schulter hockte Nevermore.
Trotz der klammen Kälte schwitzte Cornelius. Er keuchte, Atemwölkchen quollen aus seinem Mund. Mit beiden Armen umschlang er den schweren Kürbis, der unverkennbar Bellatrix‘ Raubtiergesicht mit den großen dunklen Augenhöhlen und dem gierig lachenden Mund trug. Und doch war das Abbild schöner als das Urbild, denn die Rundungen der reifen Frucht verliehen den harschen Zügen eine Weichheit, die Bellatrix‘ Angesicht vermissen ließ.
Sie erwartete ihn bereits am Wegweiser. Ihre Augen leuchteten türkisgrün in der Dunkelheit. „Zeige mir dein Kunstwerk, schnell!“ Ihre Stimme klang wie Metall, das über Metall schabt.
Schwer atmend setzte Cornelius den Kürbis ab. Er entzündete eine Kerze und stellte sie mitten hinein. In warmem Orange leuchtete das Antlitz fast überirdisch schön.
Bellatrix tänzelte um den Kürbis herum, während sie ihn ausgiebig von allen Seiten betrachtete. Sie leckte sich über die Lippen. „Du hast deine Aufgabe recht gut gelöst.“ Abrupt blieb sie vor Cornelius stehen. „Aber nicht gut genug.“ Ihre Blicke durchbohrten ihn. „Ich nehme dich mit nach Aweland. Dort wirst du dein Leben beenden.“
Mit einem heiseren Schrei hob der Rabe von Cornelius‘ Schulter ab und ließ sich auf dem Wegweiser nieder.
„Ich muss dir widersprechen“, entgegnete Cornelius. „Dieses Bildnis ist schön. Zu schön. Viel schöner, als du es bist. Ich gebe es nicht her.“
„Unwürdiger! Bist du blind?“, kreischte Bellatrix. „Nimmermehr sollst du in dem Rest deines kurzen Lebens wahre Schönheit schauen! Auf ihn, Nevermore! Hacke ihm die Augen aus!“
Der Rabe stieß sich ab. Doch er flog an Cornelius vorbei geradewegs auf Bellatrix zu und umflatterte ihren Kopf so dicht, dass seine Flügel ihr Gesicht streiften.
„Was fällt dir ein!“ Sie schlug nach ihm und versuchte ihn abzuwehren, doch der Vogel wich ihr immer wieder geschickt aus.
Da stürzte Cornelius sich auf sie und fesselte sie in Windeseile an einen knorrigen, kahlen Baum. „Ich will dein wahres Gesicht sehen!“, schrie er und zerrte an ihren Haaren, mit denen sie ihre Hörner umwickelt hatte, damit sie wie Kopfschmuck aussahen. Er riss ihr die Kleider vom Leib, sodass der Schweif, den sie unter dem weiten Rock verborgen hielt, zum Vorschein kam, er zog an ihren breiten Sportschuhen und schleuderte sie angeekelt von sich, als der Pferdefuß sichtbar wurde. Von ihrer Schönheit war nichts mehr übrig geblieben. Fassungslos starrte Cornelius in eine hassverzerrte Fratze.
Bellatrix zitterte vor Wut und Kälte. „Das wirst du bereuen!“, zischte sie. „Warte nur! Einen Speer werde ich durch dich hindurchtreiben, von unten nach oben, die Spitze wird deinen Leib, dein Gehirn und deine Schädeldecke durchbohren ...“
„Ich weiß, was sich in Aweland abspielt“, unterbrach Cornelius sie ruhig. „Alle, die sich bisher deiner Aufgabe gestellt haben, hast du dorthin entführt. Auch deinen Lockvogel, meinen Ur-Urgroßvater. Du hast ihn geröstet über dem ewigen Feuer und verspeist, wie all die anderen. Und du hast deinen Raben zu mir gesandt, weil es dich nach frischem Menschenfleisch gelüstet und du fürchtest, dieses Jahr keines kosten zu können.“
„Nevermore“, zischte Bellatrix, „du elender Verräter! Das sollst du mir büßen! Befreie mich! Auf der Stelle!“
Doch der schwarze Vogel blieb auf dem Wegweiser sitzen und beäugte sie.
„Willst du wohl tun, was ich dir sage!“
„Nevermore gehorcht dir nicht mehr. Er gehört jetzt zu mir.“ Cornelius löste ihre Fesseln, packte sie mit seinen Bärenkräften und stieß sie vor sich her zu einem Weiher. Der Rabe nahm die brennende Kerze in den Schnabel und folgte ihnen.
„Schau dich an“, befahl Cornelius und zwang sie, sich tief über die Wasseroberfläche zu beugen. „Das bist du. Und du wirst diesen Anblick nie mehr vergessen, denn deine eigene Hässlichkeit ist das Letzte, was du in deinem Leben siehst.“
Er nickte Nevermore zu. Mit einem wilden Krächzen stieß der Rabe auf die Teufelin nieder und hackte ihr die Raubtieraugen aus.

31. Okt. 2011 - Eva Markert

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