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Sarah von Sven-André Dreyer
Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Seltsam, wie sie mich manchmal ansah, so leer, so unbeteiligt. Dann wandte sie langsam ihren Kopf und schaute aus dem Fenster. Dort sah sie nichts, nichts Bestimmtes jedenfalls, so scheint mir, sie sah einfach nur hinaus. Und wenn ich nach Stunden erneut das Zimmer betrat, dann saß sie unverändert. Manchmal, glaube ich, manchmal war sie nur noch eine Hülle, entleert und stumm. Und ihr blasses Gesicht zeigte keine Reaktion. Auf nichts. Manchmal war ihre Hülle jedoch auch ein Gefäß, angefüllt mit Unverständnis und Ekel, angefüllt bis zum Überlaufen. Und in diesen Augenblicken schienen mir ihre Augen hart, gegen alle, besonders gegen mich. Undurchdringbar, getrieben von einem unbekannten Schmerz. In diesen Momenten konnte ich ihrem Blick nicht standhalten, nicht in diesen Momenten. Ich wandte mich ab, tat, als hätte ich diesen Blick nicht bemerkt, tat, als müsse ich unumstößlich etwas anderes tun und doch schlug mein Herz bis zum Hals. Ich hätte ihr doch nicht helfen können, ich nicht, wie denn auch?
Neulich waren wieder Beamte bei uns. Ich hatte Kaffee gekocht und angeboten, die Beamten lehnten jedoch ab. Nun stand er da, der Kaffee, und wurde kalt. Schade um den schönen Kaffee. Die Beamten befragten ihn und mich. Er erzählte den Beamten von ihr, erzählte von ihrer stillen Art, erzählte davon, dass sie manchmal stundenlang aus dem Fenster gesehen habe. Dabei hat er ihre sehnsuchtsvollen Augen doch nie bemerkt, die anklagend und still aus ihrem blassen Gesicht in die Welt starrten. Nur ich habe ihre Augen gesehen, nur ich habe die Blicke ihrer dunklen Augen gesehen, die sich mühsam an der Wand bis zum Fenster hervortasteten. Und wenn ich ihn dazu befragte, dann winkte er ab. So sei das nun einmal, sagte er immer, so sei es. Als die Beamten fort waren schaltete er den Fernseher ein, er wolle seine Ruhe haben, sagte er, er wolle nun seine Ruhe haben .
Ich habe heute beim Aufräumen ihres Zimmers ihr Tagebuch gefunden. Ich hielt es in zitternden Händen und setzte mich auf ihr Bett. Alles riecht nach ihr, ihre Sachen stehen unverändert und doch wirken sie farbloser, blasser, irgendwie alt. Ihre Sachen sind verblichen seit dem sie nicht mehr hier ist, ihre Kleidung ist nutzlos und hinfällig. Später bin ich zum Einkaufen gegangen und habe eine Stunde im Supermarkt mit der Überlegung zugebracht, was ich ihm kochen könnte. Dabei vergaß ich den nächsten Schritt, ich stand inmitten der Supermarktregale und wusste nicht weiter. Mein Kopf war so leer. Ich will das alles wieder wird wie früher. Auf dem Weg zum Supermarkt habe ich ihr Tagebuch ungelesen in den Container für Altpapier geworfen. Ich habe ihm nichts davon gesagt. Es ist besser so, glaube ich.
Gestern Abend waren noch einmal Beamte hier. Man habe sie gefunden, sagten sie.
Ich habe diesmal keinen Kaffee gekocht, es wäre schade darum gewesen. Die Beamten hätten ihn sowieso nicht getrunken. Er wäre nur kalt geworden, der schöne Kaffee. Als die Beamten gegangen waren schaltete er wieder den Fernseher ein, er brauche seine Ruhe, hatte er gesagt. Ich saß bis 23.30h in der Küche und habe an nichts gedacht. Die Nacht umspülte träge das Haus. Später habe ich mich dann neben ihn gelegt und bin lange nicht eingeschlafen. Er schlief auf dem Rücken und schnarchte leise, seine Bettdecke hob sich sanft mit jedem seiner Atemzüge.
Heute Morgen brachten mir Beamte ihre Uhr und Kleidung in einer durchsichtigen Plastiktüte. Ich habe ihre Kleidung gewaschen und später in ihren Schrank geräumt. Ihre Uhr habe ich auf ihren Schreibtisch gelegt, da wo sie nachts immer lag. Ich habe den Beamten nichts erzählt. Ich habe ihnen nicht erzählt wie oft ich mich schlafend stellte wenn er nachts aus ihrem Zimmer kam, verschwitzt und keuchend. Ich hätte ihr doch nicht helfen können, ich nicht, wie denn auch? Ich habe ihnen nichts davon erzählt, dass sie nachts vor Schmerz gewimmert hat.
Später hat sie nicht mehr gewimmert, später war sie ganz ruhig, nur er hat gestöhnt, erst leise, später lauter. Ich habe den Beamten nichts erzählt von diesen Nächten. Kein einziges Wort, nicht ich, ich nicht. Ich will ihn nicht auch noch verlieren.
Sonst bin ich ganz allein.
28. Nov. 2012 - Sven-André Dreyer
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