|
emperor-miniature
Die Weihnacht der Tiere von Barbara Büchner
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de "Das ist doch nur so ein Gerede, Opa! Eine Sage! Willst mir doch nicht einreden, dass so etwas wirklich passiert!"
Der alte Ebenholzer blinzelte seinen Enkel aus pfiffigen blauen Augen an. Er blickte erst links, dann rechts, um sicher zu gehen, dass sie niemand belauschte, dann flüsterte er dem 12-jährigen Peter zu: "Und wenn ichs selber gehört hab?"
"Geh, Opa! Das glaub ich dir nicht!" Peter kniff die Augen zusammen.
"Ich werd´ dich doch nicht anlügen, oder? Komm, setz dich zu mir auf die Bank, ich erzähls dir." Und nachdem sich der Junge zu ihm gesetzt hatte, begann Bernd Ebenholzer zu erzählen.
"Ich war so alt wie du, Peter, als ich die Geschichte von meinem Großvater gehört habe, und ich hab sie auch nicht geglaubt, genau wie du. Und weil ich ein neugieriger kleiner Kerl war, wollte ich es selbst herausfinden. In der Weihnachtsnacht habe ich mich im Stall versteckt."
Er deutete hinüber zu dem weiß getünchten Gebäude, das schon der Urgroßvater erbaut hatte. "Damals hatten wir zwei Pferde namens Sanna und Hias, ein paar Kühe, Ziegen und zwei Schweine, die Moindl und Rosie hießen. Das schönste Stück in unserem Stall war aber unser weißer Ziegenbock, der Schnucke genannt wurde. Wie ein Professor sah er aus mit seinem spitzen weißen Bart und den klugen gelben Augen. Mein Vater pflegte immer zu sagen: ´Der Schnucke ist so gescheit wie ein Mensch, er redet nur nicht!´Aber damals, in der Weihnachtsnacht, hörte ich ihn reden."
Peter schüttelte den Kopf und hatte schon ein neuerliches "Geh, Opa!", auf der Zunge. Aber weil er hören wollte, wie die Geschichte ausging, schluckte er die Bemerkung hinunter.
"Ich hatte", fuhr der alte Mann fort, "mich auf dem Heuboden oben versteckt und spähte durch eine Ritze im Boden hinunter. Dort lag ich ganz still, bis die Uhr Mitternacht schlug. Und mit dem letzten Schlag – du wirst es nicht glauben, Peter, aber genau so war es – fingen die Tiere an zu reden!"
"Im Ernst?"
"Ja, im Ernst. Unser weißer Schnucke stand in seiner Box auf, streckte sich hinten und vorne, und dann sagte er mit einer tiefen, ernsten Stimme, wie ein richtiger Professor: ´Ein schönes Weihnachten wünsche ich euch, liebe Freunde!´ Sein langer Bart zitterte bei jedem Wort, so feierlich sprach er. Und alle, die Pferde, die Kühe, Schweine und Ziegen, dankten ihm für seinen Weihnachtsgruß und fingen ihrerseits an zu reden! Erst schwatzten sie alle wie wild durcheinander, aber dann fing Schnucke an, ihnen einen Vortrag zu halten, und alle anderen wurden still und lauschten ihm.´Ihr wisst, liebe Freunde´, sagte unser Ziegenbock, ´dass wir Tiere den Menschen heute nicht viel wert sind. Sie interessieren sich nur für unsere Milch, unsere Eier, unseren Speck oder was immer sie von uns bekommen. Deshalb füttern und pflegen sie uns auch, aber sonst haben sie keine hohe Meinung von uns. Das war aber nicht immer so. Hört zu!
In uralter Zeit, bevor die Menschen habgierig wurden und anfingen, alle Dinge nur danach einzuschätzen, wie viel Geld sie dafür bekommen können, standen die Tiere in hohem Ansehen. Die Menschen wussten, dass wir ihnen vieles voraushaben. Einige von uns sind viel schneller als sie, zum Beispiel ihr Pferde, oder viel stärker, wie ihr Kühe, oder viel klüger – wie wir Ziegen!´
Dabei sah er sich nach allen Seiten um. Die Pferde und Kühe machten große Augen, als sie ihm zuhörten. Ich konnte richtig sehen, wie ihnen das im Kopf herumging, was Schnucke gesagt hatte. Denn natürlich hatte der alte Ziegenbock recht: Wenn ein Pferd zu galoppieren anfängt, kann keiner von uns mehr mit ihm Schritt halten, und wenn eine Kuh nur will, kann sie unsereins umwerfen wie eine Strohgarbe!
Schnucke erzählte weiter. ´Wir Tiere wurden geradezu als Götter angesehen! In einem Teil der Welt behaupteten die Alten, riesige Schlangen hätten die Welt geschaffen, während ebenso riesige Vögel den Himmel beherrschten. Andere wieder erzählten, die Erde ruhe auf dem Rücken einer ungeheuren Schildkröte.
Aber nicht nur diese mächtigen Schlangen, Schildkröten und Vögel wurden verehrt, sondern auch wir anderen Tiere. Damals, als die Menschen noch weise waren, erzählten sie untereinander, die Ahnen und Schöpfer der Menschheit seien Tiere gewesen. Manche sagten, das erste Lebewesen auf der Erde sei ein winziges Insekt gewesen, die Sonnenanbeterin, die das Menschengeschlecht schuf, oder die Menschen seien durch den Schrei eines Reihers entstanden. Andere waren der Ansicht, Vater Himmel und Mutter Erde hätten Tiere und Menschen als ihre Kinder gezeugt. Ihr seht, sie waren verschiedener Meinung, aber in einem waren sich diese weisen Alten einig: Sie wussten, dass wir Tiere nicht bloß Milchflaschen oder Schmalztöpfe auf vier Beinen sind!´
Die Tiere im Stall hörten alle wie gebannt zu. Bei diesem letzten Satz klatschten vor allem die Kühe und die Schweine lebhaften Beifall. Das heißt, sie applaudierten natürlich nicht wie Menschen, aber sie trampelten mit ihren Hufen im Stroh herum und riefen: ´Recht so! Recht so!´
´Im alten Ägypten´, fuhr Schnucke fort, ´gab es Götter ...´
´Was ist ein Ägypten?´, fiel Sanna, die braune Stute, mit ihrer tiefen warmen Stimme ein.
´Hmmm ...´ Schnucke wusste erst nicht recht, wie er das erklären sollte, aber dann sagte er: ´Wenn du immer in die Richtung läufst, in der die Sonne aufgeht, Sanna, dann würdest du nach vielen, vielen Tagen in ein Land kommen, in dem immerzu die Sonne scheint. Dieses Land nennt man Ägypten. – Nun, in diesem Ägypten gab es viele Götter, die die Gestalt von Tieren annahmen, zum Beispiel die Göttin Hathor, die als Kuh erschien – was übrigens gar nicht so selten war, denn auch in Indien und im alten Persien galten Kühe als heilige Tiere.´
Die drei gescheckten Kühe nickten mit ihren großen schweren Köpfen und murmelten: ´Das ist gut! Das ist sehr gut!´ Es hörte sich genauso an wie ihr Muhen, nur dass sie eben wie Menschen redeten!
´Und da gab es die Göttin Bastet, die die Gestalt einer Katze hatte.´
Als er das sagte, blickten alle Tiere zugleich zu dem Balken hoch, auf dem die Hauskatze, die dicke, rabenschwarze Minka, lag. Sie streckte sich bis in die Schwanzspitze durch und machte ein so feierliches Gesicht, dass man leicht glauben konnte, sie selbst sei eine ägyptische Göttin!
´Und in Memphis wurde der heilige Stier Apis als der Begleiter des Gottes Ptah verehrt. Er war ein junger, schneeweißer Stier, und bei Festen wurde er an einem goldenen Strick herumgeführt und mit Blumen bekränzt.´
Die Kühe verdrehten alle gleichzeitig die Augen und muhten entzückt, als sie sich einen wunderschönen Stier vorstellten, der noch obendrein ein halber Gott war!
Schnucke fuhr fort: ´Damals, im Goldenen Zeitalter, bestand zwischen beiden Arten von Wesen kein Unterschied. Tiere und Menschen lebten in Liebe zusammen, so eng, dass eines die Gestalt des anderen annehmen konnte. Es war nichts Besonderes, dass einer am Morgen ein Bär war und zu Mittag ein Mensch, zum Abendessen aber wieder ein Bär, oder dass sich eine von den Menschenfrauen nach Belieben in ein Jaguarweibchen oder eine Löwin verwandelte. In Schottland – das ist ein kaltes, wildes Land, in dem es immerzu regnet und Nebel über den Hügeln hängt – sang man Lieder von den Silkies, die zuweilen Robben und zu anderer Zeit Männer waren:
Ich bin ein Mann auf trocknem Land
Ich bin ein Silkie draußt im Meer
Und fern der Klippen, fern vom Strand
Aus Sulskerry, da komm ich her.´
Diese Zeilen sang unser Schnucke mit einer tiefen, melancholischen Stimme, so traurig und feierlich, dass es mir beim Zuhören über den Rücken rieselte. Ich presste mich fest an die Bretter, bis meine Nase beinahe schon in der Spalte steckte, durch die ich die Tiere unten im schwach erleuchteten Stall beobachtete.
Schnucke fuhr fort: ´Auf jeden Fall waren die Menschen überzeugt, dass jeder von ihnen auf geheimnisvolle Weise mit einem Tier verbunden war. Jeder Stamm verehrte sein Totem, sein heiliges Tier. Familien hatten ihre Stammestiere. Zauberer verbanden sich mit einem mächtigen Tier wie dem Bären, dem Wolf oder dem Jaguar, das ihnen seine Kräfte lieh und sie beschützte, wenn sie in die Welt der Geister hinübergingen.´
´Was ist ein Jaguar?´, wollte Moidl, das Schwein, wissen.
´Ein Jaguar – nun, ihr müsst euch vorstellen, unsere Minka wäre etwa zehn Mal so groß, und gelb mit braunen Flecken, und hätte ein fürchterliches Gebiss. Dann wäre sie ein Jaguar.´
Minka rollte sich auf ihrem Balken herum und riss gähnend das Mäulchen auf, dass man alle die scharfen Zähne und die rosarote Zunge sah. Eine der Ziegen bemerkte: ´Ich glaube nicht, dass mir das gefallen würde, wenn Minka ein Jaguar wäre.´
Schnucke wartete, bis das Gelächter der Tiere über diesen Witz aufgehört hatte, dann erzählte er weiter. ´Freilich gab es auch Menschen, die diese Fähigkeit zur Verwandlung nützten, um Böses anzurichten. Sie nahmen die Gestalt von Wölfen, Pumas, Bären oder Löwen an und brachen in die Gehege ihrer Nachbarn ein, rissen deren Kühe und Ziegen ...´
An dieser Stelle muhten die Kühe erschreckt, und die jungen Ziegen sprangen mit gesenkten Hörnern herum, als wollten sie jeden Wolf oder Bären der sie bedrohte, aufspießen. Es dauerte ein Weilchen, bis wieder Ruhe einkehrte und Schnucke weitersprechen konnte.
´Es scheint, dass diese bösen Wesen mit der Zeit immer mehr wurden, denn bald kamen alle, die die Gestalt von Tieren annehmen konnten, in schlechten Ruf. Vielleicht ist das der Grund, warum Menschen und Tiere einander immer weniger verstanden und die Menschen zuletzt so hartherzig wurden, wie sie es heute sind. Es hätte ...´
Aber gerade da schlug die alte Uhr an der Stirnwand des Stalles einmal, und Schnuckes Rede ging abrupt in ein durchdringendes ´Mähähääää´ über."
Peter blickte den Großvater mit runden Augen an. "Und was der alte Ziegenbock den anderen Tieren erzählt hat, das stimmt?"
"Ja", bestätigte der alte Mann. "Das stimmt alles, auch wenn ich dir nicht sagen kann, wieso unser Schnucke so gelehrt war. Es gab eine glückliche Zeit, in der Menschen und Tiere einander liebten und ehrten ... und wer weiß, vielleicht kommt diese goldene Zeit einmal wieder? Denn an den Tieren lag es ja sicher nicht, dass die Welt so böse wurde, wie sie heute ist. Daran sind allein die Menschen schuld, weil sie vergessen haben, dass die Welt nicht ihnen allein gehört."
23. Dez. 2012 - Barbara Büchner
[Zurück zur Übersicht]
|
|