Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Übersicht
Neu hinzugefügt
Autoren
Genres Magazine Verlage Specials Rezensionen Interviews Kolumnen Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Kurzgeschichten > Sven-André Dreyer > Belletristik > Regenfreitag

Regenfreitag
von Sven-André Dreyer

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Der Regen nahm zu, von Stunde zu Stunde, und schwemmte tröpfelnd dosierte Melancholie in die Straßen. Kleine Regenbäche flossen entlang der Bürgersteige zwischen parkenden Autos und nassen Bordsteinen. Die graue Innenstadt entließ ihre Arbeiter mit aufgestelltem Mantelkragen und baumwollenen Schals zögernd aus modernen Bürogebäuden in den Feierabend, an diesem regnerischen Freitagnachmittag. Fest umklammernd hielten sich Büroangestellte an ihren schwarzen Aktenkoffern fest, die mehr Ausstrahlung besaßen als ihre Träger jemals besitzen werden. Der Wind trieb leblose braune Blätter vor sich über den glänzenden Asphalt und zerrte an meinen klammen Hosenbeinen. Mir war kalt. Wartend stand ich an der Haltestelle meiner Straßenbahn und sehnte mir die Trockenheit meiner Wohnung herbei. Die stromführenden Oberleitungen der Straßenbahn schnitten den kalten Herbstwind entzwei, heulend strich er um die schwarzen Leitungen. Die reflektierenden Scheinwerfer der Autos blendeten, mühsam kämpfte ein nassgewordener Radfahrer mit seinem persönlichen Gegenwind. Trüb blickten die Menschen an der Haltestelle einem noch trüberen Wochenende entgegen und wünschten sich näher in Richtung des kommenden Montagmorgen, an dem sie die Wochenendträgheit ihres zu Hause erneut gegen die Wochenträgheit ihrer Büros tauschen können. Kreischend bog langsam die Straßenbahn um die Ecke, fahl blickte der Scheinwerfer voraus in den regennassen Abend. Als sich die Türen der Bahn öffneten entwich feucht-warme Luft, sauerstoffarm und rätselhaft in den frühen Abend. Ich betrat die Straßenbahn und nahm einen Stehplatz ein, ganz hinten im Wagen, dort wo sich das Regenwasser der nassen Kleidung und der tropfenden Regenschirme der Passagiere bei jedem Anfahren der Bahn sammelte. Die Scheiben waren beschlagen, hier und da konnte man den Abdruck eines Kopfes oder einer durch Müdigkeit angelegten Wange an den Scheiben erkennen.
Hilfe hatte jemand in Spiegelschrift mit dem Finger auf die feuchte Heckscheibe der Straßenbahn geschrieben. Vielleicht schmunzelten darüber einige hinter der Bahn fahrende Autofahrer wenn sie es lasen. Vielleicht schmunzelten sie auch nicht und dachten nur dasselbe. Hilfe.

Ruckend fuhr die Straßenbahn an, einige Fahrgäste verloren kurzzeitig ihr Gleichgewicht und damit die übrig gebliebene Laune ihres Tages. Sie traten von einem Fuß auf den anderen, ihre nassen Schuhsohlen quietschten auf dem schwarzen Kunststoffbodenbelag der alten Straßenbahn. Mühsam und altersschwach kämpften die Heizkörper der Bahn gegen die Kälte und bemühten sich um eine angenehme Temperatur im Inneren. Die Klänge der Lüfter wurden nur unterbrochen von nervösem Hupen auf der Hauptstraße und dem unsicheren und verhaltenen Husten eines Fahrgastes.

An der nächsten Haltestelle hielt die Bahn abrupt. Menschen begannen damit den Fahrer für seine Fahrweise zu verfluchen. Ihre Gesichter zeigten deutlich die Anspannung, die Unruhe und die Müdigkeit ihres Tages.
In dem Vierersitzblock vor mir unterhielten sich zwei junge Mädchen über die neue Platte des aktuellen Popstars. Ihre Augen strahlten, als sie an ihn dachten, die Musik wurde nebensächlich.
Gut gelaunt betrat nun ein alter Mann die Straßenbahn, hatte Mühe die zwei Stufen in das Bahninnere zu erklimmen, stützte sich schwer auf seinen Stock, atmete angestrengt, und blickte sogleich wieder freundlich in der Bahn umher. Zunächst stand er unentschlossen im Gang, seine freundlichen Augen suchten, beobachteten, dann ging er erneut drei Schritte und blieb nun vor dem Vierersitzblock, in dem die Mädchen saßen, stehen. Ächzend fuhr die Bahn erneut an, kerzengerade stand der alte Mann und hielt sich fest an einer Rückenlehne der Sitzgruppe. Sein dunkler Stock stieß gegen den Fuß eines der Mädchen. Augenblicklich entschuldigte er sich freundlich lächelnd. Pubertär begannen die Mädchen nun zu kichern.
Die gelangweilt Umhersitzenden starrten desinteressiert aus den beschlagenen Fenstern in die verschwimmende graue Stadt. Man wischte sich ein Sichtfenster mit feuchtem Winterjackenärmel frei. Neonlicht schimmerte in den Pfützen der Bürgersteige. Gleichgültig lief der Regen in langen Bahnen an den Scheiben hinab, auf der Straße bellte ein Hund.

Grinsend fasste sich nun eines der Mädchen ein Herz und sprach den alten Mann an. „Möchten Sie sitzen?“, fragte es.
Die blauen Augen des Alten fixierten das Mädchen funkelnd. „Nein danke“, sagte er freundlich. „Ich habe zehn Jahre gesessen, weil ich gestanden habe.“

30. Jul. 2013 - Sven-André Dreyer

[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

Heutige Updates

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info