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Revenge for the witches
von Barbara Büchner

Crossvalley Smith Crossvalley Smith
© http://www.crossvalley-design.de
„Fiat!“
An seinem kostbaren Barockschreibtisch sitzend lehnte sich Papst Augustin I. behaglich zurück und legte die Feder beiseite, mit der er seine schwungvolle Unterschrift unter das Dokument „Membrum hominis“ gesetzt hatte. Das männliche Glied allein bewirkt es, dass jemand tauglich oder nicht tauglich sei zum Dienst in der Kirche. „Das sollte ihnen endgültig das Maul stopfen.“
Der Blick aus seinen hellblauen, trotz seiner zweiundneunzig Jahre noch sehr scharfen und wachsamen Augen glitt über die in Schwarz und Purpur gekleideten Männer, die in respektvollem Abstand auf der Sitzgarnitur in seinem Allerheiligsten saßen. Es waren drei sorgäfltig ausgewählte Kardinäle (sie repräsentierten das Opus Dei, die Legionre Christi und einen außerhalb der Papstgemächer selbst im Vatikan unbekannten Geheimbund) und sein persönlicher Geheimsekretär, der elegante, katzengleiche Monsignore Battista, der bei einer Kündigung im Vatikan jederzeit einen Job als Calvin-Klein-Model bekommen hätte. In diesem illustren Kreis wagte es der Heilige Vater, sich einer Sprache zu bedienen, die er in öffentlichen Ansprachen unter Bergen verbaler Blumengebinde zu verbergen pflegte. Schließlich musste man einander nichts vormachen. Sie waren Waffenbrüder, die einen hart erkämpften Sieg feiern durften.
Die schwere Aufgabe war geschafft; was Johannes Paul II. begonnen und Benedikt XVI. im Stillen fortgesetzt hatte wurde unter Augustin I. in Erz gegossen. Auf den Fundamenten seiner Vorgänger hatte er die steinernen Mauern und ehernen Tore errichtet, die die gewissen Personen (er nahm das F-Wort nach Möglichkeit nicht in den Mund) in alle Ewigkeit aus der Kirche draußen halten würden. Mochten sie Altardecken sticken und ihr Geld (woher hatten sie übrigens eigenes Geld?) der Kirche hinterlassen, mochten sie den Boden der Pfarrheime schrubben und für die Kinder Kuchen backen! Aber niemals, niemals wieder würden sie ihre von Menstruationsblut und Geschlechtslust unreinen Hände nach dem Altar ausstrecken. Sie würden ihm nicht einmal mehr in die Nähe kommen. In sorgfältig formulierten Klauseln, die kein Jurist der Zukunft würde umstoßen können, hatte Augustin I. festgelegt, dass es nach Gottes Willen niemals wieder weibliche Ministranten, Diakone, Seelsorgerinnen, Religionslehrerinnen oder Kommunionhelferinnen geben würde. Von nun an durch das kanonische Recht auch juristisch versteift, reckte sich das membrum hominis hart und abweisend vor ihnen auf, eine unbersteigbare Barriere zwischen dem geistlichen Dienst und der weiheunfähigen Materie. Das Wort hatte einer seiner Vorgänger geprägt; Augustin wünschte, es wäre ihm selbst eingefallen. Leider konnte man „WM“ nur im vatikaninternen Sprachgebrauch benutzen; draußen gingen sie ja gleich auf die Barrikaden, wenn man einmal Klartext mit ihnen redete. Es ärgerte ihn, dass er salbungsvoll lächeln und schöne Worte gebrauchen musste, wenn sich das Ungeziefer sabbernd vor frommer Ergriffenheit an ihn herandrängte, aber ganz vergraulen durfte er sie nicht – wer hätte sonst all die mühselige, unbezahlte Arbeit in den Dizesen gemacht?
Der Opus Dei-Kardinal wollte Champagner kommen lassen, aber Monsignore Battista erinnerte den Papst, in dessen runzliges Ohr tuschelnd, dass es Zeit für die allgemeine Audienz war. Man verschob die Feier also auf den Abend, und der Papst machte sich auf in sein Umkleidezimmer.
Wenig später trat er, in eine bescheidene weiße Soutane aus feinstem Damast gehüllt, die roten Prada-Schühlein an den Füßen, in den Audienzraum und beugte seine rheumatischen Schultern unter dem Kreuz, alle möglichen undefinierbaren Leute anzulächeln und mit zitternder Hand segnende Bewegungen zu machen. Bei allgemeinen Audienzen konnte er sich ein wenig gehenlassen. Da brauchte es keine Diplomatie, keine persönlichen Schmeicheleien für die feisten Matronen (oder auch niedlichen Puppen) an der Seite mächtiger Männer, und schon gar nicht – was er am Meisten verabscheute – das Getue um irgendein hässliches Mannweib, das sich in der Welt des Fleisches einen Thron erkämpft hatte. Es genügte, wenn er vage mit einer Hand herumfuchtelte, nickte und lächelte, lächelte und nickte und so tat, als höre er angespannt zu, wenn man ihm die immer gleichen Floskeln der Bewunderung und Ergebenheit entgegenschnatterte. Vor sich selbst rechtfertigte er diese Gleichgültigkeit damit, dass der Papalismus zwar große Vorteile für die Kirche hatte, es aber unanständig gewesen wäre, persönlichen Lustgewinn daraus zu ziehen. Salbungsvoll vor sich hin murmelnd tappte er, auf seinen Hirtenstab gestützt, durch die Schar, so unbekümmert um die Einzelnen wie ein Mann, der durch eine Sommerwiese schreitet.
Plötzlich jedoch hielt er fast erschrocken inne. Eben hatte er eine Delegation von irischen Glubigen begrüßt, da sah er es: Mitten unter den unschuldigen Blüten wuchs ein giftiger Pilz. Dieser trug einen schwarzen Hut, so groß wie ein Wagenrad, und darunter verbarg ein ebenfalls schwarzer Schleier die Hälfte eines Nussknackergesichts – leider nur die untere Hälfte, sodass sich der Blick aus stechenden grünen Augen am Gesicht des Papstes festsaugen konnte. Wie zwei Irrlichter, brannten sie in tiefen Höhlen. Das Haar, von dem nur eine lange Locke unter Hut und Schleier wie eine Natter aus ihrem Versteck hervorkroch, musste ehemals brandrot gewesen sein und war jetzt stark mit Grau durchzogen. Der Rest der Person war klein, schwächlich, krumm und in tiefes Schwarz gehüllt. Sie stützte sich auf einen Stock, dessen Krücke zu einem Schlangenkopf geformt war. Und bildete sich Augustin das ein, oder bewegte sich die Silberschlange bösartig zischend zwischen den Knochenfingern der Alten?
„Apage, Satanas!“, wisperte er vor sich hin. Die schwarz verhüllte Greisin musste es gehört haben, denn sie zog die Oberlippe an einer Seite hoch und ließ einen gelben, hundeartig gekrümmten Zahn sehen. Doch blieb ihre Haltung, als sie jetzt auf ihn zutappte, weiterhin servil, ja sie machte den Versuch, ihre arthritischen Knie zu beugen, was ein hörbares Knacken hervorrief. Sie brabbelte etwas Unverständliches in dem gaumigen, raunzenden Dialekt der Insel. Ihr Atem wehte ihn an, süßlich faul wie verwesendes Fleisch, und aus ihren Kleidern wehte ihm der Gestank brennender Lumpen und Haare entgegen – ja einen Augenblick meinte er zu sehen, wie Rauch aus den Falten dieser Kleider aufstieg! Und dann vernahm er deutlich die drohend gezischten Worte: „Revenge for the witches!“
Er musste einen Schrei unterdrücken. Doch fiel seine Erregung nicht auf, denn schon wurde die irische Delegation und mit ihr die grässliche Alte von der ungeduldigen Menge weitergeschoben, ein Schwarm spanischer Matronen folgte ihr, begleitet von ihren Geistlichen ... und als sich Augustin gefasst hatte, war sie nirgends mehr zu sehen. Dennoch war er zutiefst erleichtert, als Battista ihm mit einer Kopfbewegung signalisierte, dass die Audienz beendet war und er sich zurückziehen konnte. Von dem Champagner, den der Opus Dei-Kardinal vorsorglich hatte kaltstellen lassen, trank Papst Augustin an diesem Abend eine ungebührliche Menge.
Möglicherweise lag es an dem Zusammentreffen von ein paar Gläsern Champagner und der abscheulichen irischen Greisin, dass ihn so hässliche Trume plagten – Trume, in denen weibliche Buhlteufel auf sein Bett sprangen, auf die bestickte Brokatdecke pinkelten und zischende Flüche ausstießen. Sie alle hatten die Gestalt der Sheela na gig angenommen, jenes obszönen Dämons, den die Iren vor Zeiten in finsterem Aberglauben an so vielen ihrer Kirchen hatten anbringen lassen, wohl damit sie die übrigen Dämonen abschreckte, denn nie hatte er etwas so Widerliches gesehen wie dieses hockende Weib, das höhnisch seine riesige Vulva präsentierte. Schweißbedeckt erwachte er aus dem Traum, eben als sich eine der Teufelinnen auf sein Gesicht setzen wollte.
Wie alle Menschen, die aus einem Albtraum erwachen, setzte er sich nach Atem ringend auf, knipste das Licht an und griff nach dem Glas Wasser, das sein Kammerdiener wie jeden Abend bereitgestellt hatte. Nur langsam wich der Schrecken des Traumes von ihm. Augustin war so alt, und die sheela na gigs waren so abgrundhässlich gewesen, dass man ihn kaum als einen erotischen Traum bezeichnen konnte. Dennoch juckte es den Greis zwischen den schlaffen Schenkeln, und er streckte die Hand aus, um sich das Gehänge zu kratzen.
Das Entsetzen durchfuhr ihn wie eine elektrische Flamme.
Da war nichts.
Besser gesagt, da war schon etwas, aber nicht der vertraute, verschrumpelte Schniedel mit dem dazugehörigen Säckchen, sondern ein – ein schreckliches Loch, ein Abgrund, an dessen Rand ein paar vereinzelte Härchen wuchsen! Fassungslos vor Schrecken überprüfte der Greis, jetzt mit beiden Händen, ob er sich getäuscht hatte. Aber nein, alle zehn Finger ertasteten dasselbe. Zwischen pergamentenen Hautläppchen gähnte ein Schlund, so riesengroß, dass Augustin fürchtete, bei jeder Bewegung könnten seine Innereien daraus hervorfallen.
„Ich träume noch! Ich träume!“, flüsterte er vor sich hin. Er musste aufwachen, um jeden Preis aufwachen, ehe ihn der Schrecken des Traumes erwürgte. In seinem Alter war das Risiko eines Schlaganfalls ohnehin sein ständiger Begleiter. Er hätte dem Kammerdiener klingeln können, ließ es aber dann doch bleiben. Mit zitternder Hand tastete er nach seinem Schlafrock, schob die Beine aus dem Bett und stand auf, ohne einen Blick auf das Ungeheuerliche zu tun, das sich unter seinem Nachthemd ereignet hatte.
Beim Aufstehen zog ein ungewohntes Gewicht seinen Rücken nach vorne. Etwas Weiches bewegte sich. Den Atem anhaltend, stockte er in der Bewegung und wartete, ob sich etwas veränderte, aber nichts geschah. Vorsichtig senkte er den Blick. Unter dem kostbaren Nachthemd zeichnete sich etwas Schwammiges wie ein riesiger Tumor ab, der plötzlich seiner Brust entsprosst war. Ein doppelter Tumor, denn als er sich wieder bewegte, wabbelte die eine Hälfte nach links, die andere nach rechts.
Er fiel aufs Bett zurück. Keine Rede konnte mehr davon sein, dem Kammerdiener zu klingeln. Augustin griff nach seinem Handy und sandte eine SMS an Battista, dessen Rume in der Nähe der päpstlichen Gemächer lagen. So schrecklich verhext, wie er war – denn jetzt konnte er nicht mehr an einen Traum glauben – brauchte er einen absolut Vertrauenswürdigen um sich. Battista war es gewohnt, auf das sanfte Doppelklicken hin zu erwachen, mit dem sein Handy eine eingehende SMS anzeigte.
Der Geheimsekretär war allerdings so schnell zur Stelle, dass er gar nicht geschlafen haben konnte. Er stürzte im Schlafrock herein, deutete nur einen sehr flüchtigen Kniefall an und brauchte nicht zu fragen, was geschehen war. Seine drallen Rundungen zeichneten sich deutlich unter dem Pyjama ab, und seine vor der Brust gekreuzten Arme versuchten vergeblich, den üppigen Vorbau zurckzudrängen, der dem Haus seines Leibes so unvermutet hinzugefügt worden war.
Je weniger man darüber sagt, desto besser! Die vertrauten Kardinäle wurden dringend herbeigerufen. Es kamen drei verstörte alte Weiber. Das ungewohnte nächtliche Zusammentreffen weckte die Diener, die heulend Lärm schlugen, als sie sich in Zofen verwandelt sahen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Entsetzen durch den gesamten Vatikan, denn keiner war von der Rache der Hexen verschont geblieben, alle waren sie verwandelt, bis hinunter zu den Schweizergardisten und den Seminaristen. Unter den zuletzt Genannten gab es einige, die in ihrer jugendlichen Torheit das Schreckliche der Verwünschung nicht erkannten und sich vor Vergnügen quietschend vor dem Spiegel hin und her drehten. Sie wurden umgehend verstoßen.
Natürlich wurde nie etwas davon in der Öffentlichkeit bekannt. Jeder schwieg eisern, schon in seinem eigenen Interesse. Die päpstliche Hofschneiderin erhielt einige diskrete Anweisungen, die die Schnitte der geistlichen Roben betrafen, und im Übrigen verließ man sich darauf, dass es dem Machtzentrum der Kirche in seiner langen Praxis des Schweigens gelungen war, noch ganz andere Dinge zu vertuschen als die Rache der Hexen. Die Enzyklika Membrum hominis allerdings wurde stillschweigend zurückgezogen.

13. Aug. 2013 - Barbara Büchner

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