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Das Geheimnis
von Barbara Büchner

Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:

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A. Bionda
98 Beiträge / 29 Interviews / 31 Kurzgeschichten / 5 Artikel / 66 Galerie-Bilder vorhanden
Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Die Leute im Dorf unten fragen sich, wie eine Frau es ertragen kann, in diesem einsamen Schloss auf den Klippen zu wohnen ... und mehr noch, eine junge, schöne Frau wie ich. Sie nehmen an, dass ich für meinen Dienst fürstlich bezahlt werde, und da haben sie recht. Der Lord und die Lady sind überaus großzügig, denn sie bezahlen mich doppelt: Für meine Arbeit und für mein Schweigen.
Das Schloss ist geräumig und prächtig, aber zugleich altertümlich und düster. Wasserspeier glotzen von seinen Simsen, und auf seinen Türmen drehen sich kreischen-de Wetterfahnen in Gestalt von heulenden Wölfen und springen-den Katzen. Der Lord und die Lady wohnen nicht hier. Niemand wohnt hier. Nur ein altes finsteres Ehepaar, das die grobe Arbeit macht, ich selbst und ... nun, das Geheimnis.
Vor Jahren war es das Geheimnis des Lord und der Lady, aber inzwischen ist es längst meines gewor-den. Ich behüte es, ich umhege es, ich liebkose es, ich teile seine Freuden und Schmerzen ... und seine Vergnügungen. Wir machen nicht viele Worte, weil es nicht viele Worte kennt, und seine Stimme ist so rau und wüst wie sein Äußeres. Es mag keine Spiegel und keine Wasserflächen. Die Spiegel zerschlägt es, und ins Wasser wirft es Steine, die seine Oberfläche aufwühlen. Der einzige Spiegel, den es erträgt, sind meine Augen.
Das Haus ist riesig. Seine Gänge sind weitver-zweigt und gewunden, und das Licht des Kerzenleuchters erhellt immer nur einen kleinen Teil ... ein paar Schritte vor mir, ein paar Schritte hinter mir. Es gibt Zimmerfluch-ten im Schloss, in denen ich noch nie gewesen bin. Mein gewöhnlicher Weg führt von der Küche durch die Halle in das Erkerzimmer, in dem sich das Geheimnis aufhält. Inzwi-schen hat es gelernt, sich vor dem Licht nicht zu fürchten, und ich kann den Raum mit dem Leuchter in der Hand betreten. Früher hatte es Angst vor allem Feuer und Licht und stieß heisere Schreie aus, wenn ich ihm damit nahekam, aber in den letzten zwei Jahren ist es zugleich sanfter und mutiger geworden.
»Guten Abend, mein Liebster«, sage ich, stelle den Leuchter auf den Tisch und den Korb daneben, der bis obenhin mit Abendbrot gefüllt ist. Schinken und Käse, Wein und Essiggemüse, Brot und Kuchen. Die Keller und Vorrats-kammern des Schlosses sind auf Jahre hinaus gefüllt, und die alten Leute kochen gut. Sie haben Angst vor dem Geheimnis, deshalb kommen sie nie aus den untersten Räumen des Schlosses heraus, der Küche und den Kellern, in denen sie sich mit den Weinflaschen vergnügen, während wir beide anderweitig beschäftigt sind.
Das Geheimnis hat einen Namen, aber niemand erinnert sich daran. Lord und Lady nennen es unter Tränen »unser armes Kind«, die alten Leute nennen es »Mylord«, wenn ich da bin, und »dieses Dingsda«, wenn sie meinen, dass ich nicht da bin. Aber ich erfinde ihm jeden Tag einen neuen Namen, manchmal einen türkischen oder arabischen, manch-mal sogar einen Wolfs- oder Katzennamen, wie es ihm gerade gefällt. Es mag miauende Namen, wie Awaurono oder Molau-onau, oder heulende Namen, wie Youhu-nuunuu oder Awouna oder Ho-nei-naa.
Außerdem mag es Dinge, die rascheln und wispern – Vorhänge, die sich im Gewitterwind in den Fenstern blähen, und Frauenkleider, die um Beine streifen. Wenn ich auf meinem Bett sitze, sucht es das Rascheln in meinem Kleid. Es lauscht und riecht an den Säumen, schüttelt den Stoff, folgt mit funkelnden Augen dem Leuchten und Verblassen der Farben. Manchmal wird es zornig, wenn es das Rascheln nicht finden kann, und wirft alle Falten durcheinander, bis es mir das Kleid über den Kopf geworfen hat. Aber dann findet es neue Dinge darunter. Dinge, die noch besser riechen und sich noch weicher anfühlen als die zarteste Seide.
Davon wissen der Lord und die Lady nichts, und wie sollten sie auch? Sie senden einmal im Jahr einen Boten, der mein Geld bringt, und ich sende ihn mit einem Brief zurück, in dem ich schreibe: Es lebt noch, und es geht ihm gut.
Ich schreibe niemals: Gestern haben wir uns so wild und heftig geliebt, dass seine Krallen wie Messer-spitzen in meine Haut fuhren. Ich schreibe nie: Es ist weicher als ein Kätz-chen im Bett, und doch kann es so grausam beißen, dass meine Haut zerspringt. Das alles geht nur uns beide etwas an. Lord und Lady weinen, dass sie ein Scheusal zur Welt gebracht haben, und es wäre ihnen lieber, es würde eher heute als morgen sterben.
Ich möchte das nicht. Ich hege es sorgsam. Ich bade es in warmem Wasser, ich trockne es nach dem Bad ab und setze es ans Feuer, damit es nicht friert. Ich kämme und bürste sein honigfarbenes Haar, damit es nicht verfilzt, und ich drücke es nachts an mich, damit es nicht traurig wird.

12. Aug. 2013 - Barbara Büchner

Bereits veröffentlicht in:

DARK LADIES I
A. Bionda (Hrsg.)
Anthologie - Mystery-Stories - Fabylon - Mar. 2009

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