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Blutrosen
von Regina Pönnighaus

Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:

AGENTUR ASHERA Zur Gallery
A. Bionda
46 Beiträge / 49 Interviews / 102 Kurzgeschichten / 2 Artikel / 136 Galerie-Bilder vorhanden
Der strahlende Schein bunter Lichter blendete sie, fröhliche Musik drang aus dem Zelt. Die Zirkuskapelle verstummte. Ein Trommelwirbel wurde laut, ein letzter Schlag zum Höhepunkt, dann tosender Beifall. Als sie durch die Planen in das gleißende Licht trat, sah sie eine bezaubernde, junge Artistin in der Manege stehen. Sie verbeugte sich inmitten eines Rosenregens, der auf sie nieder fiel. Die Musik erklang erneut. Samantha erschrak, denn um sie herum aus dem Nichts tauchten weiße Clowns auf, und begannen mit Keulen zu jonglieren. Mädchen in Tüllröcken umkreisten sie auf Einrädern, und ein dicker, schwitzender Dompteur führte einen Tiger dicht an ihr vorbei. Ängstlich sprang sie zur Seite. Das Tier fauchte, und der dickbäuchige Mann im blau geringelten Anzug lachte ihr feist ins Gesicht. Die Umrisse verschwammen, die Musik klang mit einem Mal wie von ganz weit her. Das Publikum saß im Nebel. Sie schritt zwischen den Zuschauertribünen hindurch, paralysiert auf die Manege zu. Stolz und wunderschön, den Arm voller Rosen, so rot wie ihr Haar, deutete die Seiltänzerin ihr an näher zu kommen. Ob sie nicht merkte, dass sie blutete? Die Dornen der eingesammelten Rosen schienen ihr den Arm aufgerissen zu haben, denn kleine blutige Rinnsale fanden ihren Weg über den Ellenbogen, die Hüfte und den rechten Oberschenkel. Die Einstreu unter ihr war rot gesprenkelt, stellte Samantha fest, als sie die Piste erreichte.
Die Frau in dem eng anliegenden, mit glänzenden Nieten verzierten, schwarzen Bustier, Miederhose und Netzstrümpfen lächelte, und hielt ihr eine der Rosen entgegen. In Trance blickte Samantha in die pechschwarzen Augen, die von dichten langen Wimpern gesäumt, tiefe Traurigkeit aussandten, und nahm die edlen Blumen an sich. Ein brausender Sturm kam auf, aberwitziges Gelächter stob los, schien von allen Seiten zu kommen, und riss um sie herum alles fort.

***

Stille. Dunkelheit. Nacht. Sie drehte sich in ihrem Bett um, griff nach dem Lichtschalter und machte die Lampe an. Die Decke zur Seite geworfen lüftete sie ihr Nachthemd. Völlig verschwitzt war sie! Was für ein Traum!
Geschockt hielt sie inne. Rote Flecken! Ihr Nachtkleid war übersät damit! Als sie sich aufsetzte konnte sie es kaum glauben! Auf den weißen Linnen neben ihr lag eine einzelne dunkelrote Rose. Wie kam die hierher? Wohl kaum aus ihrem Traum! So einen Quatsch gab es nicht. Aber wer sollte sie dort abgelegt haben, mitten in der Nacht? Die Tür war verriegelt. Sie schloss vor dem Schlafengehen immer ab.
Nachdem sie das mysteriöse Objekt in die Vase gestellt hatte zog sie sich um. Das Blut kam nicht von ihr. Ihr Körper wies keine Verletzungen auf.
Samantha legte sich wieder hin und schlief unruhig ein.

***

Ein betörender, süßer Duft weckte sie des Morgens. Verwundert stand sie auf. Die Rose hatte ihre Blüte weit geöffnet, verbreitete diesen intensiven Geruch. Wunderbar!
Es rüttelte an ihrer Zimmertür und Berta ließ sie durch heftiges Klopfen merken, dass es eilig war.
„Ja, warte! Ich höre dich. Was ist los? Ich komme schon!“ Nachdem sie aufgeschlossen hatte stürzte der pummelige, kunterbunt gekleidete, blonde Lockenkopf wild gestikulierend auf sie zu. Samantha liebe ihre jüngere Schwester über alles, und ließ trotz ihres merkwürdigen Auftretens nichts auf sie kommen. Berta war immer besonders gewesen. Schon von klein auf hatte Samantha das Bedürfnis gehabt, sie beschützen zu müssen. Im Grunde genommen war sie völlig normal, nur hatte sie einen ausgeprägten Sinn für bunte Farben und ihre Stimmbänder funktionierten nicht. So nutzte sie die Gebärdensprache. Als ihr Vater verstarb nahm Samantha sie zu sich. Für eine geringe Miete bewohnten sie zusammen die drei Zimmer im zweiten Stock des baufälligen Mehrfamilienhauses am Berliner Stadtrand. Der Vorgarten war verwildert. Die Wegplatten kaum zu sehen, und fast romantisch wucherten Vergissmeinnicht und Wicken durch die Gräser. Die beiden Schwestern hatten nicht das Verlangen daran etwas zu ändern, womöglich zöge dann noch jemand in die anderen Wohnungen ein, und darauf wollten sie gerne verzichten!
„Ja, Berta, ich weiß! Die Ausstellung fängt in einer Stunde an. Das schaffe ich schon“, erwiderte Samantha und strich zärtlich über die dicken Locken ihrer Schwester.
Heute war Eröffnung. Die dritte Ausstellung ihres Schaffens! Sie hatte sich, entgegen aller Prophezeiungen, unter Künstlern und Kunstliebhabern einen Namen gemacht. Ihre Hoffnung spendenden Arbeiten in hellen Farben auf Leinwand hingen in vielen öffentlichen Einrichtungen, verkauften sich gut.
Voll Entzücken steckte sie die Stupsnase in die dunkelrote Blüte, und sog den intensiven Duft ein. Berta fragte wo sie diese Rose herhabe, denn sie sei unglaublich!
Die junge Frau half in Tommys Gärtnerei um die Ecke, und das mit Leib und Seele.
„Gefunden! Ich habe sie gestern auf einem Spaziergang gefunden“, antwortete Sam. Sie konnte wohl kaum erzählen, dass sie sie im Schlaf geschenkt bekommen hatte! „Ich werde mich jetzt anziehen, dann können wir los.“ Liebevoll lächelte sie Berta an und schob sie aus dem Zimmer. Unwillkürlich verriegelte sie die Tür und ein sonderbares Gefühl überkam sie. Benebelt ging sie zu ihrer Staffelei. Sie konnte mit einem Mal das große Werk mit den gelben und hellgrünen Acrylfarben nicht mehr ertragen. Übelkeit stieg in ihr hoch, und wutentbrannt pfefferte sie das Gemälde auf den Boden.
Eine neue Leinwand, und andere Farben mussten her!
In ihrem Kopf pulsierte es: Nein! Ich muss mich doch anziehen! Die Ausstellung! Dann, wie eine andere Stimme: Prioritäten! Wir sollten Prioritäten setzen!
Wie irr griff sie nach Pinsel – und Schwarz, Grau und Rot. Sie begann zu summen, eine Melodie aus einem Traum, und zum Erschaffen.
Ein lautes Rütteln an der Tür weckte sie aus der Besessenheit. „Nein!“, fast schreiend drang es aus ihrer Kehle. „Nein! Berta, ich werde nicht kommen! Ich kann nicht! Verschwinde! Lass mich in Ruhe, du kleine nervende Kröte! Sage allen sie sollen gehen! Die Ausstellung wird es nicht geben! Es gibt bald Besseres! Gib Eva Bescheid! Ha, ha, ha!“

***

Garstig klangen die Worte aus dem Raum. Berta traute ihren Ohren nicht. Noch nie hatte sie Sam so erlebt! Noch nie war sie in dem Maße verletzt worden. Sie weinte. Die Worte trafen in ihr Herz, und sie rannte schluchzend davon.

Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, erledigte sie den Auftrag. Sie schrieb Sams Agentin Eva die Worte auf ein Stück Papier und brachte sie zur Galerie in die Stadt. Dort warteten bereits alle auf die Künstlerin, und der Sekt stand in den Gläsern bereit.

Eva war wenig amüsiert über die Nachricht, und versuchte mehrmals mit hochrotem Kopf Samantha Rosa über das Handy zu erreichen – ohne Erfolg.
Sie eröffnete die Ausstellung schließlich in Abwesenheit, begründet mit plötzlicher Erkrankung der Künstlerin. Das sollte Folgen haben!

***

Berta war nicht nach Hause gegangen, sondern in die Gärtnerei. Traurigkeit lag den ganzen Tag auf ihrem Gemüt. Wie konnte ihre Schwester sie so verletzen? Ihr war, als sei es eine andere Person gewesen!

***

Dunkelheit der nahenden Nacht drang durch das große Fenster ihres Zimmers. Sie hatte kein Licht an, und saß zusammengekauert unterhalb der großen Staffelei, blickte zu ihrem Tagwerk hoch. Was hatte sie da gezeichnet? Das war doch nicht ihr Werk? Drohend und düster starrten die Formen auf der Leinwand sie an. Skurrile Gestalten in, für sie untypischen Farben. Bösartig, dachte sie. Als sie vorsichtig aufstand traute sie ihren Augen kaum, denn es lagen noch weitere Werke auf dem Boden verteilt um sie herum. Ihre Knochen schmerzten bei jeder Bewegung. Ihr Kopf dröhnte. Geschockt blickte sie an sich hinunter. Nicht einmal angezogen hatte sie sich! Das Nachthemd war schwarzrot verschmiert, und selbst im Gesicht hatte sie Farbe. Der ganze Tag war vergangen, und sie konnte sich an rein gar nichts erinnern!
Schnell machte sie sich frisch, schmierte sich in der Küche eine Stulle und huschte leise zurück in ihr Zimmer. Ihre Schwester schien schon zu schlafen.
Auf dem Tisch stand die Rose. Sie duftete nicht mehr, hatte den Kopf gesenkt, und die Blütenblätter waren schwarz geworden.
Die ist aber schnell verblüht!, dachte Samantha, aß das Brot und legte sich ins Bett. Bevor sie einschlief war ihr, als hätte die Rose gewimmert.

***

Das Zirkuszelt! Wieder Musik und buntes Treiben. Sie fühlte sich sonderbarerweise „zu Hause“. Dieselben Szenen wie in der vergangenen Nacht. Das Publikum jubelte laut, klatschte und es regnete Rosen. Nebel, lähmende Stille und sie – Priska Fortuna. Wunderschön, den Arm mit Rosen gefüllt – und blutig. Sie lockte Samantha zu sich, strich ihr mit der Hand über die Wange und flüsterte: „Du gefällst mir.“ Sie reichte ihr zwei Rosen bevor alles in gewaltigem Sturm und Gelächter davonstob.

***

Das Licht des jungen Tages drang eher kläglich in den Raum, doch bestätigte es ihre Befürchtung. Sie erkannte die dunklen Flecken auf ihrem Kleid, diesmal sogar auf ihrem Linnen, noch bevor sie die Lampe anschaltete. Zwei Rosen! Es waren dieses Mal zwei, und ihre Blüten öffneten sich bereits leicht, strömten den schweren süßen Duft aus, benebelten ihre Sinne. Samantha stellte sie zu der anderen Rose in die Vase und die Zirkusmelodie erklang in ihrem Kopf.
Summend ergriff sie Leinwand und Pinsel, ließ sich von einer bestimmenden, unbekannten Kraft führen. Ihr war, als habe es zwischendurch an ihrer Tür gerüttelt, als habe man sie stören wollen. Das zählte nicht! Sie war in den Abgründen, schwarzer, dominanter Wehrlosigkeit gefangen.
Als sie zu sich kam lag sie auf den Fliesen unterhalb ihrer Staffelei. Um sie herum klebte schwarze und rote Farbe, und als sie hoch blickte starrte sie ihr Kunstwerk düster an.
Sie begann zu weinen, und endlose Verzweiflung ließ sie erbeben. Wer war sie? Wo war sie selbst? Ihr eigenes Ich würde diese Art Kunst nicht hervorbringen. Heiße Tränen brannten auf ihren Wangen, die Hände, die sie fortwischen wollten, verschmierten unbeabsichtigt Farbe in ihrem Gesicht.

***

Das laute Schluchzen drang durch die Tür und ließ Berta aufhorchen. Was war da los? Noch nie hatte sie ihre Schwester weinen gehört. Verwirrt eilte sie zu Samanthas Zimmer.
Sie rüttelte so heftig an der Tür, und klopfte so stark, dass der marode Putz im Flur von der Wand bröckelte, doch es erklang keine Antwort, nur endloses Weinen.
Gerade als Berta nach einer halben Stunde des abwechselnden Wartens und Lärmens aufgeben wollte, klingelte es an der Haustür. Gott sei Dank! Egal wer es war, er konnte vielleicht helfen! Sie rannte durch den Flur, die Treppen hinab und riss die Tür auf. Vor ihr stand eine schnaufende Eva, die auch am zweiten Tag der Ausstellung umsonst auf ihre Künstlerin gewartet hatte. „WO ist sie?“, fauchte sie los, und schob die “Pummeline“, wie sie die junge Frau gerne nannte, unwirsch an die Seite. Ohne eine Reaktion zu erwarten stapfte sie die Stufen hoch in die Wohnung. Dort hämmerte sie wie eine Furie an Samanthas Zimmertür. „Samantha Rosa! Du hast den zweiten Tag deiner Ausstellung versäumt und ich will jetzt verdammt noch mal mit dir reden! Öffne gefälligst die Tür!“
Der Schlüssel quietschte im Schloss und die Tür sprang auf. Durch den Spalt strömte ein merkwürdiger Geruch, nach Blut und Farbe. Eva trat angewidert einen Schritt zurück bevor sie kräftig gegen das Türblatt stieß. Im Halbdunkel des großen Raumes fiel ihr erster Blick auf einen riesigen Drudenfuß. Er war in pechschwarzer Farbe auf den Boden gemalt. Auf ihm stand, wie drohend, eine Staffelei mit einem Angst einflößenden Gemälde darauf. Berta rannte an ihr vorbei, denn sie hatte in der dunklen Ecke neben dem Bett Samantha entdeckt. Sie hockte zusammengekauert da, starrte ins Leere. Erschrocken stürzte die Kleine zu ihr nieder, umarmte und liebkoste sie. Eva konnte es kaum glauben als sie das Licht anschaltete: Unzählige Kunstwerke lehnten an den Wänden und lagen auf dem Boden. Eine völlig andere Art Malerei, doch gewiss mit Verkaufspotential! „Sensationell!“, entfuhr es ihr. Sie sprang aufgeregt von einem Bild zum nächsten, wild mit den Armen gestikulierend. „Wir machen das ganz groß! Ganz neu! Dunkel und mystisch!“
Hektisch kam sie auf die beiden Schwestern zu. Sie hakte die verstörte Samantha unter den Arm und zog sie hoch. „So! Meine Liebe! Wie siehst du überhaupt aus? Die Werke sind der Hammer! Ich lasse sie gleich für die Ausstellung abholen. Jetzt machst du dich sauber, und morgen wirst du dabei sein!“ Aller Zorn war verflogen, und nach kurzem Telefonat dauerte es nicht lange, und die Bilder wurden eines nach dem anderen in den Lieferwagen gebracht.

Berta half ihrer Schwester sich zu waschen und machte ihr etwas zum Essen. Kein Wort fiel, obwohl sie mehrmals verzweifelt versuchte Samantha zum Reden zu bewegen. Sie reagierte auf nichts. War abwesend und kalt. Ab und zu lief eine glänzende Träne über ihre Wangen, die sie ohne Rührung laufen ließ.
Diese unergründliche tiefe Traurigkeit saß wie ein giftiger Dorn in Samanthas Herz, betäubte jedes andere Gefühl. Schwer wie Blei lag sie im Bett und versank abermals in ungewollte Abgründe ihres Traumes.

***

Die kühle Nachtluft umflatterte ihr weißes Kleid. Das Zirkuszelt stand still und geheimnisvoll auf der taunassen Wiese. Nebelgespenster waberten um die grauen Planen und zogen um die Wagen. Was war hier passiert? Es war so anders als sonst. Klopfenden Herzens schlich sie durch das feuchte Gras in Richtung Eingang. Warum war es so still? Keine Musik? Vorsichtig betrat Samantha das Zelt. Kein Publikum, nur leere Sitzreihen. War sie zu spät gekommen? Die Vorführung schon vorbei? Drinnen war es dunkel, doch da! Ein einziger greller Lichtstrahl zauberte einen hellen Kegel in die Manege. In ihm saß, in feuerroter Einstreu, die wunderschöne Priska! Um sie herum lagen unzählige schwarze Rosen. Lautes Schluchzen durchschnitt die drückende Stille.
Priska Fortuna weinte, und nicht nur sie. Es klang als seien auch die Rosen tieftraurig – sie wimmerten und klagten. Irgendetwas musste geschehen sein! Samantha fühlte sich merkwürdig verbunden mit ihr. Etwas drängte sie dazu sie zu trösten. Als sie zu ihr in den Lichtkegel trat verstummte das Schluchzen. Priska rührte sich nicht. Sie blieb gesenkten Hauptes sitzen. „Samantha …“, flüsterte sie kaum hörbar. „Hilf mir.“
Ein merkwürdiges, schmirgelnd rauschendes Geräusch ertönte aus der Finsternis der Zirkuskuppel. Lähmende Angst schoss in Samanthas Glieder. Irritiert versuchte sie außerhalb des Scheinwerfers irgendetwas zu erkennen, doch es war zwecklos.
„Was ist denn passiert? Wie kann ich dir helfen?“, fragte Samantha, hockte sich zu ihr und strich ihr über das Haar. „Sag, willst du?“
Sie begann erneut zu weinen, und die Tränen liefen blutig in ihren Schoß. Die Rosen stimmten von allen Seiten mit ihrem Gewimmer ein. Es wurde laut und lauter. „Ja! Ja! Priska Fortuna, ich will! Nur wie?“
Die Artistin hob den Kopf, ihr Blick war leer. Die salzigen Rinnsale zeichneten sich blutig auf ihren Wangen ab, doch ein Lächeln huschte kurz darüber. „Komm“, flüsterte sie. „Komm, steh auf!“
Kaum hatte sich Samantha aufgerappelt wurde sie schon fest umarmt. Sie hatte das Gefühl erdrückt zu werden und keine Luft mehr zu bekommen.
„Entlassen bin ich nun des Traumes. All die Rosen gehören nicht mir! Die Blutspinne zu nähren liegt nun bei dir! Jahrhunderte alter Zirkusfluch, er sei nun dein, im Zeichen des Pentagramm, dein Körper sei mein!“
Hatten die Worte zart und leise begonnen, so waren sie am Ende so donnernd, dass Samantha es kaum aushielt. Ein Sturm brauste auf, heulte los und wieder flog alles um sie herum mit aberwitzigem Gelächter davon.

***

Dunkelheit. Wo war sie jetzt? Die Augen angstvoll geweitet begann Samantha um sich herum zu tasten. Zu wühlen. Sie setzte sich auf. Der Boden fühlte sich wie in der Manege ihres Traumes an. Doch sie war wach! Das konnte nicht sein! Panik befiel sie. „Hallo?!“, rief sie erst leise, dann schrie sie lauter: „Hallo?! Ist da jemand?“
Mit einem Schlag dröhnte die Zirkusmusik los, alle Lichter leuchteten bunt auf und ein wildes Treiben begann. Doch Samantha erschrak! Das Publikum in den Reihen bestand aus den düsteren Wesen, die sie auf Leinwand gemalt hatte, aus fremden, unwirklichen Kreaturen. Die schönen weißen Clowns, die hübschen Mädchen in den Tüllröcken auf den Einrädern, die Akrobaten, alle umsprangen sie, wie in den Träumen, doch schienen sie nicht zu leben. Ihre Körper waren unförmig. Ihre Haut war dunkelgrau, die Kleidung zerrissen, und ihr Blick tot. Samantha kniff die Augen zu. Eine böse Ahnung beschlich sie! Blinzelnd neigte sie ihren Kopf und hoffte etwas anderes zu erblicken, als ihr Geist befürchtete. Mein Gott! Sie war Priska Fortuna! Es war ihr Körper! Doch keineswegs zerfallen wie die anderen! Warum … Samantha wurde unsanft aus ihren Gedanken gerissen als der dickbäuchige Dompteur sie anrempelte. „Nun komm! Priska! Steig hoch auf dein Seil und mach deine Show! Haema ist schon ungeduldig!“, raunzte er sie an. Er hielt nur mit Mühe dem zerren an der Leine stand. Angstvoll, dem Wahnsinn nahe erkannte sie, was da so an ihm zog! Nein! Es war kein Tiger wie in ihrem Traum! Sie wich zurück. Es zischte, und die langen Beine rieben schmirgelnd aneinander während sich das Spinnenwesen drohend vor ihr aufbaute. „Du bist schön frisch! Mach deine Arbeit gut, auf das es Rosen regnet! Ha, ha, haaa!“ Der Dompteur lachte und verschwand hinter dem grau zerlumpten Vorhang. Die Musik ertönte, und etwas geschah mit ihr. Was es war konnte sie nicht erklären, doch sie verbeugte sich, sprang durch die Manege, und kletterte hoch auf das Seil. Sie tanzte und turnte, als habe sie in ihrem Leben noch nie etwas anderes getan. Sie sah nichts, denn ihre Augen füllten sich mit Tränen und alles verschwamm. Sie tat diesen Dienst, und weinte. Oben in der Zirkuskuppel wusste sie, wer dort wartete. Durstig nach dem Lohn dieser Show geiferte.
Der Trommelwirbel, fünf Räder auf dem Seil schlagen, fünf Zacken hat der Stern!, erklang es in ihrem Kopf wie eine Anweisung. Dann ertönte der letzte Schlag der Trommel, Spannung, in einem doppelten Salto ließ sie sich in das unter ihr gespannte Netz der Haema fallen.
Nachdem sie herausgeklettert war tobte das gruselige Publikum los. Die Musik spielte auf, der Rosenregen fiel auf sie nieder und kannte keine Gnade. Weinend sammelte sie das Blütenmeer ein und die dornigen Stiele rissen tiefe Wunden in ihre Haut. Warm lief das Blut über ihren Körper, tropfte hinab und färbte die Einstreu rot. Kein Denken, nur ein Gefühl bestimmte ihr Sein. Traurigkeit.
Sie registrierte wie die Musik verstummte. Zuschauer sich in Nebel auflösten, das Licht verlosch, und die ewige Haema schmirgelnd und saugend aus der Kuppel stieg. Sie musste bleiben. Die Existenz ihrer seit Jahrhunderten bestehenden Gemeinschaft hing davon ab. Sie war Priska Fortuna. So lange, bis sich eine träumende Seele in ihr Zelt wagte, und wieder eine traurige Rose den Zirkus der Tränen verließ. Betörend duftete, verblühte, weinte, ihr Ablöse gab.

***

„Sie ist weg?!“ Laut brüllte Eva los als sie am nächsten Morgen Samantha abholen wollte. Berta deutete ihr an, dass sie sie nicht hatte finden können, und dass die Tür zum Zimmer ihrer Schwester offen gewesen war. Die Agentin stürzte die Stufen hoch und polterte in den Raum. Niemand war da. Groß und schwarz hob sich der fünfzackige Stern vom Boden ab und glänzte in der einfallenden Sonne.

In der Hoffnung die Künstlerin in der Galerie anzutreffen fuhr sie augenblicklich in die Stadt. Als Eva jedoch den großen Saal betrat, glaubte sie zu träumen. Alle Bilder waren schwarz, ohne Motive, ohne beeindruckende Kreaturen. Es schien als seien sie den Gemälden enstiegen, oder als habe es sie nie gegeben.

***

Die ganze Nacht hatte Berta geweint. Wenn Samantha heute nicht auftauchte wollte sie zur Polizei gehen. In der Hoffnung, dass sie jetzt da war, schlich sie in ihr Zimmern – und erstarrte!
Aus dem fünfzackigen Stern auf dem Fußboden quoll rotes Blut! Als sie sich dem Schauspiel näherte schlug knallend die Zimmertür zu. Berta erschrak, eilte zurück, doch sie war verschlossen. Angsterfüllt drehte sie sich um. Es erklang leise Zirkusmusik, und sie traute ihren Augen kaum als sie erkannte, wie zaghaft aus dem blutigen Boden Rosen wuchsen.

11. Nov. 2013 - Regina Pönnighaus

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