Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Übersicht
Neu hinzugefügt
Autoren
Genres Magazine Verlage Specials Rezensionen Interviews Kolumnen Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Kurzgeschichten > Barbara Büchner > Düstere Phantastik > Wo Rauch ist, da ist auch Feuer

Wo Rauch ist, da ist auch Feuer
von Barbara Büchner

Crossvalley Smith Crossvalley Smith
© http://www.crossvalley-design.de
„Sehr spukhaft sieht es nicht aus.“ Joe Swansea, der amerikanische Parapsychologe, warf seinem deutschen Kollegen einen fragenden Blick zu. Das weißgetünchte Kirchlein mit dem Zwiebelturm sah eher wie ein Postkartenmotiv aus, eines von der kitschigen Sorte, wie es da im Schein der Nachmittagssonne auf dem grünen Hügel stand und freundlich auf das dazugehörige Dorf hinunterblickte. Es war so neu, dass man noch den Kalk der Tünche und das frische Holz des Vordaches roch.
Thomas Herbich lächelte nur. „Du kennst doch die erste Regel unseres Berufs, Joe: Niemals im Vorhinein eine Stimmung der Erwartung schaffen. Vollkommen unbeeinflusst an die Sache herangehen. Dein Assistent hat alle Geräte aufgebaut, du brauchst dich nur noch hinzusetzen – ein bequemer Sessel rechts vom Altar steht für dich bereit. Die Tür hat innen einen Riegel, sodass du ungestört bleibst. Ich komme in zwei Stunden wieder.“ Er machte bereits Anstalten, zum Auto zurückzukehren, als er noch einmal innehielt und sagte: „An deiner Stelle würde ich nicht rauchen.“
Swansea war kein Kirchgänger, aber so viel wusste er, dass es sich generell nicht gehörte, in einer Kirche zu rauchen, also fand er die Warnung – denn es war offenkundig eine gewesen – ebenso merkwürdig wie überflüssig. Er nickte jedoch nur, winkte Thomas zu, verschloss die Kirchentür hinter sich und warf einen raschen Blick auf das Instrumentarium seines Handwerks: Videokamera, Wärmebildkamera, Thermometer, Aufnahmegerät für hörbare und unhörbare Töne. Alles schien tadellos zu funktionieren, jedenfalls blinkten alle grünen Lämpchen. Da er sich nicht auf die moderne Technik allein verließ, sondern gerne auch älteres Wissen nützte, hatte er den Assistenten beauftragt eine Flasche mit Weihwasser, ein Büschel frischer Myrrhe, verschiedene Amulette und eine geweihte Kerze bereitzustellen. Es war eine traditionelle Gewitterkerze, aus gelbem Bienenwachs, dick wie ein Nudelholz, mit heiligen Symbolen aus rotem Wachs geziert.
Joe Swansea nahm in dem bequemen Klappstuhl Platz, von dem aus er das gesamte Innere der Kirche überblicken konnte. Viel war nicht zu sehen: Moderne katholische Kirchen verzichteten glücklicherweise auf die Berge von vergoldetem Ramsch, die früher ihr Inneres überkrustet hatten. Die Fenster, vier an jeder Seite, waren mit modernen, abstrakten Glasmalereien verziert, der Altar ein einfacher Tisch aus rotem Porphyr mit einem Kruzifix in der Mitte und den üblichen Kerzen zu beiden Seiten ... Swansea stutzte plötzlich. Er stieg die drei teppichbelegten Stufen hinauf und nahm die Kerzen näher in Augenschein. Der erste Blick hatte ihn nicht getäuscht. Es waren elektrische. Als er um den Altar herumging, sah er deutlich das Stromkabel.
Neugierig geworden, machte er einen Rundgang durch die Kirche. Er fand den Schaltkasten neben der Eingangstür und kippte alle Schalter herunter. An der Decke leuchtete ein Lüster auf, der an eine silberne Dornenkrone erinnerte, zwei Lampen in der Apsis, eine Reihe Lämpchen entlang der Kirchenbänke – und ein Dutzend elektrischer Kerzen. Über dem Weihbrunnen, unter einem halben Dutzend bescheidener Heiligenbilder, auf zwei hohen Kandelabern, die den Eingang zum Altarraum flankierten. Sie waren alle täuschend echt anzusehen, die künstlichen Flämmchen flackerten sogar, aber bei genauer Nachschau fand Swansea überall die Stromkabel.
Nun war das zweifellos merkwürdig, aber man konnte es nicht gerade geisterhaft nennen; vielleicht hatte die örtliche Gemeinde aus irgendeinem vernünftigen Grund Angst vor offenem Feuer. Er setzte sich in seinen Klappstuhl, die Kamera griffbereit im Schoß, und wartete. Thomas hatte nichts darüber gesagt, ob das Phänomen zu bestimmten Zeiten erschien, ob er den Zeitpunkt des Besuches absichtlich oder zufällig gewählt hatte, und auch kein Wort darüber, um welche Art Phänomen es sich überhaupt handelte. Vielleicht ein geisterhafte Nonne oder ein schwarzer Mönch. Oder …
Er hob, aus seinen Gedanken gerissen, den Kopf und zog die Nase kraus. In den so aufdringlich frischen Geruch des Bauwerks mischte sich ein anderer, unangenehmer, wie nach kalten Zigarettenkippen. Es roch, als hätte ein Dutzend Leute die ganze Nacht lang auf Teufel komm raus gepofelt, eine miserable Tabaksorte obendrein, und dann zu lüften vergessen. Sekunden später entdeckten Swanseas scharfe Augen, die es gewohnt waren, jede Kleinigkeit zu registrieren, die hauchfeinen Schwaden in dem hellen Licht, das das Kircheninnere erfüllte. Wie Staub in Sonnenstrahlen schwebten sie träge hin und her.
Dann erspähte er die Quelle des Rauchs, und einen Augenblick blieb ihm beinahe das Herz stehen – erst vor schierer Verblüffung und dann vor Furcht.
Auf der rot gepolsterten Bank neben dem Beichtstuhl saß eine Frau, in allen Einzelheiten deutlich erkennbar und doch zugleich so unwirklich wie eine Pappfigur. Swansea hob blitzschnell die Kamera und schoss mehrere Fotos. Er tat es routinemäßig, aber seine Hände waren so feucht, dass sie beinahe abrutschten, und er fühlte den kalten Schweiß auf den Schläfen. Was das Äußere der Erscheinung anging, hatte sie nichts Besonderes an sich: Eine Frau um die sechzig, offenbar eine reiche Bäuerin, in altväterischer schwarzer Sonntagskleidung, ein Rüschenhäubchen auf dem zum Knoten hochgesteckten, immer noch üppigen Haar, ein Gebetbuch in den Händen. Offenbar wartete sie darauf, dass der Beichtstuhl frei wurde und sie ihre Sünden loswerden konnte. Aber was für Sünden mussten das sein!
Der Amerikaner, der seit seiner Erstkommunion keine Kirche mehr von innen gesehen hatte, bekreuzigte sich mit einer Inbrunst, die er sich selbst nie zugetraut hätte. Aber Joe Swansea war nun einmal Geisterjäger mit Leib und Seele, und wie der Bergsteiger die überhängende Wand fürchtet und sie dennoch erklimmt, wie der Großwildjäger vor dem Tiger erbebt und dennoch alles daran setzt ihn zu erlegen, so erging es ihm jetzt. Er hielt die Stellung, obwohl er am liebsten aufgesprungen und feige geflohen wäre.
In ihrer Jugend war die Greisin zweifellos schön gewesen, auch jetzt noch war das kantige, schmale Gesicht elegant geformt – aber aus seiner aschgrauen Blässe starrte Joe Swansea die Fratze einer Teufelin an. Wie in dicken Lettern geschrieben trugen diese Züge den Stempel von Geiz, Neid, Bosheit, Habgier, Grausamkeit und Übelwollen, alle die frostigen Laster, die eine Seele schrumpfen und verdorren lassen, bis sie wie ein Herbstblatt im Höllenfeuer verweht. Und als brenne dieses kalte Feuer bereits in ihrem Inneren, hauchte bei jedem Atemzug ein breiter Schwaden grauen Rauchs zwischen ihren halb geöffneten Lippen hervor. Nicht das dünne Fähnchen eines Zigarettenrauchers, sondern Kaminrauch, als wäre die Frau ein Schlot, mit einem unterirdischen Feuer verbunden, dessen giftiger Qualm unstillbar und unablässig aus ihrem Rachen quoll. Das seltsamste und schauerlichste aber war für den Beobachter – der doch wahrhaftig schon genug Unheimliches gesehen hatte – dass dieser Brodem wie aus einem Aschehaufen hervorwehte, dumpf und stickig, der Rauch eines vor langer, langer Zeit erloschenen Feuers, der stieg und schwebte und waberte und einen vielfach gewundenen grauen Schleier um den Kopf der Alten wob. Aus diesem Schleier heraus starrten ihn zwei farblose Augen an, ohne auch nur eine Sekunde zu blinzeln, und der breite, schmallippige Mund kräuselte sich an den Winkeln zu einem Lächeln, bei dessen Anblick der Forscher erschauerte.
Gleich darauf sah er, wie die schweifenden Blicke der Erscheinung die Gewitterkerze entdeckten. Der geisterhafte Blick erstarrte, hing gebannt an der Kerze und dem Feuerzeug, das griffbereit daneben lag. Ein Licht begann in den fahlen Pupillen zu funkeln, das winzig wie Nadelspitzen begann und sich allmählich zu glühenden Eulenaugen erweiterte, und eine Stimme, wie keine menschliche Kehle sie hervorbringen konnte, zischte: „Zünd´s Licht an!“ Dabei ließ sie das Gebetbuch fallen, das sie in beiden Händen gehalten hatte, und streckte die Rechte aus – eine magere, knotige Hand, deren Fingerspitzen in fünf brennenden Kerzen endeten!

Szenentrenner


Später gestand Joe Swansea, dass er in diesem Augenblick auch aus einem hoch gelegenen Fenster gesprungen wäre, nur um dieser entsetzlichen Gegenwart zu entgehen, aber glücklicherweise brauchte er nur den Türriegel aufzustoßen und konnte in den sonnigen Nachmittag hinausstürzen. Ein Kreischen gellte hinter ihm her, ein stimmloser Laut rasender Wut, und mit einem Blitz und Knall schmorten die Kabel aller seiner Instrumente durch, aber er rannte einfach weiter. Und wenn die Kirche abbrannte – er würde nicht mehr zurückkehren um zu sehen, was passiert und ob die teuflische Alte noch da war!

Szenentrenner


Sein Kollege fand ihn eine Stunde später auf halber Höhe des Hügels im Gras sitzen, die Arme um die Knie geschlungen und immer noch sehr blass um die Nase. Der Deutsche fragte gar nicht lange, was geschehen war. Er reichte ihm wortlos seine Taschenflasche mit hochprozentigem Nussschnaps und sagte: „Komm, ich will dir alles erklären.“
Auf dem steil ansteigenden Weg zurück zur Kirche zeigte Thomas Herbich ihm eine Anzahl Aufwölbungen in der Hügelkuppe, die dicht mit Moos bewachsen waren. „Hier“, sagte er, wobei er mit einer weit ausholenden Gebärde alle diese Wölbungen umfasste, „stand bis 1912 die alte Dorfkirche. Viel größer als die jetzige und ein richtiges Barock-Scheusal, wenn man den Bildern glauben darf, voll fetter rosiger Putten und klotziger Ölgemälde – aber das spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Immerhin hatte sie einen anständigen Pfarrer, einen, der auch vor reichen und hochmütigen Leuten nicht zurückwich. Die Bauern der Gegend waren reich, stolz und vor allem geizig. Ihre Knechte bekamen weiterhin kargen Lohn und mageres Essen für schwere Arbeit, ihre Mägde schufteten sich die Hände blutig, den Armen warfen sie gerade einmal einen Kreuzer hin, durchziehenden Bettlern hetzten sie die Hunde nach, und selbst die Gebrechlichen und Kranken in ihren eigenen Familien ließen sie hungern und frieren. Der Priester hatte den Geizkragen und Geldsäcken schon öfter von der Kanzel die Meinung gesagt, aber das ging den Leuten zum einen Ohr hinein und zum anderen hinaus. Die Leute waren es ja gewohnt, zu sündigen, dann zu beichten und sich die Absolution zu holen, und gleich darauf weiterzusündigen. Zuletzt beschloss der Priester in seinem heiligen Zorn, ein Exempel zu statuieren, und zwar an der reichsten Frau im Dorf, die auch mit Abstand die Schlimmste von allen war. Wenn die Großbäuerin Agnes das nächste Mal zur Beichte kam, würde er ihr kurzerhand die Absolution verweigern, bis sie sich ernstlich gebessert hätte – ihr Gesinde ordentlich ernährte und bezahlte, für ihre kränklichen Verwandten sorgte und am Erntedankfest mehr als einen verschrumpelten Apfel in den Gabenkorb für die Armen des Dorfes legte.
Nun, sie kam wie gewohnt zur Beichte, und der Priester sagte ihr klipp und klar, Absolution gäbe es nur für reuige Sünder, wovon bei ihr nichts zu bemerken sei.“
Joe Swansea pfiff leise. „Das hat sie wohl übel aufgenommen.“
„Kann man so sagen, ja. Denn ohne Absolution konnte sie nicht zur Kommunion gehen, und das ganze Dorf würde zischeln und wispern. Außerdem war sie alt, und was wurde aus ihrer Seele, wenn sie im Sterben lag und der bockige Pfaffe ihr weiterhin das Sakrament verweigerte?“ Thomas holte tief Atem und seufzte. „Wenn der Priester allerdings gedacht hatte, er würde ihr einen heilsamen Schrecken einjagen, hatte er sich geirrt. Statt sich an die Brust zu klopfen schrie die alte Teufelin so laut, dass man es in der ganzen Kirche hören konnte: ´Wenn ich denn ins ewige Feuer muss, dann nehme ich dich mit, Pfaffe!´ Und man wusste nicht wie – im nächsten Augenblick standen die Vorhänge des Beichtstuhls in Flammen, das uralte trockene Holz lohte auf, die Soutane des Priesters fing so schnell Feuer, dass er nicht einmal mehr Zeit hatte, sich aus dem hölzernen Kasten zu befreien, sondern sterbend hinter dem Gitter zusammenbrach, und dann brannte auch schon die gesamte Kirche. Man konnte von Glück reden, dass es an einem Samstagnachmittag war und außer denen, die für den folgenden Sonntag beichten wollten, kaum jemand in der Kirche war. Dennoch gab es, den Priester mitgezählt, fünf Tote zu beklagen, die im Rauch erstickt waren, und die Kirche brannte bis auf die Grundmauern nieder. Die Überreste von Frau Agnes wurden niemals gefunden. Vernünftige Leute sagen, dass sie unter den eingestürzten Mauern und all der Schlacke und Asche verschwunden blieben. Weniger vernünftige Leute allerdings …“
Er schwieg so lange, dass Joe Swansea fragte: „Haben sie andere Leute auch so gesehen wie ich – und, worauf ich wetten möchte, du?“
„Ja. Die Kirche wurde damals wieder aufgebaut, allerdings kamen die zwei Weltkriege dazwischen, sodass sie erst 1960 komplett fertiggestellt und eingeweiht wurde. Und schon während der Bauzeit berichteten die Arbeiter über den Spuk.“
„1960?“, rief der Amerikaner verblüfft aus. „Aber der Putz ist noch feucht, und das Holz riecht wie frisch geschnitten! Ich hätte geschworen, sie steht noch keinen Monat so da!“
„Fünf Wochen, genau gesagt“, antwortete Thomas Herbich mit einem schrägen Lächeln. „Sie ist die dritte auf diesem Hügel. Denn die zweite Kirche, die 1960 eingeweiht worden war, fing Feuer und brannte ab. Während der Messe! Zum Glück gab es diesmal keine Toten, aber eine Menge Leute erlitten Rauchgasvergiftungen und Brandwunden. Die Ursache für das Feuer wurde nie bekannt, obwohl die Brandsachverständigen eine Woche im Schutt herumstocherten.“
Swansea ging ein Licht auf. „Deshalb also jetzt die elektrischen Kerzen! Nur ja kein offenes Feuer …“
Sein Kollege nickte, fügte aber hinzu: „Die Unken am Dorfstammtisch prophezeien, dass das gar nichts nützt. Solange eine Kirche hier steht, wird der alte Teufelsbraten sie anzünden. Wie sagte doch die Heilige Teresa von Aquila? Ein böses altes Weib ist eines der Meisterwerke des Teufels. Und damit hatte sie ...“ Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn Joe hatte einen durchdringenden Schrei ausgestoßen. Der Kurzschluss, der seine Geräte ruiniert hatte, war doch nicht ohne Folgen geblieben. Zweifellos von einem schmorenden Kabel ausgelöst wälzte sich ein dicker Rauchwurm durch das halb offene Kirchentor, und scharfer, frischer Brandgeruch ritt auf dem Wind.

10. Nov. 2013 - Barbara Büchner

[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info