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Einst
von Susanna Montua

Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:

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A. Bionda
46 Beiträge / 49 Interviews / 102 Kurzgeschichten / 2 Artikel / 136 Galerie-Bilder vorhanden
Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Mit Leere im Herzen stand Angelique inmitten ihres Rosengartens. Nichts war übrig von der einstigen Schönheit, der vielfältigen Farben. Die letzten Flammen klammerten sich sterbend an das dürre Unterholz.
Wie der beißende Geruch von Rauch und Qualm, brannte auch die Hitze unter Angeliques nackten Sohlen. Doch diese Schmerzen waren nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das sich von ihrer Mitte ausbreitete. Wie Gift bahnte sich der Zorn seinen Weg durch ihren jungen Körper und hörte selbst dann nicht auf, als er ihren Verstand erreicht hatte und damit begann, diesen zu verseuchen.
Tränen brannten hinter ihren dunklen Augen und der sanfte Geruch von frischen Rosen, der überall präsent war, schien sie zu verspotten.
Jahrelang hatte sie ihre Rosen gepflegt, hatte sich stets nur Blüten abgeschnitten, wenn das Ende der Blütezeit bevorstand –und sie sich einen Hauch von Wohlgefühl in ihr karges Haus holen wollte.
Angelique wusste, dass Rosen verboten waren. Nach Dornröschens Erwachen verbot man diese Pflanzen – zu Unrecht, wie die junge Frau meinte.
Sie würde sich rächen. An jenen, die diese Katastrophe hier verschuldet hatten. Sie würde vom süßen Aroma der Revanche kosten – für jede einzelne Blüte.

Szenentrenner


»Halt!«
Die Wachen traten einen Schritt auf die junge Frau zu, die vorsichtig den Kopf hob.
»Wer seid Ihr?«, wollte der größere der beiden Wachen wissen. Der Mond stand bereits hoch am Himmel und die Fackeln am Wegesrand flackerten gegen die verschlingende Dunkelheit an.
Die Frau auf dem Pferd hob behutsam ihre Kapuze vom Kopf. Blonde Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Die Wangen waren schmutzig, die Augen blickten müde. Dennoch schenkte sie den Männern ein zartes Lächeln, das sogleich die Herzen wärmte.
»Angelique ist mein Name und ich habe kein Zuhause. Ich reise mit meinem spärlichen Besitz von Stadt zu Stadt.« Sie deutete bei ihren Worten auf zwei pralle Taschen, die links und rechts am Sattel befestigt waren.
»Es ist gefährlich in der Nacht durch das Königreich zu reiten, gerade als junge Frau, wie Ihr es seid«, bemerkte der Kleinere der Wachen.
»Ich habe schon viel Leid gesehen und von noch mehr Leid gehört – mein Leben ist geprägt von Verlust – ich habe nichts zu verlieren.«
Tränen drängten aus ihren Augen und perlten von ihrem spitzen Kinn. Die Wachen nickten einander zu und öffneten das Tor.
»In der Mitte des Marktplatzes gibt es ein Gästehaus, Luciana ist eine gütige Frau, sagt ihr, Wache Don schickt Euch, sie wird einen Platz für Euer Pferd finden und Euch etwas zu essen geben.«
Mit einer flüchtigen Geste trocknete Angelique ihre Tränen.
»Ich danke Euch, Don. Ich hoffe, dass Ihr vor Untaten und Leid verschont bleibt und stets ein gutes Herz bewahrt.«
Mit diesen Worten hob sie ihre Kapuze auf den Kopf und trieb ihr Pferd voran, um die Tore der Stadt zu passieren, an deren Spitze das edelste Schloss des Landes thronte. Ihr Ziel. Der Beginn all ihres Schmerzes lag dort verborgen. Hinter prunkvollen Säulen, bunten Fenstern und hellen Dächern. Der säuerliche Geschmack der Rache quoll Angeliques Kehle empor. Doch sie zwang sich zur Ruhe. Sie war ihrem Ziel nahe gekommen, alles, was sie nun noch brauchte, war Zeit.

Szenentrenner


Laut hallte das Schlagen der Hufe zwischen den Häusern. Hinter den Fenstern brannte Licht und offenbarte einen Hauch von Heimat. Hinter mancher Tür erklang Lachen, Gesang oder Kinder. Es hätte idyllisch sein können. Aber ohne ihre Rosen war das alles nur Hohn und Spott. Die Pflanzen auf den Simsen waren ohne Würde und Stolz. Gewöhnliche Gewächse ohne kräftige Farben oder Geruch. Ein jämmerliches Bild.
Angelique hielt, als die Gasse auf einen riesigen, gepflasterten Marktplatz mündete. Die Stände waren verriegelt. Stille lag über dem Platz.
Angelique erspähte das Schild, das unweit des Marktes an einem großen Haus hing.
»Gasthaus zur brennenden Rose«, las die junge Frau leise und spürte deutlich, wie ein Kloß ihre Kehle zum Bersten spannte.
Mit einem Satz stieg Angelique ab. Sie streichelte den Hals ihres nachtschwarzen Pferdes, fuhr mit ihren Fingern durch dessen weiche Mähne.
»Nur etwas Zeit, mehr benötigen wir nicht.« Als hätte das Pferd verstanden, schmiegte es seinen Kopf gegen Angeliques Seite.
Mit zögernden Schritten näherte sich die junge Frau dem Gasthaus, aus dessen Innerem leise Musik drang. Sie öffnete die Tür und hob ihre Kapuze vom Kopf, bevor sie eintrat.
Die Musik verebbte und alle Augen waren auf sie gerichtet.
»Wache Don schickt mich«, sagte Angelique mit zitternder Stimme. Es war keine Unsicherheit, die dies verschuldete, es war ihr unbändiger Zorn auf dieses Königreich.
Eine Frau löste sich aus ihrer Starre und eilte herbei. Ihre Kleidung war fleckig. Ihre roten Locken waren zu einem flüchtigen Pferdeschwanz gebändigt und vorwitzige Strähnen tanzten um ihre Wangen.
»Komm herein, Liebes, wärme dich«, trällerte sie, »ich bin Luciana und mir gehört dieses Gasthaus.«
Ein Blick geboren aus teuflischer Seele traf Luciana, doch ihr entging dieser, während sie Angelique bei den Händen nahm.
»Ihr habt ganz kalte Finger.«
»Mein Pferd«, brach es aus Angelique heraus.
Luciana pfiff und aus der Küche eilte ein junger Bursche mit strohblondem Haar und fleckiger Schürze.
»Ja, Mama?«
»Kümmere dich um das Pferd«, befahl Luciana ernst.
»Aber das Essen, Mutter«, entgegnete der Bursche mit eingezogenem Genick.
»Ich kümmere mich darum«, versicherte Luciana und schob Angelique näher an den Kamin, der wärmend neben dem Musikanten loderte.
Unsicher wandte sie ihren Blick auf die Flammen und streckte ihre zitternden Hände aus.
Nur etwas Zeit.

Szenentrenner


Als der Frühling in die Stadt kehrte, war es so weit. Durch die Arbeit im Gasthaus und durch den Verkauf ihrer Kräuter auf dem Markt war es Angelique gelungen, eine kleine Hütte am Rande der Stadtmauern zu beziehen.
Nicht mehr als ein Zimmer und einem kleinen Verschlag für das Pferd, doch mehr brauchte Angelique nicht. Sie hatte sich zu einer Bekannten der Stadt gemausert und dem Königspaar in so mancher Not mit ihren Salben geholfen. Sie spürte, wie in ihr etwas wuchs. Ein zarte Pflanze der Verbundenheit. Nicht tief verwurzelt, aber dennoch gesund und groß. Eine Pflanze, deren Existenz Angelique nur schwerlich verdrängen konnte. Sie genoss den Andrang an ihrem Marktstand, wenn sie kurz nach Sonnenaufgang das schwere Leinen von ihrer Theke hob. Selbst nächtliche Störungen, wenn eine Frau ein Kind gebar, genoss sie. Die Menschen hier konnten nicht ohne sie, nicht ohne ihr Wissen und niemand verurteilte ihr Können.
Es klopfte am Abend an ihre Tür. Zaghaft, als fürchte der späte Besucher, die junge Frau bei etwas Wichtigem zu stören.
Angelique sah von ihrem Tisch auf. Sie zerstieß gerade ein paar Kräuter. Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn und ihr blondes Haar funkelte im Schein der Kerzen noch heller.
»Wer ist da?«, rief sie, während sie ihre Hände an der fleckigen Schürze säuberte.
»Cedric«, antwortete der Unbekannte vor der Tür. Ein Lächeln stahl sich auf Angeliques Lippen. Sie genoss Cedrics Anwesenheit, seit sie ihn damals aus Lucianas Küche hatte kommen sehen. Damals hatte sie noch geglaubt, er sei ein halbes Kind, doch je näher sie sich kennen lernten, umso bewusster wurde ihr, dass er doch ein junger und ehrlicher Mann war.
Hastig eilte Angelique durch ihre kleine Kammer und öffnete die schwere Holztür.
Cedric begrüßte sie mit einem verstohlenen Schmunzeln. Sein Blick glitt ihren Körper entlang und zurück zu ihren Augen. In seinen Händen hielt er eine Schüssel, darüber lag ein weißes Leinentuch.
»Komm herein, Cedric«, bat Angelique und trat einen Schritt beiseite. Nachdem er ihrer Aufforderung nachgekommen war, eilte sie hastig zum Tisch, um ihm Platz für die Schüssel zu machen.
»Was ist da drin?«, fragte sie neugierig. Sie hoffte inständig, es wären einiger seiner köstlichen Brötchen, die sie Tag um Tag im Gasthaus hatte genießen dürfen. Sie vermisste diese Zeit. Die dampfenden Brötchen und die freundlichen und lustigen Gespräche mit Cedric, der ihr auf unbeschwerte Art begegnete.
Ein Grinsen zeigte sich auf Cedrics schmalen Lippen, als er demonstrativ die Hand über dem Leinentuch hielt und die andere auf seinen Rücken legte.
Als er sie wieder hervorzog, hielt er eine strahlende rote Rose in der Hand.
Angelique zog ihre Hände an den Brustkorb und hörte einen Augenblick auf zu atmen. Überraschung und Freude breiteten sich in ihrem Körper aus, während sie unfähig war, auch nur ein einziges Wort zu sagen.
»Eine Angelique für meine Angelique«, sagte Cedric leise. Seine Finger zitterten.
Vorsichtig tastete die junge Frau nach der Rose.
»Ich bin auf vielen Märkten unterwegs und auf vielen Märkten, auf welchen es Dinge gibt, die man sonst nicht bekommt. Ich habe mich in große Gefahr begeben, um dir dieses kostbare Geschenk zu machen.«
Angelique sog den süßen Geruch der Rose tief in ihre Lungen ein. Wärme breitete sich in ihr aus. Sie hatte geglaubt, die Einzige zu sein, die trotz des Verbotes Rosen züchtete, aber es gab sie noch, irgendwo da draußen.
Von ehrlicher Freude beflügelt schlang Angelique ihre Arme um Cedric, der dies nur zu gerne erwiderte.
»Ich danke dir«, wisperte sie mit tränenerstickter Stimme. Noch ehe Cedric antworten konnte, bedeckte sie seinen Mund mit dem ihren und ließ ihn ihre Dankbarkeit spüren.

Szenentrenner


Seit diesem Tage waren die beiden unzertrennlich. Wann immer ihre Arbeit es zuließ, trafen sie sich zum Spazieren, ritten gemeinsam vor die Tore der Stadt, um Kräuter und Holz zu sammeln, oder genossen die Kühle des Meeres, das unweit der Stadtmauern gegen die Felsen schlug. Sie liebten sich und zeigten diese Liebe offen.
Eine lustige Melodie kündigte Cedrics Kommen bereits einige Meter vor Angeliques Haus an. Sofort sprang sie hinaus und flog in seine Arme. Lange hatte sie die letzte Nacht wach gelegen und überlegt, ob sie den Beginn des Sommers nutzen sollte, um ihr tiefstes Geheimnis zu offenbaren. Es gab für sie keinen Grund mehr, die Dinge, die sie am meisten auf dieser Welt liebte, nicht zusammenzuführen. Sie vertraute Cedric blind. Sie konnte und wollte nicht mehr ohne ihn sein. Er war es, der ihre Rache mit einem größeren Gefühl überdeckte – Liebe.
»Guten Morgen, meine Rose«, begrüßte Cedric die junge Frau und küsste sie zärtlich. Unweit der beiden kicherten spielende Kinder, die die beiden beobachtet hatten.
»Guten Morgen, mein Herz – hast du Zeit für einen Spaziergang?«
Cedrics Gesicht erhellte sich noch mehr. Im Schein der Sonne erkannte sie deutlich, wie feine Sommersprossen seine Nase besiedelten. Er nickte knapp, griff nach ihrer Hand und rannte mit ihr zum Stadttor. Wache Don ließ beide hinaus und grüßte. Die Freude der beiden war ansteckend und beflügelte die ganze Stadt.
Angeliques weißes Kleid war bereits schmutzig, als sie vor dichtem Unterholz stehen blieb. Den ganzen Weg über hatte Cedric nachgebohrt, doch sie war standhaft geblieben. Wenngleich die Hoffnung in ihr immer größer und lauter wurde. Nichts wünschte sie sich mehr, als dass Cedric ihren Schatz genauso lieben würde, wie sie es tat. Sie hoffte, dass er sie verstehen konnte, ihr Vorhaben, den König vom Nutzen der Rosen zu überzeugen, unterstützen würde und verschwendete keinen Gedanken daran, damit zu scheitern.
Mit wenigen Handgriffen hatte Angelique das dichte Unterholz beiseite gedrängt. Doch als sich beide durch den schmalen Pfad gekämpft hatten, gelangten sie auf eine Lichtung.
Die Sonne schien hell herab, ließ das Gras saftig und grün erstrahlen. Bunte Blumen besiedelten die Wiese, Bienen surrten herum, Schmetterlinge tanzten umher. Cedrics Mund stand offen ob der Schönheit der Lichtung. Nur zögernd trat er näher und Angelique ließ ihm Zeit, um die Eindrücke zu verarbeiten. Er berührte die Blüten zögernd, als wären sie gefährlich. Ein Meer aus Rosen lag vor ihm. Ihr volles Aroma hing über der Lichtung.
Dann wandte er sich an Angelique und von seiner einstigen Freude war nichts mehr zu sehen. Die Züge hatten einen sorgenvollen Ausdruck angenommen, seine Stirn war kraus.
»Was ist das hier?«, fragte er unsicher. Er duckte sich, als fürchte er, man könne ihn hier mit den Rosen sehen.
»Mein Geheimnis, Liebster. Das hier ist neben dir mein größter Schatz.« Angelique breitete die Arme aus und drehte sich um die eigene Achse.
Unsanft packte Cedric Angelique am Arm. Sie starrte ihn an, versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Sie suchte sein Verständnis und seine Freude, fand jedoch nur Ablehnung und Angst.
»Das ist die verbotene Blume, Angelique, bist du dir dessen bewusst?«
Angelique nickte zögernd. Konnte sie sich so in ihrer großen Liebe getäuscht haben?
»Wir müssen sie verbrennen«, forderte Cedric entschlossen. Noch immer hielt er Angelique fest, während sein Blick über die Lichtung glitt.
»Niemals«, stieß die junge Frau hervor und wand ihren Arm aus seiner Hand. »Was mit Dornröschen und dem Königreich geschah, ist nicht die Schuld der Rosen, ich werde auch das Königspaar davon überzeugen.«
Abermals schüttelte Cedric den Kopf.
»Du warst es, der mir eine verbotene Rose geschenkt hat. Ich glaubte, in dir einen Verbündeten gefunden zu haben. Jemand, der mir hilft, Dornröschens Vermächtnis ein für alle Mal zu brechen, auf dass die Rosen wieder ihren Platz in den Gärten und Häusern finden. Auf dass sie wieder ein Symbol für Liebe und Treue werden.«
Sie trat einen Schritt auf Cedric zu, suchte seinen Blick, doch er schlug die Lider nieder.
»Ich liebe dich, Angelique, aber ich werde dir nicht helfen. Die Gesetze sind klar, die Rosen verboten – das wirst auch du nicht ändern.« Er sah auf. Seine Augen waren glasig und das helle Blau schien dunkler. Sein Gesicht glich dem eines alten Mannes. Angelique sah all seine Liebe von ihm weichen, glaubte auch, sein Herz splittern zu hören. Nichts war übrig von der Anmut des jungen Mannes. Vor ihr stand ein gebrechlicher Greis, der alles, was er je geliebt hatte, verloren zu haben glaubte.
»Du solltest gehen.« Ihr ganzer Körper zitterte vor Wut. Sie schmeckte den bitteren Geschmack von Hass in ihrem Mund. Auf ihrer Zunge lagen Worte der Verachtung, die sie nur schwerlich zurückhalten konnte. Ihr Herz war eisig und kalt. Er hatte alles zerstört. Sie hatte seine Hilfe erbeten und seine Ablehnung erhalten.
»Angelique, ich kann nicht, nicht ohne dich. Lass uns das alles hier vergessen und weit weg reisen, woanders von vorne anfangen, ich bitte dich.« Cedric trat näher. Tränen liefen über seine Wangen und sammelten sich am Kinn. Angelique hingegen blieb wie versteinert stehen. Sie hob die Hände, um Cedrics Berührungen abzuwehren und deutete nur knapp in jene Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Verschwinde, Cedric. Aus meinem Leben. Und verschwinde auch aus der Stadt, wenn dir dein Leben lieb und kostbar ist.«
Cedric öffnete den Mund, wollte sie zur Vernunft bringen, aber dieses Vorhaben war hoffnungslos, das wusste er. Und so ging er. Erst langsam. Doch als er das Dickicht hinter sich gelassen hatte, rannte er, so schnell er konnte.

Szenentrenner


Mit hochgezogenen Schultern und versteinerter Miene, stapfte Angelique auf die Mauern der Stadt zu. Don grüßte höflich aus der Ferne. Sie sah ihn nicht. Trotz ihres starren Blicks verbarg sich ihr die Welt hinter einem undurchsichtigen Schleier aus Hass.
Cedric war ein Heuchler. Die Königsfamilie um Dornröschen ebenso.
»Angelique?«, wagte es Wache Don zu fragen und einen Schritt auf die junge Frau zuzutreten. Sie hob lediglich ihre Hand. Nur ein flüchtiger Wink, doch augenblicklich sprossen Rosenranken aus der trockenen Erde. Sie wanden sich um die Beine der Wache, kletterten die Schenkel hinauf, schlangen sich um seinen Leib und erstickten sein hilfloses Rufen. Eine weitere Wache eilte herbei, jedoch hatte auch sie Angelique nichts entgegenzusetzen.
Unbeirrt lief die junge Frau in ihr Haus. Die Geschichte um ihre Kräfte, verbreiteten sich wie ein Feuer in der Stadt.
Angelique schenkte ihrem Haar Dutzende Bürstenstriche, ehe sie es sich streng nach oben steckte. Dann hüllte sie ihren Körper in ein schwarzes Kleid, das mit einem Netz aus feinen Rosen überdeckt wurde.
Als sie aus ihrem Haus trat, standen mehrere Wachen mit gezogenen Waffen vor ihr. Bürger der Stadt versteckten sich hinter Mauern und wichen dem Blick der jungen Frau aus.
»Halt, Hexe!«
Angelique zuckte zusammen, als wäre das Wort ein scharfes Schwert, das in ihre Mitte stach. Hexe. Das war einst das Urteil, welches man ihrer Mutter zum Vorwurf gemacht hatte. Damals, als sie ihre Tochter weggeschickt hatte. In das Königreich, in dem alles begann. Dörnröschens Königreich.
»Bringt mich zu Eurem König«, befahl Angelique mit fester Stimme. Im Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr – Cedric. Er hatte sich an den Wachen vorbeigedrängt und stand unweit seiner großen Liebe.
Angeliques Herz schmerzte, als sie ihn sah.
»Der einzige Weg für Euch führt in den Kerker!«
Die Wachen lachten. Angelique fixierte den mutigen Sprecher mit ihrem kalten Blick. Niemand würde sich ihr in den Weg stellen. Sie hatte ein Ziel, eine Aufgabe – all ihre Hoffnung ruhte auf dem Königspaar. Alles, was diese zu tun hatten, war die Genehmigung zu geben, Rosen zu pflanzen – davon würde sie niemand abhalten.
Angelique hob eine Hand, doch Cedric stürzte herbei und packte sie fest. »Tu es nicht. Lass das alles hier enden, bring kein Leid über meine Heimat«, bat er leise.
Da war er wieder, der Schmerz in ihrem Herzen. Und mit ihm, die Erinnerung an ihre Mutter.
»Lauf weg, lauf so weit du kannst«, flüsterte die junge Hexe und küsste die Finger, die er noch immer um ihr Handgelenk gelegt hatte. Als habe er sich verbrannt, zog Cedric seine Hand zurück. Dann wandte er sich ab und rannte abermals. Doch dieses Mal hatte er kein Ziel.

Szenentrenner


Es war ein Leichtes in das Schloss einzudringen und das Königspaar im Thronsaal ausfindig zu machen. Ohne auch nur eine Hand an die Tür zu legen, stieß Angelique diese auf und betrat den großen, runden Raum. In einer dunklen Ecke sah sie die Königin. Ihr Körper war in ein weißes Hemd gehüllt, ihre Haare wirr vom Schlaf. In ihrem Arm wiegte sie ein kleines Baby.
Der König selbst stand unweit seines Thrones, bewaffnet mit einem Schwert.
Vor dem Schloss tönten lautes Schreien, verzweifeltes Weinen und sterbendes Röcheln.
Der Schutzwall aus Rosen, der Angeliques Körper vor den menschlichen Waffen bewahrt hatte, glitt hinab und sie offenbarte sich dem Paar schutzlos.
»Was wollt Ihr?«, schrie der König. Unsicher, wie er reagieren sollte, wippte er von einem Bein auf das andere, bereit, sein Leben für das seiner Familie zu geben.
»Rosen, Eure Majestät«, antwortete Angelique ruhig. Immer wieder glitt ihr Blick zur Königin und ihrem Baby.
»Rosen?«, fragte der König und Angelique nickte knapp.
»Eure Familie verbot diese einst, wegen eines kleinen Fehlers meiner Ahnen …«
»Fehlers?«, spie der König aus, »Das war kein Fehler. Dornröschen hätte ihr Leben lang geschlafen, das kommt einem Todesurteil gleich.«
»Doch sie fand zurück ins Leben, nur deshalb gibt es dieses Reich noch, nur deshalb gibt es Euch und Euer Baby.«
Der König folgte Angeliques Geste zu seiner Frau und seinem Kind.
»Was soll ich tun?« Nur leise verließen die Worte seine Lippen. Sie waren weder an seine Frau gerichtet, noch an Angelique. »Ich kann die Rosen nicht erlauben, junge Hexe. Nicht in meinem Königreich. Ihr habt Eure Geschichte, ich die meine, und wie Ihr Euch verteidigt, Euer Denken, so werde ich auch meine Überzeugung verteidigen müssen.«
»Bis zum Tode?«, fragte Angelique mit engelsgleicher Unschuldsstimme.
Der König nickte zögernd.
Es bedurfte nur eines Blinzelns, ehe sein Körper von Ranken überwuchert worden war. Spitze Dornen bohrten sich mühelos durch seine Haut und nährten sich an dem hervorquellenden Blut, bis des Königs Herz seinen letzten Schlag machte.
Die Königin zitterte und wimmerte, als die junge Hexe auf sie zukam. Immer wieder bat sie um ihr Leben, um das ihrer Tochter, die mittlerweile selbst weinte.
Angelique streckte die Arme nach dem Kind aus, doch die Königin presste es nur mehr an ihren Körper.
»Gib es mir«, bat Angelique voll Fürsorge. Schließlich kam die Königin der Bitte nach. Schluchzend gab sie ihre Tochter aus den Armen und beobachtete, wie Angelique das kleine Wesen betrachtete und mit einem liebevollen Kuss auf die Stirn zum Schweigen brachte.
Es war ein liebliches Kind, unschuldig und rein.
»Bitte tut ihr nichts.«
Angelique bedachte das vor Trauer verquollene Gesicht der Königin. Sie war nicht mehr als eine Mutter, der das Wohl ihrer Tochter am Herzen lag.
»Ich werde gut auf sie achtgeben«, entgegnete Angelique, machte auf dem Absatz kehrt und trat mit dem Baby in ihrem Arm auf den Ausgang zu. Ein kurzer Wink und das Wimmern der Königin erstarb unter unzähligen blühenden, roten Rosen.

Szenentrenner


Mit dem Blick auf das Meer gerichtet, kam die Ruhe und Zufriedenheit in Angeliques Körper zurück. Sie bereute ihr Handeln nicht. Sie hatte gehofft, - nicht um ihretwillen - um das des Königreichs, auf dass Dornröschens Vermächtnis endlich ein Ende fände.
Diese Welt hatte noch eine Chance. Eine letzte Chance.
Voll Mut und Zuversicht sah die junge Hexe zu dem Baby, das friedlich auf einem Kissen aus Rosenblüten am Ufer schlummerte.

16. Mar. 2014 - Susanna Montua

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