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Der Fall von Birgit Salutzki
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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AGENTUR ASHERA
A. Bionda
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Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Myriam hatte in den letzten Jahren keinerlei Gedanken über ihren Fall verschwendet. Wie auch, nie hätte sie damit gerechnet, ihren angestammten Platz zu verlieren. Zwar drängten sich bei jedem unerklärlichen Verschwinden eines Mitbewohners in ihrem Innersten Fragen auf, doch sie wusste, dass niemand aus der Gemeinschaft ihr eine Antwort geben würde. Also akzeptierte sie die Reisen, wie sie offiziell genannt wurden, als Teil dieser Welt, wohl wissend, dass es keine Wiederkehr gab.
Nun war es geschehen. In der vergangenen Nacht; als sich dieses immer stärker werdendes Pochen ihrer bemächtigte. Ein loderndes Feuer in ihrem Körper, der für diese Art Empfindungen keinen Platz haben sollte. Und doch entwickelten sie sich aus ihrem Sehnen nach Liebe, wie eine seichte, aber hartnäckige Welle. Ihre Gefühle wirkten wie ein Katalysator, entfachten nach und nach einen todbringenden Tsunami. Ungestüme Wut wuchs in ihr, die alle Sanftmut in Fetzen riss und wie Säure zerstörte.
Wut oder gar Hass wurde nicht toleriert. Und doch bildete sich beim Anblick der Vertrautheit zwischen Gabriel und Samire ein kalter Stein in ihrem Herzen. Was sie von ihr verlangten, war nahezu unmöglich. Zumindest für Myriam.
Der Fall veränderte die junge Frau. Nicht nur ihren Körper, auch die Seele. Bei vollem Bewusstsein fiel sie scheinbar endlos, während sich ihr Äußeres in einen Erdenmenschen verwandelte. Die blendende Schönheit des immerwährenden Tages wich einer Dunkelheit, die Angst machte. Ihr eigenes Strahlen verblasste mit jedem Meter, den Myriam hinunter zur Erde trudelte. Sie versuchte alle Kraft in die Schwingen zu legen, um wieder zurückzukehren. Heim.
Es verschwand. Das Gefühl, diesen Körperteil, der ihren Körper erhaben machte, bewegen zu können. Sosehr sie sich auf den Schlag der Flügel konzentrierte, nichts gelang ihr. Dabei musste sie noch Minuten zuvor keinen Gedanken an die Bewegung verschwenden. Sie war einfach da. Sie war so selbstverständlich geflogen, wie sie atmete. Lichtpunkte tanzten vor ihren Augen. Es dauerte einen Augenblick, bis sie die Überbleibsel ihrer Schwingen erkannte. Hilflos versuchte sie die Reste zu fangen. Sie zerrannen zwischen ihren Fingern. Dem fallenden Engel, der nie atmen musste, blieb die Luft weg.
Leuchtende Perlen rannen aus Myriams Augen. Augen, denen die Kraft fehlte, sich zu öffnen. Schwere Lider, die ihr die Fleischwerdung ihres Körpers bewusst machten? Oder war es die Angst vor dem, was kommen würde, die ihr den Blick auf die Welt verwehrte? In ihren Tränen konzentrierte sich das letzte Licht ihres Körpers. Es strahlte aus ihr heraus, erhellte die Nacht für einen Augenblick. Dann wieder Dunkelheit. Endgültig.
Als der Wind zunahm, wehte eine Brise Myriams lange Haare in ihr Gesicht. Sie blinzelte. Schwarz. Noch nicht einmal das leuchtende Blond hatten sie ihr gelassen. Myriams starker Wille erwachte mit jeder Träne, die im Wind versiegte. Der Hass, der sie in den letzten Wochen immer mehr eingenommen hatte, dehnte sich nochmals aus. Mit jeder Pore schwor sie der Gemeinschaft Rache.
Geschmeidig wie eine Katze landete die junge Frau auf dem Boden. Sie wunderte sich, wie klar sie wieder war. Als hätte der Fall Kräfte in ihr geweckt, die bisher im Verborgenen geblieben waren.
Steine bohrten sich in ihre Sohle und ihre Knie, die diesen harten Untergrund nicht gewohnt waren. Ihre Finger, auf die sie sich stützte, balancierten den Körper aus. Sie tastete mit Händen und Füßen ihre Umgebung ab, saugte begierig die fremden Eindrücke auf. Neben dem Geröllfeld spürten ihre Zehen weiche Wiese. Die Erinnerungen kamen langsam wieder. Erinnerungen an einen Ort, den sie vor hunderten von Jahren verlassen hatte. Als sie sich aufrichtete, wurde ihr gewahr, dass sie ihr Gewand trug. Weit. Formlos. Schwarz. Wie sollte es auch anders sein. Während das Kleidungsstück immerhin war es zu ihren Zeiten als Engel noch aus den Strahlen der Sonne gewoben für Myriam stets Sinnbild ihrer Reinheit bedeutete, ekelte sie der schwarze Sack, der ihre Formen verhüllte, an. Sünderin. Fest griffen ihre Fäuste das Leinengewebe und rissen es entzwei, Stück für Stück, bis ein kleiner Haufen pechschwarzen Stoffes vor ihrem nackten Körper lag. Endlich befreit. Mit Ehrfurcht ertastete sie die Wölbungen ihrer neuen Hülle, genoss die Zartheit ihrer Haut, fühlte die schwarzen Locken, die sich widerspenstig bis zu ihrem Po kringelten.
Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. In der Ferne sah sie blütenweiße Punkte. Weiß? Hier unten? Eigentlich hatte sie sich diesen Ort düster und traurig vorgestellt. Sie kniff ihre Lider zusammen, als würden die Objekte dadurch erkennbarer. Warum gab es an diesem düsteren Ort weiße Flecken, die sie an Glühwürmchen erinnerten, nur, dass sie sich nicht bewegten? Sollte sie an ihre Heimat erinnert werden? Zügig lief sie auf die Flecken zu, deren Konturen sich immer mehr schärften.
Rosen, die stolzen Blumen, die gleichermaßen Schönheit und Leid in sich bargen. Sie umgaben wie ein Netz ein altes Gemäuer, hatten sich in mühsamer Arbeit einen Weg ins Licht erkämpft. Natürlich es musste Licht geben, sonst würden die Blumen nicht wachsen. Wieder drängten sich Erinnerungsfetzen aus ihrem früheren Leben in ihr Gedächtnis. Nein, dies war kein Ort, an dem Dunkelheit und Verderben herrschte, schon gar nicht waren dies die ewigen Abgründe, wie sie insgeheim befürchtet hatte. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und berührte die erhabene Blume.
Myriam.
Die junge Frau blickte sich um. Sie vermochte nicht zu sagen, ob es der anbrechende Tag oder ihre Augen waren, die sich auf die Schwärze der Nacht eingestellt hatten, doch nun nahm sie Schemen wahr. Instinktiv bedeckte sie ihren Körper mit ihren Händen, so gut es ging, kreuzte die Beine voreinander. Scham errötete die Wangen des gefallenen Engels. Ein fremdes Gefühl. Fremd, aber voller Leben.
Ein schwarzer Schatten, umgeben von einem Lichtkranz, löste sich aus dem Hintergrund.
Myriam.
Die Stimme kam ihr bekannt vor.
Bist du dir im Klaren, warum du uns verlassen musstest?
Natürlich. Samire. Sie schnaubte. Ihre Hände glitten zur Seite. Stolz zeigte der Engel ohne Flügel seinen Körper der Nebenbuhlerin. Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich gefallen, oder wie ihr es ausdrückt verreist bin. Warum. Diese Entscheidung kann ich nicht nachvollziehen und erst recht nicht tolerieren. Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken.
Du hast mit deiner grundlosen Eifersucht die Gemeinschaft gestört. Wir müssen uns um wichtigere Aufgaben kümmern, als einen der unsrigen, der sich nicht anpassen kann, zu beobachten.
Liebet einander! Ist es nicht das, was uns gepredigt wird? Sie versuchte auf Samire zuzugehen, die sich im Hintergrund hielt. Doch der Engel wich zurück, als habe er Angst. Der Schein verblasste, sodass sich der Schatten mit der Dunkelheit verband. Eifersucht ist ein Teil der Liebe! Sie blickte auf die Stelle, wo sie Samiras Augen vermutete.
Was willst du eigentlich hier? Ich habe geliebt. Wahrhaftig geliebt. Und ihr habt mich fallen lassen. Myriam schrie die Worte laut heraus, als würde sie damit etwas ändern.
Verstehe doch, deine Auffassung von Liebe ist nicht gut, weder für dich, noch für andere. Myriam spürte den Hauch des Engels an ihrem Gesicht. Du bist nur zur Probe an diesem Ort. Tanke die Kraft der Rosen und vergiss deine Gefühle für Gabriel. Er steht über diesen Dingen. Leibliche Gelüste sind ihm fremd, flüsterte Samire eindringlich.
Du bist naiv. Warum sollte ich die Einzige sein, die menschliche Gefühle besitzt? Schließlich stammt ein großer Teil der Gemeinschaft der Engel von Menschen ab.
Es ist traurig, dich so reden zu hören. Anscheinend hast du die Lektionen der Zwischenwelt nicht verstanden. Vielleicht hat ER dich auch zu Unrecht in den Engelsstatus erhoben. Es obliegt mir nicht, darüber zu urteilen. Jedenfalls werde ich während deiner Probezeit bei dir sein und dich beschützen. Ihre Stimme wurde fester.
Jede Faser ihres Seins schien aufzubegehren. Wie edel, aber ich brauche deinen Schutz nicht, spottete die junge Frau.
Und wenn dieser Ort zu deiner persönlichen Hölle wird, schalt ihr Verstand. Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie aufs Spiel setzte.
Was müsste ich tun, um zurückkommen zu dürfen? Myriam wusste in diesem Moment nicht, ob sie es überhaupt wollte. Zu salbungsvoll klang die Stimme ihrer ehemaligen Begleiterin. Ihr Inneres war zerrissen von Angst vor dem Ungewissen und dem Wunsch auf Rache. Die Gedanken reisten wild um ihre derzeitige Situation, das Leben, das sie geführt hatte und ihre große Liebe.
Entscheide dich richtig! Myriam sah, wie Samire ihre großen Schwingen ausbreitete und gen Himmel flog. Zu Gabriel.
Die ersten Sonnenstrahlen tauchten hinter dem Gebäude auf. Es war viel größer, als sie angenommen hatte. Sie stand vor einem komfortablen Herrenhaus, dessen Front aus roten Backsteinen fast ausschließlich von einer Rosenhecke bedeckt war. In das Sandsteinelement, welches das Portal umrahmte, hatte jemand ein Zeichen geritzt, bei dem es ihr eiskalt den Rücken herunterlief. Den etwa Handteller großen Stern, dessen Spitze nach unten zeigte, umgab ein Kreis. Vorsichtig berührte sie die Mitte des Symbols. Für einen Moment erschien ein Bild vor ihren Augen.
Blut, überall war Blut. Der Geruch des Todes erfüllte die Räume.
Ein heiserer Schrei drang durch ihre Kehle. Das Haus machte ihr Angst und zog sie gleichermaßen an.
Am Eingang stand eine verwitterte grüne Tür einen Spalt weit offen. Myriam fror von der Kälte der Nacht, sehnte ihren wärmespendenden Umhang herbei. Sie reckte ihren Hals, um durch den Spalt zu schauen. Ihre Augen versuchten zu erahnen, was im Inneren auf sie wartete, doch die Morgenröte war noch nicht in das Haus gedrungen. Wachsam trat die junge Frau ein. Staubflusen flogen vom schwarz-weiß gekachelten Boden auf, die Wände der fensterlosen Eingangshalle hatten auch schon bessere Zeiten gesehen. Unter einer Dreckschicht konnte sie helle Flecken ausmachen, die auf eine frühere Bildergalerie hinwiesen. Sie inspizierte jeden Raum. Inzwischen erleichterten ihr die frühen Sonnenstrahlen die Entdeckungstour. Schwere Holzmöbel standen an ihrem Platz, als hätte jemand das Haus nur kurz für einen Spaziergang verlassen. Geleitet von einem inneren Kompass durchquerte sie die Räume bis zu dem Schlafgemach im hinteren Bereich des Anwesens. Myriam fror noch immer und die modrige Nässe um sie herum ließ sie erzittern. Ohne lange zu suchen betrat sie schnellen Schrittes die kleine Kammer, an deren Kopfende eine Eichentruhe mit eingearbeiteten Intarsien stand. Mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand zeichnete sie das geschnitzte Ornament nach. Dabei durchströmte sie eine Wärme, die nicht durch die Außentemperatur verursacht sein konnte. Vor ihrem Auge entstand für einen Moment das Bild eines Paares.
Eine Frau vor der Truhe kniend, ihren Kopf nach hinten gereckt, um einen Kuss ihres Liebsten zu fordern. Der Mann lachte und umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen.
Ein Trugbild. Dieses Haus nahm Myriam gefangen, auch wenn sie sich keinen Reim aus dem Gesehenen machen konnte. Kurzerhand öffnete sie den Deckel. Sie wusste, was sie dort finden würde. Auf einem Berg von Bettlaken lag Kleidung, die edle Damen niemals tragen. Sie zog sich die feine Spitzenunterwäsche über, schlang das Tuch aus Organza um ihre Hüften. Schwarze Armstulpen, durch Bänder an die Armweite der Trägerin regulierbar, vervollkommneten ihren Auftritt. Der Spiegel zeigte eine junge Frau, die sich ihrer Reize bewusst wurde. Im Hintergrund bildete sich ein Schatten.
Myriam, besinne dich!
Die junge Frau lachte wild. Nichts erinnerte noch an das sanfte Lichtwesen, das sie noch vor einigen Stunden gewesen war. Langsam begann ihr das neue Leben zu gefallen. Herausfordernd fixierte sie Samire im Spiegel, ballte ihre Faust und zerschlug die Glasfläche. Die Wucht stieß sie gegen das Bett, dessen Laken als Folge mit Scherben übersät wurde. Erinnerungsbruchstücke bohrten sich in Myriams Herz, als sie das Holz des Bettes berührte.
Zwei ineinander verschlungene Leiber. Liebe. Wollust. Schmerz.
Schnell verließ sie die Kammer. Im Essraum hatte jemand an jeder Längsseite der Tafel ein Gedeck platziert. Sie wischte den dicken Staub von einem der Teller. Zwischen Blütenranken entdeckte sie das in geschwungenen Buchstaben eingravierte Monogramm G. o. S. Aufgeregt eilte sie zu der anderen Seite, um dort das Zeichen freizulegen, doch sie wurde enttäuscht. Nichts deutete darauf hin, wer an diesem Platz gesessen hatte. Trotz der Trostlosigkeit des Raumes spürte sie die Vertrautheit und Liebe, die zwischen den beiden Menschen geherrscht hatte. Myriam setzte sich auf einen der beiden Plätze und blickte nach vorne. In der Ecke neben dem Kamin hing ein Bild, über das jemand eine schwarze Decke drapiert hatte. Es war das einzige Gemälde im ganzen Haus. Was hatte das zu bedeuten? Warum war es abgehängt?
Zögerlich stand sie auf. Sie spürte, dem Geheimnis des Herrenhauses näher zu kommen. Ihre ersten Versuche, den schweren Stoff zu lösen, scheiterten. Zu groß war die bedeckte Fläche. Mithilfe eines Stuhls erreichte sie das obere Ende des Rahmens. Myriams Hände zitterten, als sie das Bild freilegten. Ihr Blick versuchte ungeduldig unter das Tuch zu gleiten, wissend, dass das Bild eng mit ihrem Schicksal zusammenhing.
Nach einem kräftigen Ruck erhielt sie Gewissheit. Myriam blickte in die Augen von Gabriel. Die Trauer darin nahm sie gefangen. Sie brach zusammen und fiel vom Stuhl.
Madam? Jemand rüttelte an ihrem Körper. Bitte, Madam, sagen Sie doch etwas.
Sie spürte raue Haut, die ihren Hals nach einem Lebenszeichen abtastete.
Mir geht es gut. Sie stütze sich auf ihre Ellenbogen und drehte sich zu ihrem Helfer um. Vor ihr kniete ein blonder Jüngling, der noch keine zwanzig Lenze erreicht hatte. Mit seinen Oberschenkeln berührte er die nackte Taille der Verunglückten. Wohlige Wärme breitete sich in ihrem Körper aus.
Als er in ihr Gesicht sah, weiteten sich seine Augen vor Schreck. Mit einem Satz sprang er auf seine Füße, ging einige Schritte rückwärts zur Zimmermitte.
Was machen Sie hier? Dieses Haus ist seit sehr langer Zeit nicht mehr bewohnt. Warum
? Er zögerte, bevor er fortfuhr. Wissen Sie nicht, dass auf dem Haus ein Fluch liegt?
Myriam setzte sich auf und senkte den Kopf. Sie bedeckte die Augen mit den Händen. Die Ereignisse der letzten Stunden prasselten nur so auf sie ein. Was, zum Teufel, sollte sie hier?
Was konnte sie ihm sagen? Hey, ich bin ein gefallener Engel.
Nein, so nicht. Stattdessen entschied sich Myriam, in die Offensive zu gehen.
Darf ich fragen, was du hier machst? Du bist weder der Hausherr, noch ein Kind des Hauses. Zumindest hoffte sie das.
Zögerlich reichte der junge Mann ihr die Hand, um sie hochzuziehen. Daraufhin zog er seine derbe Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern.
Einst lebte in diesem Haus ein sehr gütiger Mann. Dieses Bild, das sie gerade freigelegt haben, wurde kurz vor seinem Tod gemalt. Er stieg auf den Stuhl, um Gabriels Portrait wieder zu bedecken. Manor House war ein prachtvolles Anwesen, bewachsen von weißen Rosen. Obwohl laut einer Sage grauenhafte Dinge geschahen, zieht es mich immer wieder an den Rand des Hügels.
Was ist passiert?
Alle Bewohner und das Haus starben.
Das Haus? Ein Haus kann nicht sterben.
Es ist wirklich passiert. Dass hier eine Hexe am Werk gewesen ist, wurde durch den Tod der Rosen offenbart. Sie verwelkten nach den Geschehnissen, verfärbten ihre Blätter in ein trübes Schwarz. Damals haben die Bürger der Stadt ein Hexenmal an der Tür angebracht, um den Geist des Weibes im Inneren des Hauses zu bannen.
Myriam erschrak. Die Bilder, die sie beim Berühren des Zeichens gesehen hatte. Alles war tatsächlich passiert.
Du bist nicht unten am Fuße des Hügels, sondern hier im Haus.
Es hört sich seltsam an, aber als ich heute Morgen zum Markt ging, sah ich schon von Weitem eine Veränderung. Die Rosen. Sie leben wieder. Sei blühen weiß. Er atmete tief ein. Ich musste einfach hierherkommen, um zu sehen, worauf dieser Wandel zurückzuführen ist.
Und, zu welchem Schluss bist du gekommen?
Mein Name ist übrigens Geoffrey Peerce, Urenkel des Duke of Somerset.
Sämtliche Farbe wich aus Myriams Gesicht. Sicher, wenn man ihn genau betrachtete, ließ sich die Ähnlichkeit nicht verleugnen.
Mit für seinen kräftigen Körper sehr feingliedrigen Händen zog er ein Medaillon aus der Hosentasche.
Diese Finger riefen Erinnerungen an zarte Streicheleinheiten entlang ihrer Schlüsselbeine wach.
Ich trage es immer bei mir. Ein Andenken an meinen Urgroßvater, das Einzige, das ich von ihm habe.
Beim Anblick des roten Rubins auf dem Deckel begann Myriams Herz so stark zu schlagen, dass sie fürchtete, Geoffrey könne es hören und ihre Aufregung bemerken. Sie wusste bereits, was sie sehen würde, noch bevor der Anhänger die Wahrheit zutage brachte. Auf den ersten Blick erkannte sie Gabriel kaum, wie er sie aus Augen ansah, die den Hochmut des Adels in sich trugen. Durch seine hochgeschlossene Jagdkleidung und der Backenbart hatte er kaum etwas mit dem sanften Engel Gabriel gemein, den sie liebte. Ihre Beziehung auf Erden war nicht weniger kompliziert gewesen, das fühlte sie beim Anblick des Anhängers und auch des Bildes, das an der Wand hing, wobei das Gemälde eine andere, sanfte Seite des Mannes offenbarte.
Schauen Sie, das ist Gabriel of Somerset. Hier abgebildet mit seiner Mätresse Myriam de Bonard. Der junge Mann verglich das Bild mit dem Antlitz der Fremden, deren Schönheit durch die aufreizende Kleidung, die mehr zeigte als verbarg, unterstrichen wurde. Das ist auch der Grund, warum niemand das Medaillon in seinem Besitz behalten möchte. Es ist verflucht, genauso wie das Haus, sagt man. Er schaute die Frau vor ihm mit sanften Augen an. Aber ich glaube nicht daran.
Geoffrey betrachtete das Bild der Frau im Deckel noch einmal, obwohl er in den letzten Jahren jedes Detail in sich aufgesaugt hatte.
Sie sieht Ihnen sehr ähnlich. Er lächelte. Urgroßvater hat sie sehr geliebt. Meine Mutter hat mir die Geschichte erzählt. Er sah, wie die Fremde noch immer zitterte. Seine Hand wanderte zu der Jacke, schloss den obersten Knopf.
Danke. Myriam genoss seine Zuwendung. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Anne Jensen.
Aus dem Nichts verdunkelten Samires Schwingen die bis auf den Boden reichenden Fenster. Wie aus Feuer gemalt starrten die Augen des Engels auf die Szenerie. Myriam ergriff Geoffreys Hand.
Myriam, du bist auf dem Weg in die ewige Verdammnis.
So schnell wie Samire gekommen war, war sie auch schon verschwunden.
Ohne Worte führte Myriam den jungen Mann in die kleine Kammer. Erinnerungen an ihren Geliebten erfüllten den Raum. Ihr Körper war noch jung, nun bekam sie eine zweite Chance. Geoffrey spürte die Verbundenheit zwischen ihnen, konnte ihren Reizen nicht widerstehen. Zärtlich hob er ihren schmalen Körper auf das Bett, verschränkte seine Finger in ihren, küsste sie und drückte sie sanft über den Kopf der Schönen, sodass er einen freien Blick auf ihren wunderschönen Körper hatte. Aus ihrem Mund drangen kurze, heisere Schreie. Ihr Leib bäumte sich seinem entgegen, nicht bereit, auch nur einen weiteren Moment zu warten. Wie lange hatte sie Gabriel begehrt.
Geoffreys heiße Zunge, die entlang ihres Rippenbogens fuhr, entfachte in Myriam eine Lust, die an Schmerz grenzte. Ihr Körper wand sich, bettelte um seine Liebe.
Als Myriam mit ihrem linken Arm den Bettpfosten berührte, tat sich einen Augenblick lang vor ihren Augen ein Bild auf.
Gabriel lag neben einer Frau, seine Hand bahnte sich einen Weg unter den hochgeschobenen Rock. Dunkelblonde Strähnen klebten an seiner Stirn. Seinen Augen glänzten vor purer Lust.
Du bist alles, was ich begehre, raunte er heiser, bevor sich sein Körper auf eine zierliche Frau wälzte.
In dem Moment, in dem sich Myriam das Gesicht der Frau offenbarte, gefror ihre Liebe. Das Feuer, das sie bei ihrem Fall gespürt hatte, erfasste ihr Herz. Lodernder Hass ließ sie einen der Spiegelscherben greifen, um ihn mit Gewalt in Geoffreys Hals zu stoßen. Wieder. Immer wieder. Warum tat er ihr das an? Warum Samire?
Blut. Überall war Blut.
In diesem Moment starb das Haus ein zweites Mal.
28. Mar. 2014 - Birgit Salutzki
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