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Die eiserne Braut von Ladina Bordoli
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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AGENTUR ASHERA
A. Bionda
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Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Calais an der nordfranzösischen Küste, nur ein Steinwurf von Großbritannien entfernt.
An schönen Tagen konnte man die Kreidefelsen von Dover am englischen Ufer sehen. Gwenn bevorzugte stets die düsteren, wolkenverhangenen Tage, an welchen man das unheilvolle Land ihrer Nachbarn nicht sehen konnte. Sie hatten eine seltsame Sprache und noch seltsamere Manieren. Die meisten von ihnen besaßen mausgraues Haar, dazu schmutzig braune Augen und die im Norden weit verbreitete Gefühlskälte in ihren Herzen. Die Bewohner Nordfrankreichs waren vielleicht manchmal garstig und eigensinnig wie der kalte Wind der Nordsee, aber leidenschaftlich und gesellig wie das Bier, welches sie ihren weindevoten Landesgenossen zum Trotz vergötterten.
Warum so betrübt heute?, fragte Brioc vorsichtig und setzte sich neben Gwenn ins Gras, den Blick auf das Meer gerichtet. Gwenn senkte den Blick und versuchte, das verräterische Glitzern in ihren Augen zu verbergen. Einige feuerrote Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht und verbargen den Schmerz, der sich in ihren Zügen zeigte.
Brioc nahm ihre Hand. Er kannte sie nun schon so lange. Sie hatten immer Tür an Tür gewohnt, hatten das Fischen zusammen gelernt und viel gelacht. Gwenn war für Brioc die Schwester, die er nie gehabt hatte, aber auch eine Freundin, die immer für ihn da gewesen war. Niemandes Kummer berührte ihn mehr als der ihre.
Ich werde heiraten, flüsterte sie kaum hörbar, einen von drüben, hat er gesagt. Und dieses Mal gelang es Gwenn nicht, die Tränen zurückzuhalten. Brioc rückte näher zu ihr und schloss sie in seine Arme.
Bestimmt ist er eine gute Partie?, versuchte er, Gwenn abzulenken.
Ja sicher ist er das reich, aber alt und hässlich, wie alle von da drüben!, stieß sie verzweifelt aus.
Gwenn war die Tochter des Schmieds von Calais. Sie war aufgrund ihrer rebellischen Schönheit und der florierenden Geschäfte ihres Vaters eine begehrte Jungfrau. Doch selbst für den einzigen Schmied in Calais waren die Zeiten unsicher. Frankreich und England lieferten sich über die Jahrhunderte hinweg ein ständiges Seilziehen. War es da nicht sinnvoll, das Blut beider Länder mit einer Heirat zu verbinden, damit die zukünftigen Generationen an beiden Orten zu Hause sein konnten, egal wer wen unterdrücken würde?
Dann werde ich dir das schönste Hochzeitskleid schneidern, welches Calais und Großbritannien je gesehen hat!, versuchte Brioc, Gwenn erneut aufzumuntern. Doch beim bloßen Gedanken daran, sie an einen kugelbäuchigen, rotnasigen alten Inselbarbaren verlieren zu können, bildete sich in Briocs Kehle ein Knoten.
Es gab in ganz Calais nur einen Schneider. Und Brioc war sein Sohn.
Ob ihm der Gedanke gefiel oder nicht; er würde jener Frau, die immer ein Teil seiner selbst gewesen war, ein Kleid schneidern müssen, welches sie als unschuldiges Mädchen ins Ungewisse begleiten würde. Es war, als würde er seine einzige Schwester zum Schlachten freigeben.
Und in diesem Moment realisierten sowohl Gwenn wie auch Brioc, dass sie weit mehr als Freunde waren. Sie waren eine Einheit, sie waren der Atem in den Lungen des andern.
Man durfte sie nicht trennen.
In dieser Nacht konnte Gwenn kaum ein Auge schließen. Sie schwitzte und sie spürte unablässig das Salz ihrer Tränen auf den Lippen.
Brioc. Sie wollte ihn heiraten.
So schmiedete sie einen Plan.
In der nächsten Nacht traf sie sich mit Brioc draußen am Strand. Ein hartnäckiger Wind zerrte an ihren Haaren, der sie an die Wut in ihrem Herzen erinnerte.
Gwenn hielt sich nicht mit langatmigen Begrüßungen oder unnötigen Worten auf, sondern kam gleich zur Sache.
Wir
du und ich, Brioc, wir werden mit der Maschine meines Vaters ein Brautkleid schmieden. Ein geheimes; eines, welches man unter dem verräterischen, weißen Kerkerkleid trägt!, stieß sie mit glühenden Augen und bebender Stimme aus.
Ich weiß, wie man schmiedet - du weißt, wie man ein Kleid schneidert!, erklärte sie weiter.
Brioc starrte sie nur nachdenklich an.
Wozu soll das gut sein, Gwenn? Was ändert das denn schon?, gab er schließlich kleinlaut von sich und senkte betrübt den Blick.
Es ändert ALLES!, rief Gwenn mit erhobener Stimme, die dem Heulen des Windes gleichkam. Wir werden meinen Körper und mein Herz in Eisen legen! Niemand soll es je bekommen, wenn du es nicht haben kannst! Niemand soll es wagen, mich anzufassen!, schrie sie hysterisch.
Oder er soll auf der Stelle tot umfallen, sagte Brioc beiläufig, ohne zu ahnen, was er da gerade gesagt hatte. Er war zu sehr mit seinem Schmerz beschäftigt, als dass er ihren erstaunten Blick bemerkt hätte.
Sie schnappte hektisch nach Luft. Genau das ist es! Wir werden ein eisernes Brautkleid schmieden - verlockend schön, aber unbarmherzig und grausam zu jenen, die mich besitzen wollen. Wer immer es wagt, Hand an die Braut zu legen, soll sofort den letzten Atemzug getan haben, so wie es bei der Bundeslade war. Genau so! Jede Berührung ist ein Sakrileg und jeder falsche Bräutigam ein Sünder!
Gwenns Augen loderten gefährlich und nur Briocs geliebtes Angesicht konnte ihren unbändigen Zorn ein wenig dämpfen.
Brioc und Gwenn trafen sich fortan immer um Mitternacht in der Schmiede von Gwenns Vater. Die Nächte in Calais waren meist stürmisch und düster und so liefen die beiden keine Gefahr, von neugierigen Nachbarn oder Nachtschwärmern überrascht zu werden. Brioc fertigte einen Entwurf des Brautkleides an. Das eiserne Prachtstück sollte alle bezaubernden und verlockenden Stellen von Gwenns Körper schützend umhüllen. Selbst ihre blütenweißen, zerbrechlichen Arme, welche in wunderschön feingliedrigen Handgelenken mündeten, vergaß Brioc nicht. So oft hatte er sie selbst liebkost. Er würde niemandem gestatten, diesen oder einen anderen Teil von Gwenn zu besitzen.
Als Brioc mit seiner Arbeit fertig war, war die Schmiedekunst gefragt. Gwenns Vater galt weit über Calais hinaus als Pionier in seinem Metier. Anders als seine Zunftgenossen hatte er das mühsame Handwerk in der sengenden Hitze der Glut längst mit einer innovativen Erfindung revolutioniert. Dies ermöglichte ihm auch die schnellere Produktion von Gütern und infolgedessen deren Massenproduktion. Gwenns Vater hatte verborgen vor den neugierigen Augen anderer Schmiede eine dampfbetriebene Zahnradmaschine gebaut, die es möglich machte, einen Gegenstand beliebiger Form und Größe zu gießen, zu bearbeiten und auszuhärten. Während die Maschine die Arbeit des Schmieds übernahm, konnte Gwenns Vater in Ruhe neue Schablonen und Kreationen der Schmiedekunst ausarbeiten.
Gwenn fertigte nun getreu Briocs Skizzen eine Schablone an. Als sie damit fertig war, blickte sie Brioc triumphierend an.
Schau unser Kunstwerk!, sagte sie und zum ersten Mal seit langer Zeit erhellte ein Lächeln ihr sonst so betrübtes Gesicht.
Dann war der große Tag gekommen. In der Nacht vor der Hochzeit trafen sich Gwenn und Brioc zum letzten Mal in der Schmiedewerkstatt. Gwenn stand völlig hüllenlos vor Brioc, welcher dabei war, die Schablone zu positionieren und die Maschine in Gang zu setzen.
Bereit?, fragte er Gwenn und ein ängstlicher Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus. Sie nickte nur und rückte näher an die Schablone heran. Es würde alles schnell gehen müssen, ehe das Metall kalt und hart wurde.
Dampf füllte den Raum und machte es Brioc einen kurzen Moment unmöglich, Gwenn zu sehen. Als sich die Nebel lichteten, hatte sich Gwenn das eiserne, noch weiche Brautkleid bereits übergestreift und tauchte ins kalte Wasser. Ein scheinbar endloses Zischen stieg von der Oberfläche des Abkühlungszubers auf und dann kam der eine Moment.
Gwenn tauchte aus dem Wasser auf.
Schön wie eine Göttin.
In einem eisernen Kleid, welches sich so liebevoll an jede Kurve ihres Körpers schmiegte, als wäre es feinste Seide.
Brioc stockte der Atem. Du bist wunderschön
, flüsterte er und verkniff sich die Tränen. Er biss sich tapfer auf die Lippen und senkte den Blick. Dann lass uns das Werk zu Ende bringen. Jetzt der Teil mit der Bundeslade, sagte er bestimmt und versuchte, seine Emotionen zu verbergen.
Sie huschten durch die dunklen Gassen Calais bis an den Strand, wo sich hohe Wellen auftürmten und ein bissiger Wind den Sand aufwühlte. Gewitterwolken hatten sich am Himmel zusammengerauft und bereits flackerten erste Blitze durch die sonst mondlose Nacht.
Sie hatten Glück.
Denkst du wirklich, dass das funktioniert?, fragte Brioc unsicher, als er das aus Metallstäben bestehende Gerippe eines Kleides inklusive dem zu Drähten reduzierten Hut über Gwenn streifte. Sie nahm seine Hand in ihre und drückte sie für einen kurzen Moment an ihre vor Aufregung glühende Wange.
Ich habe Bücher darüber gelesen, Brioc. Im Fernen Osten gibt es einen Erfinder, der solche Phänomene studiert hat. Seine Erfindungen breiten sich immer weiter aus und immer mehr Leute glauben an die Macht der Elektrizität. Es gibt selbst Psychologen und Physiker, die sich mit der unsichtbaren Materie und deren Magie befassen!, flüsterte sie aufgeregt.
Und nebenbei, Brioc, was kann mir der Tod schon nehmen
oder dir? Ein Leben voller Leiden und Schmerz?
Brioc nickte betrübt. Wir haben tatsächlich nichts zu verlieren, sagte er und senkte den Blick.
In diesem Augenblick geschah, worauf sie beide gewartet hatten.
Ein Blitz schlug in das aus Metallstäben bestehende Kleid ein.
Für einen kurzen Augenblick schien Gwenns eiserne Rüstung zu glühen, ihre Augen starrten wie paralysiert in die endlose Weite einer Ewigkeit, die nur sie selbst zu sehen schien
dann brach sie zusammen.
Die Stäbe zerfielen zu Asche, sie waren längst verglüht.
Die eiserne Rüstung, die Gwenns Körper beschützte, gab ein mattes Glimmen von sich und strahlte Wärme aus.
Brioc kniete sich mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen neben Gwenn in den Sand.
Doch da schlug sie die Augen auf.
Ihr Blick flackerte. Brioc sah einen unbändigen Willen, Leidenschaft, aber auch Dankbarkeit.
Sanft, beinahe verzehrt durch das glühende Feuer in ihren Augen, spürte er Zärtlichkeit.
Als sie ihre Arme um ihn schlang, zögerte er nicht, endlich das zu tun, was er schon immer hätte tun sollen.
Er küsste seine Gwenn.
Er spürte die wabernde, elektrisierende Wärme ihres eisernen Brautkleides dicht an seinem Körper.
Er war der einzige, der wahre Bräutigam. Nur er konnte diesen heiligen, von Eisen und Elektrizität umhüllten Körper je berühren, ohne dabei zu sterben. Glückseligkeit durchdrang die beiden Liebenden. Gwenn wünschte sich, diese mondlose, ungastliche Nacht am Strand von Calais möge nie enden. Sie möge ihre wahre Zukunft sein. Eine Liebe in Freiheit.
Dann spürte sie den rostigen und unverwechselbar bitteren Geschmack von Blut an ihren Lippen. Als sie die Augen aufschlug, sah sie gerade noch, wie Brioc mit blutüberströmtem Gesicht vor ihr zu Boden sank.
Sie hörte aufgeregte Stimmen vom Dorf her, und als sie ihren Blick in Richtung des Lärms wandte, erkannte sie, was geschehen war. Was sie getan hatten.
An vorderster Front stand ihr Vater, der Schmied. Er hielt ein Gewehr mit rauchendem Lauf in der Hand.
Keine weiteren Fragen waren nötig.
Ihr eigener Vater hatte Brioc getötet. Ihren Bruder, ihren Freund, ihren einzigen Gemahl.
Verzweifelt blickte sie auf Briocs leblose Gestalt zu ihren Füssen.
Sie kniete nieder und bettete ihren Geliebten auf den Sand der nordfranzösischen Küste, sodass sein vertrautes Gesicht sie ein letztes Mal anschauen konnte. Sie wischte das Blut mit ihren Händen von seinen wunderschönen Zügen, die selbst im Tod noch liebevoll wirkten.
Dann spürte sie, dass sich in Briocs Jackentasche ein Gegenstand befand, irgendwas Großes und Schweres. Ehe man sie von ihrem toten Freund wegschleifen konnte, wühlte sie in seiner Jacke und fand etwas Eigenartiges.
Ein Herz aus Stein, umschlungen von eisernen Orbits. Wie eine kleine Weltkugel.
Gwenns Welt.
Sie nahm Briocs Hochzeitsgeschenk an sich und erhob sich.
Jeanne dArc verbrannte man 1431 auf einem Scheiterhaufen in Rouen.
Die eiserne Braut
blieb bis zu ihrem natürlichen Tod im Jahr 1888 unangetastet.
04. Jul. 2014 - Ladina Bordoli
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