Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Übersicht
Neu hinzugefügt
Autoren
Genres Magazine Verlage Specials Rezensionen Interviews Kolumnen Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Kurzgeschichten > Sophie Oliver > Phantastik > Katzentochter
emperor-miniature

Katzentochter
von Sophie Oliver

Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:

AGENTUR ASHERA Zur Gallery
A. Bionda
46 Beiträge / 49 Interviews / 102 Kurzgeschichten / 2 Artikel / 136 Galerie-Bilder vorhanden
Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Ich stamme aus einer sehr alten Familie. Der Name meiner Mutter ist Bastet. Schon als ich noch klein war, legte sie großen Wert darauf, meinen Schwestern und mir Geschichten von unseren Vorfahren zu erzählen. Zum Beispiel von meiner Tante Sachmet, die wirklich temperamentvoll sein konnte. Wenn sie wütend war, brachte man sich besser in Sicherheit. Angeblich kratzte sie mehr als einem Mann die Augen aus. Oder von meine Urgroßmutter Ammit, die zwar angeblich keine Schönheit war, aber über einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn verfügte und deswegen von vielen Menschen geschätzt wurde. Mutter selbst war meistens sanftmütig, aber wenn wir ihr nicht zuhörten, fuhrt sie ihre Krallen aus. Als Kind verstand ich nie, weshalb sie so großen Wert auf unsere Familiengeschichte legte. Später musste ich zugeben, dass vielleicht manches meiner Probleme hätte vermieden werden können, wenn ich nur besser aufgepasst hätte.

Wir lebten in einer großen Stadt namens Bubastis, mit vielen Märkten, auf denen Händler aus aller Welt ihre Waren anboten. Natürlich war es uns nicht erlaubt, uns auf den Marktplätzen herumzutreiben. Meine Schwestern hielten sich folgsam an Mutters Verbot, doch ich liebte es, mich heimlich davonzuschleichen. Es war so öde, tagaus tagein daheimzusitzen, im Garten zu spazieren, oder in der Sonne zu liegen, die vom ewig blauen Himmel brannte. Mir schien es, als ob Mutter uns abschirmen wollte, von der Welt draußen. Das ärgerte mich. Was war schon dabei, sich ein wenig mit anderen zu vergnügen? Aber wir durften nicht einmal mit den Bediensteten spielen. Früher hatten wir eine große Anzahl von Dienern. Meistens junge Männer. Die schafften es am besten, uns hinterherzulaufen, wenn wir wieder einmal versuchten aus dem Garten auszubüxen. Ihnen machte es nichts aus, uns nachzuklettern, wenn wir alleine nicht vom höchsten Baum herunter fanden. Meistens mussten sie sich um mich kümmern, ich war ein richtiger Wildfang. Ich erinnere mich gut daran, dass ich einmal beschloss, die Dattelpalme zu erklimmen, die an der rückwärtigen Gartenmauer stand. Von dort wollte ich über die Mauer hinaussehen, was dahinter lag. Ich schaffte es problemlos bis hinauf zu den dicken Palmblättern. Daran konnte ich mich jedoch schlecht festhalten, sie waren glatt und scharfkantig. Also verharrte ich an den Stamm gekrallt und rief nach Hilfe. Einer der Diener holte mich schließlich, ein besonders kräftiger, geschickter junger Mann. Tefnut, meine älteste Schwester, verstand sich sehr gut mit ihm. Ich erwischte die beiden einmal hinter dem Papyruswald, der unseren Teich umsäumte. Er hatte seine Arme um meine Schwester geschlungen und sie schmiegte sich an ihn. Und beide hatten ihre Kleider ausgezogen. Damals musste ich Tefnut schwören, Mutter nichts zu sagen. Aber anscheinend waren sie nicht vorsichtig genug gewesen, denn eines Tages war der junge Mann weg. Wir sahen ihn nie wieder. Kurz nach seinem Verschwinden fand ich im Dickicht des Papyruswaldes ein Büschel Haare, mit ein wenig Kopfhaut daran. Ich war mir sicher, dass es von dem jungen Diener stammte. Tefnut war untröstlich, und sobald sie alt genug war, verließ sie uns. Sie ging nach Leontopolis, was nicht weit entfernt ist von unserer Heimatstadt. Nie wieder setzte sie einen Fuß in unser Haus. Meine anderen Schwestern wären gar nicht erst auf die Idee gekommen, Bubastis den Rücken zu kehren, immerhin galten wir hier etwas. Aber wie gesagt, ich langweilte mich zu Tode.
Wahrscheinlich hatte er deshalb leichtes Spiel mit mir.

Ich traf ihn auf dem Gewürzmarkt an der Stadtmauer. Er war gekleidet wie ein Edelmann und er sprach auch so, aber in Wirklichkeit war er nur ein zu Geld gekommener Händler, der vorgab, hochwohlgeboren zu sein. Ein Aufschneider. Und noch dazu ein gut aussehender. Von Anfang an zogen mich seine blauen Augen an, sein helles Haar und seine breiten Schultern. Bei uns waren alle dunkelhaarig, so wie ich, mit braunen Augen und olivfarbener Haut. Er sah so anders aus. Und alles, was anders war, fand ich unwiderstehlich.
„Ich fahre morgen flussabwärts“, hatte er eines Tages gesagt, „bis zum Ende des Deltas und hinaus aufs Meer. Dann segle ich Richtung Norden.“
„In deine Heimat?“
„Ja, in meine Heimat. Ich werde viele Tage lang auf See sein. Und dann reite ich noch einmal genauso viele Tage lang über die Berge, bis ich meine Stadt erreiche.“
Dann erzählte er mir von den endlosen grünen Wäldern in seinem Land, von bunten Blumenwiesen und von weißen, kalten Flocken, die im Winter vom Himmel fielen und alles bedeckten. Es brauchte nicht viel Überredungskunst, bis ich ihn schließlich bat, mich mitzunehmen, so groß war meine Neugier. Alles, was ich kannte, waren Sonne, Wüste und Sand.
Natürlich konnte ich Mutter nichts von meinen Plänen erzählen, niemals hätte sie mich gehen lassen. Deshalb stahl ich mich unbemerkt davon. Meine Reise war ein einziges großes Abenteuer. Der hübsche Händler zeigte mir die Welt, bei Tag und bei Nacht. Er tat dies nicht aus Herzensgüte, sondern weil dabei auch für ihn einiges heraussprang. Wir kamen wunderbar miteinander zurecht. Er hatte geschickte Hände, mit denen er mich verwöhnte. Im Gegenzug forderte er dasselbe von mir. Er zeigte mir, wie ich ihn anfassen sollte. Wie ich mit meiner Zunge Schauer des Wohlbefindens bei ihm erzeugen konnte. Wie ich mich auf ihn setzen sollte, mich bewegen sollte, bis er stöhnte und mir irgendwann Einhalt gebot. Ich war eine gelehrige Schülerin. Das sollte mir zum Verhängnis werden. Denn anscheinend fand er meine nächtlichen Liebesdienste so erquicklich, dass er beschloss, mich nach unserer Reise ganz für sich zu behalten.
Als wir schließlich in seiner Heimat ankamen, sperrte er mich in einen abgelegenen Trakt seines Landhauses. Vorbei waren die Abenteuer auf See, das Erkunden fremder Städte. Es war, als hätte er sich in einen anderen Menschen verwandelt, der mich nur noch als Teil seines Besitzes betrachtete. Den ganzen Tag lang war er unterwegs und ging seinen Geschäften nach. Abends, wenn die Sonne unterging, kam er zurück. Dann sollte ich mit ihm speisen, seinen Erzählungen lauschen und ihm natürlich jeden seiner erotischen Wünsche erfüllen. Über kurz oder lang fand ich das ebenso langweilig, wie in unserem Garten eingesperrt zu sein. Ich wollte frei sein. Anscheinend hatte ich aber ein Gefängnis gegen ein anderes getauscht. Gerne hätte ich Mutter zu Hilfe gerufen, damit sie mich holte. Doch ich wagte es nicht. Sie wäre sehr wütend, wenn sie wüsste, wie man mit ihrer Tochter umsprang. Wie gesagt, meine Mutter war eine sehr stolze Frau. Alle Frauen in meiner Familie waren stolz und freiheitsliebend. Und nichts verabscheuten wir mehr, als weggesperrt zu werden oder anderen Menschen zu Willen zu sein. Ich sollte nun beides erdulden. Das konnte nicht lange gut gehen.

An dem Abend, an dem die Katze durch das offene Fenster hereinspaziert kam und sich neben mich auf die hölzerne Bank setzte, die mit ihren üppigen Ornamenten der einzige Schmuck in meinem kargen Zimmer war, da wusste ich es. Sie schmiegte sich nicht an mich, sondern setzte sich einfach nur in ihrer eleganten Katzenart hin, schlug ein-, zweimal mit dem Schwanz und blickte mich an. Von oben bis unten. Sie war eine wunderschöne Siamkatze, mit falbfarbenem Fell, beinahe weiß, und schwarzen Pfötchen. Auch ihre Schwanzspitze und ihr Gesicht waren weiß, die blauen Augen darin leuchteten intensiv, und sofern es das bei einer Katze überhaupt gibt – sehr missbilligend. Deswegen war ich mir sicher, dass es Mutter war.
Ich schämte mich vor ihr, in meinen zerrissenen Strümpfen, auf die der Händler bestand. Jeden Abend musste ich in verführerische Wäsche schlüpfen. Manchmal sollte ich nur ein Halskette tragen und an jedem Finger einen goldenen Ring. Damit würde er noch intensiver spüren, wenn ich ihn umfasste und massierte, sagte er. Manchmal musste es ein enger schwarzer Anzug sein, der alles an mir verhüllte, zusammenpresste und mich kaum atmen ließ. Er fand es besonders erregend, ihn mir vom Leib zu reißen, an bestimmten Stellen nur. Heute trug ich Spitze, schwarz und rot, mit Korsage und Halsband. Sogar Armstulpen hatte er ausgewählt. Eigentlich war ich froh darüber, dass Mutter hier war, denn nun würde es endlich ein Ende haben. Auch wenn mir der Händler fast ein wenig leid tat. Immerhin wusste er nicht, mit wem er sich eingelassen hatte. Aber wäre er respektvoller mit mir umgegangen, würde er den morgigen Tag noch erleben. So jedoch ...
Die Siamkatze schüttelte abfällig den Kopf und sagte mit der Stimme meiner Mutter: „Du siehst lächerlich aus, Kind. Keine meiner Töchter sollte sich so billig hergeben.“
„Ich weiß! Aber anfangs hat es Spaß gemacht. Und es war aufregend. Doch jetzt langweile ich mich. Der Händler geht mir ziemlich auf die Nerven, was für ein unangenehmer Mensch!“
„Niemand vergreift sich an einer Tochter der Katzengöttin!“, sie fauchte so, dass man all ihre spitzen Zähne sah, „Wirst du mit nach Hause kommen, wenn ich dein kleines Problem löse?“
„Natürlich, Mutter! Ich werde tun, was immer du sagst!“
Ich hörte, wie der Händler in seinem Zimmer nach mir rief. Es war so weit. Er wartete auf meine Liebesdienste. Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang die Katze von der Bank und lief zur Tür. Es wirkte sehr elegant, wie sie eine schwarze Pfote vor die andere setzte, wie eine Seiltänzerin, den Schwanz dabei steil aufgestellt.
„Dann komm!“, rief sie, „Sieh genau zu und vergiss nie, was du mit deinem Ungehorsam angerichtet hast!“
Dem Händler fiel nicht auf, dass nicht nur ich sein Schlafgemach betrat, sondern auch eine hübsche Siamkatze. Lautlos hüpfte sie auf das Fußende des Bettes, in dem der er bereits sichtlich erregt auf mich wartete. Was dann folgte, brannte sich auf ewig in mein Gedächtnis. Wenn ich nachts die Augen schließe, sehe ich es noch immer vor mir, in all seiner blutigen Grausamkeit. Von einer Sekunde zur nächsten schwoll die zierliche Katze zu einer riesigen Löwin an, ihre Samtpfoten verwandelten sich in Pranken, mit messerscharfen Krallen, welche sich tief in die Brust des Händlers bohrten. Bevor dieser begriff, wie ihm geschah, schlug die Löwin ihre Fänge in seinen Hals und biss ihm die Kehle durch, ohne dass ein Schrei daraus hervordrang. Sie zerfetzte seinen Oberkörper, riss ihm die Arme ab, schleuderte sie durch den Raum, als wäre sie von Sinnen. Blut troff von ihren Lefzen, auf das Bett, auf den Boden. Dann hielt sie inne, wurde still und drehte langsam den Kopf zur Seite, um mich anzublicken. Das honigfarbene Fell um ihre Schnauze leuchtete dunkelrot. Es ist deine Schuld, schienen ihre Augen zu sagen. Noch während die riesige Löwin auf dem Bauch des toten Mannes saß, begann sie wieder zu schrumpfen und sich in das zarte Kätzchen zurückzuverwandeln. Leicht wie eine Feder sprang sie auf den Boden und begann sich zu putzen. Gewissenhaft leckte sie das Blut von den Pfötchen, wischte ihr Gesicht sauber. Dann verwandelte sie auch mich in eine Katze, allerdings war mein Fell ein wenig struppig und ich war lange nicht so schön, wie Mutter.
„Das Halsband behältst du an“, befahl sie, „Wenigstens noch eine Weile, damit du daran erinnerst, künftig auf mich zu hören!“
Das Letzte, was ich von dem Händler sah, bevor wir durch das Fenster hinaus in die Nacht schlüpften, war seine Männlichkeit, die trotz seines zerfleischten Körpers nichts von ihrer Standhaftigkeit eingebüßt hatte.

27. Sep. 2014 - Sophie Oliver

[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info