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Die Welt hinter dem Buch von Tanja Bern
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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TEXTLUSTVERLAG
A. Bionda
5 Beiträge / 61 Interviews / 20 Kurzgeschichten / 16 Galerie-Bilder vorhanden |
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Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Story zu der Kurzgeschichte Portal der Hoffnung in »Kaffeepausengeschichten«, Band 9, TextLustVerlag
Ich sitze auf dem Speicher unseres Hauses. Ein Schauer erfasst mich. Fast höre ich das dumpfe Grollen der Bomber. Das Dachfenster ist offen, eine Brise weht herein und die Spinnweben über mir schaukeln im Wind. Mit einem Lächeln denke ich an meinen Lieblingsbuchladen. Dieses Mal habe ich mich beraten lassen und wieder halte ich einen Band der Kaffeepausengeschichten in der Hand. Ich habe die drei Storys bereits gelesen und bin berührt von den Worten, muss mich erst einmal sammeln.
Die Sonne geht auf, die Strahlen vertreiben das Dämmerlicht, lassen den Staub im Licht tanzen. Neben mir steht ein Rucksack, überall verstreut liegen Steine, Holzsplitter und Wiesenblumen. Der Duft der Blüten erfüllt den Raum. Es sind die Tipps für den besonderen Lesegenuss der letzten Geschichte − sie hatten mich beim Lesen begleitet. Wie Klangkugeln lasse ich die Steine in meiner Hand rollen und denke an Luis, den Charakter der Geschichte. Er ist ein Junge, der im Zweiten Weltkrieg sein Leben meistert und doch nie den Glauben an sich selbst verliert, der versucht sich nicht beeinflussen zu lassen. Hoffnung findet er in einem Buch.
Gedankenverloren nehme ich einen Schluck Kaffee und beiße in das Marmeladenbrot. Die Süße des Aufstrichs lässt mich aufseufzen.
Fairy, denke ich versonnen und stelle mir die magische Welt vor, die Luis immer in höchster Not gefunden hat. Manchmal bräuchten wir alle so eine Fairywelt.
Doch hier, auf dem Dachboden, überkommt mich gerade tiefer Frieden, weil sich ein Junge lieber geopfert hätte, als einem grausamen Befehl zu folgen. Weil er eine Familie rettet und so seine Liebe findet.
Ich streiche über den zart violetten Einband und betrachte das wunderschöne Cover. Aus einem aufgeschlagenen Buch entsteigt eine zarte Elfe, von Sternen und Licht umtanzt. Ihr silbernes Kleid fließt in die Buchseiten, ihre Flügel sind kaum mehr als ein Hauch. Elfenbuch, so heißt der neunte Band dieser Reihe und er handelt auch von Lilliabé, die das Buch der Einhörner retten muss, und von einer Flucht, die bis zum Lake Windermere reicht.
Dennoch gehe ich zurück zu Luis und sehne mich nach Fairy, stelle mir vor, wie ich das Buch aufschlage und dort eine neue Welt entdecke. Ich erkunde sie, rieche das frische Gras, treffe Ahryan ... kurz denke ich an meinen Drachenflug und lächle. Aus einem Impuls heraus öffne ich das Elfenbuch und schaue dieses Mal enttäuscht auf die Buchstaben. Keine Fantasywelt wartet auf mich. Und doch hoffe ich, dass noch etwas geschehen wird.
Ich warte.
Nichts.
Ich höre nur das Knarren des Hauses, das Zwitschern der Vögel draußen, lausche auf ein leises Gespräch unten im Hof.
Mit steifen Gliedern raffe ich mich auf, ein Gähnen überkommt mich, und ich klaube all die Dinge zusammen, die ich mitgebracht hatte, öffne die Luke nach unten. Unsicher starre ich die Leiter an, wage mich zuerst nicht hinunter, weil es mir so klapprig erscheint. Schließlich steige ich auf die erste Sprosse, meine Hände zittern.
Auf Mahyrs Drache verspürte ich keine Angst, aber hier erfasst mich eine unbestimmte Furcht, eine Ahnung! Ich steige weiter hinunter und die dritte Leitersprosse bricht unter meinem Gewicht einfach weg. Ich schreie erschrocken auf, instinktiv presse ich das Elfenbuch an mich. Licht flutet auf und ich höre eine leise Flüsterstimme: Es wird dir in größter Not einen Weg weisen, der dich in Sicherheit bringt.
Ich stürze in die Tiefe, ein seltsamer Sog ergreift mich, und ich stolpere in
schlammiges Gras. Eine Wiese? Völlig verwirrt sehe ich mich um. Was ist passiert? Wo ist der Hausflur, auf dessen Boden ich eigentlich hätte aufschlagen müssen?
Ein See schmiegt sich an einen Tannenwald, Rehe schauen auf, blicken mich irritiert an. Erstaunt sehe ich auf das Elfenbuch und sehe gerade noch, wie geheime Zeichnungen zwischen den Buchstaben verschwinden. Ich kann tatsächlich schemenhaft durch die Seiten auf unseren Hausflur sehen und mir fällt vor Schreck das Buch aus der Hand. Hastig nehme ich es wieder an mich, aber dieses Bild ist nun fort.
Ach du lieber Himmel! Könnte es sein, dass ich
in Fairy gelandet bin? Hat dieses Buch mich vor einem gefährlichen Sturz bewahrt?
Am Tannenwald sehe ich ein weißes Pferd, das auf mich zu warten scheint. Nein, halt, kein Pferd. Dort steht ein Einhorn! Und neben ihm schwebt ein kleiner Lichtball. Fassungslos starre ich auf die magischen Wesen und rühre mich nicht, bleibe einfach im Gras hocken.
Soll Myüx dich zurückführen, oder gehst du mit mir?
Eine fremde Stimme ertönt hinter mir und ich wende mich abrupt um.
Er wirkt anders, als Mahyr, den ich aus dem Buch Die Drachenburg kenne. Sein Haar ist dunkel und er wirkt, als gehöre er zu diesen Wäldern. Ob es
?
Ja, ich bin Ahryan, aber das weißt du doch. Er lächelt sanft, bietet mir seine Hand an, die ich spontan ergreife, sodass er mir aufhelfen kann.
Myüx? Das Irrlicht, das sich auch schon mal selbst verirrt, antworte ich spontan. Ich glaube, da bleibe ich lieber bei dir.
Sein Lachen vibriert in meinem Innern und als ich zum Tannenwald sehe, verschwinden das Einhorn und der Lichtball zwischen den Baumreihen. Über den Fichten schweben Wolken, die wirken, als seien sie aus Watte gemacht. Ein Vogelschwarm durchbricht den Dunst und fliegt über den See hinweg, in Keilformation wie Wildgänse oder Reiher. Es ist still, ich höre nur unseren Atem und genieße die Ruhe.
Sag mal, Ahryan, habe ich eigentlich zu viel Fantasie? Ich schaue ihm in das attraktive Gesicht, sein Blick ruht mit einem nachdenklichen Ausdruck auf mir.
Es ist wichtig, noch Fantasie in sich zu spüren. Auch wenn das heißt, auf einem Drachen zu reisen, einem Vampir zu begegnen oder an solch einem Ort aufzuwachen wie hier. Was wäre deine Welt, wenn es diese Träume nicht gäbe?
Dies bedarf keiner Antwort, nur ein Lächeln meinerseits. Ich nehme die wunderbaren Blumendüfte in mich auf, genieße einen Moment den Wind, der mich umschmeichelt, bevor Ahryan mich durch das feuchte Gras geleitet.
Schließ deine Augen, flüstert er.
Meine Lider senken sich. Als ich sie wieder hebe, befinde ich mich im Flur unseres Hauses, die Leiter steht vor mir, mit drei abgebrochenen Sprossen. Meine Pantoffeln sind ein wenig schlammverschmiert.
Dieses Buch behalte ich also besser immer bei mir, wenn es mich auf so ungewöhnliche Weise beschützt.
Ich frage mich, ob ich der Buchhändlerin von meinen Erlebnissen erzählen soll. Davon kann man direkt neue Geschichten schreiben.
Oder sollte ich vielleicht genau das tun?
Entschlossen lasse ich die kaputte Leiter zurück, greife nach dem Rucksack, wo sich alle Utensilien verbergen, und gehe zurück in meine Wohnung. Dort werde ich von meinem Kater begrüßt, der mir um die Beine schleicht. Ich streichle ihm über den Kopf, aber kann mich ihm jetzt nicht widmen. Ein Drängen hat mich erfasst und ich setze mich an den PC. Die leere Dateiseite starrt mich regelrecht an.
Kann ich überhaupt schreiben?
Ich krause die Nase und versuche es einfach. An Fantasie mangelt es mir ja nicht. Meine Fingerspitzen legen sich auf die Tasten und ich beginne mit der Buchhandlung, die für mich wie ein besonderes Zuhause geworden ist
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11. Feb. 2015 - Tanja Bern
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