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Cyanea capillata von Barbara Büchner
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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AGENTUR ASHERA
A. Bionda
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Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de 1
Ferdinand Invanschitz liebte den Life-Ball, der jeden Fasching im Wiener Rathaus stattfand. Nicht etwa, dass er daran gedacht hätte, mit den Reichen und Schönen im Festsaal zu tanzen! Auf die Idee konnte einer wie der Pensionist Invanschitz gar nicht erst kommen. Seit das Fest der schrägen Schickeria in der Welt fast schon bekannter war als der Opernball, waren die Preise der Karten ins schier Unermessliche gestiegen, und selbst wirkliche Weltstars mussten ein Jahr im Vorhinein buchen. Ivanschitz gehörte aber auch nicht zu den vielen, die sich mit Stehplätzen begnügten und den Aufzug der ebenso prächtigen wie absonderlichen Masken vor der dunklen gotischen Kulisse des Rathauses bestaunten. Er hatte seine eigenen Interessen, was den berühmten Ball anging, und diese Interessen hießen Mord.
Ferdinand Ivanschitz war ein Frauenmörder aus Neigung und Begabung. Und da er eine sehr hohe Meinung von sich selbst hatte, war er auch nicht zufrieden damit, irgendwelche Billig-Tussis in finsteren Vororten zu erwürgen, sondern suchte das Delikate. Da kam ihm der Life-Ball in mehrerer Hinsicht gerade recht. Zum einen erstreckte sich links und rechts von der Bühne der Modenschau auf dem Rathausplatz das nur schwach beleuchtete Dickicht des großen Rathausparks, mit vielen heimlichen Ecken und Nischen zwischen den dichten Bosketten, aber nahe genug an der Hauptverkehrsader der Ringstraße, dass der Verkehrslärm einen Hilfeschrei übertönte. Außerdem brüllte bei diesem Entree moderne Musik in einer Lautstärke, dass man das eigene Wort nicht verstand. Zum anderen entsprachen die Models und viele der Zuschauerinnen die ebenfalls kostümiert erschienen waren Ferdinands kapriziösem Geschmack, denn die Masken des Life-Ball waren von einer außergewöhnlichen, phantastischen Schönheit. Dieses Jahr hieß das Motto, dem alle Kostümierten verpflichtet waren, Unter Wasser, und entsprechend viele Meerjungfrauen, Drachenfische, Neptune samt Hofstaat und Donauweibchen drängten sich auf und neben dem langen, weit in den Rathausplatz reichenden Laufsteg. Manche Teilnehmerinnen arbeiteten das ganze Jahr daran, an diesem einen Tag in überirdischer Schönheit zu prunken. Die gesamte schwule Schickeria der Stadt wetteiferte miteinander im Streit um das herrlichste, das außergewöhnlichste, das nie-dagewesene Kostüm. Niemand hätte gewagt, sich schlicht und einfach bei einem Kostümverleih einzukleiden. Wer nicht atemberaubend zurechtgemacht erschien, konnte gleich zu Hause bleiben. Freilich galt hier Geschmack mehr als Geld, eine pfiffige Idee ersetzte leicht eine dicke Brieftasche. Deshalb ließen sich die Reichen ihre Kostüme von Designern anfertigen, während die weniger Reichen alles in die Waagschale warfen, was sie an extravaganten Ideen nur auftreiben konnten. Da erschien eine Vierergruppe mit zierlichen, roten Geweihen als Korallenriff dort ein Koloss von einem Mann, bemalt und geschmückt als der mit Muscheln überkrustete Kiel eines Schiffes eine dicke, blau geschminkte Dame als Meerhexe mit acht meterlangen Fangarmen aus schillerndem Plastik eine zierliche Blonde als eine Art goldener Seetang, wozu sie geschickt ihr überaus langes, reiches und glänzendes Haar nutzte.
Ferdinand holte tief Atem und heftete seinen Blick auf den Seetang. Die niedliche Kleine entsprach genau seinem Geschmack passte in sein Beuteschema, wie der Profiler des Bundeskriminalamtes es am Tag nach dem Ball formulieren würde. Sie war kaum größer als ein Kind und so zartknochig, dass keine Gegenwehr zu erwarten war. Ein Griff seiner dicken, roten Hände nach ihrem Hals, und sie würde erlöschen wie eine ausgeblasene Kerze. Andererseits war sie, wie man bei ihrem eng anliegenden, schwarzen Lederkostüm deutlich sehen konnte, eine erwachsene Frau, also zu allem zu gebrauchen, was Ferdinand mit ihr vorhatte. Ihr Gesicht bedeckte bis zur halben Nase eine skurrile lederne Maske, bei der die Augenlöcher mit Drahtgittern überwölbt waren. Und ihr Haar dieses unbeschreiblich schöne Haar! Das war garantiert keine Perücke, das war echt: eine glitzernde, wie Lametta schimmernde Masse, die den Kopf umhüllte und im Abendwind hauchzarte schwebende Fädchen aussandte. Wirklich, wenn sich die kleine Frau bewegte und sie bewegte sich sehr leicht und elegant , sah es aus, als treibe ihr Haar in einer unsichtbaren Flut.
Ferdinand ließ sich immer, wenn er auf Mord aus war, von seinem Instinkt leiten. Er wartete stets geduldig, bis sein Bauchgefühl ihm zuraunte, dass er die Richtige gefunden hatte. Manchmal dauerte das sehr lange, manchmal musste er die Jagd abbrechen und an einem anderen Abend wieder beginnen, aber diesmal hatte er Glück. Sein Bauch meldete ein Okay. Und wie wunderbar passte alles zusammen! Es war schon dämmrig, der Rathauspark lag im Schatten, wurde nur von einigen elektrischen Kandelabern diskret erhellt. Das Rathaus war aufs Prächtigste in allen Farben illuminiert, bunte Laserschweife fegten darüber hin und erhellten den langen Laufsteg, auf dem sich ein Farbenwirbel von Kostümen bewegte. Die Leute standen dicht an dicht, und alle glotzten zu dem Laufsteg hinauf. Niemand würde sich erinnern, wer neben wem gestanden war. Außerdem gehörte Ferdinand Invanschitz zu den Typen, die man ein Dutzend Mal sehen konnte und doch nicht im Gedächtnis behielt. Seine kleine, rundliche Gestalt mit dem gemütlichen Backhendl-Friedhof in der Leibesmitte, sein Pfeffer-und-Salz-farbiger Mantel, sein undefinierter Hut, sein talgiges, glatt rasiertes Gesicht mit den kleinen, halb unter schweren Lidern verborgenen Augen alles an ihm war Camouflage. Es war keine Absicht, die Natur selbst hatte ihn so gestaltet, dass er unsichtbar war wie die giftigen Reptilien im Regenwald.
Er schlängelte sich unauffällig an die kleine Blonde heran, und bei der ersten, günstigen Gelegenheit wandte er sich mit der scheinbar absichtslosen Bemerkung an sie: Schaut schon toll aus, was?
Sie musterte ihn misstrauisch aus ihren vergitterten Augen.
Ja, ich weiß, was Sie denken!, fuhr er leutselig fort. Was interessiert so einen faden, alten Knacker wie mich der Life-Ball! Da haben´S schon recht, die Zeit, um die Nacht durchzutanzen, die ist für mich vorbei, aber was Schönes anschauen darf man ja wohl noch?
Meinetwegen dürfen´S, erwiderte sie mit einer dünnen Kinderstimme die aber trotz all dem Lärm und der Musik erstaunlich gut zu vernehmen war. Ihr Gesicht dessen untere Hälfte von der Maske entblößt und so glatt und rein wie Porzellan war zeigte ein schelmisches Lächeln. Und?, fuhr sie fort. Gehör ich auch zu dem Schönen, was Sie gern anschauen?
Aha, dachte Ferdinand. Die Kleine hatte nichts dagegen, wenn man sie anquatschte. Das machte die Sache natürlich einfacher.
Er lächelte. Freilich. Schaut ja herrlich aus, Ihr Haar wie wenn´s lebet! Als was gehen Sie denn? Als goldener Seetang?
Sie schüttelte mit einer kleinmädchenhaft neckischen Geste den Kopf. Naaa, net als Seetang. Was glauben´S denn! Da kann ich gleich als Treibholz gehen, gell? Nein, ich bin eine Cyanea capillata. Eine Löwenmähne.
Ferdinands Kenntnisse der maritimen Fauna war sehr beschränkt, deshalb fragte er sich, wie eine Löwenmähne auf den Kopf eines Unterwasserwesens kam aber nur kurz; er war schließlich nicht hier, um sich über Meerestiere zu unterhalten. Also sagte er nur: Ja, schaut wirklich fesch aus! Und Ihr Freund, als was geht der?, fügte er listig hinzu.
Ich bin allein da.
Gehen´S, so a liebes Fräulein und allein! Da darf Ihna aa alter Opa vielleicht auf ein Glaserl Sekt einladen? Weil´s Fasching ist!
Sie lachte. Wenn´S so schön bitten, gern! Aber nicht lang, ich möchte den Rest von der Modenschau auch noch sehen.
Die weiß gedeckten Tische, an denen Sekt ausgeschenkt wurde, stand links und rechts entlang des Rathausplatzes zwischen den Denkmälern vergessener Würdenträger. Ivanschitz bot der kleinen Löwenmähne mit ritterlicher Geste den Arm, und sie trippelte neben ihm durch das Gewühl auf die Tische zu. Er musste fünf Euro in ein Glas Sekt für sie investieren, aber das Geld war gut angelegt. So, wie sie sich an ihn drückte, war sie keine G´schamige. Die wusste, dass er etwas von ihr erwartete. Nur was, das wusste sie nicht.
Einen Augenblick lang flackerten Erinnerungen vor seinem geistigen Auge vorbei Erinnerungen an vergangene Freuden, die sich mit der aktuellen Freude vermischten. Nie hatten sie ihn erwischt, nie auch nur verdächtigt.
Er grinste vor sich hin. Ein Glück für ihn, dass sie in diesem Augenblick nicht in sein Gesicht blickte, sonst wäre sie schreiend davongerannt
Alles Weitere war Routine. Er steuerte sie hinter dem Rücken der gaffenden und klatschenden Menge in die tiefen, rabenschwarzen Schatten unter den mächtigen Bäumen des Rathausplatzes, und als er an einem geeigneten Ort angekommen war, legte er ohne weitere Präliminarien beide Hände um ihren Hals.
2
Da liegt noch eine Schnapsleich. Die dritte heut! Die beiden orangefarben uniformierten Männer von der Müllabfuhr, die vor Anbruch der Morgendämmerung schon den Rathausplatz und park reinigten, während drinnen in dem gotischen Gebäude noch getanzt wurde, beugten sich über den Fuß, der aus einem Gebüsch herausragte. Der Fuß war nicht mit einem Schuh bekleidet, sondern nur mit einem beschmutzten und zerrissenen Socken.
Zieh einmal fest an, das weckt ihn auf, forderte der Ältere seinen Kollegen auf.
Der Jüngere, ein stämmiger Bursche, fasste den Knöchel mit beiden Händen, stemmte seine Stiefel gegen den Boden und zog an wie ein Stier. Mit einem Ruck rutschte der gesamte Körper aus dem Gebüsch heraus und zog dabei eine lange Blutspur hinter sich her.
Der Müllmann, der ihn herausgezerrt hatte, schrie auf, ließ ihn los und richtete seine Taschenlampe auf das Durcheinander von zerfetzten Kleidern und zerfetztem Fleisch. Was von Ferdinand Ivanschitz übrig war, bot einen gräusligen Anblick: Wie von einer feurigen Peitsche zu Tode gegeißelt, lag der Leichnam da, das entblößte Fleisch von zahllosen einander überkreuzenden, entzündeten Wunden bedeckt, Dutzende tief eingebrannte Striemen nebeneinander, jede so dünn wie eine Angelschnur. Sie hatten schwache Ähnlichkeit mit Verbrennungen durch elektrischen Strom, aber gab es denn eine hundertfache, starkstromgeladene Geißel?
Meine Güte, flüsterte der jüngere Müllmann, was ist dem denn passiert?
Keine Ahnung. Unwillkürlich flüsterte der andere ebenfalls. Im Urlaub hab ich so was schon einmal gesehen das vergess´ ich nie. Im Meer gibt´s Quallen, weißt du, große, giftige, die können einen so fürchterlich zurichten. Löwenmähnen heißen sie. Aber wie soll so ein Ding in den Rathauspark kommen?
Der andere wusste es auch nicht.
20. Feb. 2015 - Barbara Büchner
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