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Smogger. First Blood. von Florian Gerlach
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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OLDIGOR VERLAG
A. Bionda
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Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Prologstory zu dem Roman SMOGFLASH
1
Er schlug den Kragen seines Mantels hoch. Mit gesenktem Kopf trat er aus dem Verwaltungsgebäude der Versicherung in den strömenden Regen eines trostlosen Novemberabends. Inzwischen machte er die Überstunden nur noch, um seiner Tochter aus dem Weg zu gehen. Ihr Verhalten ängstigte ihn, auch wenn er dieses Gefühl niemals zugeben würde. Am allerwenigsten sich selbst gegenüber. Natürlich waren sechzehnjährige Gören nicht einfach zu erziehen, aber das rechtfertigte noch lange nicht ... diese ... diese ... grauenvollen Dinge.
Bisher hatte er sich niemandem anvertraut. Seine Frau wähnte sich noch immer in einer heilen Familienwelt. Wenn er mit ihr darüber sprach, würde er die Glaskugel ihres Lebensglücks zerstören. An manchen Tagen meinte er sogar, mit dem Bösen unter einem Dach zu leben. Aber das war natürlich Blödsinn. Wahrscheinlich gehörten diese ... Dinge ... einfach zu ihrer Entwicklung dazu. Welcher Vater konnte schon von sich behaupten, eine pubertierende Tochter zu verstehen?
Auch wenn er sein Mädchen immer wie eine Prinzessin behandelt hatte, schien sie doch nie wirklich glücklich zu sein. Schon als Kleinkind war sie manchmal ... bösartig gewesen. Bis vor wenigen Monaten hatte er ihre Ausraster noch irgendwie entschuldigen können.
Seit dem Vorfall nicht mehr.
Bei der blutigen Tat war sie ihm wie eine seelenlose Marionette vorgekommen, die von einem unbekannten Puppenspieler bewegt wurde. Als sie ihn bemerkte, sah er statt ihrer Augen nur graue Schleier. Auch wenn es bestimmt nur eine Lichtreflexion gewesen war, hatte er das Böse so intensiv gespürt wie nie zuvor. Trotz des Regens hatte er auf dem Heimweg daher keine Eile.
2
Sven hatte die Schnauze wieder mal gestrichen voll. Diese verdammte Tour hätte sein Kollege übernehmen sollen. Aber seit der Schönling die Tochter des Chefs vögelte, bekam der faule Sack nur noch die Kurzstrecken. In dem strömenden Regen brachen sich die blinkenden Lichter der Laternen und Fahrzeuge in den Wassertropfen und explodierten in einem Farbenmeer vor seiner Windschutzscheibe. Er hasste die nasskalte Jahreszeit.
Der Fernfahrer gönnte sich einen Schluck aus der Whiskyflasche, die er sich am Vortag im Getränkemarkt geklaut hatte. Da er sich bei seinem mageren Gehalt nur den billigen Fusel vom Diskounter leisten konnte, ließ er den guten Stoff einfach mitgehen. Mit zitternden Fingern fischte er danach eine Pillendose aus der Hosentasche und warf sich drei runde Tabletten ein, die er mit einem weiteren Schluck aus der Pulle runterspülte. Die Dinger hielten ihn wach, auch wenn er sein Leben am liebsten verpennt hätte, denn bisher hatte er immer nur die Arschkarte gezogen.
Da er mit seiner Wampe und den Segelohren nicht gerade wie einer der durchtrainierten Schleimscheißer aus der Fernsehwerbung aussah, hatte er bisher nur wenige Frauen flachgelegt. Die meisten von ihnen hatten sogar auf Vorkasse bestanden. Die runtergekommene Fregatte, die er vor drei Monaten in einer Bar abgeschleppt hatte, war ihm damals wie ein Glücksgriff vorgekommen. In der ersten Nacht hatte er endlich wieder eine ordentliche Nummer schieben können. Am nächsten Morgen war ihm allerdings die Lust vergangen, denn bei Tageslicht verlor ihr unverhülltes, wabbeliges Fleisch seinen Reiz. Dennoch hatte er sie nicht rausgeworfen. Immerhin war sie die erste Frau, die in seine Bruchbude eingezogen war. Sein sentimentaler Traum von einer harmonischen Beziehung hatte sich allerdings binnen weniger Wochen in einen Albtraum verwandelt.
Wenn er mit seinem Brummi unterwegs war, plünderte sie die Vorräte und spülte den Fraß mit Dosenbier runter. Zudem nörgelte sie ständig an ihm herum und machte ihm mit ihrer Eifersucht das Leben zur Hölle. Inzwischen hätte er das Miststück auch gegen eine Gummipuppe eingetauscht. Die hielten nach einem Fick jedenfalls die Fresse. Wenn er von dieser Tour nach Hause kam, würde er die Schlampe endlich rausschmeißen. Aber erst, nachdem er es ihr noch einmal ordentlich besorgt hatte.
In Gedanken beglückwünschte er sich zu der Entscheidung und gönnte sich einen weiteren Schluck. Er wollte die Flasche gerade wieder absetzten, als der Wagen vor ihm abrupt stoppte.
Verdammte Scheiße!, fluchte Sven und trat auf die Bremse. Der 40-Tonner schlingerte leicht auf der regennassen Fahrbahn. Whisky schwappte aus der Flasche und ergoss sich über sein verschwitztes Baumwollhemd.
Der voll beladene Sattelschlepper kam wenige Zentimeter hinter der italienischen Rostlaube zum Stehen. Wäre Svens Reaktion nur eine Sekunde später erfolgt, hätte der Laster den Fiat in eine mit Fleischpampe gefüllte Konservendose verwandelt. Auf den Schreck gönnte er sich noch einen Schluck von dem bernsteinfarbenen Beruhigungsmittel. Während er auf die nächste Grünphase wartete, kramte Sven die Zigarettenpackung aus der Hemdtasche und steckte sich eine Fluppe an. Als im Radio der Rocksong Born To Be Wild gespielt wurde, drehte er die Musik lauter. Er liebte dieses Lied. Auch wenn er im Moment nur so wild war wie ein dressiertes Schoßhündchen.
Er musste sein Leben endlich in den Griff bekommen! Vorher musste er aber noch diese beschissene Tour hinter sich bringen. Die blöde Baustelle zwang ihn zu allem Überfluss noch zu einem Umweg durch die engen Straßen eines noblen Büroviertels.
Er zog an der Zigarette und inhalierte tief. Der Rauch brannte in seinen Augen. Blinzelnd rieb er sich mit dem Handrücken über die geschlossenen Lider. Als er den Blick wieder nach vorne richtete, sah er das Umleitungsschild. Im letzten Moment bremste er den Sattelschlepper ab und bog rechts in die nächste Querstraße ein. Die rote Ampel bemerkte er wegen seiner noch immer brennenden Augen und der reflektierenden Lichter der Straßenlaternen nicht.
Als sein Fahrzeug mit dem rechten Hinterreifen über ein Hindernis rumpelte, fluchte er. Sein Chef würde ihn wegen des kleinsten Kratzers umgehend feuern. Wahrscheinlich hatten die dämlichen Bauarbeiter Schutt auf die Fahrbahn gekippt. Um einen möglichen Schaden zu begutachten, hielt er den Wagen an und schaltete die Warnblinkanlage ein. Der Motor erstarb. Regen trommelte auf das Dach. Die Scheibenwischer schabten im Stakkato über die Windschutzscheibe. Wenn er die Tür öffnete, würde er nach wenigen Sekunden triefend nass sein.
»Drauf geschissen!«
Sollte ihn der Boss doch feuern! Er würde seine Fahrerkabine bei dem Sauwetter nicht verlassen. Wenn es nach ihm ging, konnte der Stecher seiner Tochter die nächste Tour nach Mailand übernehmen. Sven ließ die Kupplung kommen und gab Gas. Geräuschvoll setzte sich das schwere Gefährt wieder in Bewegung.
Wenn er in den Rückspiegel gesehen hätte, wäre ihm der blutige Klumpen aus Knochensplittern, Fleisch und Hirnmasse aufgefallen, den der Sattelschlepper auf die Straße gespuckt hatte.
3
Sie erstarrte. Der Richter vernichtete mit dem Urteilsspruch eine Welt, in der sie noch an so etwas wie Gerechtigkeit geglaubt hatte. Jeder Buchstabe war ein Stein, der ihre Seele unter einer Lawine der Ungerechtigkeit begrub. Der Drecksack, der ihren Vater in ein blutiges Etwas verwandelt hatte, war ein verdammter Freak, der sich Unmengen von Pillen einwarf und sie mit Alkohol runterspülte. Aber weil er seine Sucht nicht unter Kontrolle hatte, konnte das Gericht keine Schuld am Tod ihres Vaters feststellen. Bei der Urteilsfindung wurde zudem der Beziehungsstress, unter dem er während des Unfallzeitpunkts gestanden hatte, berücksichtigt. Dass er Fahrerflucht begangen und nur wegen der Aussage eines aufmerksamen Passanten verhaftet werden konnte, wurde nicht einmal erwähnt. Statt den Fahrer in eine karge Zelle zu sperren und den Schlüssel in die nächste Mülltonne zu werfen, verdonnerte ihn der Richter nur zu einer Therapie, die er wahrscheinlich nicht einmal antreten würde. Ausschlaggebend für das milde Urteil war die Reue des Verhafteten, der mehrfach betont hatte, dass ihm alles furchtbar leidtäte.
Fassungslos sah sie dem Mann nach, der mit einem breiten Grinsen auf der hässlichen Visage den Gerichtssaal verließ.
Dabei war er doch ein Mörder! Mörder! Mörder!
Die Stimmen würden ihr auch jetzt dabei helfen, das Richtige zu tun. Sie würde niemals einer der Feiglinge sein, die den Weg der Vergeltung nicht beschritten. Rache war ein dorniger Pfad. Nur wenige Menschen hatten den Mut, ihn bis zum Ende zu gehen. Wenn sie den Stimmen folgte, konnte sie später vom Blut des Gerichteten kosten, diesem süßen Nektar der Gerechtigkeit. Konnte sie sich an seinen Schreien erfreuen, dieser wundervollen Symphonie des Leidens. Konnte sie in seine angsterfüllten Augen sehen, diese glänzenden Spiegel der Seele, die sie zerbrechen würde.
Trotz ihrer sechzehn Jahre war sie den Stimmen schon oft gefolgt. Die rasenden Kopfschmerzen, die sie mit sich brachten, schreckten sie nicht mehr. Inzwischen hatte sie gelernt, dass die Schmerzen ihre Seele vom Schmutz der Verlogenheit reinigten. Wenn die Stimmen das Kommando übernahmen, konnte sie endlich das Richtige tun.
Dem leisen Gemurmel war sie schon als Kind gefolgt. Jetzt aber wüteten unzählige Stimmen in ihrem Kopf wie ein Hornissenschwarm. Wenn sie den Mörder ihres Vaters getötet hatte, würde sie sich um die anderen Bastarde kümmern, die glaubten, ungeschoren davonzukommen. Es gab so viel Ungerechtigkeit auf der Welt.
Inzwischen hatte sie den Stimmen sogar einen Namen gegeben. Smogger. Sie würde tun, was immer sie verlangten. Auch wenn es wieder in einer blutigen Sauerei endete. Verflucht, vor allem dann.
12. Mar. 2015 - Florian Gerlach
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