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Die Schneekatze
von Nena Siara

Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:

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A. Bionda
46 Beiträge / 49 Interviews / 102 Kurzgeschichten / 2 Artikel / 136 Galerie-Bilder vorhanden
Nena Siara Nena Siara
Endlich! Da war sie! Die Schneekatze!
Seit Wochen hatten wir gewartet, den Trübsinn des Herbstes ertragen. Uns mit warmen selbst gestrickten Socken der Mutter, Vanille-Kokos-Tee, Schal und Wolldecke die Kaminabende erträglich gemacht. Einfach die trostlose Zeit ausgeschlossen, uns wie die Bäume auf unsere Kraft besonnen, den Energiesparmodus eingeschaltet und vergessen, was sich vor den Häusern abspielt. Verdrängt, versteckt, verscheucht. Doch einzig und allein war das Warten und Ertragen, nur die versteckte Sehnsucht nach der Schneekatze.
Und nun war sie da! Unerwartet und überraschend wie immer, hatte sie sich von hinten angeschlichen, uns in der Abenddämmerung hinters Licht geführt, um dann heimlich ihren ganz persönlichen Tanz zu vollziehen. Kaum hatten wir uns zurückgezogen, um einen weiteren Abend heuchlerisch abzusitzen, war sie klammheimlich von Bäumchen zum Zäunchen und vom Strauch über den Lauch gewandert. Genussvoll und voller Hingabe sprühte und fauchte sie ihre weiße Pracht gegen alles, was an ihr vorüberzog, färbte Grünes, Braunes, Gelbes, Rotes, Blaues und Violettes, ja sogar tiefstes Schwarz in ihre weiße Glitzerpracht und verwandelte die Farben verlassene Welt in ein friedvolles, silberweißes Wintermärchen.
Lustig sprang sie vom Dach zur Sach`, hüpfte, buckelte und jauchzte, wedelte mit Händen und Füßen, kreischte und miaute freudvoll, tanzte wie Tänzer der West Side Story auf den Dächern von New York von Garten zu Garten und Haus zu Haus. Langsam und leise wandelte sie ihre Schneeverwehungen in Schneestürme, bis sich ein dichter weißer Vorhang vor unsere Fenster legte, eine Frau Holle-Decke auf die warmen, bewohnten und erwartungsvollen Dachfenster. Kaum hatten wir die Schneekatze entdeckt, stand kein Herz mehr still. Funken der Freude überkam die eigentlich schon müden Kinder, die kurzerhand wieder hellwach waren. Potzblitz sprangen sie in ihre Winterjacken, Schneestiefel, Handschuhe, Schal, Mütze und RAUS! „Wuhu!“, jubelten sie, während sie der Schneekatze einige Millionen Flocken abnahmen, die hastig versuchte, sie zu erneuern. Rasend schnell, um ihr geplantes Werk weiterhin zu vollziehen und sich von niemandem stören zu lassen. Doch insgeheim erfreute sie sich am Tanz der Seelen, den sie verursachte und kicherte frech in sich hinein. Sollen sie nur! So ist es gut! So und nicht anders!, dachte sie, während sich die Straße vor dem Haus mit Kindern füllte, die singend und tanzend dem weißen Traum begegneten. Schneeballschlacht, Schneekugeln, Poporutscher, Schneeengel oder einfach nur das weiße Pulver in die Luft wirbeln und die Landung der kühlen Flocken auf der warmen Haut spüren. Das warme, gelbe Licht der Laternen traute sich nicht, zu schwitzen, die weiße Katze zu verärgern und ihr Werk zur Schmelze zu bringen, also begnügte sie sich mit einem Hauch von Schein, gerade genug, um die Pracht zu vergrößern, das Silberweiß zu Kristallen zu veredeln. Wir, die besinnlich und still dem Treiben zusahen, waren voller Vergnügen, voller Glühen, voller Zufriedenheit über diesen Segen. Niemals war gewiss, ob sie kam, niemals war sicher, ob die Schneekatze jemals ihren Tanz vollziehen würde, weder wo und wann, noch ob. Eine Option war sie, nicht mehr und nicht weniger. Ein Wunder der Laune, die nur sie selbst kannte.
Doch heute, hier und jetzt, war sie mehr als guter Laune, steckte uns an, berauschte und beseelte, was zu beseelen war und gab uns den Trost, unseren Kindern doch noch das Wissen um sie zu vermitteln.
Aufgeregt versuchten sie, die Katze zu fangen, doch kaum hielten sie sie in ihren warmen Händen, schmolz sie dahin, um sich an anderer Stelle wieder neu zu formen. Ein ewiger Kreislauf, den man nicht sah und dennoch kannte. Geborgen und vertraut, als würde man in Mutters Schoß in den Schlaf gesungen werden.
Die Schneekatze!
Kaum hatte sie die erste Gier befriedigt, setzte sie zum nächsten Schachzug an. Unzufrieden vom weißen Vorhang wedelte sie nun mit ihren langen Schwanzhaaren wie ein Propeller über den Garten und fackelte nicht lange, jeden Strauch und Baum noch mehr zu fordern, ihnen zu zeigen, dass sie da war, sich nicht verscheuchen lassen würde, mächtig war. So mächtig, dass sie Äste knicken lassen konnte, Bäume auseinanderdriften ließ und die restlichen Kräuter unter sich erstickte und begrub. Jetzt war sie keine Lieblingskatze mehr, jetzt wollte sie es drauf anlegen. SIE wollte gesehen werden, anerkannt, respektiert und gefürchtet werden.
Also beschleunigte sie ihren friedlichen Tanz in eine wilde Rockoper und schleuderte die weißen Flecken achtlos und unbarmherzig auf das Land und seine Straßen. Ja! Das konnte sie! Zuerst ließ sie auf sich warten, dann lud sie zu einer Rumba ein, um uns anschließend mit einem Hardrockkonzert mit verbotener Einlage zu konfrontieren. Langsamer und langsamer fuhren unsere Fahrzeuge auf dem weißen Asphalt, ließen Spuren verschwinden, zogen neue in die Irre, denen Lichtkegel vertraut folgten, um an Bäumen zu kleben, Schilder umzufahren, im Graben zu landen, während die Scheibenwischer erfolglos gegen die Katze kämpften. SIE hatte längst keine Seele mehr im Blick. Sie war endlich in ihrem rastlosen Element angekommen, koste, was es wolle. Keine Fragen nach dem Wie, dem Wo, dem Warum.
Nur noch das! Erbarmungslos hätten wir meinen können, doch warum sollte sie ein Gewissen haben? Warum eines kennen? Warum uns gefallen? Warum uns verwöhnen? Warum uns verstehen? Nichts davon war ihre Aufgabe und wir wussten das! Hätte es aber doch vielleicht anders sein können?
Die Schneekatze. Einer Mutation zum Schneetiger gleich. Ging auf die Jagd, erstickte jedes winzige Grün, schluckte das Braun der Äste mit Leichtigkeit hinunter. Türmte sich mächtig und arrogant in den Himmel, stürzte hinab in die Tiefe, erdrückte Bäume, Dächer, Erde und Flüsse.
Wir, die wir ohnmächtig zusahen, erkannten die Macht der Schneekatze, knieten ehrfürchtig vor ihr nieder, gaben uns hin, ohne zu jammern, mutig, bejahend, entschlossen. Aber auch anerkennend und auf gewisse Weise huldigend. Waren es doch wir, die alles bewerteten, die allem mit Urteil gegenüberstanden. Die Freude und Leid voneinander trennten und sich den Emotionen hingaben. Die Schneekatze war die Schneekatze. Sie kam, wenn sie wollte, nie, wenn sie sollte, niemals wenn sie musste.
Ruhe und Stille kehrten ein. Das Land und die Menschen waren müde, sich zu wehren, waren im Frieden mit dem, was war, urteilslos, klar und friedlich. Nun konnte kommen, was wollte. Man nahm alles. Man nahm die Schneekatze, wie sie war.
Zufrieden schnurrte sie über der Welt, schmiegte sich an uns und hüllte uns in ihren vibrierenden Gesang ein. Sicher wog sie sich durch die Nacht, fühlte sich erfolgreich und authentisch, gerade so, als wäre sie die Herrscherin der Welt, der alles um sie herum zu Füßen lag.
Plötzlich schreckte sie hoch. Da war er! Ihr einziger Feind! Unser richtiger Freund! Da war er! Der Feuerdrache!
Hastig sprang die Schneekatze auf, rutschte aus, auf ihrem eigenen Tau, fiel zu Boden. Schlug auf. Hart und tölpelhaft, weil der Drache kurzerhand eine satte Portion Hitze auf sie geworfen hatte, und im nächsten Moment war sie bereits beschmutzt vom donnernden Reifen unserer Fahrzeuge. Doch der Feuerdrache hatte ebenso wie sie kein Erbarmen, wenn er in seinem Element war. Immer wieder spuckte er aufs Neue, veranlasste die Schneekatze, den Rückzug anzutreten. Das erste Weiß wurde braun. Hilfe suchend rang sie nach Kälte, versteckte sich unter Büschen und Ästen, im Schatten der Bäume und Sträucher, hinter Häusern und Schuppen. Doch ihr Feind war nicht träge. War er uns doch freundlich gesonnen, brachte Leben und Wärme, Klarheit und Energie. Langsam aber beständig riss er der Schneekatze jedes kleine Härchen aus, zog und piekste sie, zeigte ihr, was aus ihr werden konnte, wenn sie nicht bald verschwand. Verbrannte die feinen Silberhaare, die verkohlt und dreckig in den Rinnsalen liegen blieben, bis die Funken des Drachen sie restlos beseitigten.
Doch dann kam erneut die Nacht und der Feuerdrache war müde. Dies war die Stunde, die sie nutzen konnte. Jetzt und hier war die Wärmespinne allein ihr Verbündeter, half ihr, sich erneut zu rüsten, sich noch einmal tanzend zu zeigen. Und so hüpfte und sprang sie rastlos die ganze Nacht hindurch, unermüdlich kämpfte sie sich erneut über Busch und Baum, über Strauch und Lauch, über Dach mit einem Ach. Jämmerlich versuchte sie ihre Rumba zu wiederholen, doch es war höchstens ein kläglicher Versuch, eines Wochenend-Crash-Kurses im Standard-Bereich, weil man per Zufall auf einen Ball eingeladen wurde und sich seiner Unfähigkeit bewusst war. Stunde um Stunde zogen Flocken durch die dunkle Nacht, verirrten sich, schwirrten und wirbelten, konnten jedoch nicht wirklich landen und die Magie des Wintermärchens wiederholen.
Erschöpft und müde sank sie in der Morgendämmerung zu Boden, miaute klagend dem Feuerdrachen entgegen, der sich bereits siegessicher rüstete. Seine großen Schwingen breitete er über dem Horizont aus, hob und sank sie, flog langsam und kraftvoll voran und überzog das Land mit seinem warmen, goldenen Licht. Die beiden hätten niemals Freunde sein können, so unterschiedlich waren sie, von kontrastreicher Natur, die eine Zusammenkunft nur selten und nur in extremer Höhe zulassen konnte. Dort in den Bergen, wo die Temperaturspinne ihre Fäden zog, konnten beide frei sein, beide ihrer Natur freien Lauf lassen, ohne sich etwas zu neiden, ohne zu streiten, ohne zu kämpfen, ohne zu protzen, ohne zu provozieren. Gerade so, als wären die Gipfel der Erde ihr stilles Gewebe, das beiden Raum gab für das, wozu sie bestimmt waren.
Die Silberkatze schnurrend in den Fängen des Feuerdrachens, schwebend, die Spinne unter und um sich herum fleißig ihre Fäden webend, alles in allem ein Anblick des Friedens und der Einkehr.
Jetzt und hier spielten sie ihr immer wiederkehrendes Spiel. Die eine rüstete sich in der Nacht, der andere lebte seine Kraft am Tage und jeder für sich gab alles, was in seiner Macht stand, das Spiel in diesem Moment zu gewinnen. Heute sah es so aus, als würde der Drache der Sieger sein, wenn seine Flammen stark genug und lange genug anhielten.
Morgen jedoch war vielleicht alles anders. Die Schneekatze war unberechenbar, man konnte niemals wissen, wozu sie im Stande war. Heute schmiegte sie sich an jeden Baum und Strauch, und im nächsten unachtsamen Moment peitschte sie uns ihre Krallen entgegen und fauchte, dass sie uns das Fürchten lehrte. Dieses Biest! Man kann wirklich niemals wissen, wann sie kommt, wo sie kommt, wie sie kommt, und vor allem OB sie jemals wieder kommt.
Deshalb freuen wir uns einfach heute über die sanfte und lieblich schnurrende Schneekatze! Heute ist sie niedlich, heute ist sie liebevoll, jetzt und hier spielen Kinder mit ihr und toben und vollführen einen gemeinsamen Tanz. Für die einen ist es die liebevolle Rumba, die anderen eine fetzige Salsa. Manche sehen nur den erotischen Tango und wieder andere wollen vom klassischen Walzer nicht weichen. Sie ist, wie sie ist, die Schneekatze, verführt Landschaften, Bäume und Gartenpavillons in geheimnisvolle, idyllische und bizarre Perspektiven, kristallisiert alles, woran sie vorüberzieht, und schafft das, was der Feuerdrache niemals schaffen kann: Magie!
Die Magie der Schneekatze!

26. Dez. 2015 - Nena Siara

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