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Staubdämmerung
von Jana Engels

Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:

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A. Bionda
46 Beiträge / 49 Interviews / 102 Kurzgeschichten / 2 Artikel / 136 Galerie-Bilder vorhanden
Shikomo Shikomo
© http://www.shikomo.de
Als Takama geboren wurde, lagen bereits viele Jahrzehnte der Staubdämmerung über der Erde. Die gewaltigen, tektonischen Bewegungen, die Ursache der kontinentalen Neuordnung, sowie die dadurch bedingte große Völkerwanderung schienen allmählich in ruhigeres Fahrwasser gelangt zu sein und langsam bekamen die Dinge wieder einen Hauch von Beständigkeit.
Als Takama geboren wurde, hatten sich die Menschen weitgehend mit den Veränderungen arrangiert und wieder Erwartungen an ihre Zukunft. Sie konzentrierten sich darauf, die Forschung und Technik voranzutreiben und ein Vorwärtskommen war zweifelsohne von Nöten, um mit den veränderten Bedingungen auf dem ausgelaugten Planeten zurechtzukommen. Die Dunkelheit hielt an und es war klar wie Kloßbrühe, dass es kein Zurück mehr geben konnte. Ein Leben unter blauem Himmel mit weißen Klischeewölkchen, sauberer Luft und Sicht auf die Sonne gehörte endgültig einer romantischen Vergangenheit an.
Als Takama geboren wurde, war die Zahl der Sterbenden immer noch hoch, viel zu hoch. Doch Gründe dafür waren nun nicht mehr Verwüstung, Wassermangel und ausgedehnte Hungersnot. Es gab eine andere, neue Bedrohung, das Staubfieber. Es handelte sich dabei um eine Krankheit, zu deren Ausbruch es erstmalig etwa zehn Jahre nach der Atmosphärenverdunkelung gekommen war und die ihre Opfer seither täglich in großer Zahl suchte und fand. Die Weltbevölkerung schrumpfte kontinuierlich. Männer, Frauen und Kinder siechten dahin und es war einfach nicht möglich, des Virus habhaft zu werden oder gar ein Gegenmittel zu entwickeln. Eine Behandlung war bestenfalls nur symptomatisch und mit mäßigem Erfolg möglich.
Als Takama geboren wurde, waren bereits alle Gebäude mit akribisch arbeitenden Luftfilteranlagen und hoch entwickelten Schleusensystemen ausgestattet. Es war ein verzweifelter Versuch, die Verseuchung der Wohnstätten in irgendeiner Form zu vermeiden, denn war man erst infiziert, blieb nicht mehr viel Zeit, bis der qualvolle Tod begann. Zumindest bei den meisten. Es gab in der Tat Ausnahmen und diese, es waren vorrangig Kinder, wiesen nach einem schrecklichen Leidensweg, einer Zeit im schlimmsten Delirium, tatsächlich Immunität auf.

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Als Takama sechs Jahre alt war, durchlebten auch sie und ihre Eltern diese Grausamkeit. Das Staubfieber drohte nunmehr das vierte und letzte Kind dahinzuraffen und es gab keine Möglichkeit, die Leiden der Tochter zu mindern. Der kleine Körper glühte im Fieber. Das Mädchen weinte und schrie vor Schmerzen, bis das Blut aus Mund und Nase zu fließen begann und die letzte Phase vor dem fast unvermeidlichen Tod, das stille Leid, eintrat. Für einen Moment stand auch Takamas Atem still, war sie mehr tot als lebendig, doch nur einen Tag später, durfte man auch sie zu den wenigen Ausnahmen zählen. Das kleine Mädchen hatte das Staubfieber überstanden.
Als Takama sechs Jahre alt war, kannten die Menschen, die die Erde bewohnten, den klassischen Wechsel von lichtdurchfluteten Tagen und dunklen Nächten nur noch aus den alten Medien und Erzählungen, denn die dicke Schicht aus Rauch und Staub, die sich hartnäckig und allgegenwärtig über den Köpfen der Menschen hielt, ließ an besonders guten Tagen gerade einmal eine Art Dämmerung zu. Dort, wo man auf künstliches Licht verzichtete, lag die Oberfläche des einstig Blauen Planeten Tag und Nacht in Dunkelheit.
Takamas Familie gehörte zu den knapp vier Millionen Menschen, welche die Neue Romanische Insel, kurz NeRo bewohnten. Im Gegensatz zu den anderen alten Kontinenten, die von den massiv wirkenden Kräften binnen kürzester Zeit in- und übereinander geschoben worden waren, war NeRo aus dem ehemaligen eurasischen Gefüge herausgebrochen und in den nördlichen Atlantik verschoben worden. Das Leben auf dieser neuen Insel, die aus Teilen Skandinaviens, der Schwarzmeerküste, Mitteleuropas und der Iberischen Halbinsel bestand, war größtenteils unabhängig, genauer gesagt gesellschaftlich isoliert, fernab vom Rest der Welt. Denn das Fliegen war aufgrund der Staubbelastung schon längst nicht mehr möglich und der einzige Weg die Insel zu verlassen, beschränkte sich auf die Nutzung einer alten Fähre, die jedoch ein ernsthaft makaberes Preis-Leistungsverhältnis bot.

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Als Takama ihren elften Geburtstag feierte, hatte auch ihr Onkel, Dr. Thomas Sattler, Leiter der Forschungsabteilung bei IMTECH, einem Unternehmen, das eine offenbar unerschütterliche Monopolstellung in allen erdenklichen Wirtschaftszweigen auf NeRo ausgebaut hatte, Grund zur Freude, denn er hatte einen Durchbruch in seiner Forschungsarbeit errungen. Dr. Sattler war es tatsächlich gelungen, ein besonderes Verfahren zu entwickeln, das ihm ermöglichte, den Staubfieber Antikörper AV45+C im Blut zu isolieren und durch Verabreichung einer besonderen Substanz, dessen Vervielfachung anzuregen. Dies war ein enormer Fortschritt für die Menschheit, eine Chance ihren Fortbestand zu sichern und würde ihm, davon war er felsenfest überzeugt, über den Tod hinaus Ruhm und Ehre einbringen. Dass man ihn vielleicht einmal als Retter der Menschheit betiteln könnte, milderte tatsächlich seinen Ingrimm darüber, AV45+C nicht synthetisch herstellen zu können.
Vom Tage ihres elften Geburtstags an, war Sattler nicht nur am Blut seiner Nichte interessiert, sondern besessen von der Idee, das Mädchen zu seiner lebendigen Quelle für AV45+C zu machen und einen Impfstoff gegen das Staubfieber zur Verfügung zu stellen. Doch seine Schwester hütete das letzte Kind wie ihren Augapfel und würde eine offene Anfrage rigoros ablehnen. War die Absage erst einmal erteilt, so war die Möglichkeit an das wertvolle Blut zu gelangen fast aussichtslos und er konnte diesen medizinischen Schatz als so gut wie verloren betrachten. Es war ein wirklich kniffliges Unterfangen für Dr. Sattler eine Lösung in dieser Sache zu finden. Eine klassische Entführung, so wie es in der alten Zeit zuhauf geschehen war, war aufgrund der geregelten Chipkennung schlichtweg ausgeschlossen. Das Kind musste schon aus freien Stücken an den guten Onkel übergeben werden.
Sattlers Besessenheit war der Antrieb, in monatelanger Arbeit neben der Forschung an einem Pseudo-Förderprogramm für begabte Kinder zu arbeiten, bis es endlich spruchreif war. Die IMTECH-Konzernleitung hatte sein Vorhaben abgesegnet, die Umsetzung war lückenlos geplant und Takama passte so unglaublich ins Auswahlprofil, dass es fast unheimlich war. Es grenzte schier an Unmöglichkeit, sie nicht in die Förderung aufnehmen zu können.
Als die jährliche, fast siebenmonatige Eiszeit auf NeRo bereits angebrochen war, startete das Programm, dessen vollständiges Auswahlverfahren Sattler aus dem Hintergrund geleitet und mit Argusaugen beobachtet hatte. Selbstverständlich hatte er seiner Schwester und seinem Schwager jederzeit mit nützlichem Hintergrundwissen und guten Ratschlägen zu Seite gestanden, so lange, bis sie keinen Zweifel mehr daran hegten, dass dieses Projekt nicht nur das Richtige für ihr Kind, sondern auch eine einmalige Chance auf eine gute Ausbildung war.

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Kurz vor ihrem zwölften Geburtstag zog Takama gemeinsam mit neun anderen Kindern in das eigens dafür errichtete Internatsgebäude Q auf dem Gelände der IMTECH ein. Die Unterbringung auf dem Firmengelände hatte selbstverständlich plausible organisatorische und medizinische Gründe. Die Kinder sollten keiner Staubbelastung oder jeglichem anderen möglichen Stress ausgesetzt sein, und im Falle einer etwaigen Erkrankung bestmöglich versorgt werden können.
Sowohl in der ersten als auch in der dritten Etage war das Internat durch gläserne Röhren von etwa fünfzig Metern Länge mit dem Forschungszentrum verbunden. Innerhalb dieser Durchgänge simulierte das patentierte und ebenfalls unter Dr. Sattler entwickelte Erlebnisbeleuchtungskonzept in der Ausführung „Sommerbrise“ einen strahlend blauen Himmel über grüner Wiese. Durch das Soundsystem erklang das unbeschwerte Zwitschern längst vergangener Vogelarten und über die Belüftungsanlage transportierte ein wechselnder, angenehm warmer Luftstrom sorgfältig ausgewählte Duftstoffe durch das Glas. In diesen Röhren sollte es tatsächlich gelingen, das wohlige Gefühl eines Sommerspaziergangs, so wie es in der alten Zeit möglich gewesen war, zu erahnen. Von außen betrachtet, vor dem beständig düsteren Hintergrund strahlten die beiden Glasröhren etwas Phantastisches und Geheimnisvolles aus. Es schien, als ermöglichten sie den Blick in eine andere Dimension.
Sattler begann seinen Tag bereits um 4:30 Uhr. Die Wohnung, in welcher der hagere und bereits grau melierte Mann lebte, befand sich im zweiten Stockwerk des Forschungsgebäudes. Sowohl Sattler als auch die IMTECH-Konzernleitung konnten diesem Zustand nur Gutes abgewinnen. Hier war der Doktor jederzeit erreichbar und so nah an seiner Arbeit, wie es ihm wichtig war. Von allen Problemen, die so ein selbstständiges Leben mit sich brachte, blieb er verschont. Bei IMTECH kümmerte man sich strukturiert um ihn.
Dennoch machte sich an besagtem Morgen Anspannung in Sattler breit, dieser Zustand war ihm in gleicher Weise fremd wie zuwider. Mit kalten, schwitzenden Händen erwartete er die Kinder in der ebenfalls im Konzept „Sommerbrise“ erstrahlenden Mensa. Er versicherte sich, dass die individuell zusammengestellten Mahlzeiten vorbereitet waren und eine korrekte Verabreichung seines Serums, durch welches die Vervielfältigung von AV45+C in Takamas Blut beginnen sollte, vollständig und unbemerkt vonstattenging.

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Als Takama über die ersten Beschwerden klagte, war die inoffizielle Produktion der Antikörper bereits erfolgreich angelaufen. Laut Sattlers Berechnungen sollte die erste Ernte schon möglich sein und eine freudige Erregung befiel den Wissenschaftler, als das Mädchen die Krankenstation betrat. Seine Probandin war noch blasser als sonst. Unter den Augen zeichneten sich dunkle Schatten ab und bildeten einen starken Kontrast zu der fahlen Hautfarbe. Der Blick war durchdringend und es hatte sich eine auffällige Reizbarkeit bei ihr eingestellt. Die Fragen des Onkels beantwortete das Mädchen nur widerwillig, sein ganzes Wesen wirkte bedrohlich, ähnlich dem eines hungrigen Raubtiers.
Dr. Sattler wollte keine Zeit verlieren. Er nahm noch einige Standardmessungen für sein Protokoll vor, bevor er unter einem Vorwand endlich die ersten fünfhundert Milliliter des kostbaren Blutes abzapfen konnte. Sofort machte er sich an die Untersuchung der Probe und fühlte sich anlässlich des Ergebnisses wie berauscht. Seine kühnsten Hoffnungen wurden bestätigt, AV45+C konnte problemlos isoliert werden. Wenn es nun noch ausreichend stark war und ihm die Konservierung mit Thiomersal gelang, war es ihm bereits in kürzester Zeit möglich, den Impfstoff einzulagern. Wie viel genau hing natürlich von Takamas Verfassung und ihrem Durchhaltevermögen ab.

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Als Takama starb, bestimmte die durch Verantwortungsbewusstsein geprägte IMTECH-Konzernleitung es zu einer ihrer großen und wichtigen Aufgaben, den verzweifelten Eltern in jeglicher Form beizustehen und Unterstützung zu leisten. Neben einer Rundumversorgung durch ein ausgebildetes Team von Trauerbegleitern sollte auch eine nicht geringe finanzielle Zuwendung den Schmerz über den Verlust der zwölfjährigen Tochter wenigstens im Ansatz mildern. Dass der Verlust selbstverständlich nicht mit Geld aufzuwiegen war, darüber war man sich einig.
Eine weitere Aufgabe, die weitaus schwierigere wohlbemerkt, war es, Dr. Sattler davon zu überzeugen, dass es absolute Priorität hatte, erst einmal Gras über die ganze Angelegenheit wachsen und die Medien keinen Wind davon bekommen zu lassen, bevor man sich endlich im lang ersehnten Ruhm als Retter der Menschheit suhlen konnte.

13. Dez. 2015 - Jana Engels

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