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Quarantäne von Barbara Büchner
Nach einer teilweise wahren Geschichte
Danny Tobias wusste sofort, was die Uhr geschlagen hatte, als sich die beiden streng blickenden jungen Leute an seiner Tür als Mitglieder des Tierschutzvereins zu erkennen gaben. Es war nicht das erste Mal, dass er wegen der verdammten Villa Ärger bekam als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er weder das Haus noch das Grundstück nutzen konnte, aber kräftig Steuern dafür zahlen musste! Und vermieten oder verkaufen konnte er es, wie die Dinge nun einmal lagen, natürlich auch nicht. Er musste froh sein, wenn er von Anzeigen bei der Polizei, dem Tierschutzverein, dem Kinderschutzverein und sonstigen wohltätigen Vereinen verschont blieb.
Der Jüngling mit dem blonden, zu einem Zöpfchen geflochtenen Bart wies anklagend auf die viktorianische Villa, die am entfernten Ende des Gartens lag, weit weg von dem ehemaligen Pförtnerhäuschen, in dem Danny sein Notquartier aufgeschlagen hatte. Halten Sie Hunde in diesem Haus, Sir?
Nein, knurrte Danny. Ich halte überhaupt keine Hunde. Nur zwei Meerschweinchen.
So! Das Mädchen mit der dreifarbigen Punkfrisur blickte ihn an, als wolle sie ihm gleich mit einer 500 Watt-Lampe voll ins Gesicht leuchten. Es waren aber gewiss nicht die Meerschweinchen, die nach Auskunft glaubwürdiger Zeugen in dem Haus jämmerlich geheult und gebellt haben! Sir, wir müssen Sie ersuchen, dass Sie uns die Tür öffnen.
Das geht nicht. Es war ein nutzloses Rückzugsgefecht. Er kannte diese Art idealistischer junger Leute. Wenn sie vermuteten, dass er in der verlassenen Villa bei glühender Augusthitze jammernde Hunde gefangen hielt, würden sie ihm aus lauter Liebe zur Kreatur eins über den Schädel ziehen, die Tür aufbrechen und auf ihrer Suche nach den vermeintlichen Gefangenen die halbe Villa zertrümmern. Also verbesserte er sich rasch: Das Haus ist seit einem Jahr versperrt und verriegelt. Es wird nicht benützt. Ratten werden Sie da drinnen vielleicht finden, aber sonst niemand.
Wir müssen Nachschau halten, Sir. Und wenn Sie uns nicht rasch in das verdächtige Haus lassen kommen wir mit unseren großen, starken Freunden und der Presse wieder, und dann lesen Sie morgen die Schlagzeile: Schwarzbärtiger Jude hält christliche Hunde in heimlichen Kerkern gefangen wollte er sie in ruchlosen Ritualen opfern?
Er gab nach. Bitte, wenn Sie unbedingt wollen! Aber zuerst unterschreiben Sie das hier. Damit reichte er jedem von ihnen ein Blatt Papier, auf dem der vorgedruckte Text stand: Ich N.N. erkläre, dass ich auf eigenes hartnäckiges Verlangen und unbekümmert um die Warnungen des Besitzers, Herrn Daniel Tobias, die Villa Crescentia Road 12 betreten habe und für alles, was mir dort zustößt, selbst verantwortlich bin. Unterzeichnet
Was soll denn der Scheiß?, fragte die Punkerin. Wollen Sie uns verarschen oder was?
Danny ging nicht auf den pöbelhaften Ton ein. Sobald Sie unterschrieben haben, können Sie rein. Vorher nicht. Etwas versöhnlicher die beiden handelten schließlich aus edlen Motiven heraus fügte er hinzu: Die Villa ist baufällig, und ich will nicht Jahre lang Ihre Arztrechnungen zahlen, wenn ein Brett unter Ihnen einbricht oder ein Lüster runterfällt.
Sie zuckten die Achseln, unterschrieben und machten sich auf den Weg zu der Villa. Danny begleitete sie, erklärte aber, dass er auf keinen Fall mit ihnen hineingehen würde. Da haben Sie die Schlüssel, sperren Sie jede Tür auf, die Sie wollen, gucken Sie in alle Kästen und unter die Betten, stochern Sie in den Kohlen wie´s Ihnen beliebt. Ich warte so lange draußen. Und wieder in versöhnlichem Ton erklärte er: Ich bin zu alt und fett, um bei der Augusthitze steile Treppen in einem ungelüfteten Haus auf und ab zu klettern.
Wir machen das schon!, erklärte das Mädchen im Tonfall einer altgedienten Geheimdienst-Agentin. Und wir finden, was wir suchen, alter Schurke, mach dir keine Illusionen!
Zwischen der Pförtnerloge und der ehemals herrschaftlichen Villa hob sich der Garten in einer steilen Bodenwelle, was das Gebäude um ein Beträchtliches größer erschienen ließ, als es tatsächlich war. Finster und bedrohlich sah es aus mit seinen zugemauerten Fenstern und Türen, von denen nur die Terrassentür zum Garten hin eine Ausnahme bildete. Dafür war diese eine Tür mit hebräischen Schriftzeichen, Sternen und Schnörkeln in weißer Farbe bemalt. Von einem Türpfosten zum anderen war über die Terrasse ein Halbkreis gezeichnet, der von ähnlich kabbalistischen Runen unterbrochen wurde. Danny merkte, wie die beiden Tierschützer einander ansahen und heimlich Gesichter schnitten. Guckt nur!, dachte er, und wartet, wie ihr erst gucken werdet, wenn ihr drinnen seid
allein mit Ella und ihren Hunden!
Steigen Sie vorsichtig über die Grenze und achten Sie darauf, dass Sie nichts verwischen!, mahnte er, und nachdem die beiden gehorcht hatten, fügte er hinzu: So, und jetzt tun Sie, was Sie nicht lassen können aber ich habe Sie gewarnt.
Die beiden Tierschützer verschwanden im Haus. Danny, dem die Hitze zusetzte, suchte sich einen schattigen Platz auf der Terrasse und ließ den Blick über das immer baufälliger werdende Gebäude schweifen. Die kupferbeschlagenen Türmchen mit ihren lächerlichen Wetterfahnen glitzerten in der Sonne. Im Ganzen gesehen, war es ein wohlgeratenes, typisch viktorianisches Haus von der Art, wie sie in Gruselfilmen zur Standardausrüstung gehörten, hoch und schlank, mit viel unnützem Schnickschnack in Gestalt von Vordächern, Erkern, Türmchen und an den Enden der Dachfirste hockenden Wasserspeiern. Zur Zeit seines Ururgroßvaters war es das Nonplusultra architektonischer Eleganz gewesen. Jetzt lachten viele Leute darüber. Guck mal, ein Munster-Haus, sagten die Vorübergehenden.
Danny lauschte. Da die Fenster und Luken des Hauses sämtlich vermauert waren wobei man in das Mauerwerk gewisse rituelle Gegenstände eingebettet hatte konnte er kaum ein Geräusch von drinnen hören, anders als zu der Zeit, als der Garten vom Gekläffe und Gejaule der Hunde widerhallte. Insgesamt sieben hatte seine Schwester Ella besessen, alle klein, zottig, mit vorquellenden Augen, von undefinierbarer Rasse und bösartigem Charakter. Genau wie Ella auch keiften sie alles an, was ihnen begegnete, und fletschten drohend die Zähne, nur hatte Ella seines Wissens nie jemand in die Wade gebissen. Die Hunde schon. Und wehe, irgendeiner dieser Gebissenen beklagte sich. Dann überschwemmte ihn eine Flut von Beschimpfungen, und obendrein wurde ihm haarklein nachgewiesen, dass er selbst an dem Biss schuld gewesen sei: Was müssen Sie auch dort gehen, wo ich mit meinen Hunden gehe? Sehen Sie zu, dass Sie verschwinden, oder ich zeige Sie an!
Ella hatte mit dem größten Vergnügen jeden angezeigt, der ihr in die Quere kam. Die Polizisten im Revier unten an der Straßenecke hatten bereits Magenkrämpfe bekommen, wenn sie auftauchte, begleitet von ihrer Hunde-Armada, und mit schrill durchdringender Stimme in abgehacktem Tonfall ihre Beschwerden hervorkläffte, was immer an die zwei Stunden in Anspruch nahm. Sie begnügte sich nämlich nicht damit, den Inhalt der jeweiligen Beschwerde zu Protokoll zu geben, sondern auch alle ihre anderen Beschwerden der letzten zwölf Jahre. Wagte ein Polizist darauf hinzuweisen, dass es sich um Lappalien handle, so hatte er prompt den Titel Versager und eine Dienstaufsichtsbeschwerde am Hals.
Tobias seufzte schwer. Schon als Kind war Ella reizbar und rechthaberisch gewesen und hatte Danny Tobias, wiewohl er der Ältere war, so eingeschüchtert, dass er ihr niemals zu widersprechen wagte. Mit den Jahren wurde dieser Zustand immer heftiger, bald war es die gesamte Nachbarschaft, die Ella aus dem Weg ging. Oder jedenfalls gehen wollte wenn das so einfach gewesen wäre! Sie hatte eine geradezu übernatürliche Fähigkeit, plötzlich wie aus der Erde gefahren vor Leuten zu stehen, die auf Zehenspitzen um die Häuser geschlichen waren, um ihr nicht zu begegnen, und dann ging es los. Ihr Wortschatz schien zur Gänze aus Beleidigungen zu bestehen, die sie in wechselnder Anordnung, aber immer mit weithin gellender Stimme an den Mann oder die Frau brachte. Hin im Schädel meschugge völlig vertrottelt Sie gehören in eine Anstalt Sie sind ja geistesgestört verschwinden Sie auf der Stelle, hier gehe ich und sonst niemand das war nur eine kleine Auswahl der Texte, zu denen ihre bösartig geifernden und schnappenden Hunde die Hintergrundmusik lieferten. Übrigens waren Ellas Hunde stets vorschriftsmäßig an der Leine, allerdings einer sieben Meter langen Laufleine, sodass es mühelos möglich war, sie auf Bissweite an ihr Opfer heranzulassen. Danny erinnerte sich an einen alten Mann, der das Pech gehabt hatte, auf genau jenem Weg zu stürzen, den sich Ella und ihren Hunden als Morgenpromenade erwählt hatte. Weit entfernt davon, dem jammernden Greis auf die Beine zu helfen oder wenigstens Hilfe zu rufen, hatte sie ihren Hunden die Leine so lang gelassen, dass sie ihn zwicken und zwacken konnten, während sie in schrillem Stakkato in unendlicher Wiederholung kreischte: Stehen Sie endlich auf! Gehen Sie mir aus dem Weg! Sie alter Trottel, Sie gehören ja längst in die ewigen Jagdgründe! Was müssen Sie da noch herumkriechen, wenn Sie zu verblödet sind sich auf den Beinen zu halten! Gehen Sie endlich weg! Der Weg da gehört mir!
Danny, der längst jede Diskussion mit seiner Schwester aufgegeben hatte und ihr ebenso ängstlich aus dem Weg ging wie alle anderen auch, beobachtete mit klinischem Interesse, wie Ella ihr Innerstes nach außen kehrte: Immer waren es die anderen, die verrückt, verlogen, bösartig, hinterlistig, geistesgestört und zanksüchtig waren. Sie selbst war anders, wie sie ihrem Bruder mehr als einmal erklärte (wobei ihre Stimme schrillte wie eine Fußballtröte und ihre hellen Augen bösartig funkelten): Ich bin ein guter Mensch, ich liebe alle Menschen und alle Tiere, ich tue immer nur Gutes, ich weiß nicht warum die Leute so feindselig sind, wahrscheinlich sind sie alle geistesgestört
Da alle ihre Nachbarn geistesgestört waren, stellte Ella auch häufig Anträge, sie in geschlossenen Anstalten unterzubringen. Sie korrespondierte auf das Eifrigste mit den verschiedensten Behörden. Eines ihrer Opfer, erinnerte sich Danny, war als unzurechnungsfähig gemeldet worden, weil er seinem Hund einen Namen gegeben hatte, der Ella nicht gefiel. Da er uneinsichtig geblieben war und seinen Hund weiterhin Bello nannte, sah Ella als erwiesen an, dass er einen Vormund brauche. Alle Leute, die nicht einsehen wollte, dass Ella Tobias immer recht hatte, waren geistesgestört. In Ellas Diktion: Hin im Schädel.
Es war alles sehr unerfreulich gewesen, und als Ella starb, war ein Aufatmen durch die Nachbarschaft gegangen. Sie hatte die ewige Reise mitsamt ihren Hunden angetreten, beflügelt von einer schlecht gewarteten Gastherme schlecht gewartet deshalb, weil sich kein Klempner und keine Putzfrau in die Villa wagte.
Danny Tobias war zu diesem Zeitpunkt längst aus der Villa in das Pförtnerhaus gezogen, und sobald seine Schwester samt Hunden unter der Erde war, hatte er sich in das Stammhaus der Familie zurückgewagt. Damals hatte er eine Menge Pläne gehabt, es renovieren zu lassen und ein Apartmenthaus oder vielleicht eine Frühstückspension für Touristen daraus zu machen, aber Ella hatte ihm in die Suppe gespuckt. Ihr Leib mochte auf dem Friedhof liegen, aber ihr Geist samt den Geistern sämtlicher Hunde, die sie jemals besessen hatte klammerte sich an die Villa.
Danny wurde aus seinen Gedanken gerissen, als im Inneren der Villa, nahe der Terrassentür, ein gellender Schrei ertönte, ein Holpern und Hopsen, und dann flehentliche Bitten um Hilfe. Er rührte sich nicht. Er hatte den beiden Dummköpfen ja gesagt, dass es schiefgehen würde. Nicht, dass sie ihm nicht leidtaten, aber er dachte nicht daran, die Villa zu betreten und sie rauszuholen. Schließlich hatte Ella es auf ihn ganz besonders abgesehen, weil er es war, der sie eingesperrt hatte.
Wieder ein Kreischen, ein Hilfeschrei, ein Poltern, und dann flog plötzlich die Tür auf. Als hätte das Haus sie ausgespuckt, torkelten die beiden Tierschützer auf die Terrasse heraus, krabbelten wie verwundete Käfer auf allen vieren die breite Treppe hinunter und fielen unten röchelnd ins Gras. Danny vergewisserte sich, dass die kabbalistischen Zeichen und der Zauberkreis unversehrt waren, dann hob er die Schlüssel auf, die dem Jungen aus der Hand gefallen waren, und versperrte sämtliche Schlösser mit großer Sorgfalt, wobei er den Vers vor sich hinmurmelte, den ihn der Rabbi für solche Fälle gelehrt hatte: Was zertrennt war, werde wieder zusammengenäht. Was verwundet war, werde wieder geheilt. Was zerbrochen war, werde wieder zusammengefügt. Was geöffnet war, werde wieder geschlossen.
Dann stieg er vorsichtig über den Halbkreis, steckte die Schlüssel ein und begab sich zu seinen ungebetenen Gästen.
Sie sahen schlimm aus. Beide waren auf ihrer panischen Flucht die lange, steile Treppe hinuntergefallen, wobei sich der Junge den Knöchel verstaucht und einen fingerlangen Span in die Wade gestoßen hatte, während das Mädchen Schürfwunden an den nackten Armen und Beinen und vom Aufprall an den Pfosten eine gebrochene Nase hatte. Außerdem waren sie beide sehr, sehr verängstigt. Sie winselten und zitterten und hielten sich aneinander fest wie Hänsel und Gretel im tiefen Wald.
Danny Tobias wies sie an, ruhig im Gras sitzen zu bleiben, während er nach der Ambulanz telefonierte und dann aus seinem Pförtnerhaus einen Krug Wasser und einen Flachmann mit Schnaps holte. Sie blieben aber erst sitzen, als er ihnen schwor, dass Ella sicher nicht herauskommen würde weder sie noch ihre Hunde.
Sie kann nicht!, versicherte er ein ums andere Mal. Der Rabbi kennt sich aus mit solchen Sachen. Er wusste gleich, dass das ein schwieriger Fall ist, und traf alle nötigen Vorkehrungen.
Und um die beiden zu beruhigen, bis die Ambulanz kam, erzählte er ihnen die ganze Geschichte.
Ich bin ja nun nicht so besonders fromm, eigentlich bin oder war ich ein säkularer Jude, aber wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, denkt man doch an die Geistlichkeit, das ist bei uns nicht anders als bei den Anglikanern oder Katholiken. Und mir stand das Wasser bis zum Hals, das könnt ihr mir glauben. In ihrem ganzen Leben war Ella nicht so schlimm gewesen wie nach ihrem Tod. Sie überhäufte mich mit Vorwürfen wegen der Gastherme dabei war sie selbst schuld, dass sich der Klempner weigerte, seine Arbeit zu tun, nachdem ihre Hunde ihm die Hose zerrissen hatten. Und sie war selbst schuld, dass die Putzfrau nicht mehr kam, die wollte sich eben nicht als ´völlig vertrottelten Trampel´ bezeichnen lassen, und das in Intervallen von fünf Minuten. Sie meinte, ich hätte eben die Therme reparieren müssen, unabhängig davon, dass ihre Köter mich jedes Mal anfielen, wenn ich das Haus betreten wollte, weil das eben nur ihr Haus war. Nun ja
und sie erschien nicht nur mir, sondern allen, die das Haus betraten, angefangen mit dem Mann, der es wegen der Erbschaftssteuer schätzen wollte, bis hin zu den Arbeitern. Keiner blieb länger als zehn Minuten darin. Unter solchen Umständen war natürlich nicht daran zu denken, irgendetwas zu renovieren oder es zu verkaufen, also wandte ich mich an unseren Rabbi. Der sah sich das Haus an und war nach fünf Minuten wieder draußen. Ella hatte wohl geahnt, warum er kam, und ihm gleich das volle Konzert vorgespielt. Ich hörte sie kreischen bis auf die Terrasse hinaus, und zwar nicht mit einer fadendünnen Geisterstimme, sondern mit demselben grausigen Organ wie zu Lebzeiten. Wenn sie richtig loslegte, hatte man sie drei Straßen weit gehört. Der Rabbi war erschüttert. ´Das geht über mein Verständnis und meine Macht´, sagte er. ´Aber ich glaube, ich kenne den Mann, der damit zurechtkommt.´ Und wirklich erschien er nach einer Woche mit einem kleinen, krummen, aber sehr energischen Alten in weißen Strümpfen, Kaftan und Pelzmütze, einem richtigen chassidischen Wunderrabbi. Einige seiner Jünger begleiteten ihn. Sie gingen ins Haus hinein, und ich muss sagen, sie hielten sich wacker. Volle zwanzig Minuten blieben sie drinnen, obwohl ich dachte, es müssten jeden Augenblick die Fensterscheiben zerspringen und die Dachschindeln herabfallen. Dann kamen sie heraus, immer noch würdevoll, aber käseweiß um die Nasen, mit rollenden Augen und gesträubten Bärten, und erläuterten mir, dass es sich um einen sehr bösen Dybbuk und mithin einen sehr schweren Fall handle. Das allerdings hatte ich vorher auch schon gewusst. Ich hatte Ella schließlich ihr Leben lang gekannt.
Selbst der Wunderrabbi musste zugeben, dass er bei all seiner Kunst nicht im Stande war, Ella zur ewigen Ruhe zu zwingen oder sie aus dem Haus zu verbannen. ´Es bleibt nur ein Einziges, wenn auch hartes und bitteres Mittel´, sagte er. ´Die Quarantäne.´ Das würde mich zwar das Haus und das Grundstück kosten, aber immerhin würde ich meine Ruhe haben. Ich war einverstanden. Was sonst hätte ich tun sollen? Es war ein langwieriges, kompliziertes und befremdendes Ritual, das der alte Mann mit seinen bärtigen Jüngern vollzog. Alle Fenster wurden zugemauert und mit geheimen Zeichen versehen, alle Türen an der Innen- und Außenseite mit kabbalistischen Zeichen beschrieben. Es endete mit vielen hebräischen Gesängen und zuletzt dem Blasen des Schofar gegen alle vier Windrichtungen sowie den Himmel und die Erde, damit Ella auf keinem dieser Wege wieder entkommen könnte. Wie ihr gesehen habt, kann man die Tür, wenn es unbedingt nötig ist, öffnen, denn der Bann erstreckt sich bis auf die Terrasse heraus, aber man muss sie nachher mit einem bestimmten Spruch wieder versiegeln.
Warum haben Sie uns das nicht vorher gesagt?, murrte der Jüngling, der sein schmerzendes Bein umklammert hielt. Wenn wir gewusst hätten, was uns erwartet, wären wir niemals hineingegangen. Es war entsetzlich grauenhaft ...
Das Mädchen, dem das Blut aus der gebrochenen Nase rann, war derselben Meinung. Sie schniefte vorwurfsvoll.
Danny Tobias spuckte verächtlich aus. Ach ja? Hätte ich euch erzählen sollen, dass meine böse Schwester und ihre Hunde in dem Haus spuken? Dass es Geisterhunde sind, die man zuweilen bellen hört? Dann wärt ihr zufrieden wieder abgezogen? Haltet mich doch nicht zum Narren.
Sie ließen die Köpfe hängen. Es war ja unbestreitbar, dass er recht hatte.
Wenn es euch ein Trost ist, sagte er, so wisst, dass ihr nicht die Einzigen seid. Vor euch waren zwei Polizisten, ein Mann vom Gaswerk, einer vom Denkmalamt und zwei vom Finanzamt da. Und ihr seid noch vergleichsweise billig weggekommen.
Dann kam die Ambulanz. Die beiden jungen Leute wurden erstversorgt und dann in den Wagen gepackt, um im Krankenhaus auf eventuelle Knochenbrüche untersucht zu werden. Danny wünschte ihnen gute Besserung. Sie waren ja mit guten Absichten gekommen, und er trug ihnen nichts nach.
Ein paar Minuten blieb er noch vor der Villa stehen und blickte das Gebäude an, um das jetzt eine ominöse Stille hing. Er wusste, dass Ella da drinnen saß und ihn mit aller Wut der Hölle hasste. Schließlich hatte er ihr das Schlimmste angetan, denn es gibt wohl nichts Ärgeres für ein bösartiges Gespenst, als alleine spuken zu müssen, an einem Ort, wo es niemand sieht, niemand hört und sich niemand darüber ärgert.
04. Mai. 2017 - Barbara Büchner
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