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Rattenfänger von Dirk Taeger
Marlies Eifert © http://home.rhein-zeitung.de/~meifert/ Er schritt eilends aus. Das Unwetter hatte ihn überrascht, und er war darauf nicht vorbereitet gewesen. Es sollte eigentlich ein schönes und einsames Wanderwochenende werden, doch nun war ihm kalt und klamm. Der Regen fiel so dicht, dass er die Augen zukneifen musste, um noch etwas sehen zu können. Er hasste es, triefendnass durchs Weserbergland zu wandern. Den Vormittag hatte er gebraucht, um den Berg hochzuwandern. Er hoffte den Rückweg zu seiner Pension in Hameln in weniger als einer Stunde zurückzulegen. Dabei hatte der Tag mit strahlendem Sonnenschein begonnen.
Das Gewitter war überraschend hereingebrochen, so als wäre ein Zauber über das Land gefahren. Regen lief schon seinen Nacken herunter. Er beschleunigte noch seinen Schritt auf dem glitschigen Weg. Da, er glitt aus und fiel der Länge nach hin. Stechender Schmerz durchschoss seinen linken Knöchel.
Mist!, fluchte er und setzte sich auf. Der Knöchel tat höllisch weh. Er tastete ihn ab. Gebrochen schien er nicht zu sein. Doch er schwoll schon merkbar an. Was nun? Das Handy hatte er in der Pension gelassen, denn er wollte auf der Wanderung nicht gestört werden.
Suchend blickte er sich um.
Er musste einen Stock finden, den er als Krücke benutzen konnte. Links und rechts des Weges wuchsen niedrige Büsche, die alsbald von Tannen abgelöst wurden. Irgendwo müsste es doch einen heruntergefallenen Ast geben.
Er versuchte aufzustehen.
Den linken Fuß konnte er nicht belasten, so hüpfte er in den Wald hinein. Nach zwanzig, dreißig Metern, fand er endlich das Gesuchte.
Er wollte gerade den Weg zurückhumpeln, als er ein Licht bemerkte. Es war so schemenhaft, dass er erst an eine Einbildung dachte. Doch da war es, ganz eindeutig. Es kam aus dem tiefer gelegenen Wald.
Hallo?, rief er. Hallo! Ist da jemand? Hoffnung keimte in ihm auf. Dort schien Hilfe zu sein.
Er näherte sich dem Licht. Der Wald wurde dichter, doch das Licht war nun eindeutig zu erkennen. Der Regen ging in ein beständiges Nieseln über. Plötzlich war das Licht verschwunden. Er blickte sich um. Wo war es geblieben?
Erschrocken stellte er fest, dass er nicht mehr sagen konnte, aus welcher Richtung er gekommen war. Fluchend versuchte er den Weg wieder zu finden. Heute war wirklich nicht sein Tag.
Er konnte nicht sagen, wie lange er herumgeirrt war. Den Weg fand er nicht. Am Ende war er total erschöpft. Verzweiflung machte sich breit. Inzwischen dunkelte es. Er würde wohl die Nacht hier draußen verbringen müssen. Da kam es ihm gerade recht, dass er eine Höhle fand. Tief in den Berg ging sie hinein. Er zog sich darin zurück. Schabte aus einigen Blättern ein Lager zusammen und legte sich erschöpft nieder. Wenig später war er eingeschlafen.
Stimmen, er hörte Stimmen. Unruhig wälzte er sich hin und her, versuchte aus seinen Träumen zu entkommen. Dann schrak er hoch, erinnerte sich an das Geschehene: der Regen, der verstauchte Knöchel und das Verirren im Wald.
Hände berührten ihn. Er schreckte hoch. Was war das? Wer war das?
Die Stimmen waren noch da. Es war keine Einbildung. Sie waren hoch und fiepsig. Nun wurden Lampen angezündet, das Licht blendete ihn. Er versuchte zu erkennen, wer ihn andauernd berührte und erstarrte vor Furcht.
Es waren zehn, nein zwanzig kleine... wie sollte er sagen, Gnome? Sie waren alt, sehr alt, das konnte er sehen. Sie reichten ihm gerade mal bis zu seiner Hüfte. Bekleidet waren sie mit grauen Lumpen. Er schreckte zurück. Er versuchte sie zu verstehen, doch sie redeten alle durcheinander, während sie ihn weiter betasteten. Moment mal!, gebot er ihnen Einhalt. Was wollt ihr von mir? Wer seid ihr?
Stille, dann setzte das irre Gerede wieder ein, langsam kristallisierten sich Worte daraus hervor.
Komme mit, hörte er. Wir wollen dir dienen.
Sie zerrten an ihm, zogen ihn tiefer in die Höhle. Er ließ es in seiner Verwirrtheit mit sich geschehen.
Wieso wollt ihr mir dienen?
Unser Herrscher ist tot. Du wirst der Neue sein, antworteten die Wichte.
Ich will nicht euer Herrscher sein! Angst kam in ihm auf.
Doch, doch! Folge uns, folge uns.
Er konnte sich nicht wehren. Sie zogen und zerrten ihn mit sich.
Was ist mit eurem Herrscher geschehen?, fragte er neugierig.
Wir zeigen es dir. Wir zeigen es dir, antwortete der vielstimmige Chor.
Er musste weiter mit ihnen gehen, immer weiter, tiefer in den Berg hinein. Sie erreichten eine Halle aus Stein. Plötzlich blieben die Gnome stehen und zeigten ihm ihren toten Herrscher. Er saß auf einem Steinthron, mitten in diesem steinernen Dom. Er konnte sofort erkennen, dass dieser Herrscher schon lange tot war. Nur noch die Kleider hielten das Skelett zusammen. Er mochte schon Jahrhunderte dort so liegen.
Doch er sah noch etwas, und es dauerte einen Augenblick, bevor er verstand, was er dort sah. Der tote Herrscher hatte eine Flöte in der Hand. Als er es begriff, drehte er sich ruckartig zu den Gnomen um.
Nein, das konnte nicht sein. Nein, das war unmöglich. Jetzt, wo er sich die Wichte genauer besah, erschienen sie ihm eher, wie, ja, wie Kinder. Und sie kamen jetzt näher, immer näher an ihn heran.
Ein markerschütternder Schrei hallte durch den Felsendom, dann erstarb er. Es würde für eine lange Zeit der Letzte gewesen sein.
18. Jul. 2007 - Dirk Taeger
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