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Alles Anders
| ALLES ANDERS
Buch / Jugendbuch
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Kari Ehrhardt
Alles Anders
Carlsen Verlag, Hamburg, 8/2007
PB mit Klappbroschur, Jugendbuch, Belletristik, Romance, 978-3-551-58174-7, 204/1200
Titelgestaltung und Vignette von formlabor
Foto von Kalle Erlhoff
www.carlsen.de
Es gibt eine Menge, was Aphrodita Anders an sich nicht mag: Da wäre zunächst ihr ausgefallener Name, dann die unüblichen Klamotten und schließlich ihre exzentrische Familie, die sich selbst mit Humor nimmt. Bei Aphrodita ist wirklich Alles Anders als bei den übrigen Jugendlichen, und genau diesen Dingen hat sie es zu verdanken, dass sie an ihrer Schule ein verspotteter Außenseiter ist.
Zu gern wäre sie Katja Neumann, ein durchschnittliches, völlig normales Mädchen, das bei allen beliebt ist und auch von den Jungen beachtet wird. In den Sommerferien wird Aphrodita einfach zu Katja und zieht als angebliche Cousine bei ihrer Freundin Hannah ein. Zu den beiden gesellt sich noch ihre Mitschülerin Cosmea, die Aphroditas Probleme am besten verstehen kann, denn ihre Eltern sind Öko-Freaks und lassen auch kein normales Leben zu.
Aphrodita ist enttäuscht, weil ihre liberal eingestellte Familie sie ohne Aufheben ziehen lässt, und genießt dafür umso mehr die Fürsorge von Hannahs Eltern. Hannah wiederum empfindet deren Aufmerksamkeiten als nervige Gängelei, drückt ihren Protest durch Rauchen und Trinken aus und beneidet Aphrodita um ihre Freiheiten.
Schon bald amüsieren sich die drei Mädchen mit neuen Freunden, die sie auf einer Party kennen gelernt haben. Während Hannah weiterhin von Aphroditas Bruder Bartholomew, der davon überhaupt nichts ahnt, träumt und die anderen Jungen kaum beachtet, fühlen sich Cosmea und Aphrodita zu dem freundlichen und gut aussehenden Fabian hingezogen.
Aphroditas Glück erleidet einen jähen Dämpfer, als sich herausstellt, dass ihr Klassenkamerad Paul, der sie immer besonders eifrig ärgerte, ebenfalls zu der Clique gehört. Damit er sie nicht verrät, erpresst Aphrodita ihn mit einem seiner Geheimnisse, das sie zufällig entdeckte. Doch das komplizierte Lügengespinst fängt bereits an, für Aphrodita zum Fallstrick zu werden
Auf sehr vergnügliche Weise thematisiert die Autorin ein Problem, das viele Teenager beschäftigt: Keiner ist mit seinem Leben zufrieden, die anderen haben es alle besser. Was man hat, wird nicht geschätzt; erstrebenswert ist allein, was die anderen vorweisen können. Das fängt mit dem Namen an, geht über die Kleidung bis hin zum familiären Umfeld. Wer aus irgendeinem Grund aus der Masse heraus sticht, gehört nicht dazu. Diejenigen, die unbedingt Aufnahme in der Clique finden wollen, sind daher oft bereit, ihre Individualität aufzugeben und sich anzupassen, verleugnen mitunter gar jene, die ihnen nahe stehen.
Das passiert auch in Alles Anders. Ist es sonst ein streng konservatives Elternhaus, das nicht begreifen kann, dass ein Teen Jeans und Shirt statt mausgrauem Oma-Look tragen möchte, bedient sich die Autorin des gegenteiligen Extrems. Leider übertreibt sie es mit dem exzentrischen Milieu der Hauptfigur, so dass man zwar viel zu schmunzeln, aber eher den Werbespot mit dem kleinen Mädchen, das später auch mal Spießer werden möchte, vor Augen hat als eine realistische Familie. Auch bleiben gängige Klischees nicht aus, denn was kann man schon von Künstlern anderes erwarten als einen ausgeflippten Lebensstil? Das ist schade, wird damit doch impliziert, dass es gar keine aufgeschlossenen Eltern gibt sondern nur verstaubte Mumien auf der einen und überspannte Späthippies auf der anderen Seite.
Positiv fällt auf, dass die Autorin darauf verzichtet, einige typische Motive in ihre Handlung einzubinden bzw. lässt sie diese eine unerwartete Richtung einschlagen. Der umschwärmte Klassen-Star mit dem Kometenschweif an Verehrern wird zwar erwähnt, hat jedoch keinerlei Handlungsanteile. Obwohl sich zwei der Mädchen in denselben Jungen verknallen, gibt es keine offenen Rivalitäten. Der nette Fabian bleibt der Vorzeige-Freund, den alle Mütter mögen, bis fast zum Schluss, aber er wirkt auch farblos, was deutlich macht, welche Rolle ihm in der Geschichte zukommt. Die neue Clique reagiert auf die Enthüllung von Aphroditas Geheimnis auf überraschende Weise und zeigt, dass nicht für jeden Äußerlichkeiten wichtig sind, sondern der Mensch selber zählt wenn er ehrlich ist.
Statt die gängigen Konflikte auszubreiten, konzentriert sich die Autorin auf ihr Hauptthema und beschreibt in witzigen Details, wie sich die Protagonistin ein scheinbar passendes Alter Ego erfindet, einigen Spaß hat und dann immer mehr Probleme bekommt, die Fassade aufrecht zu erhalten. Ihre Freundinnen sind unterstützende Charaktere, die neuen Bekannten bleiben im Hintergrund, und Paul ist für Spannung und Romantik zuständig. Je mehr er von sich preisgibt, umso deutlicher wird, dass sich Aphrodita zwischen ihm und Fabian entscheiden muss. Doch auch hier gibt es keine Rivalität oder ein langes Hin und Her, denn die Beziehungen sind nur schmückendes Beiwerk, das die vordergründige Geschichte abrundet.
Etwas bedauerlich ist, wie sich Hannah entwickelt, nachdem sie eine herbe Enttäuschung hinnehmen musste. Zwar wird ein Sündenbock gebraucht, um die Handlung zum Höhepunkt zu treiben, doch wäre das auch ohne Negativ-Image und mit anschließender Versöhnung gegangen. Man hat ein wenig das Gefühl, der Autorin wären gegen Ende hin die Seiten knapp geworden, da sie in doch sehr schneller Folge die Bombe platzen lässt und Aphrodita nach dem Aufkehren der Scherben mit ihrer Familie und Paul gleich wieder im Reinen ist.
Im Laufe der Handlung hat die Protagonistin, aus deren Perspektive die Geschehnisse geschildert werden, viel zu lernen. Erst muss sie andere verletzten und selbst verletzt werden, bis sie begreift, dass alles seine zwei Seiten hat, was wirklich zählt und wer ihre wahren Freunde sind.
Damit wirbt die Autorin einerseits für mehr Verständnis für junge Menschen, die nicht aufgrund von Kleinigkeiten ausgegrenzt werden wollen, andererseits auch für die Eltern, die in ihrer Jugend ähnliche Erfahrungen machten und sich durchaus in die Situation der Kinder hinein versetzen können. Auf ihre Weise meinen sie es gut, und vielleicht sind sie nicht immer in der Lage, überteuerte Designer-Klamotten und regelmäßige Disco-Besuche spendieren zu können. Sie sehen auch die Gefahren, wenn sich junge Mädchen zu aufreizend kleiden. Es müssen Kompromisse gefunden werden, die beiden Generationen gerecht werden. Übertriebenes Rebellieren führt bloß in eine Sackgasse; mit Alkohol, Zigaretten und Drogen schadet man sich selbst.
Alles Anders ist in einem flotten Stil geschrieben, der für Leserinnen ab 12 Jahren nachvollziehbar und doch gehoben ist, denn auf übertriebenen Teenie-Jargon wird dankenswerterweise verzichtet und berücksichtigt, dass diejenigen, die zum Buch greifen, auch an Wortwahl, Satzstruktur und Handlungsaufbau bestimmte Anforderungen stellen. Titel und Titelbild wecken die Neugierde und liefern bereits den ersten Hinweis, um was es geht.
Mädchen im Alter der Protagonisten dürfen sich mit der Hauptfigur identifizieren und haben jede Menge Spaß an der witzigen Geschichte. Ältere Leser können zwar so manches vorhersehen, werden aber gleichfalls gut unterhalten. Alles Anders ist ein moderner, kurzweiliger Roman, der garantiert bei allen Aphroditas und Katjas ankommt!
14. Nov. 2007 - Irene Salzmann
Der Rezensent
Irene Salzmann

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Irene Salzmann, Jahrgang 63, verheiratet, drei Kinder, studierte mehrere Semester Südostasienwissenschaften und Völkerkunde an der LMU München.
Schon seit Jahren schreibt sie phantastische und zeitgenössische Erzählungen, die zunächst in den Publikationen der nicht-kommerziellen Presse erschienen sind. In den vergangenen Jahren w...
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