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Götterfunke

GÖTTERFUNKE

Buch / Science-Fiction

In den Labors des Konzerns EquaSys wird eine künstliche symbiotische Spezies erschaffen, LOV genannt (die Abkürzung für Limit of Visions, Grenze der Sichtbarkeit; so klein sind die Einzelwesen der LOV-Kolonien). Diese Spezies könnte den Durchbruch zur Nanotechnologie bringen, doch seit einem Zwischenfall ist sie in einem Weltraum-Modul isoliert, und die ehemalige Leiterin des Projekts, Summer Goforth, hat sich von ihrer Arbeit distanziert. Ein Team von drei jungen, ehrgeizigen Wissenschaftlern - Virgil Copeland, Gabrielle Villanti, Randall Panwar - verfolgt die Sache weiter, aber mit etwas zu viel Begeisterung: Alle drei schmuggeln LOVs zur Erde und implantieren sie sich heimlich, wodurch eine emotionale Symbiose entsteht, die sie schneller denken und intensiver fühlen lässt. Dann stirbt Gabrielle, und alles kommt ans Licht. Die beiden Männer werden verhaftet, doch lässt man sie mit dem Modul kommunizieren - in Folge dessen übernehmen die LOVs das Kommando und landen, wohl wissend, dass sie ausgelöscht werden sollen, was auf der Erde natürlich viel schwieriger ist. Bei einem Ausbruchsversuch stirbt Panwar, und nur Virgil, der Projektleiter, kann entkommen. Er wird gejagt, denn er trägt LOVs.
Aber nicht nur er: Vor der Küste Vietnams beobachtet die Reporterin Ela den Absturz des Moduls. Sie kommt als erste an die Stelle und kann LOVs an sich bringen. Der Gefangennahme durch Truppen der Internationalen Aufsichtsbehörde für Biotechnik (IBC) entgeht sie mit Hilfe einer Kindersekte, der Roi Nuoc, die über ihre Farsights (Universalkommunikationsgeräte, wie Brillen zu tragen) mit der KI Mother Tiger verkoppelt sind. Diese, ein besonders umfangreiches ROSA (Roving Silicon Agent, ein Dienstprogramm) vermag selbstständig zu handeln. Mother Tiger und der reiche Werbefachmann Ky Xuan Nguyen setzen alles daran, die LOVs zu schützen, die, von Ela und den Roi Nuoc verbreitet, sich selbstständig weiterentwickeln. Es gelingt ihnen, im Mekong-Delta ein LOV-Reservat einzurichten, dessen Grenzen von IBC und UN belagert werden. Auch Virgil trifft dort ein. Er, Ela, Ky und die Roi Nuoc gehen nun der Aufgabe nach, die LOVs zu schützen und verstehen zu lernen - alle natürlich in Symbiose mit diesen. Doch die Kunstwesen sind ihnen immer einige Schritte voraus ...
Linda Nagata geht in ihrem Roman vor allem zwei Fragen nach. Erstens: Wie weit sollen wir Wissenschaft beschränken, um unser Dasein oder unser Menschsein zu schützen? Zweitens: Wie reagiert die Menschheit auf die Konfrontation mit einer nichtmenschlichen Intelligenz? Dass im Roman die Menschen selbst die Schöpfer der Aliens sind, verstärkt das Verantwortungs-Problem noch. Bedeutsame Fragen also. Es gibt aber bestenfalls auf die zweite eine Antwort: übervorsichtig, xenophob. Etwas dürftig.
Nun ist es nicht Hauptaufgabe von Literatur, ethische Probleme zu lösen; Literatur kann bestenfalls - anhand der Darstellung fiktiver Welten - Denkprozesse in Gang setzen. Die subjektive Meinung der Verfasserin, welche die Spielwelt gestaltet, lässt eine Pro-Contra-Diskussion natürlich nur in begrenztem Maße zu; der Leser muss Gegenargumente selbst liefern. Vor allem aber soll Literatur die Phantasie anregen und Vergnügen bereiten. Einem anregenden Buch verzeiht man Standpunkte, die nicht mit unseren eigenen übereinstimmen. Langeweile verzeiht man nicht. Wie bewerte ich angesichts dieser Überlegungen Nagatas Buch?
Beginnen wir am Ende: Bis zur Hälfte liest sich der Roman gut, auch spannend. Dann ist die Schutzzone eingerichtet, und fortan geht es im Wesentlichen um die - (zu) detailliert geschilderten - Entwicklungen der LOVs und um die Bemühungen der Zonenbewohner, diese zu retten. Bemühungen, die durch ein totales Handelsembargo, durch Regen und Seuchen zum Scheitern verurteilt sein müssen. Ob die leise Langeweile im zweiten Teil dieser Ahnung zu verdanken ist? Nein, nicht nur ihr: Die Figuren treten so stark hinter der (pseudo)wissenschaftlichen Darstellung zurück, dass ihr Innenleben weitgehend abhanden kommt, sie keine Gesichter mehr gewinnen. Auch entwickeln sie sich wenig, treten geistig und emotional fast auf der Stelle, tragen kaum noch Konflikte aus, denn für sie ist alles längst entschieden. Teilweise liegt das daran, dass die LOVs und ihre IBC-Gegner die Kontrolle übernommen haben; teilweise aber fehlt es auch an Einsichten, was die erste der aufgeworfenen Fragen betrifft. Nur gegen Ende geraten Ela und Summer Goforth in Zwiespalt, flackert noch einmal etwas Spannung auf, als es zum Showdown zwischen den Reservatsbewohnern und Daniel Simkin von der IBC kommt. Doch so recht befriedigt auch das nicht. Zwar kann ein solcher Roman im Grunde nur offen enden, aber "offen” heißt nicht "diffus”; was hier der Fall ist und innerer Unentschiedenheit der Autorin entspringt. Einerseits spricht sie sich - in Virgil, in Ela - gegen die Beschränkung wissenschaftlicher Forschungen aus, andererseits teilt sie das Unbehagen nachdenklicher Menschen gegen das ungehinderte Tun des Machbaren. In Summer Goforth, die erst der IBC hilft - durch die Entwicklung von LOV-Killerviren -, dann aber die Reservatsleute unterstützt, drückt sich Nagatas Konflikt deutlich aus. Goforth müsste konsequenterweise die schließlich knapp Entkommenen verraten, denn immer noch steht durch die LOVs der Untergang der Menschheit als Menschheit zu befürchten. Die Gründe für ihr Umschwenken jedoch sind teils konstruiert - Nagata enttarnt Simkin als Schurken -, teils schlicht dadurch gegeben, dass die Entwicklung der LOVs nicht zu stoppen ist. Insgesamt sprechen sich im Roman zuerst Laissez-faire-Mentalität, dann Fatalismus aus - als Haltung gegenüber technischen Entwicklungen höchst bedenklich. Und dass Virgils früherer Kollege Panwar - im Grunde ein Hasardeur, Gesetzesbrecher und Mörder - fast zum Märtyrer freier Wissenschaft stilisiert wird, macht das Ganze nicht besser.
Aber die literarische Qualität leidet auch, weil Nagata zu viele Probleme aufgreift und wieder fallen lässt: Umweltschäden, Hunger, Profitgier, die Funktion großer internationaler Organisationen und der UN, Wissenschaft nur für die Reichen und Mächtigen, die Bedrohung durch sich verselbstständigende KI sind nur einige davon. Das schafft zu viele Nebenschauplätze, verdrängt die Figuren um ein Weiteres und überfrachtet den Text. An dessen Ende aber steht nur die Frage, in welcher Welt man leben möchte: in einer von den Roi Nuoc oder einer von Daniel Simkin geschaffenen? Das ist zu wenig. Und zu simpel: Die Antwort muss zu Ungunsten Simkins ausfallen. Doch ist die Alternative nicht unbedingt wünschenswerter (niemand kennt das Potential der LOVs); außerdem hätte man dem Reservat ja auch einen verantwortungsbewussten Menschen gegenüberstellen können (nicht einen wie Simkin, kreiert nach der Theorie, dass Macht immer korrumpiert).

Alles in allem halte ich "Götterfunke” weder ethisch noch literarisch für gelungen, und auch hinsichtlich des Lesevergnügens oder wenigstens der Spannung bleibt der Roman defizitär. Linda Nagata kann, wie vor allem die ersten sieben Kapitel zeigen, zweifelsohne erzählen, doch dieses Buch ist ein Torso, ein wackliger noch dazu.

Limit of Vision, © 2001 by Linda Nagata, a. d. Englischen übers. v. Dietmar Schmidt 2003, 526 S., _ 7,90, ISBN 3-404-24312-9

05. Nov. 2006 - Peter Schünemann

Der Rezensent

Peter Schünemann

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