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Die verstummten Quellen
| DIE VERSTUMMTEN QUELLEN
Buch / SF-Thriller
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Oja, er ist ein Thriller, dieser Roman von Mary Rosenblum und erst in zweiter Linie Science Fiction; das gleich zu Anfang. Es kommt sicherlich oft vor, daß sich Texte ihren Elementen nach in die SF einordnen lassen und dennoch nicht Science Fiction um der Science Fiction willen betreiben; wahrscheinlich schreiben viele Autoren SF nicht unbedingt, weil sie SF schreiben wollen, sondern sie nutzen das Genre oft eher zur Verfremdung von NonSFInhalten vielleicht um die Geschichte einfach reizvoller und unberechenbarer zu machen. Anders ausgedrückt: Zuerst kommt die Idee, dann die Umsetzung gerade in dieser bestimmten Form. In der DDR zum Beispiel verbargen sich hinter einigen Handlungen deutlich gesellschaftskritische Töne; SF mochte hier sogar nötig gewesen sein, um durch die Zensur zu gelangen (das empfand ich besonders stark bei Ranks "Ohnmacht der Allmächtigen", Möckels "Die gläserne Stadt" oder Steinbergs "Zwischen Sarg und Ararat"). Betrachtet man Texte dieses Typs näher, so erkennt man bald, daß die Handlung im wesentlichen auch ohne Science Fiction funktioniert; SFMotive reichern sie nur an, sind gar bloße Einsprengsel. So könnte Le Guins "Planet der Habenichtse" durchaus im irdischen Bereich angesiedelt sein und wäre dann nicht wesentlich fiktionaler als viele MainstreamTexte auch. Prinzipiell macht Hermann Hesse nichts anderes, wenn er das utopische Kastalien erfindet oder Christa Wolf, wenn sie die Geschichte der Medea oder der Kassandra neu erzählt, in eigenen Versionen des Sagenstoffes (der an sich ja auch bereits Fiktion ist).
Besonders stark wird der Eindruck, daß SF mehr Form ist als selbst Inhalt, wenn man Texte von Cyberpunkern liest. Ihre Zukunftswelten liegen oft vor unserer Haustür und das bißchen Fiction, was manchmal bleibt, z. B. der total vernetzte Mensch ... Na ja, das wird wohl demnächst auch Realität werden. Schaut man sich einmal willkürlich herausgegriffen "Hardware" von W. J. Williams an, so findet man die Story des Einzelgängers, welcher gegen den Großkonzern kämpft, auch im Mainstream machbar, nichts Neues an sich. Die SF macht's für den SFFan eben reizvoller; nach einem Thriller griffe er vielleicht nicht. Umgekehrt zieht der ThrillerLiebhaber vielleicht seine kaufbereite Hand zurück, wenn er auf einem Buch wie "Die verstummten Quellen" das Siegel "SF" erblickt und er weiß dabei nicht, welcher kapitale Bursche ihm da durch die Lappen geht.
Was findet sich nun an SF in diesem Roman? Das ist schnell aufgezählt. Die Handlung spielt im 21. Jahrhundert nun, das rückt ohnehin näher. Die Welt leidet unter der Dürre, einer Folge der Klimaveränderungen scheint leider durchaus vorstellbar. Daraufhin haben sich neue politische Systeme gebildet, z. B. im Handlungsland USA hat irgend jemand Schwierigkeiten, das als möglich zu erfassen? (Wir erleben ja jetzt in Deutschland auch eine langsame Umgestaltung des politischen Systems, und dabei mangelt es uns noch nicht mal an so lebensnotwendigen Dingen wie Wasser.) In Rosenblums Roman liegt die Macht beim "Wassergremium", einer Instanz, die allein über die Verteilung des kostbaren Naß entscheidet. Weiterhin gibt es da noch das Corps, den exekutiven Arm des Gremiums, eine halbmilitärische Organisation. Alles so unreal nicht was machten die UNOSoldaten in BosnienHerzegowina? Bleibt nur noch zu konstatieren, daß infolge der ökologischen Veränderungen Mutationen an Menschen auftreten. Nita Montoya, eine Empathin, und Jeremy Barlow, der Visionen hervorrufen kann, gehören zu diesen Mutanten. Damit wären schon zwei der fünf Hauptfiguren genannt, und zugleich ist die SFListe geschlossen. Die meisten ihrer Teile wirken bereits heute ziemlich realistisch; ähnliche Welten mögen uns in naher Zukunft erwarten (dann gnade uns Gott).
Der Rest: purer Thriller, ein kompliziertes Verwirrspiel. Verstrickt darin neben Nita und Jeremy auch die drei anderen Hauptfiguren: Carter Voltaire, CorpsKommandant in einem Krisengebiet; Johnny Seldon, Mitglied des Wassergremiums und Carters bester Freund; Dan Greely, Führer einer Koalition aus Farmern, die versuchen, sich gegen das langsame Veröden ihres Landes zur Wehr zu setzen, gegen die immer geringeren Wasserrationen, gegen den drohenden Ruin und die anschließende Einlieferung in ein "Soziallager" der Regierung. Und auch gegen den Konzern Pacific Bio, welcher genetische Lebensmittel auf den Markt wirft, mit dem Anbau der dafür nötigen Biomasse das Land aber noch mehr zugrunde richtet und alleiniger Nutznießer der Krise ist.
Carter, ein ehrlicher Mann, will den drohenden Krieg zwischen Corps und Farmern verhindern. Greely möchte das auch, damit man die Farmer nicht als Rebellen verurteilt und ihnen das Wasser dann ganz abdreht. Die beiden wollen zusammenarbeiten, doch immer neue "Vorfälle" machen die guten Absichten zunichte und sie fast zu Feinden. Daß Carter Nita liebt, welche bei Greely wohnt und arbeitet, erleichtert die Sache auch nicht gerade. Er meint am Ende, sich nur noch auf seinen Freund Johnny verlassen zu können und natürlich ist man heutzutage durch Dutzende ähnlicher Stories geschult genug, um sofort zu vermuten, daß Carter da ganz schön verlassen ist. Mary Rosenblum streut auch bereitwillig entsprechende Hinweise in den Text ein; sie versucht gar nicht erst, dem Leser etwas vorzumachen. Aber wie sie dabei geschickt die Fäden knüpft, wie sich am Ende alles aufklärt und herauskommt, wer nun welchen Dreck genau am Stecken hat das macht sie ganz spannend. Diesmal ist übrigens der wie immer falsche Rückentext von Heyne ganz prima: Man könnte beinahe sagen, er runde das Konzept der Autorin ab (ohne daß der unbekannte Texter das freilich beabsichtigt hätte).
Das Buch sei also allen empfohlen, die spannende Literatur lieben. Ich habe es in zwei Tagen durchgelesen, nein, verschlungen. Mich enttäuschte nur das allerletzte Ende ein wenig, die Coda sozusagen, wo Mary Rosenblum für meinen Geschmack ein paar Zugeständnisse zuviel an das Bedürfnis des Publikums nach einem Happyend macht zumindest was die Seelen und Beziehungen der "guten" Figuren betrifft. Doch abgesehen von diesen zehn Seiten ist "Die verstummten Quellen" ein wirklich guter Thriller, der auch ohne SF funktioniert hätte. Im Gegenteil: Nitas Empathie stört eher, weil der Leser dadurch gewisse Sicherheiten gewinnt, die dem Thrill abträglich sind.
Aber zwei Schwächen kann man bei 440 Seiten Spannung schon aushalten, denke ich. Es sei denn, der SFFan sieht zu sehr den Thriller und läßt die Finger davon. Die Science Fiction spielt hier eben nur die zweite Geige ...
The Drylands, © by Mary Rosenblum 1993, übersetzt von Birgit Reß-Bohusch, Heyne Verlag München 1995, 440 Seiten, DM 16,90
10. Nov. 2006 - Peter Schünemann
Der Rezensent
Peter Schünemann
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