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Im Zeichen der Weide
| IM ZEICHEN DER WEIDE
Buch / Fantasy
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Das Backcover von Sharon Shinns "The ShapeChanger's Wife" ziert ein großes Lob: "In einem Genre dräuender Warlords, plappernder Elfen, papierner Söldner und langatmiger Weltuntergänge wirkt dieser scheinbar schlichte, leichtfüßige Roman wahre Wunder. Da weiß jemand, wie man Fantasy schreibt." Das stammt von einem, der es auch wissen muß, schuf er doch selbst einen solchen Roman: Peter S. Beagle schrieb bekanntlich "Das letzte Einhorn". Aber bin ich mißtrauisch gegen PromiSprüche über die Werke von Kolleg(inn)en, denn mehrmals schon kam es mir so vor, als hätten die Autoren das Buch, das sie lobten, gar nicht gelesen (leicht verdientes Geld?) oder als gliche ihr Geschmack denn doch nicht dem meinen. Ein Autor ist in bezug auf andere Bücher als die seinen eben auch nur ein Leser und dabei oft nicht kompetenter als andere.
Was nun Peter S. Beagle und Sharon Shinns Buch betrifft, so scheinen sich unsere Vorlieben jedoch zu gleichen. Tatsächlich: Es gibt noch FantasyRomane, die sich auf 220 Seiten beschränken, keinen Zyklus eröffnen und trotzdem (oder: gerade deshalb???) gut sind! Die Handlung will nur als das erscheinen, was sie ist soll heißen, die Autorin hat sie nicht auf Überlänge aufgebläht. Und trotz des ernsten Themas schimmert tatsächlich stets ein freundlicher Ton durch den Text selbst das Finale, traurig und auch wieder nicht, jedenfalls aber überzeugend gestaltet, läßt erkennen, daß nicht alles in Scherben liegt und die Wunden heilen werden. Das erscheint mir auch passend, denn hier erlebt ein junger Mann seine erste große Liebe die sich nicht erfüllt. Das ist traurig, aber davon geht die Welt nicht unter. Die Liebesgeschichte zwischen dem MagierLehrling Aubrey und der Frau seines Meisters Glyrenden erzählt Sharon Shinn stimmig und mit genau den richtigen Höhen und Tiefen, ohne Kitsch und ohne Melodramatik. Man glaubt jede Nuance dieser Geschichte und jeden Schritt auf dem Weg zum Finale. Vielleicht dachte Peter S. Beagle beim Lesen an seinen eigenen Roman, denn auch dort lernt jemand, dem diese Gabe eigentlich nicht gegeben wurde, einen Menschen zu lieben.
Sharon Shinn nutzt zwei alte Motive, um zu erzählen, was sie erzählen will: der Magier und sein Lehrling der böse und der gute Zauberer, die sich schließlich im Duell gegenüberstehen. Aubrey sucht auf den Rat seines Meisters Cyril hin den Gestaltwandler Glyrenden auf, der diese Kunst am besten beherrscht und den Jungen darin unterrichten soll. Er wohnt fortan in Glyrendens seltsamem Haus, das nicht nur die Bewohner des nahegelegenen Dorfes, sondern auch die Tiere des Waldes meiden. Sein Meister, so ahnt man ziemlich bald, sorgt sehr rührig für seine Macht und seinen politischen Einfluß ist also nicht das, was man traditionsgemäß einen "guten" Zauberer á la Gandalf nennt. Aber bis sich die Gestalt des Magiers zu ihrer vollen Bosheit entfaltet, vergeht einige Zeit Sharon Shinn gestaltet auch diese Figur überzeugend. Es kommt ihr weniger auf Action an die wesentlichen "Effekte" sieht man schnell voraus, ebenso den "Showdown". Das Buch spielt vorwiegend in Glyrendens Haus und in den umliegenden Wäldern; hin und wieder besucht Aubrey das Dorf; nur ein einziges Mal unternehmen die Protagonisten eine kurze Reise an den Hof eines Lords. Mehr nicht: keine Queste, keine exotischen Länder und Meere, Königshöfe, Zauberwälder und dergleichen. Der Text gewinnt seine Kraft allein aus der Psychologie, aus den überzeugend gestalteten Charakteren, die trotz aller Magie durchgängig den Eindruck ganz alltäglicher Menschen machen.
Sharon Shinn schildert glaubhaft, wie Aubrey sich einerseits in der Kunst des Gestaltwandelns weiterbildet, andererseits aber immer mehr erkennt, was um ihn herum vorgeht; daß ihm der Leser dabei etwas voraus ist, stört keineswegs (obwohl der völlig unpassende deutsche Titel wieder einmal einen Hinweis gibt, der absolut unnötig ist). Wir erleben weniger eine Geschichte, in der es vor Magie nur so blitzt und flimmert, als vielmehr die letzte Lehrzeit eines jungen Mannes, welcher ein großer Magier werden will. Warum er das auch werden kann, sagt die Autorin nicht, aber sie zeigt es: weil er sich ein mitfühlendes Herz bewahrt und zwischen Gut und Böse zu unterscheiden weiß. Letzten Endes geht es Sharon Shinn um Moral: Berechtigt die Perfektion, mit der man eine Sache ausübt, auch dazu, auf diesem Gebiet alles nur Mögliche zu tun oder gibt es Grenzen, über die man bei aller Verlockung, immer weiter vorzustoßen nicht hinausgehen darf? Das ist zum Beispiel das Problem des Wissenschaftlers unserer Zeit, der auf seine Weise die Welt verändert, wie das ein Magier auch tut. Außerdem geht es um Unfreiheit, die Schwester der Macht, und um die Frage der Achtung vor dem anderen Menschen wie vor der Natur. Wir dürfen nicht alles tun, was wir tun können, nur weil wir es tun können dafür plädiert die Autorin, und das tut sie, bei allem Ernst, dennoch "leichtfüßig", wie Peter S. Beagle schreibt. Dem Beispiel Cyrils folgend, der im Roman unaufdringlich das positive Konzept verkörpert, entscheidet Aubrey sich für selbstgesetzte Grenzen und für die Achtung vor allem Leben. Später einmal wird man ihn "Aubrey den Begnadeten" nennen, während Glyrenden nur noch eine vage erinnerte Legende ist. Das erfahren wir in einem interessanten Epilog, in dem die Autorin mit verschiedenen "Enden" der Geschichte spielt, dem Leser quasi dasjenige anbietet, das er möchte, ohne ihn zu bevormunden.
Also: "Des Gestaltwandlers Frau" ist wirklich ein gutes Buch! Die Handlung wird nicht künstlich aufgebläht, die Figuren sind lebendig gestaltet, das Thema ist ernst, doch nicht moralingesäuert, die Liebesgeschichte erzählt Sharon Shinn einfühlsam und ohne Kitsch, aber auch ohne gezieltes Understatement. Was will man mehr?
Mehr solcher Bücher von Sharon Shinn und von anderen.
The ShapeChanger's Wife, © Sharon Shinn, 1995, übersetzt von Irene Bornhorst 1997, 222 Seiten, DM 12,90
11. Nov. 2006 - Peter Schünemann
Der Rezensent
Peter Schünemann
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