|
Die Zeit-Verschwörung 3: Navigator
| DIE ZEIT-VERSCHWÖRUNG 3: NAVIGATOR
Buch / Science Fiction
Heyne
|
Mit Navigator legt Stephen Baxter seinen inzwischen dritten Roman der Zeit- Verschwörungsserie vor. In Emperor (aus dem Jahr 2006) und Conqueror (2007) ist sein Konzept von einer eher undefinierten Zeit- Verschwörung, die sich durch geheimnisvolle Botschaften an Knotenpunkten, d.h. wichtigen historischen Ereignissen manifestiert und einzelne Personen aus ihren Lebensbahnen reißt nicht gänzlich aufgegangen. Viel mehr hat sich Baxter in die jeweiligen Epochen verliebt und seine Leser mit historischen Details, aber keinem spannenden Plot förmlich erschlagen. Dazu zeigte sich eklatant seine Schwäche, dreidimensionale überzeugende Charaktere zu erschaffen und entsprechende
Dialoge zu verfassen. Vielleicht kommt es dem Autoren auch entgegen, dass er sich nach der Auseinandersetzung mit dem römisch-britischen Zeitalter und den so genannten Dark Ages jetzt mit dem frühen Mittelalter im Allgemeinen und den christlich-muslemischen Konflikt auf der spanischen Halbinsel im Besonderen auseinandersetzt. Es ist insbesondere in der ersten der drei Fugen, die später in einem Epilog mehr oder minder überzeugend hineinfließen, zu spüren, dass sich Stephen Baxter bei der Charakterisierung seiner Figuren sehr viel vorgenommen hat. In der ersten Geschichte beschreibt Baxter eine eher ungewöhnliche Notfreundschaft und eine Liebe zwischen Christen und Moslem, wie es sie nach den Gesetzen der beiden Religionen nicht geben darf. Dabei wirkt die Liebesgeschichte zwischen dem sehr jungen, aber heißblütigen Christen und Kreuzfahrer in Spe Robert und der liebevollen, aber intelligenten Moraima am überzeugten. Sehr nuanciert mit schönen, einfühlsamen Szenen und vor allem überzeugenden Dialogen zeigt Baxter ohne Kitsch oder Pathos diese aufblühende Liebe, die keine Zukunft hat. Dem gegenüber stehen der eher kirchlich orientierte Wissenschaftler Sihtirc und der Wesir von Cordoba. Obwohl sich die beiden sehr unterschiedlichen Menschen auf einer intellektuellen Ebene bis zu einem gewissen Grad verstehen, wissen die beiden erfahrenen Männer, auf welche brüchigen Fundamenten dieses Verständnis aufgebaut worden ist und wie schnell durch eine unachtsame Äußerung Spannungen zwischen den beiden Gruppen entstehen. Dazu kommt, dass Sihtic gezwungen wird, nach geheimen Aufzeichnungen Wunderwaffen zu bauen, da nur die Muslins über die Resourcen verfügen. Der Wesir ist inzwischen ein hoffnungsloser Alkoholiker - was seinem Glauben widerspricht - und benötigt Sihtic, um auf geheimen Wegen an den Wein zu kommen. Diese gegenseitige Symbiose beschreibt Baxter mit der nötigen Ironie. Die beiden Männer sind unwiderruflich aneinandergekettet, auch wenn sie die andere Religion hassen. Die Liebesgeschichte der beiden jungen Menschen bringt diese Freundschaft zum Erliegen und treibt die beiden älteren Männer zu Extremen. Wie es sich für Baxters Romane dieser Serie gehört, spielt die mittlere Geschichte mindestens eine Generation später und stellt die Nachkommen Roberts und Maraimas in diesem Fall in den Mittelpunkt der Ereignisse. Die beiden Frauen sind heimatloses, die vordringenden Christen bedrohen die einzige islamische Fluchtstätte in Spanien und die Christin hat sich einer abgeschlossenen Kommune angeschlossen, welche den immer grausam werdenden Krieg ignoriert. Beide sind im Besitze von Teilen der Prophezeiung und den Angaben über die Geheimwaffen, welche Sihtic bis zum Ausbruch der Kämpfe produzieren sollte. Nur eine Generation weiter zeigt Baxter die Wunden, welche die Glaubenskriege in die Bevölkerung geschlagen haben. Obwohl sie nicht im Besitz der vollständigen Unterlagen sind, suchen sie mit ihren Bruchstücken einen Vorteil, um die Mitglieder der anderen Religion aus Spanien zu vertreiben. In der letzten Geschichte - auch nicht untypisch für die Baxter Bände der Reihe - kümmert sich der Autor um eine populäre historische Figur. Chreistopher Columbus Kampf um Anerkennung vor seiner Amerikafahrt wird beschrieben, wie er in einem von der Inquisition in die Barbarei gezogenem Land leben muss. Das interessante Element dieses Kapitel ist Baxters inhaltliche Vorgehensweise. Columbus wird als klassischer Mittelständler beschrieben, der über die Herzen der Frauen die Geldkammern ihrer Männer zu öffnen sucht. As Person taucht er in der Geschichte ganz selten auf, er ist ein Mann, über den gesprochen wird, der aber im ganzen Text kaum spricht. Damit rückt Baxter den historischen Fokus ein wenig zur Seite - wie alles Geschichtliche im Rahmen dieser Serie nur Schein, aber niemals Sein ist - und es gelingt ihm, eine im Grunde altbackene Geschichte ein wenig frischer und origineller, teilweise deftig ironisch zu erzählen.
Im Vergleich zu den ersten beiden Romanen der Zeitverschwörung Serie wirkt der dritte Band deutlich frischer und weniger von historischen Fakten überladen. Sie sind vorhanden, aber es gelingt dem Autoren besser, sie in die eine fortlaufende und vor allem teilweise sehr spannende Handlung zu integrieren. Ganz bewusst konzentriert sich der Autor auf die Unterschiede zwischen Glauben und Handeln. Immer wieder zeigt er auf, dass seine Figuren nicht bereit sind, sich der Welt zu stellen, sondern immer in ihrem Innersten nach Gründen suchen, um den einfachsten Weg zu gehen, sich nicht den Herausforderungen zu stellen und vor allem die Schuld immer abzuwälzen. Im Vergleich zu einigen anderen Autoren versucht Baxter nicht etwas religiöse Fanatiker zu zeichnen, sondern Menschen, die trotz der Hindernisse ihres Glaubens versuchen, etwas zu verändern. Nicht unbedingt, weil sie die Mitglieder der anderen Religionen per se hassen, sondern weil sie die Gefahr vom eigenen Glauben abwenden möchten. Dabei handeln sie bei weitem nicht alle aus ehrbaren Motiven, aber Baxter versucht trotz der historischen Distanz zu zeigen, dass ein Handeln immer einen Unterschied bedeutet. Dabei zeigt er sich insbesondere im Hinblick auf den Hintergrund seiner Geschichten erstaunlich offen. So sind die Christen nicht gut und ehrlich sowie die Moslems verschlagen und feige. Er zeigt dem Leser, dass bis zu einem Punkt der Geschichte die moslemische Kultur den darbenden Christen in vielen Punkten überlegen gewesen ist. Die langsame historische Veränderung in ihrer Wichtigkeit insbesondere auf dem spanischen Kontinent reduziert Baxter sehr schön auf die wenigen wichtigen Protagonisten seiner Geschichten. Damit macht der Autor Geschichte nicht nur lebendig, sondern begreifbar. Christopher Columbus wird als gebildet - obwohl er keine kirchliche Ausbildung hatte- und weiterfahren - obwohl er die Welt nicht als Soldat mit gezogenem Degen bereist hat - beschrieben, der durch eine glückliche Heirat in seine Position gekommen ist. Nicht der Gelehrte, zu dem ihm die Geschichte gemacht hat. Im vorliegenden Roman ist er ein Mann, der reich werden will. Dazu hat er zwei Pläne. Zuerst will er nach Indien, um über die Schiffsrouten die begehrten Rohstoffe einzuführen und dann nach Osten, um mit Hilfe der Mongolen endgültig den Islam zu besiegen. Mit überzeugendem Argumenten und ernsthaft vorgetragen sind es diese kleinen Facetten einer Parallelwelt, wie es sich gegeben haben könnte, die aus dem vorliegenden Buch so eine interessante, aber auch um Aufmerksamkeit heischende Lektüre machen. Während sich Baxter im ersten Buch in der römischen Technologie und dem Bau des Hadrians- Walls verloren hat, konnte die durchschnittliche Geschichte im zweiten Band nicht über die historisch akkurat präsentierten Daten herauswachsen. Mit Navigator gelingt es ihm deutlich besser, das Gesamtkonzept - über das der Leser auch im dritten Band herzlich wenig erfährt - mit der einen Hand zu jonglieren und mit der anderen Hand seinen Figuren die notwendige Führung zu geben. Im Vergleich zu den anderen Teilen besteht der vorliegende Roman nur aus drei Episoden, die alle für den Gesamtrahmen wichtig sind, die aber einzeln als Novellen ebenfalls ausgezeichnet funktionieren und ihre Stärke in erster Linie aus soliden Handlungsbögen angereichert mit den für Baxter so typischen philosophischen Themen und Gedankenpyramiden beziehen. Politisch zeigt der Autor auf, dass - unabhängig von den utopischen Elementen - der Übergang vom dunklen Zeitalter in das Licht auf Zufällen basiert und keinen Triumph darstellt. Das Erstaunliche an dem vorliegenden Roman ist allerdings die Erkenntnis, dass unabhängig von der Rassenzuhörigkeit, dem Glauben und dem sozialen Stand alle Komponenten wichtig gewesen sind, um als Menschheit einen Schritt aus dem Zeitalter der Barbarei nach vorne zu kommen und geschickt zeigt der Autor auf, wie gut die einzelnen Zahnräder sich zu einem Gesamten zusammenfügen. Die einzelnen Bauteile dieser Zukunft erkennt der Leser an unterschiedlichen Stellen der einzelnen Vignetten überdeutlich und die utopische Idee der Zeit- Verschwörung und den geschickt eingestreuten Prophezeiungen, um den Strom entsprechend zu manipulieren, wirken teilweise eher wie störende MacGuffins in diesem überzeugend geschriebenen semihistorischen Roman. Um den Bogen zur Aktualität zu schlagen. Es ist deutlich zu erkennen, dass sich Baxter auch über die Gegenwart und die aufflammenden religiösen Konflikte seine Gedanken macht und so fließen die Vergangenheit und die Gegenwart in eine unbestimmte und nicht unbedingt optimistische Zukunft zusammen. Viele Leser hätten sich mehr Informationen über die Zeit- Verschwörung versprochen, aber den ganzen Roman kritisch betrachtet gehören die Passagen zu den schwächsten Stellen des Buches. Wenn eine Gruppe über einige Seite den Code, in welchem die Formeln auf Menschenhaut geschrieben worden sind, zu knacken sucht, fühlt sich der Leser eher an einen durchschnittlichen Verschwörungsthriller a´la Dan Brown erinnert denn an einen packenden und vor allem thematisch ansprechenden Stephen Baxter Roman. Viel interessanter ist, wie überzeugend Baxter die einzelnen Zeitknoten manchmal auch unmerklich für den Leser manipuliert. Zum Teil befindet er sich schon auf dem Pfad in eine Parallelwelt - ohne es zu bemerken -, wenn ein kleines Ereignis die Geschichte wieder auf den Weg unserer Zukunft zurückbringt. An Columbus läßt sich diese Entwicklung am ehesten und am klarsten zu erkennen. Während einige Teile in ihm den großen Entdecker sehen, wünschen sich Oppositionskräfte, dass er zum Heiligen Krieger wird und mit Hilfe der Mongolen - zu denen Baxter auch einige interessante Theorien aufstellt - die Bedrohung des Islam beendet und das Heilige Land endgültig befreit. Manchmal geht Baxter mit seinen Theorien einen Schritt zu weit, aber auf der anderen Seite wünscht sich der Leser, dass seine Protagonisten frei nach ihren Überzeugungen entscheiden könnten. Unabhängig von den vielleicht fatalen Folgen für die Geschichte. Es ist auch nicht unbedingt notwendig, die ersten beiden Teile der Reihe noch zu lesen, Navigator bietet einen soliden und fundamental gut zu verstehenden Einstieg in Baxters Gedankenwelt. Es bleibt zu hoffen, dass Stephen Baxter mit den nächsten Büchern (?) der Serie das Niveau von Navigator hält und nicht wieder in die Unentschlossenheit eines Emperors zurückfällt. Nach den ersten beiden Bänden der Serie der Beweis, dass es sich gelohnt hat, dabei geblieben zu sein, mit Navigator entwickelt sich Baxters Universum sprunghaft zum Positiven.
18. Apr. 2008 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

Total: 732 Rezensionen
April 2018: keine Rezensionen
[Zurück zur Übersicht]
|
|