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Kinder der Sterne
| KINDER DER STERNE
Buch / Science Fiction
dtv - deutscher Taschenbuchverlag
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Mit Kinder der Sterne legt der DTV Verlag im Rahmen seiner H.G. Wells Reihe einen seiner späten Roman - 1937 im Original als Stars Begotten veröffentlicht worden - neu auf. Im Kern seiner eher philosophischen Betrachtungen steht die Frage, ob außerirdische Wesen vom Mars die Menschheit mit Hilfe kosmischer Strahlen zu verändern suchen. Wer jetzt allerdings eine Fortsetzung des Wells Klassikers Kampf der Welten erwartet, wird überrascht und eher enttäuscht sein. Nach seiner Phase um den Beginn des 20. Jahrhunderts mit einer Handvoll aufsehenserregender Zukunftsromanen hat sich H.G. Wells mehr und mehr mit der Geschichte der Menschheit beschäftigt und eine Reihe von sekundärliterarischen Werken veröffentlicht. Nicht nur aus diesem Grund könnte der Protagonist des vorliegenden Buches Davids als Alter Ego Wells bezeichnet werden. Davids ist von seiner Jugend ein - wie das Buch skizzenartig aufzeigt - ein sehr heller Geist, der unstetig forscht. Als Schriftsteller gelang ihm eine Reihe von Erfolgen mit historischen Romanen, die teilweise auf authentischen Persönlichkeiten basieren, teilweise aber auch wichtige Abschnitte der Menschheitsgeschichte dramatisieren. Unzufrieden mit seinem bisherigen Werk möchte der Autor eine Geschichte der Menschheit nicht unbedingt vom Beginn der Schöpfung, aber dem unchristlichen Mittelalter an schreiben. Gleichzeitig verkündet ihm seine junge Frau, dass sie ihr erstes Kind erwartet. Die Arbeit an der großartigen Chronik gerät ins Stocken, während der Verfasser mehr und mehr am freien Willen der Menschen zweifelt. Sollten außerirdische Wesen einen zweiten Versuch - nachdem von H.G. Wells niedergeschriebenen Angriff der Marsianer, welchen der Autor als eine Art semiauthentisches Ereignis in den Roman KInder der Sterne integriert - unternehmen, die Menschheit mit Strahlen zu manipulieren, vielleicht ihren Geist im Vorwege zu stimulieren, um schließlich die Macht zu übernehmen?
KInder der Sterne ist keine von den heute ebenfalls wenig bekannten sozialen Komödien wie Kipps, Tono- Bungay oder The History of Mr. Polly. Den Band seinen wissenschaftlichen Romanzen zuzuordnen, fällt aufgrund der ambivalenten Geisteshaltungen der einzelnen Produzenten und einer fehlenden faktischen Zuordnung der angeblichen Invasion ebenfalls schwer. Eher nähert sich Wells Olaf Stapledon, dessen Werk er in den vorliegenden Band wohlwollend kommentierend integriert. Das Buch ist 1937 entstanden, als zumindest die Intelligenz der Welt wusste, das ein neuer, weitaus schrecklicherer Weltkrieg vor der Tür stand und nicht mehr zu verhindern ist. Unter diesem Aspekt untersucht Wells mit seinem Interesse an den sozialen Aspekten auch futuristischer Menschheitskulturen die Verdunkelung der Gegenwart reduziert auf einen brillanten, aber weltfremden Geist. Es ist eine Science Fiction Geschichte, wie sie Jahre später Kurt Vonnegut schreiben wird. Die utopische Elemente diesen nur als Versatzstücke, ganz besonders undramatisch und gegen die Strukturen des Genres angelehnt. Es ist auch ein soziales Mittelstandsdrama, in welchem aufgrund des gewaltigen Kriegsschatten das Leben sehr schnell erstarrt und niemand wirklich etwas dagegen unternimmt. Ganz bewusst hat H.G. Wells sich wieder einem klassischen, typischen Charakter seines populären utopischen Werkes angenommen. Mr. Joseph Davis ist ein mittelständischer Engländer, der von seinem Vater ein ansehnliches, aber nicht allzu großes Vermögen geerbt hat. Es erlaubt ihm, zu schreiben und die Politik den Menschen zu überlassen, die er aus seiner bescheidenen konservativen Sicht für geeignet hält. Aktuelle soziale Fehlentwicklungen akzeptiert und sieht in ihnen die Auswirkungen eines Zeitalters, das dem klassischen Heroismus und seinen Tugenden abgeschworen hat. Seine kleine geordnete und langweilige Welt bricht zusammen, als seine Frau Mary, von der er sich emotional inzwischen ebenso gelöst hat wie vom Rest der Welt, ein Kind sich wünscht und schließlich auch erwartet. Während einer Diskussion in seinem Club wird er mit der Idee des kosmischen Strahlen konfrontiert. Hier löst sich H.G. Wells von seiner bislang distanzierten Haltung und beginnt eine kurze, aber amüsante Satire auf die SF und ihre grotesk überzeichneten Ideen, in welcher sich Wells selbst - namenlos, aber an seinem Werk deutlich zu erkennen - auch nicht von Kritik ausspart. Einen kurzen Augenblick hat der Leser den Eindruck, als distanziere er sich von seinem populären Frühwerk und schäme sich ein wenig der Angst, die er mit seinen Bücher ausgelöst hat. Aber die Ironie ist pointiert, aber so milde angesetzt, als erwarte der Leser jeden Augenblick, den Schalk des Autoren über seine Schultern blicken zu sehen. An dieser Stelle setzt wohl auch H.G. Wells nicht unbedingt wohlmeinende Kritik ein. Mit seinem Protagonisten Davis zeichnet er einen typischen Durchschnittsmenschen, der durch ein alltägliches Ereignis - seine Vaterschaft- aus der Bahn geworfen wird und das freie Denken einstellt. Mit bissiger Überzeichnung setzt sich Wells im Verlaufe des weiteren Textes mit allen Menschen auseinander, die aufgrund von politischen, religiösen oder literarischen Manipulationen das freie Denken, laut Wells das stärkste Pfand der Menschen, einstellen und sich vor unterschiedliche Karren spannen lassen. Diese Menschen sind dem Freidenker Wells zuwider, der vor den verheerenden Weltkriegen ja schon in seinen Büchern wie Die Zeitmaschine gewarnt hat. Auch in Thing to Come, ein Film, der ein Jahr vor diesem Buch entstanden ist, weißt er auf das Vernichtungspotential der dummen Menschheit hin und das nur frei denkende Menschen die positiven vorhandenen Potentiale in der Menschheit heben können. So sieht er die kosmischen Strahlen der Marsianer als Vorbereitung der zweiten Invasion, die Menschen sollen vorher zu primitiven Marsianern umgestaltet werden. Ein deutlicher Hinweis auf die Propagandakriege, welche zu dieser historischen Zeit vor allem Deutschland mit seiner Anektionspolitik ausgefochten hat. Das gibt der kleinen Geschichte eine bittere Note. Insbesondere wie die Idee der Strahlen der Marsianer aus einer Diskussion zwischen zwei Clubmitgliedern schließlich über Mundpropaganda unbegründet auf die erste Seite der Tageszeitungen kommt, um schließlich von einer anderen, nicht weniger schrecklichen Nachricht abgelöst zu werden. Diesen Ablauf hält Wells minutiös und pointiert fest, ist aber für den Leser in der sehr gedehnten und teilweise zu selbstverliebten Geschichte schwer zu entdecken. Es ist natürlich kein Zufall, dass Mary und Joseph - wie sein Protagonist mit Vornamen heißt - schließlich ihr Kind bekommen, es dem Vater die Augen zu einem freien Willen und vor allem zu einer offenen Weltanschauung, weit weg von den heroisierten Idealen seiner Prosa eröffnet und das für diese neue Bewusstseinsbildung nicht die angeblichen Strahlen der Marsianer verantwortlicht sind. Am Ende wächst das Gute aus dem Menschen selbst und die wenigen utopischen Versatzstücke entpuppen sich als MacGuffin, mit denen Wells insbesondere seine Stammleser ansprechen wollte, um ihnen neue geistige Wege in einer hoffentlich bessere Zukunft zu zeigen. Für die dunklen Wolken des Zweiten Weltkriegs hat es nicht gereicht, aber wie Wells in Things to Come aufgezeigt hat, wird aus den Ruinen des Krieges eine neue, geistig reifere Menschheit entsteigen und diesen Weg zeigt Wells auf eine Familiengeschichte reduziert im vorliegenden kurzen Roman. Er liest sich zwar insbesondere zu Beginn steif und distanziert, die Charaktere sind schwer zugänglich, aber die Ideen, welche Wells im Vorlaufe seiner philosophischen Exkursion entwirft, sind auch heute noch lesenswert. Dabei sieht er die Zukunft einer geistig noch minderwertigen Menschheit im Vergleich zu seinen vierzig Jahre vorher entstandenen Werken durchaus positiver.
18. Apr. 2008 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

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