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Das Tolkien-Lesebuch

DAS TOLKIEN-LESEBUCH

Buch / Sekundärliteratur

Mit den Lesebüchern ist es ja immer so eine Sache: von allem etwas und kaum etwas ganz, längere Werke schon gar nicht. Lesebücher sollen bekanntmachen, Neugierde wecken auf mehr. Sind sie einem einzigen Autor gewidmet, so sollten sie sein Schaffen und seine Biographie möglichst vielfältig darstellen. Der Leser muß sich orientieren können: Auf welchen Gebieten und mit welchem Stil arbeitet der Schriftsteller? Bin ich interessiert an seinen Werken oder nicht?
Auf dem Cover des "Tolkien Lesebuchs" von dtv prangt das bekannte rote Oval mit den 10. DM und der Verheißung "Ihr Fahrschein nach Mittelerde". Welche Strecke kann man nun für diesen Preis zurücklegen, und was kriegt man bei der Fahrt zu sehen?
Alterfahrene TolkienFans, welche des Meisters wichtigste Werke ("Das Silmarillion", "Der kleine Hobbit", "Der Herr der Ringe" und "Nachrichten aus Mittelerde", eventuell auch "Das Buch der verschollenen Geschichten") bereits kennen, werden hier nicht allzuviel Neues finden; es sei denn, sie sind KomplettSammler oder an biographischen sowie sprachwissenschaftlichen Details interessiert. Davon wird noch zu reden sein.
Der Neueinsteiger findet im "Lesebuch" ein buntes Gemisch aus Briefen, Literatur und Essays, wobei mein Rat für alle die wäre, die mit Tolkien beginnen möchten: Nehmt zuerst "Der kleine Hobbit" zur Hand, entscheidet dann, ob euch so etwas liegt, und dann lest den "Herrn der Ringe". Das Lesebuch ist als erste Annäherung an den Autor nur bedingt geeignet.
Übrigens scheint das Buch für die beiden bisher genannten Gruppen auch gar nicht konzipiert zu sein. Ulrike Killer, die Herausgeberin, begründet ihre Textauswahl, welche den "Hobbit" sehr und den "Herrn..." ziemlich kurz hält, eben damit, daß diese beiden Bücher Tolkiens populärste wären. Sie setzt offenbar voraus, daß die meisten Leser ihres Buches beide Werke schon kennen, wendet sich wohl also vor allem an Leute, welche auf dieser Grundlage mehr über Tolkien erfahren möchten. o sind aus dem "Hobbit" nur die Rätselszene zwischen Bilbo Beutlin und Gollum, aus dem "Herrn der Ringe" die Kapitel "Der Rat von Elrond", "Drei Mann hoch", "Baumbart" (teilweise) und "Der verbotene Weiher" ausgewählt worden. Das "Rat"Kapitel völlig zu Recht, treffen hier doch Tolkiens lebendige Figurengestaltung mit seinen poetischen Mythen zusammen; man erfährt so einiges über Mittelerde, die Aufgabe der Ringgemeinschaft, die Hauptpersonen und ihre Gegner. "Baumbart" steht als Beispiel für Tolkiens äußerst produktive Phantasie beim Erschaffen neuer Wesen. Anstelle der beiden anderen Kapitel hätten sich jedoch sicherlich wesentlichere Stellen finden lassen, ein Teil der LothlorienSzenen etwa oder der RohanHandlung.
Der Text, den Ulrike Killer aus dem "Hobbit" herausgesucht hat, ist auf seine Art amüsant und bestimmt ein echter Leckerbissen für Rätselfreunde, doch wären die Atmosphäre des Buches, die Gestalten Bilbo Beutlins und seiner Gefährten durch eine andere Auswahl dem Leser besser vorgeführt worden. Das Fragment bleibt zu fragmentarisch für Leser, die damit eventuell erst an den "Hobbit" herangeführt werden sollen. Allerdings enthält es eine gute Portion der dem Buch eigenen Spannung.
Wichtiger jedoch erscheinen mir, und damit stimme ich der Herausgeberin bei, die Mythen aus den früheren Zeitaltern von Mittelerde (das des Ringkrieges ist ja bekanntlich das Dritte). Hier ist es gelungen, einige der wichtigsten Schlüsselstellen aus Tolkiens Werk einzubeziehen. "Die Musik der Ainur" erzählt die Schöpfung Mittelerdes und die Entstehung des Bösen in dieser Welt. "Der Fall Gondolins" ist nicht nur "eine Kampfszene" (U. Killer), sondern auch, laut Tolkiens Sohn und Herausgeber Christopher, die erste verfaßte Geschichte des Ersten Zeitalters. Die Geschichte von Beren und Tinuviel spielt im "Herrn der Ringe" und anderen Mythen eine große Rolle, und "Der Untergang von Numenor" erzählt die Geschichte des Geschlechtes von Elrond und Aragorn. Auch Sauron, der Diener Morgoths, des ursprünglichen Bösen, der einst einer der Götter gewesen war, taucht hier wieder auf als der große Zerstörer, mächtig und verschlagen.
Die Aufnahme dieser und anderer Mythen in das Buch ermöglicht es dem Leser, sich mit den frühen Zeitaltern Mittelerdes zu befassen, über welche ansonsten das "Silmarillion", das "Buch der verschollenen Geschichten" und die "Nachrichten aus Mittelerde" Auskunft geben. Alle drei Sammlungen erschienen bei KlettCotta. Das "Silmarillion" stellt Tolkiens eigentliches Hauptwerk dar; "Nachrichten aus Mittelerde" enthält die gleichen Geschichten in früheren Fassungen, dazu Fragmente und Notate, welche Hinweise auf die endgültigen, von Tolkien nicht mehr realisierten Fassungen geben. Das Werk blieb unvollendet; Geschichten und Mythen einer ganzen erdachten Welt zu erzählen, war ein selbst für Tolkiens langes, produktives Leben zu gigantisches Vorhaben. Mit dem "Kleinen Hobbit" und dem "Herrn der Ringe" wurden ja "nur" zwei Epochen des Dritten Zeitalters wiedergegeben! Daran läßt sich die Größe des geplanten Weltenentwurfs erkennen.
Um einen Zugang zu den drei oben genannten Sammlungen zu finden, kann man die in seinem ersten Teil ("Mittelerde wird geschaffen") enthaltenen Geschichten lesen. Danach ist man schon eher in der Lage zu entscheiden, ob die Anschaffung der (teuren) KlettCottaBände lohnenswert ist. Als "Sprungbrett" zu diesen ist das Lesebuch sehr zu empfehlen.
Über die literarischen Texte hinaus bietet der Band viele Briefe, durch die man Tolkien als Menschen und Familienvater, aber auch als leidenschaftlichen Streiter für sein Werk kennenlernt. Unter der Überschrift "Leben eines Oxforder Professors" ist vor allem der zweite Teil diesem Aspekt gewidmet, doch auch die anderen drei enthalten viele derartige Informationen. Hinzu kommt der erste Besuch des TolkienBiographen Humphrey Carpenter bei dem Autor, der uns diesen durch die Augen des persönlichen Bekannten besser sehen läßt.
Interessant fand ich vor allem den Brief "So darf man den 'Herrn der Ringe' nicht entstellen!". Tolkien beschäftigt sich hier (1958) mit dem DrehbuchEntwurf zu einem geplanten Film. Das Schreiben verrät einiges über die leidige Diskrepanz zwischen literarischer Vorlage und diesem; eine Angelegenheit, die ja auch andere verfilmte Werke betrifft. Nun kommt einmal ein Autor zu Wort, und er tut, was Jules Verne oder Herbert George Wells nicht mehr konnten: er protestiert. Ich weiß nicht, ob das Projekt realisiert wurde, doch scheinen sich einige Sätze förmlich auf den Zeichentrickfilm von 1975 zu beziehen, welcher dem Werk ganz und gar nicht gerecht wird und zudem noch "mittendrin" abbricht. 1958 jedenfalls schreibt Tolkien: "... und er hat gar nicht ernsthaft versucht, das Herzstück der Erzählung angemessen wiederzugeben: die Fahrt der Ringträger. Deren letzter und wichtigster Teil ist, und ich wähle kein zu starkes Wort, einfach umgebracht worden." Wie gesagt, diese Worte könnten einer Rezension zum oben genannten Film entstammen.
Der Essay "Ein heimliches Laster" dürfte vor allem für sprachwissenschaftlich orientierte Leser interessant sein (zu befürchten ist allerdings: leider auch nur für diese). Tolkien berichtet über seine Neigung zu selbsterfundenen Sprachen, welche sich durch den "Herrn der Ringe" ja wie ein zweiter roter Faden zieht. Der Beschäftigung des Oxforder Professors, Forschers und Lehrers mit alter Literatur verdanken wir ja das Epos von Mittelerde überhaupt. Zitat aus dem Nachwort: "In einem Gedicht, das Cynewulf, einem Dichter des frühen 8. Jahrhunderts, zugeschrieben wird, stieß er (Tolkien P.S.) auf zwei Zeilen: Eala Earendel engla beorthast / ofer middangeard monnun sended (Heil Earendel, strahlendster Engel, über der mittleren Erde den Menschen gesandt). Viele Jahre später erinnert sich Tolkien noch deutlich, wie diese Verse ihn elektrisiert hatten: 'Ich spürte einen merkwürdigen Schauder, als hätte sich etwas in mir geregt und wäre halb aus dem Schlaf erwacht. Etwas sehr Fernes, Fremdes und Schönes lag hinter diesen Worten, wenn ich es nur greifen konnte, weit hinter dem Altenglischen.'
Tolkien glaubte, den Schlüssel gefunden zu haben, der ihm einen Schatz öffnen konnte..."
Allerdings sind die sprachbetrachtenden Teile des Buches nicht jedermanns Sache; interessant zu lesen ist aber allemal, wie Tolkien sein Leben als unter dem Zeichen der Sprache stehend schildert. Nur derart fundierte Kenntnisse konnten ihn wohl zu dieser literarischen Meisterschaft führen. Ein Beweis, daß gute Fantasy eben nicht gemacht wird, indem sich der Laie hinsetzt und sich etwas möglichst Farbenprächtiges aus den Fingern saugt.
Abschließend läßt sich sagen: Ein kurzer Blick ins Lesebuch genügt nicht. Man wird es erst nach gründlichem, vielleicht mehrfachen Lesen schätzen lernen. Es ermöglicht eine tiefergehende Bekanntschaft mit einem ungeheuer vielseitigen Autor, gibt Orientierung in dessen Gesamtwerk (sehr bemerkenswert auch das Nachwort der Herausgeberin!) und hilft, über weitere Käufe mit Sachkenntnis (Quellen und Werksverzeichnis!) zu entscheiden. Die 10. DM sind sozusagen ein Ticket zu äußerst günstigem Preis. Man kriegt was geboten für sein Geld.

11. Nov. 2006 - Peter Schünemann

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Peter Schünemann

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