|
Sternensaga 2- Irrlichter des Geistes
Die zweite Sammlung der Sternensaga fasst die beiden Terra Astra Romane Welt der Lüge (Terra Astra 385) und Irrlichter des Geistes (Terra Astra 386) zusammen. Dieses Mal steht der Legendensammler Thor Hamatta im Mittelpunkt des Geschehens, der für seinen Beitrag zum Treffen der Gilde und die Aufnahme in die ANALECTA GALACTICA auf der geheimnisvollen, abgeschotteten Sanatoriumswelt Scizio eindringen will. Ein Unterfangen, das bislang niemand gelungen ist. Der Planet gilt als Heilanstalt für alle Geisteskrankheiten. Er nimmt die fiktive Gestalt des terranischen Märchenerzählers Isegrimm ein und schmuggelt sich durch die Kontrollen. Auf dem Planeten selbst muss er feststellen, das er sich den sehr strengen Regeln und Gesetzen dieser Welt unterwerfen muss. Er ist allerdings nicht alleine. Mehr durch einen Zufall verbündet er sich mit drei eher skurrile, aber im Verlaufe des Buches liebenswerten Verbündeten. Im ersten Teil des Romans erzählen sie Hamatta jeweils ihre Lebensgeschichte. So hält sich der kleine Roboter Terry für die Zentralsteuereinheit der legendären Erde. Sein Programmierer Mentor hat das Wissen der Menschheit extrem komprimiert und ihm einprogrammiert, bevor vor hunderten von Jahren die außerirdischen Blitzer genannten Wesen auf ihrem Kriegszug durch die Galaxis auch die Erde angriffen. Jetzt sucht er seinen Schöpfer, damit das Wissen der Menschen wieder öffentlich zugänglich gemacht wird. Die erste Episode zeigt Vlceks Stärke, liebenswerte Charaktere zu erschaffen und sie in einer im Grunde feindlichen Welt auszusetzen. Die Geschichte durchzieht eine melancholische Grundstimmung, welche durchaus an einige von Isaac Asimovs Robotergeschichten erinnert. Die pointiert ironischen Dialoge dagegen nehmen Douglas Adams überdrehte Peter Anhalter durch die Galaxis Geschichten vorweg, auch wenn Terry weit von Marvin entfernt ist. Der Amphibienmensch Njeto hält seine gegenwärtige Realität für einen bösen Traum und flieht in die Irrealität seiner Träume. Auch wenn Njetos kurzweilige Lebensgeschichte nicht viele neue Ideen offeriert, nimmt Vleck später in einer besonders selbstironischen Sequenz diesen Faden wieder auf. Die faszinierende Lebensgeschichte des modernen fliegenden Holländers Ixion hat sich der Autor als Abschluss des ersten Heftromans Welt der Lüge aufgehoben. Vor vielen Jahren hat er mit den Blitzern gegen die Menschen agiert und als Geschenk die Unsterblichkeit erhalten. Jahrhunderte später möchte er nichts sehnlicher als sterben, doch vorher muss er den inzwischen verschollenen Blitzern ihr Geschenk zurückgeben. Hier gelingt Vlcek ein eindrucksvolles Portrait eines zerrissenen Menschen, der von seinem Volk verabscheut und isoliert wird, der aber keine Chance hat, sich zu rehabilitieren oder zu sterben. Ixion ist ein ausgesprochen dreidimensionaler Charakter, dessen verzweifelte Katharsis der Leser sowohl in der obligatorischen Vorgeschichte als auch seinen Handlungen zusammen mit seinen drei Mitrittern von der jeweils traurigen Gestalt fast körperlich spüren kann. Ein großartiges Portrait. Hamatta selbst gibt im Verlaufe des Buches auch einen Teil seiner Vergangenheit Preis. Er ist verzweifelt auf der Suche nach Originaltexten Paul Wolfs, eines im 20. Jahrhunderts beliebten Unterhaltungsautor. Natürlich ein Insiderwitz, denn Ernst Vlcek lässt Hamata nach seinen eigenen Manuskripten suchen. Unter dem Pseudonym Paul Wolf hat Vlcek unter anderem an der Mythor- Heftromanserie mitgeschrieben und einer von Wolfs populärsten Titeln heißt Ich suche Menschen. Als Terra Nova Heft und Nachdruck bei Terra Astra erschien von Vlcek ein Roman namens Ich suche meine Welt. Am Ende des Buches bemerkt der Legendensammler ironisch, das in Paul Wolfs Werk die Aussagen mit dem Mikroskop gesucht werden müßten. Oder er gesteht ein, dass die Jahrtausende ihn von dessen Werk trennen. Diese Selbstironie wirkt aus heutiger Sicht befremdlich, denn wie in vielen anderen seiner serienunabhängigen Heftromanen gelingt es Vlcek auch im zweiten zusammengefassten Band der Sternensaga, den Finger in verschiedene Wunden wie Vorurteile und Egoismus zu legen. Aber in der zweiten Hälfte des vorliegenden Bandes ist der Weg nicht immer für die Charaktere und damit auch den Leser ein einfacher. Im Verlaufe der Handlung verbinden sich die Persönlichkeiten Hamattas und Wolfs unter der Behandlung der Ärzte von Scizio, die dem Geheimnis und dem Ziel des Legendensammlers auf die Spur kommen wollen. Im Vergleich zum ersten Teil, der souverän verfasst worden ist, flacht der Spannungsbogen ein wenig ab und die intensive Beziehung zu den einzelnen, sehr sympathisch und nuancierten gezeichneten Figuren wird plötzlich distanzierter.
Mit dem Besuch in der Hansenstadt - hier werden die Krankenpfleger von Scizio gezüchtet, die alle gleich aussehen und Hänsel genannt werden - nimmt der Roman wieder Fahrt auf. Hier gelingen Vlcek eine pointiert ironische Kommentare und der Leser fühlt sich teilweise an Woody Allens Komödie Das Schläfer erinnert. Dabei zieht der Autor vor allem über die Götter in weiß her: Wir sind nur Lehrlinge, denen Kunstfehler bei der Behandlung verziehen werden (Seite 167). In der Blitzerstadt unter einem im Grunde undurchdringlichen Schutzschirm erfüllt sich für einen Charakter sein Schicksal, aber frustrierend erfährt der Leser nicht sonderlich viel Neues über die geheimnisvollen Invasoren, welche vor Jahrhunderten die Galaxis heimgesucht haben und jetzt im Kern nur noch eine Legende darstellten. Hier hätte Vlcek den Vorhang ein wenig mehr öffnen können. Stellten im ersten Band der Saga die Nurwanen ein fremdartig, aber faszinierendes Volk dar, übernehmen im vorliegenden Roman die Hybriden diese Aufgabe. Der Autor bemüht sich, ihre wahre Rolle so lange wie möglich geheim zu halten. Ganz bewusst lockt er die Leser auf falsche Fährten und mittels der subjektiven Erzählungen gelingt es ihm sehr gut, die Spannung aufrecht zu erhalten. Erst am Ende der Geschichte wird Thor Hamatta vor die gleiche Entscheidung gestellt, die schon die Legendensammlerin im Auftaktband quälte. Es eine Legende, eine Geschichte es wert, das eine egal wie fremdartige Kultur zerstört wird? Und auf den letzten Seiten des Bandes stellt sich heraus, dass Scizio zwar eine Welt der Lüge ist, aber nicht jede Lüge kurze Beine hat oder etwas Negatives darstellt. Zwar wirkt diese positive Botschaft insbesondere im Vergleich zu den verschiedenen Ereignissen aufgesetzt, aber sie passt zu Vlceks positiver Einstellung allem Neuen gegenüber. Dem entspricht auch, das Vlcek dem eigentlichen Schurken am Ende des Buches nicht nur ein Gesicht, sondern eine Persönlichkeit gibt, über welche weder die Charaktere noch der Leser ohne seine Position zu überdenken den Stab brechen können. Im Vergleich zu vielen anderen Heftromanen insbesondere der sechziger und siebziger Jahre ist es positiv erstaunlich, welche Mühe sich Vlcek mit seinen Figuren gegeben hat. Der eigentliche Showdown ist dann allerdings überhastet und negiert eine Reihe von Idealen. Die einzige Fluchtmöglichkeit ist Hamatta schon sehr früh im Band in die Hände gefallen, aber wie er von Bord des Piratenschiffes weiterkommt, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Da helfen ihm in einer eher lächerlichen Szenen die Pfleger auf Scizio weiter und von dort besiegt Hamatta mittel des Zufalls die Schurken, ohne das Blut fließt, gerät in den Besitz eines Raumschiffes und kann sich in Ruhe überlegen, ob er seine Geschichte zumindest seinem Vorgesetzten erzählt. Im Zuge dieses überstürzten Showdowns verliert Vlcek ein wenig die anderen zwei Mitglieder seiner La Manchaer aus den Augen. Eine intelligentere vielschichtigere Lösung hätte dem dem Roman gut getan.
Über weite Strecken insbesondere zu Beginn ist Irrlichter des Geistes eine lesenswerte Geschichte mit der richtigen Mischung aus melancholischer Notalgie und Spannung. Immer wieder beschreibt der Autor mit scheinbar ernstem Gesicht surrealistische Situationen und kann sich auch dank der pointierten und gut geschriebenen Dialoge Seitenhiebe auf unsere gegenwärtige Gesellschaft nicht verkneifen. Wie Blatty in seinem herausragendem Roman The Ninth Configuration stellt der Autor die Frage, wer wirklich die Kranken und wer in einer kranken Gesellschaft die Gesunden ist. Alleine diesem Spiel bis zur nicht unbedingt überraschenden, aber folgerichtigen Auflösung zuzuschauen, macht einen Großteil des Lesevergnügens aus.
28. Apr. 2008 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

Total: 732 Rezensionen
April 2018: keine Rezensionen
[Zurück zur Übersicht]
|
|