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Dunkler als die Nacht
Nachdem ein guter Freund auf offener Straße ermordet wurde, entwickelt Erfolgsautor Mike Anthony eine panische Angst vor dem New Yorker Hexenkessel, in dem Gewalttaten, Prostitution und Drogenhandel den Alltag bedeuten. So nutzt er mit seiner Familie spontan die Gelegenheit zur Flucht aufs Land, als seine Großmutter stirbt und ihm ihr verwahrlostes Haus hinterlässt.
Für Mike wird es eine Reise in die Vergangenheit. Seit Jahren hatte er keinen Kontakt mehr zu der als verschroben geltenden Frau, bei der er die erste Zeit nach dem Tod seiner Eltern aufwuchs, bis die Behörden ihn der Obhut einer Pflegefamilie übergaben. Mikes Erinnerungen an die wenigen Monate sind diffus, doch einige kehren nach und nach zurück und es sind keine angenehmen Bilder, die in seinem Gedächtnis auftauchen.
Tatsächlich hat sich nichts in dem verschlafenen Nest geändert, und die Bewohner begegnen nun den Anthonys mit der gleichen Ablehnung, mit der sich auch die alte Frau konfrontiert sah. Wo auch immer die neuen Besitzer des Martin-Hauses auftauchen, werden sie angestarrt, verspottet oder sogar feindselig behandelt; die beiden Kinder müssen in der Schule erfahren, wie gemein Mobbing sein kann.
Mike will sich nicht einschüchtern lassen, zumal andere Dinge, für die sich nicht gleich plausible Erklärungen finden lassen, die Familie schon bald weit mehr beschäftigen als das eigenartige Verhalten der Nachbarn: Was sind das für Flecken, die hartnäckig auf dem frisch gelegten Küchenboden erscheinen und wie Fratzen aussehen? Wer dreht ständig die Kachina-Figuren mit dem Gesicht zur Wand? Sind die schwarzen Schatten, die überall umher huschen, Einbildung oder weitaus mehr? Was weiß der alte Indianer Sam Tochi, der Mikes Frau durch kryptisches Gestammel erschreckt?
Als die Anthonys zu akzeptieren beginnen, dass Mikes Großmutter keineswegs verrückt war und sich das Haus über einem Durchgang befindet, den etwas Unheimliches zu öffnen versucht, um auf diese Welt zu gelangen, sind sie bereits die Gefangenen von dem, was Dunkler als die Nacht ist
Wie schon in seinem erfolgreichen Debüt-Roman Crota mischt Owl Goingback auch in Dunkler als die Nacht Motive aus den Mythen seines Volkes mit Ereignissen aus dem Alltag des Durchschnittsamerikaners. Auf diese Weise fließt etwas in die dem Leser vertraute Welt, was er nicht kennt und worauf er nicht vorbereitet ist. Die Ignoranz und Überheblichkeit, die dem weißen Mann zueigen ist, veranlasst ihn, die Warnsignale zu missachten und Fehler zu begehen, die ihm letztlich zum Verhängnis werden (können).
Während Crota dem Splatter zuzuordnen ist, werden in Dunkler als die Nacht leisere Töne angeschlagen. Der Autor greift ein beliebtes Motiv auf, wie man es aus der phantastischen Literatur und dem Horror-Film bestens kennt: das unheimliche Haus, das sich entweder selbst gegen seine Bewohner wendet oder das Portal zu einer anderen Welt darstellt, durch das unheimliche Kreaturen vordringen, die die ahnungslosen Bewohner bedrohen.
Ebenfalls gängigen Schemata folgt der Handlungsaufbau. Der Roman beginnt mit einer spannenden Einstiegszene, durch die der Leser erfährt, dass etwas Gefährliches im Martin-Haus sein Unwesen treibt. Dadurch wird er neugierig auf die Erklärung, und da er mehr weiß als die Protagonisten, kann er nur hilflos und gebannt mitverfolgen, wie diese sich zunehmend in das Grauen verstricken, das mehr und mehr eskaliert, ohne dass sie es bemerken. Man ahnt, worauf die Story hinaus laufen wird, und will wissen, ob es den Beteiligten doch noch gelingt, dem Unheil zu entfliehen.
Bei den Charakteren handelt es sich um Genre-Archetypen, mit denen sich der Leser identifizieren kann. Eine typische Großstadt-Familie sieht sich nach dem Umzug ins vermeintlich ländliche Idyll als ungeliebte Außenseiter. Ihre Nachbarn bleiben relativ blass, nur die wenigsten aus der anonymen Masse erhalten einen Namen, ohne dass jedoch mehr auf sie eingegangen wird. Es sind Leute voller Vorurteile, wie man sie überall findet. Der Schriftsteller Mike Anthony, aus dessen Perspektive die meisten Szenen geschildert werden, weist einige Ähnlichkeiten mit Owl Goingback auf. Seine Frau Holly ist die übliche gute Ehefrau und Mutter, die trotz ausgeprägtem Selbstbewusstsein viele Sandwiches bereiten muss. Megan und Tommy fungieren als Quotenkinder.
Trotzdem oder gerade deshalb funktioniert die Geschichte und weist doch die eine oder andere überraschende Wendung auf. Sam Toshi wird nicht zum Deus ex Machina aufgebaut, obwohl man damit rechnete. Der alte Indianer verrät so manches, doch die Konsequenzen müssen die Anthonys ziehen. Gern hätte man mehr über die Mythen, die hier verarbeitet wurden, erfahren, doch hält sich der Autor damit stärker zurück als in Crota schade. Nicht ganz so sparsam ist er hingegen mit den Seitenhieben auf die weißen Eindringlinge, die viele Kulturen auslöschten, viel Wissen vernichtet haben und in der Gegenwart nichts von ihren Verbrechen hören wollen.
Dunkler als die Nacht ist ein spannender, traditioneller Horror-Roman, der seinen Reiz vor allem den indianischen Mythen verdankt, auf denen er fußt. Das bringt frischen Wind in das Genre, und man hätte gern noch mehr davon. Damit zeigt sich auch wieder, dass gute Unterhaltung nicht mit Splatter einhergehen muss.
21. Mai. 2008 - Irene Salzmann
Der Rezensent
Irene Salzmann

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Irene Salzmann, Jahrgang 63, verheiratet, drei Kinder, studierte mehrere Semester Südostasienwissenschaften und Völkerkunde an der LMU München.
Schon seit Jahren schreibt sie phantastische und zeitgenössische Erzählungen, die zunächst in den Publikationen der nicht-kommerziellen Presse erschienen sind. In den vergangenen Jahren w...
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