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Als ich tot war 1 & 2

ALS ICH TOT WAR 1 & 2

Buch / Düstere Phantastik

Frank R. Scheck/Erik Hauser, Hrsg.
Als ich tot war. Dunkle Phantastik der britischen Dekadenzzeit. 2 Bände
o.O. BLITZ-Verlag 2008
320 und 319 S. je € 9,95

Diese editorisch und übersetzerisch hervorragend gestalteten Bände sind auch sehr schön aufgemacht. Frank Rainer Scheck steuert ein exzellent geschriebenes Vorwort zu der Anthologie bei, Erik Hauser einen literarhistorischen Überblick „Mit dem Tod flirten. Zur dunklen Geschichte der Dekadenz“. Scheck betont, dass Dekadenz nicht zwingend gleichzusetzen ist mit dem „verrufenen Zeitraum fin de siècle, sondern darüber hinaus eine bestimmte Geisteshaltung beschreiben kann“ (I., S. 7), aber auch, dass es höchst problematisch scheint, von einer „Textsorte“ namens „Dekadenz“ auszugehen, „die dann seit über einhundert Jahren im offenen kulturellen Angebot wäre“ (S. 8). Der Begriff „Dekadenz“ ist wie „gothic“ oder „gotisch“ ziemlich unbestimmt und überstrapaziert, und viele der Texte könnten in jeder beliebigen Sammlung viktorianischer Geistergeschichten stehen.

Die Herausgeber verorten die Geschichten und die ganze Strömung sehr genau in den historisch-gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit. Die Geschichten werden auch von ausführlichen biographisch-kritischen Einführungen zu den Autoren eingeleitet, welche über die üblichen Geschichteneinführungen, wie man sie in vielen Anthologien findet, weit hinausgehen und richtige Mini-Essays sind. Den zu Count Eric Stenbock hat Michael Siefener und den zu Arthur Machen Marco Frenschkowski beigesteuert.

Die Titelgeschichte, sie stammt von Vincent O’Sullivan (der irritierender Weise immer mit der 0 gesetzt ist, 0’Sullivan), von ihm sind noch zwei weitere Geschichten zu finden, „Madame Jahn“ und „Willenskraft“, ist, wie die beiden anderen, eine originelle Gespenstergeschichte. Ein Mann will nicht wahrhaben, dass er tot ist und ein machtloses Gespenst. Originell ist auch die serielle, jeweils gealterte Gespenstererscheinung in „Madame Jahn“, die ihren Mörder in den Selbstmord treibt; oder in „Willenskraft“ die Tötung der verhassten Frau durch reines Wollen – und die gespenstische Rache der Frau. Letztere Geschichte kann man mit Fug und Recht als dekadent bezeichnen. Sehr opulent wird die Spiegelmetapher in Arthur Quiller-Couchs „Das Spiegelkabinett“ ausgeführt, eine zum Kampf gesteigerte Rivalität zwischen zwei gegensätzlichen Figuren, die doch nur Aspekte einer Person sind, in der sich auch gesellschaftliche Gegensätze spiegeln. „Der Wasserfall“ von Bernard Capes wartet mit Naturphänomenen auf, die eine bedrohliche Realität andeuten, während Richard Garnetts „Der satanische Papst“ ein intelligenter, zynischer Spaß ist, der seinen Spott über eine Kirche ausgießt, die korrupt und bis ins Mark verdorben erscheint. „In den Sümpfen“ von H.B. Marriott Watson nimmt die Natur ein durch und durch böses Aussehen an, und Ella D’Arcys „Die Villa Lucienne“, eine außerordentlich subtile Geschichte, in der das Phantastische nur angedeutet wird, ist ein altes Haus, das eine phantastische Atmosphäre generiert, einschließlich einer Geistererscheinung, die aber auch auf überreizte Nerven zurückzuführen sein kann.

Die drei Geschichten von Eric Count Stenbock waren schon bei Festa erschienen, sind aber, als klassische Vertreter der Decadence, unverzichtbar. In „Die andere Seite“ erscheint das Verruchte, Böse Phantastische als irresistible Verlockung, getrennt von der normalen Welt durch ein Bächlein; die „Viol d’Amor“ erzielt ihren unvergleichlichen Klang durch die Verwendung von (freiwillig und liebevoll gegebener) Menschenhaut, und „Ein moderner Sankt Venantius“ soll das Bedürfnis nach Blut einer sensationslüsternen grausamen Prinzessin befriedigen. Entfernt erinnert Charlotte Mews „Eine weiße Nacht“ an Oskar Panizzas „Kirche vom Zinsblech“; in beiden Geschichten werden die Erzähler, hier unfreiwillig nächtlich in einer Kirche eingeschlossen, Zeuge rätselhafter und beängstigender Vorgänge, die bei Mew, die eine unglückliche Lebensgeschichte hat, auch stark das Feministische betonen. Jerome K. Jeromes „Silhouetten“ wiederum hat gar nichts Humoristisches an sich, wofür dieser Autor bekannt ist, sondern ist eine lose Abfolge von düsteren Impressionen, die in ihrer Gesamtheit bedrückend phantastisch wirken. Max Beerbohm ist mit zwei Erzählungen vertreten, mit „A.V. Laider“, der fiktiven Biographie eines in der Handlesekunst erfahrenen Mannes – oder eines großen Lügners; und die bekannte Teufelspakt-Geschichte „Enoch Soames“ von dem ganz und gar unbemerkenswerten Schriftsteller, der sich durch den Teufel für kurze Zeit vom neunzehnten in das zwanzigsten Jahrhundert versetzen lässt. Es gibt sogar eine Enoch Soames Society, die diese Erscheinung im British Museum nachspielte.

Den zweiten Band eröffnet eine lange und beeindruckende Erzählung von Robert Hichens, der Lesern des Phantastischen vor allem durch seine berühmte Geschichte „How Love Came to Professor Guildea“ bekannt ist. „Die Rückkehr der Seele“ erzählt von einer alten Schuld, einem Hass auf eine alte Frau, seine Großmutter, bei der der Protagonist seine Ferien verbringen musste, um sich sein Erbe zu sichern, was er ebenso hasste wie die Katze der Frau, die er nach dem Tod der Großmutter beseitigt; und wie er von dem Gedanken besessen wurde, die Seele der Katze sei in einer schönen Frau wiedergekehrt, um Rache zu nehmen. Düster und dunkel sind die sado-masochistisch angehauchten, in archaiisierender Sprache geschriebenen Texte „Der Basilisk“ und „Die Hexe“ von R. Murray Gilchrist, einem einst populären Autor historischer Regionalromane. Bizarr historisierend und sprachlich überschwänglich erst recht die drei Geschichten von M.P. Shiel, die den Band beschließen: „Huguenins Weib“, „Vaila“ und „Tulsa“, wahrhaftige Beispiele von „purple prose“, die sich in nordischer Düsternis suhlen. Im Gegensatz dazu sehr zurückhaltend die drei Geschichten von Arthur Machen, „Ein Idealist“, „Der Club, den es nicht gibt“, und „Die Tür öffnet sich...“ die, untypisch für diesen Autor, würde ich sagen, angedeutete Geheimnisse von Dingen und Organisationen, die es geben mag oder auch nicht, sehr suggestiv beschwören. Sprachlich exuberant wieder die drei Geschichten von Vernon Lee: „Der Gekreuzigte, „Die gnadenreiche Madonna“ und „Die Puppe“, in denen es, so Frank Rainer Scheck, „um die übersinnlichen Aspekte der sinnlichen Liebe“(S. 128) geht. In ihren Erzählungen gab sie ihren eigenen lesbischen Neigungen, die sie im Leben geschickt verbarg, offen Ausdruck, eingefügt in das viktorianische Moralkorsett von Schuld und Sühne. „Die Puppe“ ist eine so subtile Gespenstergeschichte, dass sie ganz ohne Gespenst auskommt und Emanzipation im „Autodafé eines Frauenidols“(S. 129) findet. Dekadenz in Reinkultur bietet Ronald Firbanks „Eine Tragödie in Grün“, sowohl in der geradezu parodistisch übersteigerten Naturschilderung wie der amoralischen Tat der Hauptfiguren, die sich zusammentun, um mit Hilfe von Magie einen lästigen Ehemann zu beseitigen. „Der Schrein des Todes“ von Lady Dilke und Barry Pains „Sklavin des Mondes“ zeichnen sich beide durch eine symbolistisch geprägte, präziöse Sprache aus und spielen in märchenhaften Gefilden, erfüllt von einer phantastischen Sehnsucht, die sich dennoch den Moralvorstellungen der Zeit nicht entziehen kann.

Die Geschichten sind sprachlich meist alle bezwingend subtil, zuweilen aber auch voller grotesk übersteigerter und Entsetzen einflößender Bilder; so interessant wie die Erzählungen selbst sind aber zumeist die Lebensgeschichten der Autoren, die selbst einen hervorragenden Stoff für dekadente Geschichten abgeben könnten; so manches in den Geschichten, vor allem der weiblichen Autoren, scheint den eigenen Lebensumständen und Bedrängnissen entsprungen zu sein.

Die beiden Bände sind jedenfalls eine hervorragend gestaltete repräsentative Auswahl der britischen Dekadenz.

01. Jul. 2008 - Dr. Franz Rottensteiner

Der Rezensent

Dr. Franz Rottensteiner
Österreich

Total: 59 Rezensionen
März 2018: keine Rezensionen

Franz Rottensteiner
wurde am 18.01.1942 in Waidmannsfeld/Niederösterreich geboren.

Studium der Publizistik, Anglistik und Geschichte an der Universität Wien,

1968 Dr. phil.

Rund 15 Jahre Bibliothekar an einem Forschungsinstitut, daneben Tätigkeit für verschiedene Verlage, unter ander...

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