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Desperation/Regulator

DESPERATION/REGULATOR

Buch / Horror

Kings Experimentierfreudigkeit und Schreibwut scheinen keine Grenzen zu kennen; kaum ist der letzte Band seines (in jeder Hinsicht überzeugenden) Fortsetzungs-projekts "Green Mile” erschienen, schon erwarten den geneigten (und meist schon süchtigen) Leser gleich zwei (!) neue Bücher. Das Kuriose diesmal: Beide Romane behandeln ein ähnliches- in Teilbereichen sogar identisches - Thema (verkörpert durch das Wesen Tak). "Desperation” wurde allerdings von King verfaßt, für "Regulator” zeichnet aber niemand anderes als sein ‘nom de guerre’ Richard Bach-man verantwortlich.
Wie kann das sein?, fragt sich nun jeder Fan. Kings Pseudonym wurde doch schon vor langer Zeit gelüftet; warum also ein weiterer Band von Bachman? Ganz einfach. King liebt es, mit seinen Lesern zu spielen. Und er nutzt die radikalere, kompromiß-losere Gangart eines Bachman, um diesmal ein Sujet von zwei Seiten beleuchten zu können. King und seine ‘Dark Half’ im Doppelpack sozusagen.
Wie verspielt ironisch er die Sache angeht, wird vor allem im Vorwort von "Regulator” deutlich. Darin berichtet ein imaginärer Herausgeber von einem erst nach Bachmans ‘Tod’ aufgefundenen Manuskript, einem bislang unbekannten Werk, das nach Ansicht von Mr. Verrill durchaus die Qualität seiner Vorgänger besäße. Bei den wenigen Seiten kommt man unwillkürlich ins Schmunzeln. Man weiß, daß Bachman nie existiert hat. Und King weiß, daß wir es wissen. Eine augenzwinkernde Posse, die - ähnlich wie schon bei "Green Mile”, nur auf einer anderen Ebene - eine beinahe schon verschwörerische Verbundenheit zwischen Autor und Leser schafft. "Wir beide - sie und ich - wir kennen die Wahrheit, nicht wahr?”, scheint uns der Bärtige aus Maine zwischen den Zeilen zuzuflüstern.
Doch worum drehen sich nun die Bücher? Nun, unzweifelhaft wandelt King mit beiden Romanen wieder klar auf den dunklen Pfaden des Horror.
In "Desperation” beginnt der unsägliche Schrecken mit einer routinemäßigen Polizeikontrolle. Als Peter und Mary Jackson auf einem einsamen Highway in Nevada von einem Cop angehalten werden, glauben sie schon bald wieder weiter-fahren zu können. Ein fehlendes Nummernschild scheint eine Bagatelle zu sein. Doch dann spitzt sich die Situation mehr und mehr zu. Als der Beamte dann auch noch einen Beutel mit Marihuana findet (den offenbar Maries Schwester dort depo-niert hatte), nimmt der Polizist das Paar wegen versuchten Rauschgifthandels fest. Der hünenhafte Gesetzeshüter teilt den beiden ihre Rechte mit und läßt dabei fast nebensächlich den Satz "Ich werde sie töten.” fallen. Zu diesem Zeitpunkt ist den Jacksons klar, daß sie in die Fänge eines Wahnsinnigen geraten sind. Doch an Flucht ist nicht mehr zu denken.
Mit dem Polizeiwagen werden sie nach Desperation gebracht, eine Geisterstadt, die nur aus ein paar verlassenen Häusern und einem Bergwerk zu bestehen scheint. Als man die Polizeistation erreicht, offenbart sich erstmals das Ausmaß des Grauens, das diese verlassenene Gegend heimgesucht hat. Im Eingang liegt die Leiche eines kleinen Mädchens. Der wahnsinnige Cop schenkt dem Kind aber kaum mehr Beachtung als einer weggeworfenen Puppe. Ohne jede Vorwarnung, beinahe gleichgültig, erschießt er daraufhin Peter Jackson. Die entsetzte Frau wird in eine Zelle gesperrt, in der bereits schon andere Gefangene ihr Dasein fristen.
Unter den Eingekerkerten befindet sich auch der einheimische Tierarzt Tom Billingsley. Er erzählt den anderen, daß der wahnsinnige Polizist Collie Entragian heiße. Billingsley kennt den Cop schon seit Jahren, und er ist davon überzeugt, daß sich der Mann seltsam verändert habe. Entragian habe nicht nur sein typisches Hinken abgelegt, er sei auch größer (!) geworden. Zudem fällt auf, daß sich der riesige Cop mehr und mehr in seine Bestandteile aufzulösen scheint, doch ihn scheint dieser Verfall kaum zu stören.
Dem Bruder des toten Mädchens, Dave Carver, gelingt schließlich die Flucht. Er befreit die Gruppe, die sich nun bewaffnet und in einem alten Kino verschanzt. Der kleine Junge ist dabei der wahre Anführer der Erwachsenen. Das tief religiöse Kind, das oft Zwiegespräche mit Gott hält, vermag sogar die überall umherlaufenden Kojoten zu vertreiben.
Als der Wahnsinnige zurückkehrt, heißt er nicht mehr Collie Entragian, sondern Ellen Carver. Der Cop hatte zuvor Daves Mutter mit zur alten Mine genommen. Jetzt ist die ehemals kleine Frau annähernd 1,90m groß, und der Blick ihrer Augen ähnelt stark dem Entragians. Es scheint, als habe sich die Frau in eine weibliche Variante des mordgierigen Polizisten verwandelt.
Ein Monster beherrscht die Stadt, sein Name ist Tak. Tak ist äonenalt und wurde bei Grabungsarbeiten im Bergwerk zu neuem Leben erweckt. Das absolut Böse. Unsichtbar übernimmt es menschliche Hüllen, um sein todbringendes Werk zu vollenden. Nichts und niemand scheint ihm gewachsen zu sein, doch es hat nicht mit der Kraft eines kleinen Jungen gerechnet. Und auch nicht mit der inneren Größe scheinbar schwacher Menschen, die im Augenblick der Gefahr plötzlich zu Helden werden.
King spart in diesem Roman, der stark an Jack Finneys "Die Körperfresser kommen” und Stephen Gallaghers "Tal der Lichter” erinnert, nicht mit schaurigen und z. T. recht drastischen Szenen. In diesen ‘Horror vom Haken’ (in "Desperation” durchaus wörtlich zu nehmen) bettet der Autor psychologische Studien und religiös- philosophische Dispute, die allerdings das Hauptthema nicht verdecken: Der ewige Kampf zwischen ‘Gut’ und ‘Böse’. Spielte dieses Thema in "The Stand” zwar eine wichtige, aber noch fantasy- verbrämte Rolle, so werden die Menschen in "Desperation” eindeutig zu Werkzeugen Gottes. Das Monster Tak besteht kaum aus Fleisch und Knochen; zu deutlich ist es lediglich eine Metapher für ‘das Böse’, ‘den Teufel’ oder wie immer man auch den Widerpart bezeichnen will. Bis hin zum recht klassischen Finale bleibt Tak daher auch zu undifferenziert. Ähnlich dem ‘Baum der Erkenntnis’ scheint das Monster nur eine gottgeschaffene Prüfung für die Menschen zu sein; seine schrecklichen Taten werden dabei billigend in Kauf genommen. Nicht umsonst ist der vierte Teil des Romans daher auch mit "Gott ist grausam” überschrieben. Ausgehend von dieser These entwickelt King interessante Überlegungen, die sich mit der Beziehung ‘Gott und Mensch’ beschäftigen. Fragen und Denkanstöße, die den Leser möglicherweise auch noch nach der Lektüre des Romans beschäftigen werden. Im Hinblick auf einen Horror- Roman und Kings andere Werke stört allerdings der zu klar zu durchschauende missio-narische Impetus von "Desperation”.

"Regulator” erzählt eigentlich eine recht ähnliche Geschichte, allerdings vollkommen anders. Ein Reiz, der vor allem die Lektüre beider Bücher ausmacht. Verwirrend für den Leser ist es, daß er hier wieder auf vertraute Namen stößt, die Personen, die sich dahinter verbergen, sind aber nur teilweise mit denen in "Desperation” identisch. Die Rollen innerhalb der Familie Carver wurden von Bachman z.B. ausgetauscht. Waren Ellen und Ralph in "Desperation” noch die Eltern, so übernehmen sie nun die Kinderrollen, Dave und Kirsten (im King- Buch das ermordete kleine Mädchen) sind jetzt das Ehepaar. Andere Charaktere wie Collie Entragian (diesmal allerdings nicht von Tak besessen), Peter und Mary Jackson oder der Schriftsteller Edward Marinville (in "Desperation” einer der Gefangenen) werden dagegen ohne Veränderungen adaptiert. Man gewinnt den Eindruck, als habe Bachman mit den Elementen von "Desperation” gewürfelt und seine Version zu einem neuen Mosaik zusammengesetzt. Ein Verfahren, das sehr an die "Blaue Rose - Triligie” seines Freundes Peter Straub erinnert, in der eigentlich auch nur eine Geschichte auf drei verschiedene Weisen erzählt wird.
Bachman siedelt seine Version in Wentworth an, einem kleinen Städtchen in Ohio. Die Idylle wird jäh zerstört, als ein offenbar Verrückter aus einem roten Lieferwagen den Zeitungsjungen Cary Ripton (in "Desperation” ist Cary ein Grubenarbeiter, der zuerst von Tak übernommen wird) mit einer Schrotflinte erschießt. Als man die Polizei verständigen will, meldet sich nur eine unheimliche Kinderstimme, dann sind die Leitungen tot. Währenddessen eröffnet ein anderer Lieferwagen das Feuer auf die wehrlosen Bewohner; diesmal sterben Mary Jackson und David Carver. Ihre Mörder scheinen Masken wie Außerirdische zu tragen.
Für Audrey Wyler und ihren autistischen Neffen Seth scheint sich die Vergangen-heit zu wiederholen. Zwei Jahre zuvor wurde Seth’ gesamte Familie von einem vorbeifahrenden Amok- Schützen getötet. Die Familie hatte damals kurz zuvor eine kleine Ortschaft namens Desperation (!) passiert, als Seth plötzlich einen ‘hellen Moment’ bekam. Der Junge flehte seine Eltern an, ihn doch unbedingt zu dem seltsamen Hügel zu bringen. Der Besuch in dem Bergwerk entpuppt sich aber als tragischer Fehler. Eine böse Macht hatte Seth gerufen und nistet seitdem in seinem Kopf. Der Name des Wesens ist - natürlich - Tak.
Mehr und mehr wird der Junge von Tak übernommen; Seth spürt trotz seines Autismus die Gegenwart des anderen, aber ein Widerstand scheint zwecklos. Wenn Tak die Oberhand gewinnt, ist Seth kaum mehr als ein außenstehender Zu-schauer, der hilflos mitansehen muß, wie Menschen, die er eigentlich liebt, durch ihn gequält werden. Taks Tyrannei führt schließlich zum Tod von Audreys Mann. Doch das ist nur der Anfang.
Wentworth verwandelt sich in einen Schauplatz des bizarrsten Schreckens. Vor den Augen der ungläubigen Bewohner beginnt sich die gesamte Stadt zu verändern; die Architektur der Häuser ähnelt plötzlich einer Westernstadt aus dem 19. Jhd..
Und auf den Straßen laufen tierähnliche Wesen umher, deren Äußeres an Picasso- Gemälde oder Kinderzeichnungen erinnert. Die eigentlich unmöglichen Geschöpfe verspüren allerdings einen durchaus realen Appetit auf Menschenfleisch.
Tak spielt genüßlich mit Seth’ Gedankenwelt und formt dabei die kindlichen Fan-tasien zu einer apokalyptischen ‘Hieronymus- Bosch- Wirklichkeit’. Das Ende von Wentworth und seiner Bewohner scheint besiegelt zu sein.
Kings ‘Alter ego’ Bachman montiert seine ‘Tak- Version’ (die übrigens klare Parallelen zu Kings genialem "Nebel” besitzt) geschickt aus unterschiedlichsten Text- Fragmenten (Zeitungsartikel, Lexikoneinträge, Drehbuchausschnitte, Tagebuchnotizen). Durch diesen - auf den ersten Blick - recht inhomogenen Aufbau erschließen sich aber für den Leser in zunehmendem Maße Hintergrundinformati-onen, die eine gleichbleibende Erzählstruktur nicht hätte bieten können. Die jeweiligen Fragmente müssen allerdings aktiv entschlüsselt werden; Bachman legt somit eine ‘Fährte’, deren wirr erscheinende Mosaiksteinchen vom Leser zu einem stimmigen Bild zusammengesetzt werden sollen. Ist dieses Bild fertiggestellt, so
bietet sich (anders als in "Desperation”) ein recht klare Erläuterung der alptraumhaften Vorgänge und auch des Wesens ihres Urhebers Tak. "Regulator” besitzt zwar einen ähnlichen Protagonisten- Stab wie "Desperation”, selbst die Schlüsselszene im Kampf gegen Tak ist identisch (selbstlose Opferung eines Individuums zum Wohl der Gemeinschaft), in seiner Gesamtwirkung übertrumpft es allerdings seinen ‘Zwilling’ klar nach Punkten. Rasanter, harter Horror pur.
Kings ‘Tak’- tik’ geht demnach nicht voll auf, beide Bücher sind ohne Zweifel lesenswert, es bleibt aber die Frage, ob annähernd 1200 Buchseiten einem Wesen wie Tak wirklich angemessen waren. Fans werden sich sicherlich beide Romane kaufen; denjenigen aber, die nur eine Version lesen wollen, sei das Buch des ‘frisch auferstandenen’ Richard Bachman empfohlen.

Stephen King : "Desperation” ("Desperation”)
Heyne Verlag, München 1996
Hc.; 668 Seiten; DM 48,–
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber

Richard Bachman: "Regulator” ("Regulators”)
Heyne Verlag, München 1996
Hc.; 516 Seiten; DM 44,–
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber

19. Dez. 2006 - Andreas Wolf

Der Rezensent

Andreas Wolf
Deutschland

Total: 84 Rezensionen
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* Andreas Wolf, auch als Autor unter dem Pseudonym
ARTHUR GORDON WOLF bekannt,

* Jhg. 1962

* Pendler zwischen dem Bergischen Land und dem Niederrhein, wo er als Lehrer an einem Gymnasium arbeitet

* schreibt Rezensionen für das Magazin "phantastisch!" sowie Short - Stories, Erzählunge...

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