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Der Remburg- Report

DER REMBURG-REPORT

Jan Gardemann
Roman / Science Fiction

Atlantis Verlag

Broschiert, 250 Seiten
ISBN: 978-394125803-7

Apr. 2009, 12.90 EUR
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Mit seinem ersten serienunabhängigen Science Fiction Roman unterhält und provoziert der norddeutsche Science Fiction Schriftsteller Jan Gardemann gleichermaßen. Schon mit seinen Kurzgeschichten in Magazinen wie „phantastisch“, „Nova“ und Helmuth W. Mommers „Visionen“ hat sich Gardemann als sehr ideenreicher und experimentierfreudiger Autor erwiesen. Mit mehr als zweihundert professionellen Veröffentlichungen – das Spektrum reicht von mystischen Werken für den Kelter- Verlag über die Mitarbeit an „Jerry Cotton“ im Hause Bastei bis zu „Ren Dhark“ bzw. „Dorian Hunter“ aus dem phantastischen Bereich – ist Gardemann routiniert und professionell genug, um auch leichte Schwächen insbesondere im letzten Drittel seines vorliegenden Romans mit zahlreichen außergewöhnlichen Ideen zu überspielen.

Ohne zu viel von der Pointe zu verraten ist „Der Remburg- Report“ eine klassische First Contact Geschichte, die für das literarische Äquivalent eines Guy Maddigan oder David Lynch Films daherkommt. Exzentrische Charaktere, bizarre Ideen, ein verschachtelter, nicht immer logischer Aufbau und eine Handlung, die in erster Linie das Gebilde zusammenhalten, den Leser aber nicht von den vielen kleinen Nebenepisoden ablenken soll. Schon der Hintergrund ist bezeichnend: die Stadt Remburg liegt unter einem Strahlenfeld, das augenscheinlich von einem Bombenexperiment während des Krieges herrührt. Es behindert jeglichen Funkverkehr und die Bewohner sind auf archaische Hilfsmittel für Schnurrtelefonate, Kabelfernsehen und schließlich auch stationäre Computer angewiesen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Prämisse wirkt der vorliegende Roman trotz seiner futuristischen Ausrichtung archaisch und positiv gesprochen altmodisch. Viele Hintergründe löst Jan Gardemann erst im Laufe seines Plots auf. Der Autor schiebt teilweise unnötig Erklärungen für Phänomene nach, die ohne dieses Beiwerk als simple Tatsache effektiver gewirkt hätten. Es ist aber nicht nur die Technik, welche anachronistisch wirkt. Jan Gardemann greift handlungstechnisch auf Ideen der alten Film Noir Filme bzw. Roman Polankis „Chinatown“ zurück. In der Stadt soll eine riesige Einkaufspassage gebaut werden, der Leiter des Bauamts wird von einem Auftragskiller ermordet, als er Bedenken äußert. Hinter diesem Projekt scheint der Verbrecherfürst der Stadt zu stehen. Durch einen Zufall kommt der junge Journalist Michael Neustädter dieser „Verschwörung“ auf die Spur und versucht mittels Zeitungsartikeln die Bevölkerung vor der kriminellen Unterwanderung zu warnen. Natürlich steckt nicht nur eine simple und aufs schnelle rücksichtslose Geldverdienen ausgerichtete Strategie hinter diesem Bauprojekt. In der Mitte des Buches löst Jan Gardemann die Film Noir Handlung zu Gunsten einer „reinrassigen“ Science Fiction Story mit fiesen Außerirdischen und deren erst auf den letzten Seiten allerdings dann etwas bemüht erzählten Absichten auf. Diese Art der Strukturänderung hätte einen stringenten Roman in Schwierigkeiten bringen können. Dank der originellen Erzählstruktur und der einzigartig sympathischen bis bizarren Charaktere akzeptiert der Leser diese Art der Richtungsänderung nicht nur, er sehnt sie herbei. Rückblickend ist allerdings anzumerken, dass die ursprüngliche Idee einer kriminellen Verschwörung - an der Spitze der Polizei bzw. des Verbrechersyndikats stehen getrennte siamesische Zwillinge – bis zu einem dunklen Ende durchgespielt vielleicht die bessere Lösung gewesen wäre. Am Ende seines Buches versucht Jan Gardemann die Quadratur des Kreises. Viele Erklärungen – auch hinsichtlich der Bombe und ihrer Auswirkungen- wirken bemüht und interessieren den Leser nicht wirklich. Außerdem wirkt die Auflösung des Plots insbesondere im Vergleich zum vielschichtigen und nuancierten Beginn des Buches zu abrupt, zu hektisch. Zusätzlich hätte „Der Remburg- Report“ etwas effektiver und zugänglicher gewirkt, wenn Jan Gardemann auf manche Episode, welche Michael Neustädter in seinem „Wachschlaf“ miterlebt, verzichtet hätte. Damit soll auf keinen Fall zum Ausdruck gebracht werden, dass diese Episoden langweilig oder zu bizarr sind. Sie überfrachten nur den Roman an Stellen, an denen sich der Leser eine Art Katharsis gewünscht hätte. Anstatt die vielen, teilweise sehr vielen Ideen und Handlungsbögen zum Ende hin zu bündeln, baut der Autor einen weiteren Spannungsbogen um den angeblichen Terroristen „A.M.“ als Hommage auf die dunklen Comics eines Alan Moores ein, ohne diese Idee wirklich überzeugend mit dem Roman zu verbinden. Die grundsätzliche Idee, ein archaisches Gegengewicht zu den korrupten Ordnungsorganen der Stadt zu entwickeln, das als eine Art „Watchmen“ über die Bürger der Stadt wacht, ist faszinierend und für einen weiteren Roman absolut ausreichend. In der vorliegenden komprimierten Form wirkt dieser Ansatz verschenkt und hinterlässt den Leser eher mit dem Bedürfnis nach mehr als gesättigt.

„Der Remburg- Report“ überzeugt allerdings am meisten, wenn Jan Gardemann sich liebevoll seinen vielen Charakteren annimmt. Auch wenn der Autor suggeriert, dass viele Bewohner der Stadt Remburg über besondere, sehr unterschiedliche Fähigkeiten verfügen, ist die über die Handvoll wichtiger Charaktere hinaus beschriebene Gesellschaft zugänglich und im positiven Sinne nichts besonderes. So hätte die von Jan Gardemann beschriebene Demonstration und die gewaltsame Auflösung durch die radikal vorgehenden Polizisten in der hier stattfindenden Form nicht mit über die gleichen Fähigkeiten wie die Charaktere gesegneten oder verfluchten Teilnehmern stattfinden können. Zwar verfügt jede Figur des Romans, mit der sich Michael Neustädter direkt oder indirekt auseinandersetzen muss, über einzigartige Fähigkeiten, aber der Leser hat das Gefühl, als handele es sich nicht um ein globales Stadtphänomen. So verfügt der Journalist Michael Neustädter über die unsägliche Fähigkeit, dass er bei großer Freude oder Aufregung in Ohnmacht fällt. Dabei „träumt“ er die Schicksale anderer Menschen. Um sich an diese Geschichten zu erinnern, trägt Neustädter immer einen altmodischen Kassettenrecorder bei sich. Diese Aufzeichnungen bilden wichtige Bestandteile des grundlegenden Plots. Mit diesem Trick kann der Autor seinen Lesern Informationen über den Horizont der Charaktere hinaus vermitteln und manche plottechnische Klippe elegant und die Handlung vorantreibend umschiffen. Die Geschichten, welche Neustädter in erster Linie während der sehr zahlreichen Ohnmachtsphasen aufnimmt, stehen in einem engen Zusammenhang mit seiner großen Story. Ganz bewusst die Spannungskurve negierend hat Jan Gardemann seinem Roman nicht nur einen Rahmen gegeben, sondern bis zum bizarren Epilog weiß der Zuschauer, dass Michael Neustädter als Autor des Remburg- Reports jegliche Gefahr überleben wird. Er lehnt die junge Frau Lena kennen, deren Fähigkeit einer von Guy Maddigan inszenierten Folge der „Akte X“ entsprungen sein kann. Im Vergleich zu Fernsehserien wie „Heroes“ oder die berühmten „X- Men“ kümmert sich Gardemann weniger um den guten Geschmack, sondern phantasiert bizarr und frei von der Leber weg. Da er seine Figuren ganz bewusst verzerrt, wirkt die Liebesgeschichte weniger kitschig als in manch anderem Science Fiction Roman. Mit den siamesischen Zwillingen, welche die Polizei leiten bzw. die Unterwelt unter Kontrolle haben, hat Jan Gardemann zwei fast zur Karikatur überzeichnete Protagonisten geschaffen, welche die erste Hälfte des Buches dominieren. Leider wirkt der finale Konflikt zwischen den beiden charismatischen Anführern eher wie eine unfreiwillige Parodie als eine überzeugende Auflösung.

Ungefähr in der Mitte des Buches lässt Jan Gardemann seinen „Helden“ über die bisherigen Ereignisse philosophieren. Eine Frau, die Geister sieht. Eine geheimer als geheime Polizeiorganisation, die nur Begabte rekrutiert. Außerirdische, die einen Mafiaboss beauftragt haben, ihnen eine Ladenpassage zu bauen. Das ist selbst für einen Reporter wie Michael Neustädter ausreichend, an seinem eigenen Verstand zu zweifeln. Mit einem Schuss Selbstironie unterstreicht Jan Gardemann auf den folgenden Seiten, dass es gut möglich ist, aus diesen konträren und bizarren Ideen einen unterhaltsamen, alles andere als stringenten, aber absolut lesenswerten Roman zu zimmern. Alleine die kleinen Nebenhandlungen und mit leichter Hand eingestreuten Ideen unterstreichen, wie viel Freude der Autor beim Schreiben dieses Buches gehabt hat. Im Vergleich zu den eher aalglatten amerikanischen Standardgeschichten ist sich Jan Gardemann nicht zu schade, wirklich zu experimentieren und auszuprobieren. Das nicht jede Idee klappt oder das Buch insbesondere gegen Ende des Spannungsbogens eher bemüht als glättend daherkommt, sind Schwächen, die akzeptiert werden müssen und angesichts der vielen guten gelungenen Passagen auch akzeptabel sind. Stilistisch teilweise brillant mit überdurchschnittlichen, pointierten Dialogen und einem Gefühl für Stimmung und Atmosphäre ist „Der Remburg- Report“ ein sehr empfehlenswertes, wenn auch provozierendes Buch, das sich in keinem Subgenre wirklich zu Hause fühlt. Sicherlich bislang der Favorit auf den „Deutschen Science Fiction Preis“ für 2009.

05. Jun. 2009 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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