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Sektion 3 Hanseapoli- Schattenspiele

SEKTION 3 HANSEAPOLI- SCHATTENSPIELE

Miriam Pharo
Buch / Science Fiction

Acabus Verlag
Taschenbuch, Innenillustrationen,
245 Seiten, Mai 2010
ISBN 9783941404410

Mit „Schattenspiele“ liegt sozusagen die zweite Hälfte von Miriam Pharos Science Fiction Thriller „Sektion 3: Hanseapolis“ vor. Wie beim ersten Band hat die Autorin den Plot auf zwei Episoden („Das Duell“ und „Epizentrum“) aufgeteilt. Allerdings suggeriert zumindest ein Hinweis auf die wahren Motive des Täters eine weitere Fortsetzung. Nicht unbedingt für den Leser zufrieden stellend, aber im Vergleich zu anderen offenen Schlüssen werden die Schurken gestellt und zumindest vor ein eher metaphorisches Gericht befördert.
Nach dem explosiven Ende des ersten Bandes steht Elias Kosloff ohne Partner da. Er muss weiterhin inzwischen auch aus persönlichen Gründen im Mord in Form einer brutalen Menschenjagd an einer jungen Frau ermitteln. Inzwischen weiß Kosloff, das hinter dieser Tat mehr steckt, als es den Anschein hat und das es Kräfte gibt, die seine Ermittlungen zumindest behindern, wenn nicht sogar unterbinden möchten. Der Leser verfolgt dabei das plottechnische Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven. Nicht selten hat es den Eindruck, als wäre der außen stehende Beobachter den handelnden Protagonisten deutlich im voraus. Mit zahlreichen Wendungen und wie bei einer Zwiebel jeweils weiteren Verschwörungsebenen negiert die Autorin immer wieder aufs Neue diesen Eindruck. Das geht in einzelnen Details zu Lasten der Lesbarkeit, zeigt aber auch, welche Mühe sich Miriam Pharo bei der Konzeption des eigentlichen Plots gemacht hat.

Die Handlung setzt unmittelbar nach dem Ende von „Schlangenfutter“ ein. Es empfiehlt sich sogar, die beiden Bücher unmittelbar aufeinander zu lesen. Der im Kern leider nur suggestive Cliffhangar hinterlässt in diesem Fall keine zu große Enttäuschung. Miriam Pharo fehlt der Mut, eine wichtige Figur Louanne wirklich umzubringen, wie es das Ende des ersten Bandes impliziert. Nach gut einem Viertel der Handlung erfährt der Leser, das Kosloffs ehemalige Partnerin nicht gänzlich tot ist. Rückblickend wirkt dieses Plotelement eher wie ein fauler Kompromiss, der leider durch die eindimensionale und im Vergleich zum Auftaktroman deutlich schwächere Charakterisierung Kosloffs noch verstärkt wird. Im ersten Band ist Kosloff nicht nur ein erfahrener Polizist, der mit Regeln und Vorgesetzten höflich gesprochen unorthodox umgeht. Mit einer neuen Partnerin – jung, attraktiv, intelligent und entschlossen – weicht sein Hardboiled Image etwas auf. Er lernt, wieder mit anderen „Menschen“ zusammenzuarbeiten. Diese Wandlung wird von Miriam Pharo nicht gänzlich befriedigend, aber für einen Erstling erstaunlich selbstsicher beschrieben. Der Leser erwartet, das Kosloff emotional verwundet sehr viel hektischer, impulsiver und aggressiver reagiert als es schließlich im vorliegenden Roman der Fall ist. Hinzu kommt, das Kosloff eher aus der Luft gegriffen zumindest noch eine Liebesnacht – von Fremdgehen lässt sich nicht unbedingt sprechen – mit einer anderen Frau verbringt. Auch hier fehlen überzeugende Argumente. Alles wirkt eher wie eine Reihe von Versatzstücken, die routiniert mechanisch, aber nicht aus Überzeugung abgearbeitet werden. Agierte Kosloff im ersten Band der Serie insbesondere im Vergleich zu den ungezählten Buddy- Filmen immer am Rande des Klischees, wird er in „Schattenspiele“ leider zu einer Ziffer, der auf allen Ebenen eine gewisse und notwendige Tiefe fehlt. Im ersten Akt diente seine Partnerin mehr als einmal als Mittlerin zwischen dem stilisierten Kosloff und dem Leser. Diese Balance fehlt über weite Strecken des Romans. Nur Partner wie Luc können die Lücke nicht adäquat genug schließen und wenn Louanne zumindest passiv ins Geschehen eingreift, ist es für eine grundsätzliche Trendwende zu spät.
Dadurch wirkt „Schattenspiele“ deutlich kühler, was nicht unbedingt schlecht sein muss. Dem Leser wird es aber sehr viel schwerer gemacht, dem eigentlichen Geschehen zu folgen. So folgt ein Abstecher auf den Mond, wo Kosloff über weitere Auswirkungen dieser natürlich gigantischen und bis in höchste Kreise reichenden Verschwörung förmlich stolpert. Anstatt den Plot geradliniger und stringenter zu gestalten, versucht Miriam Pharo, Kosloff und den Leser abzulenken und in die Irre zu führen. Das geht bis zu einem bestimmten Grad gut, aber irgendwann muss der Ermittler direkt oder indirekt wieder das Ziel ansteuern. Die erste Hälfte des Romans liest sich isoliert Zufrieden stellend bis spannend, aber die einzelnen Zusammenhänge werden zu schwerfällig, zu konstruiert dargestellt als das sie wirklich überzeugen können. Wie auch im ersten Band fügt die Autorin zu wenige wirklich originelle und spontane Elemente der Handlung hinzu. In der zweiten Hälfte des Buches zieht sie das Tempo deutlich in Bezug auf den Showdown an. Damit soll nicht ausgedrückt werden, dass „Das Duell“ gänzlich langweilig geschrieben worden ist. Dieser Handlungsabschnitt ist einfach zu wenig Ziel fördernd, Hardboiled mäßig bis brutal, stimmungstechnisch aber eher für den Anfang eines Plots gut und nicht den dritten Handlungsbogen. Einzig das Duell der Scharfschützen – auch wenn diese Idee ebenfalls nicht unbedingt neu ist – ist dramatisch, spannend beschrieben. Spätestens ab dem Augenblick, ab dem der Leser weiß, das Louanne noch lebt, erst dahin vegetiert, dann erweckt wird, sich orientieren muss und schließlich wieder in das Geschehen eingreift, ahnt er, das die Autorin keine von den Hauptpersonen wirklich vorzeitig ins Abseits schieben möchte. Das negiert in einigen dramatischen Szenen die einzelnen Spannungselemente. Auf der anderen Seite verschiebt die Autorin mit dem Zurück-zu-den-Wurzeln und weg mit der ganz Überwachungstechnologie/ Nanobots den Fokus ihres Romans im letzten entscheidenden Viertel wieder zu Gunsten eines modernen, aber klassisch strukturierten Krimis allerdings mit „Mission Impossible“ Charakter. Wie Kosloff mit seinem neuen Zwei-Frau-Mann- Team in die feindlichen Zonen eindringt und zumindest einen Pyrrhussieg erringt, ist dynamisch geschrieben, wirkt aber viel zu einfach, zu simpel gestaltet. Das die Feinde derartige Flanken offen lassen, hätte logischer und konsequenter erklärt werden müssen.

Ansonsten bewegt sich die Autorin weiterhin sehr sicher und zielstrebig in ihrer düsteren Zukunftswelt. Im ersten Band hat sie sich Mühe gegeben, den dunklen Moloch der Zukunft – „Hanseapolis“ – detailliert und vor allem sehr originell zu beschreiben. Nicht umsonst ist der Epilog als eine Art Moebiusschleife konstruiert, die den Leser förmlich wieder an den „Anfang“ der Geschichte mit der touristischen Vorstellung Hanseapolis zurückführt. Im zweiten Roman kann die Autorin aber dieser eindrucksvollen Kulisse zu wenig hinzufügen. Der Bergbau auf dem Mond kann die Slums oder den Nobelbezirk Hanseapolis nicht ersetzen. Erst mit der Rückkehr des Plots zur Erde, nach Hamburg oder besser Norddeutschland findet der vorliegende Roman in das alte, sehr zufriedenstellende Fahrwasser zurück. Höhepunkt ist allerdings die Idee des Archivs als Antwort auf das fehlende Land bzw. die vom Hochwasser überfluteten Gebiete. Cineastisch sehr ansprechend nutzt Miriam Pharo diesen Hintergrund für eine direkte Konfrontation, der leider das I- Tüpfelchen in Form einer überzeugenden Begründung für die Handlungsweise des Antagonisten fehlt. Die bislang an die Oberfläche gekommene Idee, das lebende Beweisstück über Jahrzehnte zu verstecken und zu benutzen, ist nihilistisch bis pervers. Alleine es fehlt die Abrundung.
Neben der eher enttäuschenden Charakterisierung der Hauptperson Kosloff und dem im Vergleich zum Auftaktroman nicht mehr so dreidimensional entwickelten Hintergrund enttäuschen in erster Linie die Nebenfiguren. Die Schurken inklusiv der ambivalent agierenden Informanten/ Zwischenhändler sind eher spärlich charakterisiert. Sie agieren am Rande zum grotesken Klischee. Ihnen fehlt ein wenig die Tiefe, sie erinnern eher an Figuren aus einem Comic, wobei natürlich in einem geschriebenen Roman die visuellen Eindrücke fehlen. Die Mordszenen sind bis an die Grenze des Sadismus beschrieben, wobei es um die Schurken und angeblichen Biedermänner in diesem wirklich verschachtelten Krimi nicht sonderlich schade ist. Kosloffs Vorgesetzter mit seinen Wutanfällen und seiner seltsamen Einstellung gegenüber Disziplin und Regeln wird dagegen zu übertrieben gezeichnet. Vielleicht soll er neben einigen wenigen pointierten Dialogen mit Anspielungen auf die Unterhaltungsliteratur der Gegenwart das Tüpfelchen schrägen Humor darzustellen. Es bleibt leider beim Versuch.

Angesichts der vielen guten Ansätze in diesem immer noch als Erstlingswerk – wenn auch in zwei Teilen – zu betrachtenden Roman ist diese Schwäche problemlos zu verschmerzen.
Zusammengefasst ist „Schattenspiele“ als zweite Hälfte des Doppelbandes eine zufrieden stellende Fortsetzung. Als Ganzes betrachtet ist „Hanseapolis“ teilweise ein wenig zu lang geraten – trotz des dank der kurzen, prägnanten Sätze intensiven Schreibstils und zahlreichen Ideen unterschiedlicher Originalität und Qualität -, was den Kernplot anbelangt. Es verstecken sich viele Ansätze, viele Facetten und Ideen, die in separaten Geschichten besser erzählt werden können. Sie gehen in dem absichtlich hoch, fast zu hoch gehaltenen Tempo der gut geschriebenen und an das moderne Actionkino erinnernden Kampf- und Schusswechselszenen beinahe unter. Hinsichtlich der persönlichen Entwicklung der einzelnen Figuren stellt „Schattenspiele“ im Vergleich zu „Schlangenfutter“ einen Rückschritt dar, der nur teilweise durch das atmosphärisch sehr stimmige und packend geschriebene Ende ausgeglichen werden kann. In Hinblick auf Science Fiction aus Deutschland ist „Hanseapolis“ als Ganzes bestehend sowohl aus „Schlangenfutter“ als auch „Schattenspiele“ trotz der angesprochenen Schwächen eine unterhaltsame, solide geschriebene und phasenweise insbesondere im Auftaktviertel dank der Ausschmückung der Hintergründe intelligent gestaltete Geschichte.
Wie der erste Band ist „Schattenspiele“ verwendet Miriam Pharo kleine Kästchen mit hintergrundtechnischen an Wikipedia orientierten Informationen und Gaby Mammitzsch hat eine Reihe anschaulicher Illustrationen beigesteuert.

24. Jun. 2010 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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