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Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton Band 2
| GESCHICHTE DER ATOMISTIK VOM MITTELALTER BIS NEWTON BAND 2
Kurd Laßwitz Buch / Sachbuch
Dieter von Reeken
1. Die Erneuerung der Korpuskulartheorie
2. Höhepunkt und Verfall der Korpuskulartheorie des 17. Jahrhunderts
Reprografischer Nachdruck des erstmals 1890 in zwei Bänden erschienenen wissenschaftsgeschichtlichen Werkes. Hardcover (laminierter Pappband, Kapitalband, Lesebändchen). Band 1: xii + XII + 518 (zusammen 542) Seiten; Band 2: iv + VIII + 609 (zusammen 621) Seiten
Band 1 · 40,00 ISBN 978-3-940679-35-2
Band 2 · 42,50 ISBN 978-3-940679-36-9 NEU!
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Mit dem zweiten Band der Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton liegt der letzte Band der Kollektion Kurd Laßwitz im Kleinverlag Dieter von Reeken vor. Wie schon bei der Besprechung des ersten Bandes ist die Neuauflage der erstmals 1890 in zwei Bänden erstandenen Studie insbesondere für Kurd Laßwitz Anhänger interessant, die immer gerne zwischen den philosophischen naturwissenschaftlichen Inhalten seiner modernen Märchen als auch der wissenschaftlichen Grundlage seiner Science Fiction Stoffe den Gymnasiallehrer Kurd Laßwitz gesehen haben.
Es ist unabdingbar, den ersten Band zuerst zu studieren, da Kurd Laßwitz dort auf die Erneuerung der Korpuskulartheorie eingegangen ist. Die verschiedenen insbesondere in Deutschland, Italien und Frankreich entwickelten Theorien der Atomistik fließen nur bedingt zusammen. Kurd Laßwitz zeigt am Ende des ersten Bandes auf, wie stark sich inzwischen das Bild von der aristotelischen Elementenlehre entfernt hat, ohne das die insbesondere in den folgenden beiden Jahrhunderten entwickelten Theorien schon auf fruchtbaren Boden gefallen sind.
Auch zur Überraschung Kurd Laßwitzs folgt die Entwicklung einer neuen Lehre der Atomistik, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart spürbar sind, nicht aus den Fortschritten der naturwissenschaftlichen Forschung heraus, sondern aus der Ecke der Philosophie. Eine Entwicklung, welche dem jungen romantisch realistischen Kurd Laßwitz und seinem Gedankenbild von der beseelten Natur noch näher ist als es der erfahrene Gymnasiallehrer in seiner vorliegenden Studie wahrhaben möchte. Insbesondere Descartes Gedankenmodelle auf den Ideen und Studien Galileis basierend bilden das Fundament, von dem ausgehend Kurd Laßwitz im Grunde einen zweiten Ast der verschiedenen Atomistikkonzepte herausbildet. Obwohl der Autor im Kern chronologisch vorgeht, fällt es ihm nicht leicht, die teilweise parallel verlaufenden, sich aber hinsichtlich ihrer Ausrichtung durchaus widersprechenden und nur selten wirklich ergänzenden Gedankenmodelle in einfachen Worten zusammenzufassen. Der Autor konzentriert sich auf eine Person und ihre Idee, bevor er mit der nächsten Theorie fortfährt. Das lässt einzelne Passagen, soweit es sich rückblickend um Sackgassen handelt, ausgesprochen langatmig und teilweise sich wiederholend erscheinen, ist aber die einzige Möglichkeit, dem insbesondere wissenschaftlich durchschnittlich vor gebildeten Leser einen Einblick zu schenken.
Sehr viel wohler fühlt sich der Autor bei der naturwissenschaftlichen Vollendung der Korpuskulartheorie an Hand der Arbeiten Joachim Jungius, Robert Boyles, Otto von Guerickes, Giovanni Alfonso Borelli und letzt endlich auch Huygens. Ausgesprochen bildhaft versucht Kurd Laßwitz deren Ansätze zusammenfassen und auf die letzt endlich schnell wieder verworfene Vibrationstheorien zu verweisen, deren grundlegende Ideen Jahrhunderte später wieder aufgenommen werden. Es
ist faszinierend zu verfolgen, wie sich die Forschung nicht nur in Zyklen, sondern teilweise auch kreisförmig vorwärts bewegt und einzelne Ideen aus im Grunde ansonsten eher abstrakten bis absurden Studien in die moderne Forschung übertragen werden können. Es ist sicherlich mühselig, aus einer Distanz von mehr als einhundertzwanzig Jahren zum Verfassen der Studie bzw. fast fünfhundert Jahren zu den ersten im zweiten Band vorgestellten Studien Ideen in die Gegenwart extrapolieren zu wollen, aber als Autor beschreibt Kurd Laßwitz einzelne Modelle so plastisch und für den Laien verständlich, das es anders herum auch Spaß macht, diesen Gedankenmodellen zu folgen. Der Autor bewegt sich dabei religiös auf einem ausgesprochen schmalen Grad. Die Gedankenmodelle verschiedener Glaubenslehren sind inklusiv ausgesprochen lesenswerter Exkurse sowohl zu den jüdischen wie arabischen Philosophen hin im ersten Band ausführlich behandelt worden. Der aufmerksame Leser vermisst vielleicht die Reaktion der Kirche auf die immer mehr der biblischen Lehre widersprechenden Theorie. Wenn es in erster Linie um die Vorstellung der einzelnen Wissenschaftlicher bzw. Philosophen geht, finden sich eher impliziert Andeutungen, ansonsten konzentriert sich Kurd Laßwitz alleine auf die verschiedenen Theorien. In seinen anderen sekundärliterarischen Arbeiten insbesondere zur beseelten Natur hat er diese Diskrepanz sehr viel nachhaltiger und eine eigene Meinung bildend herausgearbeitet.
Mit dem Übergang zur dynamischen Theorie der Materie dank Leibniz und Spionza ist Kurd Laßwitz zum ersten Mal im vorliegenden zweiten Band gezwungen, vorher entwickelte Gedankenmodelle nicht nur zu verwerfen, sondern genauer zu negieren. Als Wissenschaftler fällt es ihm deutlich leichter als in seiner Eigenschaft als philosophierender Autor. Dieser abschließende Kapitel gipfelt schließlich in der Auseinandersetzung mit beseelten Körpern und ausgedehnten Geistern. Dank der vollständigen Veröffentlichung insbesondere seiner sekundärliterarischen Arbeiten im Rahmen der Kollektion Kurd Laßwitz hat der Leser mehrmals die unterschiedlichen Standpunkte Kurd Laßwitz kennen lernen können. Anfänglich insbesondere von Fechner - dessen Biographie ist ebenfalls in der Kollektion erschienen - beseelter Natur begeistert, arbeitete der junge aufstrebende Autor diese Idee - es ist passender, von einem Ideal zu sprechen - in seine frühen literarischen Arbeiten ein. Es ist aus heutiger Sicht unmöglich, diese eher romantische Denkweise noch ernst zu nehmen. Funktionieren Kurd Laßwitz erste literarische Arbeiten insbesondere über die pointierten Dialoge und die spritzig komödiantische Handlung noch ausgezeichnet, wirken die Theorien eher phantasievoll ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage oder Begründung als ernst zu nehmen. Zum Zeitpunkt des Entstehens seiner Geschichte der Atomistik hatte Kurd Laßwitz dieser Lehre schon abgeschworen und zumindest zwischen den Zeilen klingt ein wenig beschämend heraus, dass der Autor einem Irrglauben aufgesessen ist. Diese Exkurse in den übernatürlichen, wenn auch nicht spirituellen Bereich finden sich in fast allen sekundärliterarischen Arbeiten Kurd Laßwitz und dienen fast immer dazu, sich vom Volks(aber)glauben abzugrenzen und moderne wissenschaftliche Forschung zu präsentieren, von der seine Schüler in erster Linie profitieren sollten. Über die Attraktionshypothese schlägt Kurd Laßwitz schließlich den Bogen zu Newton. Mit dieser abschließenden Betrachtung der - zum Zeitpunkt der Entstehung der Studie - gültigen Atomistikstudie schließt sich ein von Kurd Laßwitz ausgesprochen weit gespannter Bogen über eine damals noch ungewöhnliche junge - der Begriff des Atoms ist an sich alt, aber die Möglichkeit, das Vorhandensein von Atomen zu beweisen noch ausgesprochen jung - wie aktive Forschungslehre. Es ist immer wieder interessant zu lesen, wie zum Beispiel sowohl Huygens als auch später Leibniz sowie Newton ähnliche Denkmodelle entwickelten, deren Plausibilität erst durch die mathematische Berechnung der Bewegungen atomarer Teilchen bzw. dank einer dynamischeren Naturauffassung Allgemeingültigkeit erlangten. Es sind in erster Linie die zahlreichen Querverweise sowohl auf naturwissenschaftlicher, philosophischer und mit Einschränkungen auch alleine geistiger- geistlicher Ebene, welche die vorliegende zweibändige Studie auf der einen Seite sicherlich zu keiner leichten, eine gewisse Vorbildung voraussetzenden Lektüre machen, die aber auf der anderen Seite im Grunde einen faszinierend zu lesenden, wissenschaftlich so zugänglich wie nur möglich formulierten Streifzug durch eines der Grundlagenthemen wissenschaftlicher
Forschung ermöglichen. Am Ende dieser Reise steht sicherlich eine der komplexesten
Übersichten über den Begriff der Materie in jeglicher Form sowie die verschiedenen Facetten, unter denen sich Menschen über einen Zeitraum von mehr als zweitausend Jahren diesem Thema gewidmet haben. Kurd Laßwitz reiht sich sicherlich in erster Linie mit seinen literarischen Arbeiten nahtlos in diese Reihe berühmter wie unbekannterer Denker ein. Als Zusammenfassung liest sich der zweite Band im Vergleich zum ersten Buch ein wenig geschmeidiger. Das liegt zuletzt auch an der Tatsache, dass sich der Autor mit den hier vorgestellten Theorien und Gedankenmodellen deutlich mehr identifizieren, sie teilweise progressiv oder beschämend selbst in seine Romane und Kurzgeschichten integriert hat. Die beiden Bücher sind sicherlich in erster Linie aus naturwissenschaftlicher und damit auch studierender Perspektive interessant. Sie gilt - wie Herausgeber Dieter von Reeken mehrfach in seinen informativen Vorwörtern herausgestellt hat - als Kurd Laßwitzs wissenschaftliches Hauptwerk, um Grund als Auf zwei Planeten der Sekundärliteratur. Viele seiner kurzen Arbeiten sind aus heutiger Sicht wahrscheinlich leichter zu lesen, aber wer sich intensiv mit den vorliegenden zwei Büchern auseinandersetzt, wird die Vorgehensweise erkennen, mit welcher der Gymnasiallehrer alle seine Arbeiten - egal ob Roman oder wissenschaftliche Studie - angegangen ist. Neben der liebevollen Ausstattung der Neuauflage ist die vorliegende zweibändige Arbeit sicherlich die Standardlektüre für alle, die sich mit dem ganzen Menschen Kurd Laßwitz auseinandersetzen möchte. Was alleine zur Perfektion dieser Edition noch fehlt, ist eine lebhaft geschriebene Biographie des Menschen Kurd Laßwitz, dessen manchmal sehr widersprüchliches Wesen der Leser in seinen Arbeiten erkennen kann.
27. Feb. 2011 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

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