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Weißer Schrecken

WEISSER SCHRECKEN

Thomas Finn
Roman / Mystery-Thriller

Piper

Taschenbuch, 496 Seiten
ISBN: 978-349226759-5

Nov. 2010, 9.95 EUR
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Nach dem originellen „Funke des Chronos“ legt Thomas Finn eine Art Horror Science Fiction Thriller mit spirituellen Zwischentönen vor, der auf zu vielen Hochzeiten zu gleich tanzen möchte, aber zu wenigen Partys eingeladen worden ist.
Die Ähnlichkeiten – wie vom Backcovertext richtig herausgestellt – zu Stephen Kings frühen Arbeiten wie „Es“, aber auch „Tommyknockers“ sind teilweise frappierend.
Andreas Meyenberg kehrt – ein Klischee des Horror- Romans – nach vielen Jahren in seine Heimatstadt zurück. Hier hat er in seiner Jugendzeit Schreckliches erlebt und hier muss er sich – welche eine Überraschung – noch einmal dem Schrecken von damals in inzwischen fast übernatürlicher Gestalt stellen. Im Gegensatz allerdings zu Stephen Kings überlegenen Thrillern, in denen das Grauen nach normalen, ja absichtlich durchschnittlichen Menschen greift, arbeitet Thomas Finn von Beginn an heraus, dass Andreas Meyenberg und seine Freunde anders sind. Aufgewachsen im idyllischen, fast kitschig portraitierten, allerdings fiktiven Perchtal nahe Berchtesgaden ist Andreas alleine aufgewachsen. Sein Vater ist nie richtig zu Hause, seine Mutter hat sich kurz nach seiner Geburt erschossen. Über diese Tat spricht offen niemand. Weder untereinander noch zu Andreas. Zu seinen Freunden gehört Robert, dessen Mutter Alkoholikerin ist. Während Andreas Vater niemals zu Hause ist, hat Roberts Vater Frau und Kind früh verlassen. Ein anderes Mitglied der kleinen Gruppe wurde beinahe von der eigenen Mutter getötet, jetzt wird er mit Süßigkeiten gemästet. Die beiden Zwillinge Elke und Miriam sind dem religiösen Wahn der Eltern verfallen. Thomas Finn zeichnet fast liebevolle Portrait seiner jugendlichen Außenseiter. Ohne den Handlungsaufbau zu beeinträchtigten stellt der Autor seinen Lesern die in erster Linie unter dem verkorksten und wenig verantwortungsbewussten Leben der Eltern leidenden Kinder vor. Auf der negativen Seite wirkt diese Vorgehensweise allerdings auch wie eine Art Overkill. Das es ausgerechnet in dem ansonsten romantisch verwildert beschriebenen Perchtal nur derartige Kinder geben soll, wirkt unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass Thomas Finns Recherche teilweise zu oberflächlich durchgeführt worden sind. So kennt Andreas als James Bond Fan 1994 nicht Pierce Brosnan, der im gleichen Jahr die Rolle des Geheimagenten ihrer Majestät übernommen hat. Manchmal verhalten sich die Außenseiter zu sehr wie Kinder der Gegenwart, obwohl Thomas Finn ihnen sogar eine natürlich „verfeindete Bande“ anderer Jugendlicher mit auf den Weg gegeben hat.
Der eine Handlungsarm spielt im Jahre 1994. Die Jugendlichen sind um die fünfzehn Jahre alt, als sie in dem harten Winter auf einem zugefrorenen See die Leiche eines Mädchens finden, das den Zwillingen aufs Haar gleicht. Die Wahrscheinlichkeit, in einem See nach sechzehn Jahren eine Leiche zu finden, ist schon gering, dass es ausgerechnet die mehr oder minder direkt betroffenen Jugendlichen sind, grenzt schon an Unglaubwürdigkeit. Die Zwillinge vermuten, dass sie in Wirklichkeit Drillinge sind und von ihrer Schwester nie erfahren haben. Dem widerspricht aber, dass die Leiche anscheinend schon sehr viel länger im See gelegen hat. Bei den Recherchen, die Thomas Finn sehr ansprechend und stimmungstechnisch überzeugend dunkel/ bedrohlich gestaltet, kommt heraus, dass alle sechzehn Jahre in der Siedlung Kinder verschwinden. Vor sechzehn Jahren insgesamt fünf Freunde, alles ältere Geschwister der jetzigen Gruppe. Auf einem alten Foto, das ihnen in die Hände fällt, ist die Ähnlichkeit zwischen den verschwundenen Schwestern und Brüdern und ihnen verblüffend. Als dann der alte Pfarrer ausgerechnet die fünf Jugendlich zu einer Nachtwanderung einlädt, glauben sie, dass die Legende um den bösen Knecht Ruprecht, der Kinder frisst, doch wahr sein könnte.

Nach der Lektüre von „Weißer Schrecken“ bleibt der Leser eher verwirrt als befriedigend unterhalten zurück. Eine dunkle nihilistische Atmosphäre alleine reicht nicht, um einen modernen Horrorthriller unterhaltsam zu gestalten. Andreas Gruber ging in seiner H.P. Lovecraft Hommage „Der Judas- Schrein“ deutlich effektiver und stringenter vor. Im Gegensatz zu Andreas Gruber versucht Thomas Finn traditionelle Gebräuche, Legenden und Sagen in die Handlung einzubringen. Diese Vorgehensweise erweist sich nicht einmal als uneffektiv, wenn der Autor nur an sie glauben könnte. Alleine einen Roman auf der Legende des Menschenfresser Ruprecht aufzubauen, der alle sechzehn Jahre die kleine Ortschaft heimsucht und die Kinder raubt, hätte „Weißer Schrecken“ eher näher an eine wichtige Passage von Stephen Kings „Der dunkle Turm“ Saga gerückt oder eben das Buch als deutsche Kopie von Stephen Kings unerreichten „Es“ erscheinen lassen. Thomas Finn führt den überwiegend im Jahre 1994 spielenden Teil der Geschichte ausgesprochen stringent auf das Ziel zu, wobei er außer acht lässt, das die wenigen sechzehn Jahre später spielenden Passagen mit einem hinsichtlich der Ereignisse vertrauten Erzählern den Spannungsaufbau teilweise negieren. Das Ende ist nicht ganz befriedigend. Die Idee, sich ein Hintertürchen offen zu lassen, wirkt im vorliegenden Fall aufgesetzt. Thomas Finn macht im Gegensatz zu King und im Grunde Andreas Gruber folgend den schweren Fehler, dass das Böse per se nur so lange unheimlich ist, wie es im Verborgenen operieren kann. Während Kings Helden durch ihre Zusammenarbeit, durch ihre Entschlossenheit, sich gegebenenfalls zum Schutz aller zu opfern, über sich hinaus wachsen, muss Thomas Finn beim finalen Showdown im Bergwerk – keine originelle Idee, aber ein Hintergrund, aus dem ein einfallsreicher Autor sehr viel mehr machen könnte und dessen räumliche Eingeschränktheit die ungleichen Kräfteverhältnisse ausgleichen – auf innere Stärken seiner Figuren zurückgreifen, die bis dahin im Plotverlauf keine Rolle gespielt haben.
Die Versuche, Science Fiction Ideen zu integrieren bzw. auf spirituelle Selbstexperimente zurückzugreifen, wirken fast hilflos. Wahrscheinlich kann Miriam ihre Zwillingsschwester Elke nur aus dem Stehgreif in eine hypnotische Tranche versetzen, weil sie sich so nahe stehen. Während Elke aus ihrem früheren Leben plaudert, bleibt Miriam seltsam unberührt. Es stellt sich unwillkürlich die Frage, welche Erfahrungen früherer Leben in Miriam verschüttet sind. Die Idee wird ebenso wenig aufgegriffen wie der Versuch, ein mysteriöses Wesen als Außerirdischen darzustellen, der sich anscheinend in die Bergregion verirrt hat. Dabei greift dieser im Gegensatz zu so erfolgreichen Thrillern wie „Die Vergessenen“ von Joseph Rubens überhaupt nicht aktiv in die Handlung ein. Die Idee, eine Art Wiedergeburt bei den Jugendlichen durchzuführen, liest sich auf dem Papier ansprechend, wirkt aber rückblickend wie eine Deus Ex Machina Lösung, da Thomas Finn nichts wirklich Überzeugendes eingefallen ist, um diesen Seitenarm überzeugend abzuschließen. Die in der Zukunft spielende Handlung wirkt isoliert.
Als Roman ist „Weißer Schrecken“ viel zu lang geraten, insbesondere der Mittelteil hängt. Thomas Finn versucht sie überambitioniert, neue Aspekte in die Handlung einfließen zu lassen und negiert die von ihm selbst so exzellent aufgebaute Atmosphäre. In dieser Hinsicht kann er dem überraschenden schwedischen Romanerfolg „So finster die Nacht“ aus der Feder John Ajvide Lindqvist das Wasser reichen, auch wenn die grundlegende Vampiridee als übernatürliches Element sehr viel überzeugender extrapoliert worden ist. Auch seine jugendlichen Protagonisten trotz der Extremfamilien, in denen sie letzt endlich aufgewachsen sind, sind dreidimensional und nuanciert charakterisiert. Hätte sich Thomas Finn mutiger entschieden, entweder einen mit Legenden und Mythen übersäten modernen Serienkillerroman mit einem übernatürlichen Killer zu schreiben oder die Science Fiction Idee konsequenter zu extrapolieren, wäre aus „Weißer Schrecken“ ein wirklich lesenswertes Buch geworden. Isoliert voneinander und besser ausgearbeitet hätten wahrscheinlich beide Prämissen funktioniert. Zusammengemischt, umgerührt und schließlich rezepttechnisch zu sehr gestreckt funktioniert keine der Beiden. So bleibt „Weißer Schrecken“ ein ambitionierter Versuch, Stephen King auf seinem ureigenen Territorium – dem Schrecken/ Verschrecken heranwachsender Jugendlicher in unschuldig ländlicher Umgebung – Konkurrenz zu machen, aber kein befriedigender oder gar guter Roman.

06. Apr. 2011 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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